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Abschluß meiner Impfreise

Sokode, 23. November

Durch meinen unvorhergesehenen Abstecher nach dem Kará und den dadurch unvermeidlichen Zeitverlust war ich gezwungen, mein weiteres Programm im Presto zu erledigen; denn denjenigen Ortschaften, an denen ich mich einmal angekündigt hatte, mochte ich nicht gern meinen versprochenen Impfbesuch schuldig bleiben. Daß es nicht ganz ohne Anstrengungen dabei abging, dafür sorgten schon Tropenhitze, Bergsteigen, häufiger Quartierwechsel u. a. m. Aber es ließ sich tragen, und K. erleichterte mir, wo und wie er nur konnte, meine Reise. Sogar um meine Verpflegung war er besorgt und schickte mir jeden zweiten oder dritten Tag von Sokodé aus einen großen Korb mit Früchten und frischem europäischen Gemüse nach. Leider bin ich nicht dazu gekommen, von all den abwechslungsvollen Eindrücken und Bildern der Landschaft und der Bevölkerung während dieser letzten Wochen etwas niederzuschreiben. Einiges will ich kurz nachholen.

Mein Patient B. erholte sich rasch, so daß ich am 5. November wagen konnte, ihn einen Tag lang allein zu lassen und eine Tour ins Kabreland hinein zu machen. Der Grund dazu war, daß auf die Kunde von meinem Erscheinen Boten zu mir kamen mit der eigentümlichen Bitte, ich möchte ihre Heimat besuchen und ihnen ein oder mehrere Flußpferde, von denen sich eine Anzahl auf ihren Feldern umhertriebe und große Verwüstungen anrichtete, abschießen. Sie selbst könnten mit ihren Pfeilen nicht viel gegen sie ausrichten. Sie erboten sich, mich den sechs- bis siebenstündigen Weg dahin in der Hängematte zu tragen und mich auch wieder zurückzubefördern. So zog ich ab und erreichte über den Ort Tschatscho am Spätnachmittage die Stelle des Flusses, an dem die ungebetenen Gäste ihr Unwesen treiben sollten. Gewöhnlich sollen sie nur nachts zum Äsen das Wasser verlassen. Quer durch die Guineakornfelder hatten sie breite Gassen gestampft und die hohen Halme erbarmungslos niedergetreten. Überall waren die plumpen, oft tief in den weichen Boden eingedrückten Fährten sichtbar. Mehrere am abschüssigen Ufergelände zum Fluß hinab reichende muldenförmige Aushöhlungen des Erdreichs bezeichnen die Stellen, an denen sie sich, offenbar auf dem Bauch rutschend, wieder ins Wasser gleiten lassen.

Der Fluß selbst war zunächst still, nur Scharen lärmender Kronenkraniche flogen darüber hinweg. Die Schwarzen behaupteten, die Flußpferde schliefen, und fingen an, Steine ins Wasser zu werfen, um sie zu wecken. Mit schußbereitem Gewehr stand ich hinter einem Baume. Noch nicht fünf Minuten, da tauchte aus dem Wasser, kaum 50 m von meinem Standorte entfernt, der massige, häßliche Riesenschädel eines dieser Ungetüme empor. Ich war so überrascht von dem erstmaligen, ungewohnten Anblick, daß ich zunächst gar nicht ans Schießen dachte und die wenigen Sekunden, in denen er sichtbar blieb, unbenutzt verstreichen ließ. August rief mir ärgerlich zu: »Doktor mußt schießen!« Nach abermals fünf Minuten erschien fast an der gleichen Stelle wieder der breite, unförmige Kopf an der Oberfläche. Ich hielt zwischen Auge und Ohr; und mit einem wütenden Schnaufen reckte das getroffene Ungeheuer einen Moment lang seinen ganzen ungeschlachten Vorderkörper übers Wasser empor, um verendend zurückzusinken.

Ein Freudengebrüll der Kabres folgte dem Schüsse, denn für sie ist Flußpferdfleisch ein begehrter Leckerbissen. Ich hatte nicht Zeit, mich länger als bis zum Einbruch der Dunkelheit aufzuhalten und konnte nur noch den Eifer bewundern, mit dem die von allen Seiten herbeieilenden Schwarzen sich daran machten, den plumpen Leib des Tieres ans Land zu ziehen und die Gier, in der sie mit ihren Messern darüber herfielen. Es hielt schwer, die nötigen Hängemattenträger aus diesem schlachtenden und schreienden Haufen herauszubekommen und dazu zu bewegen, mich zurückzutragen. Endlich gelang es durch die energische Intervention eines besonders langen, herkulisch gebauten, aber einarmigen Kabre, die genügende Zahl von Leuten zum Antreten zu bewegen. Als ich den Einarmigen fragte, wobei er seinen Arm verloren habe, antwortete er: »den einen Arm hat mir der Weiße zerschossen, als wir mit ihm kämpften, mit dem andern will ich für ihn arbeiten.« Ich gab die Anweisung, bei Gelegenheit den Schädel des Tieres in Sokodé abzuliefern.

Ein originelles Volk, diese Kabres. Weder durch ein unwegsames Gebirge, noch durch eine Einöde, sondern lediglich durch einen Fluß, den Kará, von den weiter südlich wohnenden Stämmen getrennt, haben sie, sich wahrscheinlich jahrhundertelang streng gegen alle äußeren Einflüsse abgeschlossen und sich so ihre Eigenarten zäh gewahrt. Diese Abgeschlossenheit war wohl bedingt durch die Abwehr früherer Sklavenjagden, die von benachbarten Häuptlingen in ihrem dicht bevölkerten Gebiete versucht wurden. Auch gegenüber den Deutschen verhielten sie sich anfänglich schroff ablehnend, und erst vor wenigen Jahren hat K. unter ernstem Blutvergießen ihr Land für den Eintritt der Europäer und den Handel der schwarzen Nachbarstämme geöffnet, nachdem ihm der Versuch, auf friedlichem Wege dieses Ziel zu erreichen, mißglückt war. Seitdem haben sie aber schnell die Vorteile der von der deutschen Regierung ihnen gewährleisteten Sicherheit erkannt; Händler von Sokodé kommen jetzt unbehelligt auf die Märkte des Kabrelandes, und umgekehrt kommen die Kabres mehr und mehr zum Marktverkehr in die Sokodélandschaften. Auch die Hängebrücke über den Kará, bei deren Reparaturbau mein Patient B. eben beschäftigt war, dient vor allem dazu, den Verkehr von und nach dem Kabrelande zu erleichtern und zu fördern.

Von äußerer Kultur sind sie freilich noch wenig beleckt. »Kleider sind dort wenig Sitte.« Die Männer laufen völlig unbekleidet umher; »man ist schwarz und damit gut«. Nur die ältere Weiblichkeit trägt ein kleines Schürzchen oder sonstige primitive Bedeckung, und die Häuptlinge der größeren Ortschaften sind unter der großen Schar ihrer nackten Untertanen weithin kenntlich durch ein langes, rotes Flanellhemd und eine rote, hohe Mütze, mit denen K. sie ausstaffiert hat. Obwohl sie ohne Kleidung sind, fehlt ihnen nicht der Schmuck, und so lösen sie die Frage, was der Mensch wohl eher gehabt haben mag: ein Bedürfnis sich zu kleiden oder sich zu schmücken. Die breiten Nasenflügel und die Nasenscheidewand, oft auch die Ohrläppchen, sind durchlöchert und werden mit allen möglichen Gegenständen besteckt: Grashalmen, Eisenstäbchen, kleinen Ringen, Hölzern u. a.; selbst eine Stachelschweinborste quer durch die Nase gezogen und ein kleines Antilopenhorn durch das geweitete Ohrloch gezwängt, konnte ich sehen. Arm- und Fußringe aus Eisen oder aus Leder vom Flußpferd und Büffel tragen sie mit Vorliebe, oft 20–30 übereinander. Im übrigen sieht man sie, je nachdem sie zur Feldarbeit oder zur Jagd wandern, mit einer Hacke ausgerüstet, über den Schädel oft eine Kürbisschale, ihr Trinkgefäß, gestülpt, auf dem Rücken eine Ledertasche oder einen in toto abgezogenen Ziegenbalg, dessen Fußöffnungen zugebunden sind, und in dem sie Erdnüsse oder anderen Nahrungsbedarf mit sich führen, oder auch mit einem größeren, gebogenen Messer, mit Köcher und Bogen bewaffnet.

Wirklich geschlossene Dörfer sah ich in dem durchquerten Gebiete weniger als viele Einzelgehöfte, die aus 10–20 eng aneinander gedrängten Hütten bestehen und in nur geringen Entfernungen voneinander über das ganze Gelände zerstreut liegen. Jedem, der zum ersten Male ihr Land betritt, wird auffällig sein müssen, welchen intensiven Ackerbau dieses in seinem Äußern so anspruchslose, scheinbar »unkultivierte« Volk aufzuweisen hat. In keiner der Togolandschaften, die ich bisher berührte, wird dieser auch nur annähernd so rationell betrieben wie bei den Kabres. Eigentlich das ganze Land ist unter Kultur, und selbst auf den Abhängen der Anhöhen haben sie terrassenförmig ihre Äcker angelegt und nutzen alles anbaufähige Land gewissenhaft aus, was wohl nicht zum wenigsten eine Folge ihrer ungemein dichten Bevölkerung ist. Wie in ganz Nordtogo, so ist auch bei ihnen das Guineakorn die Hauptfeldfrucht, eine Pflanze, die in ihrem äußeren Wüchse dem Mais nicht unähnlich, doch mit schmaleren Blättern eine Höhe des Halmes von über 4 m erreicht, obwohl sie mit dürftigem, selbst steinigem Boden fürlieb nimmt. Das Ende des Halmes trägt die große büschelförmige Rispe mit den dicht aneinandersitzenden Körnern, deren ein einziger Fruchtstand über 2000 zählen kann! Außer den weiten Kornfeldern, durch die man stundenlang ohne Unterbrechung marschiert, habe ich zum ersten Male hier beim Neger wohlgepflegte, um die Häuser herum angelegte, mit einer Mauer umzogene Gärten gesehen. Ich sah außerdem hier zum ersten Male eine ausgiebige Verwendung des Düngers, selbst Dunggruben in der Nähe der Hütten. In den vom Unkraut peinlich sauber gehaltenen Kornfeldern bauen sie zwischen den in Reihen gestellten Kornpflanzen Tabak als Zwischenkultur oder sie haben Yamsanlagen, in denen zwischen den einzelnen Erdhaufen, auf denen die Stauden gepflanzt sind, Reis gesät wird. Zu feuchtes Gelände wird durch Gräben entwässert. Die Abgrenzung der einzelnen Felder erfolgt durch kleine Wälle aufeinandergeschichteter Steine, von denen sie den Boden befreien, genau so, wie noch heute der skandinavische Bauer seine Äcker abgrenzt.

In der Nacht kam ich zu B. zurück, und schon am Morgen des 6. riskierten wir den langsamen Rückmarsch nach Baffilo. B. setzte am 7. seine Weiterreise nach Sokodé fort, wo er zwei Tage später wohlbehalten eingetroffen ist. Ich selbst setzte mich bis zum 10. dort fest, um mein Impfgeschäft für den Ort und seine Umgegend wieder aufzunehmen. Baffilo ist mit seinen 13–14000 Hütten das größte Negerdorf, das ich bisher berührt habe. Das für seine Bewohner charakteristische Gewerbe ist Weberei, die von hunderten fleißiger Hände überall, wo ein freier Platz im Dorfe das Aufstellen der Webstühle gestattet, betrieben wird. Die erforderliche Baumwolle wird im Lande selbst angebaut. Die am waldigen Abhange des hier steil zur Karáebene abfallenden Suduplateaus gelegene Station ist von den Franzosen erbaut, denn noch bis vor sieben Jahren war die politische Lage hier in diesem Länderstriche so verwickelt, daß an verschiedenen Orten Posten beider Mächte gleichzeitig sich festgesetzt hatten, und daß die französische Flagge neben der deutschen wehte, weil keiner dem andern weichen wollte. Jetzt ist Baffilo unbestrittener deutscher Besitz. Aber nur der zähen Ausdauer unserer damals hier weilenden Deutschafrikaner, die sich teilweise sogar im Widerspruch zur Zentralbehörde an der Küste eigenmächtig so lange an den strittigen Plätzen hielten, bis ihr wirklicher Besitz wenigstens zum Teil durch diplomatische Verhandlungen uns zufiel, haben wir dieses wertvolle Gebiet Nordtogos zu verdanken.

Am 11. zog ich weiter westwärts nach Dako und schlug dort ebenfalls für vier Tage Quartier auf. Überall war der Andrang der Impflustigen gleich groß, und ich bedauerte nur, daß mir der Mangel an Zeit kein längeres Verweilen gestattete. Am 16. rückte ich nach Bássari ab, der mit einem Europäer besetzten Nebenstation Sokodés, wo ich mit Dr. K. und Oberleutnant S. zusammentraf. Dort in Bássari wieder ein völlig anderes Bild des Landes, der Bewohner und der Negerkultur. An Stelle der in zusammenhängenden Zügen das östliche Land durchsetzenden Höhen ist Bássari durch viele einzelne, sich aus der Ebene erhebende, bewaldete Kuppen charakterisiert. Der Ort Bássari selbst besteht aus mehreren, nahe beieinander gelegenen großen Komplexen, deren gesamte Hüttenzahl an 15 000 betragen mag. Zwischen den einzelnen Stadtteilen liegt an den Fuß des Bássariberges angelehnt die Stationsanlage mit ihrem besonders schönen Hauptgebäude, einem massiven, von einem Turm flankierten Steinbaue, wieder einem Meisterwerke K.s.

Die Bássari werden von allen, die in nähere Berührung mit ihnen gekommen sind, als ein Volk von starrem Unabhängigkeitssinne und mit wenig sympathischen Charakterzügen geschildert, die nur schwer von ihrer Raublust und den Gewalttätigkeiten, mit denen sie früher durchziehende Karawanen und Nachbarstämme heimsuchten, abzubringen sind. Daher hat man es auch für ratsam gehalten, sie durch eine von einem Europäer bewohnte Station unter dauernde Bewachung zu stellen. Zwar drastisch, aber ganz zutreffend, hat sie einmal der Häuptling eines benachbarten Volkes Dr. Gr. gegenüber mit einem Haufen trockenen Kuhmistes verglichen, der äußerlich ganz harmlos erscheine, bis man beim Zugreifen erst mit dem weniger verlockenden Inneren in Berührung komme. In Sprache, Kleidung, Hüttenbau, Marktverkehr, in allem weichen sie wieder mehr oder weniger von den übrigen Stämmen des Sokodébezirkes ab.

Wie aber bei den Kabres der Ackerbau, bei den Baffilo die Weberei, so ist das wichtigste Charakteristikum des ganzen Bássarilandes, das ich herausgreifen möchte, die Eisengewinnung. Während das Schmiedehandwerk von der Küste an über ganz Togo verbreitet ist, haben wir neben ihm hier eine ausgiebige Gewinnung des Rohmaterials. Vor sechs Jahren hat Bergassessor H. dieses Gebiet durchforscht und dabei natürlich auch seiner Eisenindustrie und seinen Eisenerzlagern eingehende Studien gewidmet. Der bedeutendste, fast ganz aus Roteisenstein bestehende Eisenerzberg ist der von Banyeli, einem einige Stunden nordwestlich von Bássari gelegenen Orte. Die in Deutschland ausgeführte Analyse einer Erzprobe hat den enorm hohen Gehalt von annähernd 69% metallischen Eisens (98% Fe 2O 3) ergeben Nach neueren Ermittelungen des Geologen Dr. K. beträgt die im Tagbau zu gewinnende Menge Eisenerz des Landes 20 Millionen Tonnen.. Vielleicht wird auch dieser Bodenschatz, wenn erst eine Bahn Togo bis zum Norden durchquert, noch eine große Bedeutung für die Kolonie gewinnen. Überall sieht man die aus Lehm gebauten, ca. 3 m hohen, runden Hochöfen, die abwechselnd mit Schichten von Holzkohle und Eisenstein beschickt und teils von oben, teils von unten her in Brand gesetzt werden. Je nach der Größe des Ofens ist der Prozeß in zwei bis drei Tagen einmal vollendet, und ein solcher Hochofen liefert dabei eine Eisenluppe von durchschnittlich 30 kg, die natürlich noch mit Schlacke und Kohlenteilen durchsetzt ist. Dieses Material wird teils auf benachbarte Märkte in den Handel gebracht, teils in den Schmieden Bássaris weiter gereinigt und verarbeitet. Der Reinigungsprozeß der Luppe besteht darin, daß sie zerklopft und aussortiert wird. Ungefähr 1 kg dieser ausgesuchten Eisenstücke werden je in eine Umhüllung von Gras und Lehmerde eingebettet, und diese kindskopfgroßen Kugeln setzt man mehrere Stunden lang dem Schmiedefeuer aus. Im glühenden Zustande wird der Inhalt dieser Kugeln ausgeschmiedet und teils zu Ackergeräten, Ringen, anderen Schmuckgegenständen und Waffen geformt, teils auch nur in etwa tellergroße glatte Scheiben gehämmert, die als Handelsartikel von annähernd 1 M. pro Stück in Umlauf gebracht werden, um von den Käufern erst eine weitere Bearbeitung zu erfahren.

Zu meiner freudigen Überraschung fand ich von mehreren tausend Bássari, die eines Nachmittags auf den Ruf K.s vor der Station antraten, einen sehr großen Teil bereits mit Impfnarben ausgestattet. Wie sich herausstellte, hatte im Laufe des vorigen Jahres der Stationsassistent B. neben seinen sonstigen Arbeiten im Bezirk auch eifrig das Impfgeschäft betrieben und so nach und nach nicht weniger als 13 000 Leute aus Bássari und seiner Umgebung teils mit Lymphe, die ich als Versuchsproben von Anecho nach dem Hinterlande geschickt hatte, teils von Arm zu Arm geimpft.

Von Bássari aus mußte ich ernstlich an die Rückkehr zur Küste denken, von der ich hier reichlich 400 km entfernt war, da ich Befehl hatte, Anfang Dezember zur Übernahme der ärztlichen Geschäfte wieder in Anecho zu sein. Am 21. morgens zogen wir ab gen Sokodé; Dr. K. und S. hatten bis dahin dasselbe Ziel. Auf halbem Wege der 50 km langen, in ihrem Anfange durch romantische Gebirgslandschaft führenden Strecke liegen am Abhange einer Anhöhe die Hütten einer von K. gegründeten Herberge. Dort war das Endziel unseres ersten Reisetages, wohin uns Dr. Seh. von Sokodé aus entgegengekommen war, so daß wir den Abend zu vieren verplaudern konnten. Erst zu sehr vorgerückter Stunde endete diese Schlußtagung des Ärztekongresses von Sokodé. Am Horizonte leuchteten in der Ebene und auf den Bergen allerorten die Feuer der gerade in dieser Zeit hier beginnenden Grasbrände auf, bald punktförmig wie die Lichter einer fernen Stadt, bald als breite Feuerfläche, bald schlangenförmig von der Höhe zum Tal sich windend, eine herrliche Abschiedsillumination des deutschen Sudans. Gestern trafen wir auf der Station Sokodé ein, und morgen werden wir den Weitermarsch nach Anecho, für Dr. Seh. gleichzeitig den Beginn der Heimkehr nach Deutschland, antreten.

Außer einer recht ansehnlichen Menge von allerhand Kuriositäten, Ethnologika, Gehörnen, Fellen, Vogelbälgen, Erzeugnissen der Landesindustrie, gelegentlichen Jagdtrophäen usw. und einem Dutzend junger Versuchsaffen, die ich im Laufe der Zeit hier eingesammelt habe und mit zur Küste nehmen will, befinden sich unter meinen Transportgegenständen auch zwei menschliche Lebewesen, ein vierjähriges Mulattenmädchen Anna und ein etwa siebenjähriger Kabrejunge. Die kleine Mulattin trieb sich verlassen im Lande umher, bis K. sich ihrer angenommen hat. Der Vater, ein früherer Beamter, war gestorben, die Mutter hatte sich nach dessen Tode bald wieder einem Schwarzen zugesellt und das kleine Wurm hilflos im Stich gelassen. Ich will es mit Einwilligung ihres bisherigen Adoptivvaters K. mit nach dem Krankenhause nehmen und dort erziehen und anlernen lassen. Der kleine Kabre ist ein Waisenkind, wohl das Kind eines im Gefecht gefallenen Kabres, das ebenfalls bisher das Gnadenbrot und den Schutz K.s genossen hat. Er soll auch mit mir ziehen, um später eine Hilfskraft des Hospitales abzugeben; gleichzeitig wird er für Anna ein sehr willkommener Gefährte sein, da sie ja an der Küste in der ersten Zeit niemand haben würde, mit dem sie sich verständigen kann. Vorläufig ist er noch sehr schüchtern, und Anna führt, obwohl sie die jüngere ist, die Herrschaft über ihn. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten, ihrer Hauptsorge und Hauptfreude zugleich, tritt ihr Übergewicht besonders hervor, denn Anna legt stets Beschlag auf das ganze Gericht, und erst, wenn sie vollkommen gesättigt ist, läßt sie den mit tränendem Auge wartenden Kabre sich dem Teller nahen, während sie sich selbst befriedigt zur Siesta streckt. Da die kleinen Kerle die lange Reise natürlich nicht zu Fuß machen können, muß ich sie von einem Neger wie andere Lasten auf dem Kopfe zur Küste befördern lassen.


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