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1906

Im Feldlager von Ebolobingon, 4. Januar

Seit gestern bin ich glücklich am Ziele, und die größte Freude, die mich für alle Anstrengungen meiner Eilmärsche reich entschädigt, ist die, daß ich einen zwar immer noch ernstlich Kranken vorfinde, der aber offenbar inzwischen über die Krisis seines Zustandes glücklich hinaus ist. Dr. G. leidet an einer heftigen tropischen Dysenterie, die zu sehr bedrohlichen Erscheinungen geführt hatte und ihn noch jetzt ans Lager fesselt. Aber nach gründlicher Untersuchung bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß keine sonstigen Komplikationen (Leberabszeß oder dergl.) vorliegen, und daß die Krankheit über ihren Höhepunkt hinaus ist. Wir haben gemeinsam den Kurplan festgelegt, und sobald der Patient einigermaßen transportfähig ist, soll er von hier aus den für eine Genesung nach Dysenterie so ungünstigen Verhältnissen eines afrikanischen Kriegslagers heraus und in kleinen Tagemärschen in der Hängematte nach Jaunde reisen. Der Wechsel des Klimas aus einem sumpfigen Waldlande in eine freie Höhenlage und die Möglichkeit, eine strenge Diät durchzuführen, deren Befolgung hier natürlich ausgeschlossen ist, geben mir die bestimmte Zuversicht auf eine völlige Wiederherstellung.

Am 31. Dezember war ich wieder in Akonelinga angekommen. Um zur Schutztruppe zu stoßen, mußte ich von dort aus zunächst zwei Tage den Njong aufwärts reisen bis an eine vom Feldwebel L. mir näher bezeichnete Stelle, von der aus ich dann noch einige Stunden Marsch in südlicher Richtung hatte. Genaue Karten der hiesigen Gegend sind noch nicht erschienen; der Versuch, die Lage der Negerdörfer festzulegen, würde vorläufig sogar zwecklos sein, da sie bald hier, bald dort in einer Waldlichtung ihre Hütten bauen, um sie nach kürzerer oder längerer Zeit nach einem anderen Platze zu verlegen. Ich hatte nun die Wahl, über Land am Flußufer entlang mich durchzuschlagen oder auf dem Wasser die Hauptstrecke zurückzulegen. Ich entschied mich fürs letztere. Freilich war auch die zweitägige Fahrt im Kanu wenig verlockend. Außer zwei Blechkoffern mit den unentbehrlichsten Reiseeffekten und einem Feldbett und Stuhl nahm ich noch Peter und vier Eingeborene mit in mein schmales Fahrzeug zum Rudern und gleichzeitig als Träger für den späteren Marsch über Land. In einem zweiten Kanu folgten fünf Soldaten als Bedeckung, weitere neun wurden über Land in Marsch gesetzt.

Am Neujahrstage fuhren wir mit zweimaliger kurzer Pause den ganzen Tag über bis spät in die Dunkelheit hinein. In einer elenden Ansiedlung, die wir nachts 11 Uhr erreichten, ließ ich mein Feldbett aufschlagen, dessen Moskitonetz leider schadhaft geworden war, so daß ich vor Stechmücken und Sandfliegen nur wenig zum Schlafen kam; überdies führten Ratten einen geräuschvollen Begrüßungsreigen auf. Am Morgen bemerkte ich außerdem, daß sich über ein Dutzend Sandflöhe bei mir eingenistet hatten. Diese Tiergattungen sind die wahren »wilden Tiere« des Kameruner Urwaldes, die den Europäer überfallen.

Am 2. Januar setzten wir die Fahrt fort und fanden auch glücklich die einigen der mitfahrenden Soldaten bekannte Abzweigungsstelle. Die Trümmer einer einzigen verfallenen Hütte gewährten mir Unterkunft für die Nacht. Gestern vormittag folgte der fünf bis sechsstündige Marsch über Land. In seiner ersten Hälfte war es freilich alles andere als marschieren, was wir da vollführten. Weit über mannshohes Gras und dichtes Buschwerk wucherten üppig auf dem sumpfigen Boden, und nur ein schmaler Pfad, der von Negern, die früher hier passiert waren, durchs Dickicht getreten sein mochte, zeigte uns hie und da die einzuschlagende Richtung. Sehr oft war der Pfad überwuchert, wir verloren die Spur und konnten dann nicht anders vordringen, als daß die Soldaten mit dem Seitengewehr für die Nachfolgenden notdürftig eine Gasse bahnten. Wenn ein Schwarzer gewollt hätte, er hätte mich auf drei Schritte aus dem Dickicht anschießen können.

Menschliche Niederlassungen trafen wir nirgends, wohl aber an vielen Stellen die tief in den weichen Boden eingedrückten Fährten von Elefanten und ihre Losung. Ich hatte weder Zeit noch Neigung, ihnen nachzugehen. Nachdem wir uns so vier Stunden lang vorwärtsgequält hatten, wurden vier Hütten sichtbar, meist zwar in Trümmern und verbrannt, nur selten von scheuen Schwarzen bewohnt. Allmählich wurden die Ansiedelungen dichter, wir trafen die Eingeborenen beim Wiederaufbau ihrer Wohnungen an, und schließlich erreichten wir ein regelrechtes Dorf, dessen Häuptling mit einem erst vor kurzem ihm ausgestellten Schutzbriefe mir entgegenkam. Er gehörte zu den unlängst Unterworfenen. Wir waren in die Nähe des Feldlagers gekommen. Von jetzt an gab es, offenbar unter europäischer Nachhilfe, einen wirklichen Weg, und bald war ich am Ziele.

Das Feldlager liegt auf einer Anhöhe, die von Wald und Grasbestand befreit ist; rings um den Platz geführte hohe Pallisaden schützen vor einem Überfall und den Angriffen der Eingeborenen, die es trotzdem noch in den letzten Tagen wieder fertig bekommen haben, in der Dunkelheit heranzuschleichen und über die Pallisaden hineinzufeuern. Innerhalb dieser Umzäunung sind die Wohnstätten für mehrere hundert Menschen erbaut, alle natürlich nach Eingeborenenart aus dem Material der Raphiapalme. Außer der Schutztruppenkompanie sind hier an 150 Kriegsgefangene, Arbeiter und Lastenträger einquartiert. Der erste Führer der Expedition, Oberleutnant S., war schon im September auf einem Patrouillengange schwer verwundet worden und seiner Verwundung, zu der sich der Ausbruch einer Malaria gesellt hatte, erlegen. Sein Nachfolger ist Oberleutnant B. Außer ihm gehören an Weißen zur Expedition noch Leutnant v. P., Stabsarzt Dr. G. und eine Anzahl Unteroffiziere. Von den schwarzen Soldaten waren während der seit einem halben Jahr im Gange befindlichen Expedition über 40 Prozent verwundet worden. Eine große Hütte diente als Lazarettraum für die Blessierten.

Der Aufstand der jetzt hier bekämpften Eingeborenen hatte damit eingesetzt, daß im Anfange des Jahres mehrere europäische Kaufleute von ihnen ermordet wurden und, wie mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden muß, auch ihrem Kannibalismus zum Opfer fielen. Ferner waren Trägerkarawanen überfallen und ausgeraubt worden, anderen hatte man den Durchzug verwehrt. Was die Schwarzen zu ihrer Aggressivität gebracht hat, ist noch nicht klargestellt. Daß sie aber durch irgendwelche Maßnahmen, wahrscheinlich schwarzer Händler, schwer gereizt worden sind und daß diese Wilden hier erst wild gemacht worden sind, kann gar keinem Zweifel unterliegen. Trotzdem mußte die Tatsache, daß Europäer ihres Lebens nicht sicher waren, der Regierung die Pflicht auferlegen, die wirkliche Okkupation dieses Gebietes in Angriff zu nehmen. Außer der in hiesiger Gegend kämpfenden Kompanie liegt einer unter Hauptmann Freiherrn v. St. einige Tagereisen von hier flußaufwärts postierten Abteilung die gleiche Aufgabe ob. Auch der zu Jaunde gehörige Posten Akonelinga muß teilweise zu dieser Aufgabe herangezogen werden, und binnen kurzem wird das Eintreffen einer weiteren Kompanie der Schutztruppe erwartet. Ich bin überzeugt, daß die Truppe hier vor einer äußerst schwierigen Arbeit steht. Das erstrebte Endziel ist natürlich das, den Eingeborenen möglichst rasch und nachdrücklich das Bewußtsein ihrer Ohnmacht gegenüber dem Weißen beizubringen, sich des Gehorsams der Häuptlinge zu vergewissern und Leben und Eigentum durchziehender Europäer zu sichern, denn das Gebiet ist ein an Gummi und Elfenbein reiches Land.

Von den entgegenstehenden Schwierigkeiten wird sich keiner einen Begriff machen können, der nicht selbst diese Gegend gesehen hat. Ein offener Kampf ist von vornherein unmöglich, eine Entscheidung mit wenigen Schlägen ausgeschlossen. Werden Patrouillen mit irgendeinem Auftrage nach den Niederlassungen geschickt, so finden sie diese leer; die Bewohner und namentlich der Häuptling sind in den Wald geflüchtet, in dem man auf drei bis vier Meter nichts mehr sehen kann. Aus dem Dickicht heraus werden die vorüberziehenden schwarzen Soldaten, ohne sich wehren zu können, angeschossen von dem im sicheren Versteck sitzenden Schützen, der, ruhig wartet, bis sein Opfer auf wenige Schritte an ihm vorbeikommt. Nur selten gelingt es den Soldaten, einen größeren Trupp in einem Verstecke zu überraschen, zu entwaffnen und einzufangen. Pfeile, Bogen, Speere sind neben den Steinschloßflinten ihre Kampfeswaffen. Eine besonders niederträchtige Art der hiesigen Eingeborenen ist es, den Boden der schmalen Pfade, auf denen voraussichtlich die Soldaten entlangziehen müssen, mit Speerspitzen zu spicken, so daß sie sich diese in die nackten Füße treten müssen.

Die fehlende Bildung größerer Stämme und der mangelnde innere Zusammenhang der einzelnen Südkameruner Völkerschaften haben den großen Vorteil, daß eine allgemeine Aufstandsbewegung kaum je zu befürchten ist. Die einzelnen »Stämme« zählen höchstens nach einigen tausend Köpfen, also noch nicht soviel wie in Togo ein einziges Dorf aufzuweisen hat. Trotzdem liegt auf der andern Seite gerade in dieser Zersplitterung auch ein schweres Hemmnis für eine rasche Okkupation. Wenn ein Stamm glücklich zur Räson gebracht ist und die Truppe ihm den Rücken kehrt, um sich einem andern zuzuwenden, so wird der eben unterworfene nur allzuoft von neuem sich dem Einfluß der Weißen entziehen. Ich glaube deshalb entschieden, daß Patrouillengefechte allein in diesen überaus schwierigen Verhältnissen nicht zum Ziele führen werden, sondern daß es, um eine dauernde Sicherheit zu erreichen, nötig sein wird, eine größere Anzahl fester Stationen und Nebenposten zu gründen, die über das ganze Gebiet zerstreut, durch Wege verbunden, die Eingeborenen überwachen und Handel und Verkehr zu sichern hätten.

So hart die allgemeinen Kampfesbedingungen, so hart sind auch die Entbehrungen des Expeditions- und Lagerlebens für den Europäer im Kameruner Urwald. Selbst die Verpflegung der schwarzen Mannschaften stößt auf die größten Schwierigkeiten, da aus dem Lande selbst nichts herauszuholen ist, sondern Reis und sonstige Nahrungsmittel erst von der Küste requiriert werden müssen.

Morgen will ich noch in der Nähe des Kranken bleiben, übermorgen den Rückweg antreten, bei dem ich mir einige Tage mehr Zeit gönnen will als beim Hermarsche.


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