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Reise nach Grandpopo

Kleinpopo, 9. Dezember

Meine liebe Frau!

Diesen Brief schreibe ich Dir in der Gig des Bezirksamtes, auf der Heimfahrt von einem Besuche »über Land« nach dem französischen Grandpopo. Gestern nachmittag wurde ich telegraphisch von einem französischen Beamten gebeten, seine erkrankte Frau zu besuchen. Da es sich offenbar um eine ernste Erkrankung handelte, nahm ich Schwester J. zur eventuellen Pflege der Patientin mit. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, als wir abfuhren. Nach achtstündiger Wasserfahrt kamen wir gegen 2 ½ Uhr nachts an; am Ufer warteten einige dort postierte Schwarze, die uns ins Haus des Mr. Rehm, des »inspecteur de la garde indigène«, brachten. Du siehst, daß auch in den französischen Kolonien mit stolzen Titeln nicht gegeizt wird, denn hinter dem Inspektor der Eingeborenengarde verbirgt sich ein ehemaliger französischer Unteroffizier, der ungefähr denselben Dienst zu verrichten hat wie in unserer Kolonie der Polizeimeister. Er selbst ist Elsässer, seine Frau eine unternehmende Pariserin, die ihm schon früher einige Jahre lang nach Dakar im Senegal gefolgt war, ohne sich ernstliche Störungen ihrer Gesundheit zugezogen zu haben. Ich hoffe, daß auch ihre jetzige Erkrankung trotz stürmischer Erscheinungen, mit denen sie eingesetzt hat, bald in Genesung übergehen wird.

Nach Erledigung des ersten nächtlichen Krankenbesuches zog ich mich wieder in die Gig zurück, um im Korbstuhl so gut es bei den Angriffen der Moskitos möglich war, bis zum Sonnenaufgang zu schlafen. Heute morgen besuchte ich die Patientin zum zweiten Male, und mein Anerbieten, die Schwester zu ihrer Pflege vorläufig zurückzulassen, wurde offenbar mit Freuden angenommen. Weiter verabredeten wir, daß die Kranke, falls unter Befolgung der von mir gegebenen Anordnungen in den nächsten Tagen keine entscheidende Besserung eintrete, in Begleitung von Schwester J. in unser Krankenhaus gebracht werden soll. Ich denke aber, es wird nicht nötig sein. Grandpopo selbst hat noch kein Hospital, doch ist ein solches im Bau.

Ehe ich die Rückreise antrat, benutzte ich die Gelegenheit zu einem Rundgang durch den Ort, der in seiner ganzen Anlage unserm Kleinpopo sehr ähnelt, aber trotz seines Namens sowohl an Zahl der dort wohnenden Europäer wie Schwarzen kleiner ist als dieses. Von den ansässigen sieben Firmen sind fünf deutsche und nur zwei französische; erstere besuchte ich. Auch dem administrateur (unser »Bezirksamtmann«), einem Mr. Dreyfuß, einem liebenswürdigen, kleinen, beweglichen Herrn, der ebenfalls mit seiner Frau hier weilt, machte ich einen Besuch. Seit 11 Uhr fahre ich wieder heimwärts und will sehen, ob ich noch irgendeine Jagdbeute machen kann. Am Abend gegen 7 Uhr hoffe ich wieder im Krankenhause zu sein.

Die schöne, patientenlose Zeit des Hospitals hat nicht lange angehalten, und gleich der erste neue Fall stellte uns vor eine schwere Aufgabe. Es war eine Typhuspatientin, die, schon in der Genesung begriffen, an einer schweren Psychose mit heftigen Tobsuchtsanfällen erkrankte und einige Tage hindurch Grund zu den ernstesten Befürchtungen bot. Mehrere Nächte waren anstrengende Wachen nötig, in die ich mich mit den Schwestern teilte. Seit Ende November ist aber die bange Sorge um die Schwerkranke der freudigen Gewißheit einer glatten Genesung gewichen. Morgen soll sie in die Heimat reisen. Mit demselben Dampfer wird Schwester L. aus dem Krankenhause, deren zweijährige Dienstzeit abgelaufen ist, ebenfalls fahren. Als Ersatz für sie kam schon vor 14 Tagen eine neue Schwester, G. K., in Lome an.

In den letzten Tagen des November ging ein Woermannschiff hier vor Anker und brachte mir zum ersten Male, seitdem ich hier bin, den Besuch eines Schiffsarztes. Leider hatte er das Pech, daß sein Kapitän eher von hier abfuhr, als verabredet war. Wir mußten zusammen auf der Lagune nach Porteseguro fahren, wo der Dampfer wieder vor Anker gegangen war, aber auch da dampfte er uns vor der Nase weg. Schließlich blieb nichts anderes übrig, als den Pechvogel über Nacht in der Hängematte nach Lome, dem nächsten Anlegeplatz seines Schiffes zu befördern. Dort hat er am nächsten Morgen auch glücklich wieder seinen liebenswürdigen Kapitän erreicht.

Mit demselben Dampfer kam ein Trupp von 17 Togonegern, Männern und Frauen, aus Deutschland zurück. Sie waren zu Schauzwecken wohl mehrere Jahre durch ganz Deutschland gereist. Ich glaube, durch neuere Bestimmungen ist dieser Unfug der Verschickung von Eingeborenen zu solchen Zwecken unterbunden worden. Was kann auch Gutes dabei herauskommen. Schon die Mitnahme eines einzelnen Schwarzen durch einen Europäer zur Erziehung oder zur Ausbildung für irgendeinen Beruf ist ein gewagtes Experiment, das in den meisten Fällen, in denen es angestellt wurde, fehlgeschlagen ist. Nur dann glückt es, wenn der betreffende Europäer, mit afrikanischen Verhältnissen vertraut, ängstlich darauf achtet, daß sein Zögling der Gefahr entgeht, von allen Seiten angestaunt, verwöhnt und verzogen zu werden.

Mehrere von den unlängst Zurückgekehrten kommen sogar mit Tuberkulose behaftet wieder. Die Mission hat sich der Gesellschaft angenommen. Einen der Männer habe ich als Gartenarbeiter angestellt, aber ich zweifle, ob er nach seinem in Deutschland durchkosteten Schlaraffenleben noch Gefallen an der Arbeit finden wird. Die Produktionen, die sie auf ihren Jahrmarkts- und Panoptikumsreisen vollführt haben, geben alles andere wieder als die Sitten und Gewohnheiten der hiesigen Neger. Es waren ausnahmslos Tänze, Gesänge und Gebräuche, die ihnen von ihrem Impresario ad hoc einstudiert wurden.

Ob sie zu wissenschaftlichen, anthropologischen Beobachtungen auch verwendet worden sind, weiß ich nicht. Nur eine einzige, verfehlte Abhandlung ist mir bekannt geworden, in der ein Berliner Plattfußspezialist an diesem kleinen Material beweisen zu können glaubt, daß die Behauptung, der Plattfuß sei unter den Negern besonders verbreitet, unzutreffend sei. Er bedenkt dabei nicht, daß er erstens keine Vertreter einer reinen Negerrasse vor sich hatte, soweit es sich um Küstenneger handelte, und daß für diesen Versand nach Deutschland natürlich gerade solche Gestalten ausgewählt wurden, die auch nach europäischem Geschmacke einen imposanten Eindruck machen konnten.

Morgen will ich Ruhetag halten, übermorgen muß ich zusammen mit Dr. Gr. eine kleine Reise über Aklaku nach Agomeseva (am Mono) unternehmen, von wo der dort stationierte schwarze Zollposten frische Pockenerkrankungen gemeldet hat. Ich will das ganze Dorf und von der nächsten Umgebung soviel, wie zu erreichen ist, schleunigst durchimpfen. Die Hinreise werden wir über Land auf einem zweirädrigen, von Schwarzen gezogenen Karren machen, soweit wir sie nicht zu Fuße bewältigen können; die Rückreise soll den Fluß abwärts im Boot vor sich gehen. Ich denke nicht länger als zwei Tage mit der ganzen Angelegenheit aufgehalten zu sein. ...

22. Dezember

Gestern lief ein Woermanndampfer unsern Ort an, signalisierte, landete uns einen schwerkranken Europäer und fuhr wieder von dannen. Auf einem Langstuhl liegend, der ins Brandungsboot gesetzt war, ohne Begleitung eines Offiziers oder eines anderen Europäers vom Schiffe war der Bewußtlose für die gefährliche Fahrt nur den schwarzen Bootsleuten anvertraut worden. Am Ufer nahm ihn eine Tragbahre des Krankenhauses auf. Er litt an perniziöser Malaria. Ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben, ist er heute nachmittag gestorben. Nur aus einem zufällig in seiner Kleidung aufgefundenen Notizbuche erfuhr ich überhaupt seinen Namen. Woher er kam, wohin er wollte, wissen wir nicht. Vielleicht verrät es uns der Dampfer auf der Rückreise

23. Dezember

Heute morgen begruben wir unseren toten Fremdling. Ein schlichter Sarg war gezimmert worden. Mit deutschem Flaggentuche beschlagen, mit Palmen und Blumen bedeckt, so trugen ihn acht schwarze Polizeisoldaten zur Lagune, in ein bereitstehendes Boot. Eine Viertelstunde von Kleinpopo entfernt erstreckt sich eine Halbinsel der Lagune: Adjido. Dort liegt der Friedhof der Europäer. Wir Bewohner Kleinpopos folgten ihm. Eine kurze Rede des Missionars R. vor dem offenen Grabe, dann sank der Sarg in die Gruft.

Eine ernste Stätte, dieses Adjido. 80 Gräber, von Palmen und Kasuarinen beschattet, geben Kunde von den Opfern, die hier im Verlauf der letzten 18 Jahre, der Heimat fern, im afrikanischen Sande ihre Ruhe fanden. Die schlichten Steine mit ihren Inschriften, meist von den Angehörigen der Verstorbenen gestiftet, verraten uns, daß weder Kinder noch Greise unter ihnen waren, daß nur Menschen in der Blüte ihres Lebens, daß nur Jugendkraft hier der Erde anvertraut wurde.


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