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Besuch eines Kriegsschiffes

2. Juli

Der »Habicht«, das Kriegsschiff unserer deutsch-westafrikanischen Küste müssen wir sagen; denn nur dies eine kreuzt in den Gewässern der drei Schutzgebiete, die an Größe das Mutterland um mehr als das Doppelte übertreffen, und dieses eine gehört zu unseren ältesten und steht auf der Grenze der Tropendienstfähigkeit. Ostafrika, selbst Samoa, ganz zu schweigen von Kiautschou, sind weniger kärglich von der Flottenleitung bedacht worden.

Die Geschichte unserer Kolonien ist eng mit der Geschichte unserer Kriegsmarine verknüpft, und namentlich in Westafrika hat letztere mehrfach Gelegenheit zu ernstem Eingreifen gehabt. Soweit die Togoküste in Betracht kommt, erschien als erstes Schiff auf der Reede von Kleinpopo, wo seit 1880 deutsche Handelsniederlassungen entstanden waren, Anfang 1884 die »Sophie« (Kapitän Stubenrauch), um den Verträgen der Firmen mit den Eingeborenen Nachdruck und Bestätigung zu verschaffen, da durch freundnachbarliche englische Einflüsse die Schwarzen anfingen, den Deutschen Schwierigkeiten zu bereiten. Die erste Gegenwart der »Sophie« genügte aber noch nicht, um ihnen den nötigen Respekt einzuflößen. Als sie nach dem heutigen Grandpopo abgedampft war, wurden die Unfreundlichkeiten nur noch stärker, so daß sie auf dringende Bitten der Deutschen zurückkehrte. Jetzt entschloß sich der Kommandant zu einer Maßnahme, für die wir ihm noch heute dankbar sein müssen, denn ihre Wirkung unter den Eingeborenen ist sicher sehr weittragend gewesen: er nahm nach Landung eines starken Detachements eine Anzahl der angesehensten Mitglieder der englischen Partei als Geiseln auf die »Sophie«, mit der sie nach Deutschland gebracht wurden. Hier haben sie in mehrwöchigem Aufenthalte Gelegenheit gehabt, sich entgegen den englischen Verkleinerungen davon zu überzeugen, was sie unter Deutschland eigentlich zu verstehen hätten. Daß die Eindrücke, welche die Geiseln dort empfingen, sehr nachhaltige gewesen sind, geht daraus hervor, daß sie nach ihrer Rückkehr von der Zwangsfahrt nach Deutschland wirkliche Anhänger des Deutschtums in der Kolonie geworden sind. Mehrere von ihnen leben noch heute in oder bei Kleinpopo, und ich habe mir schon mehrfach ausführlich von ihnen über ihre damaligen Erlebnisse erzählen lassen, wobei ich oft ihr gutes Gedächtnis und ihre scharfe Beobachtungsgabe bewundern mußte.

Während der Abwesenheit der Geiseln stellte sich immer noch kein friedlicher Zustand ein, indem bald die englische, bald die deutsche Schutzherrschaft den Eingeborenen wünschenswert erschien. Klarheit trat erst ein, als Anfang Juli 1884 die »Möwe« in Kleinpopo ankam. Mit ihr kamen die Geiseln zurück, deren Erzählungen von allem, was sie in Hamburg, Berlin und sonst in Deutschland gesehen hatten, sicher viel dazu beigetragen haben, den deutschen Einfluß in Togo zu stärken. An Bord desselben Schiffes befand sich aber auch der Reichskommissar Dr. Nachtigal, der kurzerhand in Bagida und Lome die deutsche Flagge hißte und durch Vermittlung des bevollmächtigten Stabträgers mit dem Häuptlinge vom Orte Togo einen Vertrag abschloß. So, wurde dieser Teil der Küste mit seinem Hinterlande unter deutschen Schutz gestellt. Später ist die ganze Kolonie nach diesem Lagunendorfe Togo benannt worden.

Der Besitz Kleinpopos blieb selbst damals noch unentschieden, da plötzlich die Franzosen angeblich ältere Rechte geltend machten. Als im April 1885 die Korvette »Bismarck« (Kommandant Knorr) eintraf, wehten über unserm Orte die französischen Farben. Knorr dampfte sofort westwärts nach Porteseguro, wo bereits ein französisches Kriegsschiff bereitlag, um auch diesen Platz für Frankreich zu beanspruchen. Aber dessen ungeachtet wurde unter Protest gegen die geplante französische Besitzergreifung von ihm die deutsche Flagge gehißt. Bei den darauffolgenden diplomatischen Verhandlungen gab Frankreich seine Ansprüche auf Kleinpopo und Porteseguro preis.

Seither hat, was Togo anbetrifft, der Besuch der deutschen Kriegsschiffe einen weniger bedeutungsvollen Hintergrund gehabt. Aber trotzdem gehören auch jetzt noch die kurzen Tage der alljährlich wiederkehrenden Anwesenheit des »Habicht« zu den größten Festtagen der Kolonie. Die Gelegenheit Feste zu feiern ist hier draußen seltener als daheim, und wenn sich dann endlich eine Gelegenheit bietet, so wird sie gern wahrgenommen. Am 26. Juni hatten wir ihn von Lome her erwartet, aber wir lugten vergeblich an diesem Tage nach dem Horizonte aus. Erst am 27. gegen 11 Uhr konnte ich ihn von der Veranda des Krankenhauses aus mit dem Fernglase sichten. Langsam quälte er sich heran, mächtig dampfend und bei der bewegten See bedenklich schaukelnd; aber doch imponierte er mit dem weißen Tropenkleide und den hohen Segelmasten weit mehr als die grauen und schwarzen Handelsdampfer mit ihren nüchternen äußeren Formen. Alle Häuser legten Flaggengala an, und die Europäer versammelten sich am Strande.

Als er vor Anker gegangen war, fuhr der kurz zuvor erst aus dem Hinterlande zurückgekehrte Freiherr v. R. zur Begrüßung hinüber. Nach einer Stunde kehrte er zurück und mit ihm vier Offiziere des Schiffes, darunter der Arzt Dr. T., ein alter Kieler Bekannter. So ist die weite Welt doch immer noch klein genug, um überall alte Bekanntschaften und Erinnerungen zu erneuern. Zu unser aller großen Freude kam auch der stellvertretende Gouverneur Dr. G. aus Lome mit dem »Habicht« nach Kleinpopo, um seinen früheren Wirkungskreis noch einmal kurz zu besuchen, und um sich gleichzeitig von uns zu verabschieden, da er mit dem nächsten Dampfer in die Heimat reisen wird. Leider wird er wahrscheinlich nie wieder nach Togo zurückkehren. Unter den Offizieren befand sich auch als Oberleutnant und Adjutant der Sohn des Admirals Knorr, dessen einstigem energischen Auftreten gegen die Franzosen wir die ganze Osthälfte unserer Kolonie zu verdanken haben. Nach einem Imbiß und Willkommentrunk in unserm primitiven Kasino suchten die Gäste bald ihre Quartiere auf, da die hohe Brandung sie nicht trocken hatte an Land kommen lassen. Den Doktor nahm ich natürlich mit mir ins Krankenhaus.

Während der vier Tage, die der »Habicht« Aufenthalt vor Kleinpopo nahm, gaben wir uns redlich Mühe, unseren Gästen ein möglichst genaues Bild unseres Landes, soweit sie es sehen konnten, unseres Lebens, unserer Arbeit, unseres Wollens, unseres sehr beschränkten Könnens und unserer unerfüllten Wünsche zu geben. Am 2. Tage kam auch der Kommandant, Kapitän St., an Land. Da die See besser geworden war, erbaten wir von ihm die Vergünstigung, doch die Kapelle des Schiffes an Land zu beurlauben. An musikalischen Genüssen haben wir hier in Kleinpopo nicht gerade Überfluß. Abgesehen von den Trommeln der Schwarzen, unserem mangelhaften Klavier im Krankenhause und einer von Dr. Seh. gestifteten Gitarre existieren nur noch einige Grammophone als musikalische Instrumente in der Kolonie. So ist unsere Sehnsucht nach einer Militärkapelle wohl erklärlich. Die Frage nach der Unterkunft der zwölf Musikanten ließ sich dadurch lösen, daß ich mich erbot, sie in einer Baracke des Hospitals einzuquartieren.

Durch Flaggensignal verständigt, wurden am Nachmittage Leute und Instrumente ohne Verlust oder Beschädigung gelandet, so daß wir bereits zu dem am Abend in Sebe angesetzten Festessen nicht ohne Tafelmusik waren. In Ermangelung eines anderen genügend großen Raumes war für diesen Zweck das Eingeborenengefängnis ausgeräumt, gesäubert und mit Palmwedeln und Flaggentuch zur Festhalle geschmückt worden. In einem davor aufgeschlagenen Reisezelte spielte die Kapelle. Einige flott gespielte Märsche verfehlten ihre Wirkung auf die Gemüter nicht. Musikstücke wechselten mit Gesängen und Trinksprüchen, deren Hochs und Hurras in die tropische Nacht hinein erschallten. Die Palmen mit ihren langbehaarten Häuptern mochten verwundert auf dieses seltsame Treiben herabschauen, und ebenso verwundert starrten die dicht umherstehenden Neger auf das ungewohnte Bild.

Gegen 12 Uhr wollte Dr. G. in seiner stillen Art sich möglichst unbemerkt entfernen, um über Nacht für den kurzen Rest seiner Togotage wieder nach Lome zurückzukehren. Doch so geräuschlos gelang ihm der Abschied aus seinem ehemaligen Bezirke nicht. Die Schiffskapelle formierte sich, einige Schwarze mit Laternen traten voran, und hinter ihnen gruppierten sich die Europäer mit G. in der Mitte. »Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus« spielten die deutschen Matrosen, und so setzte sich der Zug nach der nahen Lagune hin in Marsch, gefolgt von dem Haufen neugieriger Schwarzer. Uns allen ging der Abschied sehr zu Herzen, denn jeder wußte, wie eng der Scheidende mit der Arbeit für unsern Bezirk verknüpft war, jeder wußte aber auch, welche oft unverdienten Schwierigkeiten ihm bei seinen Bestrebungen erwachsen waren. An der Landungsstelle, wo die Gig wartete, drückte ihm jeder der (abgesehen von der Mission) vollzählig erschienenen Europäer zum Abschied die Hand, dann gab es drei kräftige Hochs, und er fuhr in die dunkle Lagunennacht. »Auf Wiedersehen«, »wiederkommen« tönte es ihm immer wieder über die Wasserfläche nach, und ich glaube, manches Auge eines wetterfesten alten Afrikaners konnte sich nur mühsam einer Abschiedsträne erwehren. Eine rechte Festesstimmung wollte nicht wieder unter uns aufkommen; wir trennten uns bald danach.

Die nächsten Tage wurden zu einer kleinen Treibjagd entlang eines Lagunenarmes benutzt, an die sich ein Besuch der Plantage Kpeme anschloß. Auch die Kaufmannschaft ließ sich's nicht nehmen, für die Gäste vom Kriegsschiffe einen Festabend zu veranstalten. Am letzten Abend ihrer Anwesenheit einte uns ein Beisammensein auf der Veranda des Nachtigal-Krankenhauses. Gestern früh lichtete der »Habicht« wieder die Anker.


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