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34.

Die drei Freundinnen kannten an der Küste des Marmarameeres, auf der asiatischen Seite, einen kleinen einsamen Strand, ganz geschützt gegen jene Winde, die den Bosporus trostlos machen, während dort milde Luft, wie in einer Orangerie, weht. In der Umgegend jenes Strandes wohnte eine ihrer Freundinnen, die sich verpflichtete, nötigenfalls einen sehr annehmbaren Alibibeweis zu liefern, indem sie steif und fest versichern werde, die drei Freundinnen während des ganzen Tages bei sich behalten zu haben. Man hatte deshalb beschlossen, von dort aus eine letzte gemeinschaftliche Promenade zu machen, vor der demnächstigen Trennung, die leicht eine immerwährende werden könnte! ...

André gedachte bald einen zweimonatigen Urlaub nach Frankreich zu nehmen, und Djenane sollte mit ihrer Großmutter die kalte Jahreszeit auf ihrer Besitzung von Bounar-Bachi zubringen. Das Wiedersehen zwischen ihnen würde also nicht früher als im nächsten Frühjahr stattfinden, und bis dahin konnte soviel Unglück geschehen! ...

Sonntag, der 12. Dezember 1904, der für diese Promenade nach vielen Berechnungen und Umänderungen gewählte Tag, war einer der in diesem veränderlichen Klima zuweilen mitten im Winter zwischen zwei Schneeperioden plötzlich eintretenden Nachsommertage. An der Brücke des Goldenen Horns, von wo die kleinen Dampfer nach den asiatischen Klippen abfahren, begegnete sich André mit dem Trio, bei köstlichem Sonnenschein, ohne sie durch eine Miene zu verraten, wie Reisende, die sich untereinander nicht kennen. Wie zufällig bestiegen sie dasselbe Dampfboot, wo sich die drei Freundinnen ganz vorsichtig in dem für Muselmaninnen bestimmten »Ronfle-Harem« niederließen, nachdem sie ihre Neger und Negerinnen entlassen hatten.

Des schönen Wetters wegen befanden sich an diesem Tage viele Leute im Boot, die auch auf dem anderen Ufer promenieren wollten.

Nach dem Verlassen des Dampfbootes wartete man erst, bis sich die anderen Reisenden entfernt hatten, alsdann nahm André einen Wagen, der sie bis in die Nähe ihres Zieles bringen sollte. Alle vier bestiegen denselben Wagen, was auf dem Lande nicht auffällig war. Bei der Fahrt herrschte unter ihnen eine sehr heitere Stimmung. Der ihnen so dringend empfohlene Strand lag ziemlich weit entfernt, und der Weg, der dorthin führte, war recht schlecht; als man aber endlich anlangte, vergaß man rasch die ausgestandenen Unbequemlichkeiten. In der kleinen Meeresbucht herrschte eine wunderbar milde Luft. Wenn man ein kleines Felsenriff bestieg, sah man kein lebendes Wesen in der weiten Ebene, die sich in der Runde ausdehnte. Unbesorgt vor irgendeiner Ueberraschung, schlugen die drei Freundinnen ihre Schleier bis zum Haar in die Höhe und atmeten die balsamische freie Luft in vollen Zügen ein. Niemals bisher hatte André diese schönen jugendlichen Gesichter in freier Luft und im Sonnenschein gesehen; niemals auch hatten sich alle in so vollständiger Sicherheit gefühlt wie heute.

Zunächst ließen sie sich in einer Gruppe auf dem Sandboden nieder, um gemeinschaftlich die Bonbons und feinen Gebäcke, die sie im Vorübergehen bei dem berühmtesten Konfiseur Stambuls eingekauft hatten, zu verzehren.

Nach Beendigung dieses unter fröhlichem Lachen eingenommenen frugalen Mahles fand eine genaue Besichtigung aller Teile der Meeresbucht, die für den Augenblick als ihr Besitztum gelten konnte, statt. Ueberall kletterte die lustige Gesellschaft unter heiteren Scherzen umher, sich schließlich außerordentlich befriedigt erklärend von der »Großen Revue«.

Und André, versunken in den Anblick der lachenden Djenane, die in den nächsten Tagen nach ihrem Schloß in Mazedonien reisen würde, freute sich über alles, was der heutige Tag an Seltenem und Wunderbarem brachte.

»Wer weiß,« sagte er sich, »vielleicht werden wir uns nie mehr wiedersehen oder doch nicht so traulich und so frohen Herzens? Darum ist dies eine Stunde, die man für das ganze Leben im Gedächtnis behalten, die man sich einprägen muß, um sie nie mehr zu vergessen!«

Auf Verabredung bestieg einer um den anderen von ihnen einen kleinen Felsvorsprung, um von da aus zu berichten, wenn sich in der Ferne eine Gefahr zeigen sollte.

Und kaum hatte Zeyneb diesen Wachtposten angetreten, so meldete sie einen Türken, der am Meeresufer entlang hierher käme, ebenfalls in Begleitung von drei schwarzen Frauengestalten mit hocherhobenen Schleiern. Djenane meinte, das sei nicht gefährlich, man könne es auf ein Zusammentreffen ankommen lassen; aber sie nahmen aus Vorsicht die schwarzen Schleier wieder um.

Als der Türke vorbeikam, ohne Zweifel ein wirklicher Bei, der seine Haremsdamen spazieren führte, hatten diese ebenfalls ihre Schleier vorgenommen, Andrés wegen; aber die beiden Männer sahen einander gleichmütig an, ohne Mißtrauen weder von der einen noch von der anderen Seite. Der Unbekannte hatte nicht gezweifelt, daß die Leute, denen er hier begegnete, Angehörige einer und derselben Familie seien.

Kleine, glatte Kieselsteine, die von den Wellen der Marmara auf den Strand gespült worden waren, erinnerten André an eine Spielerei aus seiner Kindheit; er lehrte deshalb seine Freundinnen, sie flach aufs Wasser zu werfen, so daß sie mehrmals auf der Oberfläche weiterhüpfen mußten. Sofort machten sie sich mit Leidenschaft daran, dieses Spiel zu erlernen, aber es gelang ihnen nicht. Mein Himmel, wie kindlich, wie einfach, wie lebenslustig waren diese drei armen Unterdrückten! Besonders Djenane, die sich so große Mühe gegeben hatte, ihr Leben zu verkümmern! Nach Ablauf dieser einzig-schönen, unvergeßlichen Stunde beeilten sie sich, ihren Wagen zu erreichen, der in weiter Entfernung auf sie wartete, um sie nach Scutari zurückzufahren. Auf dem Boot kannten sie einander nicht mehr. Aber während der kurzen Wasserfahrt genossen sie noch das wunderbare Schauspiel, das der Anblick Stambuls in der Beleuchtung durch die untergehende Sonne gewährt.


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