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Reise nach Lome

1.Juni

Die letzte Maiwoche habe ich in Lome verlebt. Der Grund zu meiner Reise dorthin war der, daß Dr. K. am 26. Mai auf Urlaub gehen durfte und ich die ärztlichen Geschäfte, Abrechnungen, Apotheke, Inventar usw. von ihm übernehmen sollte, um sie seinem für den 28. erwarteten Nachfolger zu übergeben. Es traf sich, daß noch drei andere Europäer, darunter zwei Genesene des Krankenhauses, zur selben Zeit dasselbe Reiseziel hatten wie ich, so daß wir zu vieren in der Nacht des 23. am Strande entlang nach Lome zogen, wo wir am Morgen des 24. eintrafen. Ich fand gastliche Aufnahme beim stellvertretenden Gouverneur G., der zusammen mit dem Regierungsbaumeister S. im Gouvernementsgebäude wohnt. Beide steckten kurz vor Postschluß für den Heimatsdampfer tief in der Arbeit drin, um noch alle möglichen Berichte, Eingaben und Antworten an die Behörde in Berlin fertigzustellen. Hier habe ich zum ersten Male gesehen, daß auch in den Tropen die Notwendigkeit vorliegen kann, bis weit in die Nacht hinein zu arbeiten.

Zehn Monate lang hatte ich Lome nicht gesehen, an sich eine kurze Zeit; und doch hatte sich seither viel in ihm verändert. Das augenblickliche Hauptwerk der Kolonie, der Bau der Landungsbrücke, ist inzwischen weit vorgeschritten, nachdem sich anfänglich ganz unvorhergesehene, hartnäckige Schwierigkeiten ergeben hatten. Als ich im vorigen Jahre in Lome ankam, hatte man eben mit dem Bau des Brückenkopfes auf dem Lande begonnen. Im Dezember war man beim Fortschreiten des Werkes, ungefähr 50 m vom Ufer entfernt, unter dem Sande des Meeresgrundes auf eine Schicht harten Sandsteins gestoßen, die das Einrammen der eisernen Brückenstützen mit den an Ort und Stelle vorhandenen Hilfsmitteln unmöglich machte. Die Beschaffung geeigneter Werkzeuge aus Deutschland verursachte natürlich einen erheblichen Zeitverlust; aber seit der Beseitigung dieses Hindernisses schreitet der Bau rasch vorwärts, und jetzt hat man die Brücke bereits 150 m weit in die Brandung hinein vorgeschoben, das ist die Hälfte ihrer Gesamtlänge. Bei 180-200 m Entfernung vom Lande steht gewöhnlich der erste Brandungsbrecher. Es war mir hochinteressant, mich sowohl vom Regierungsbaumeister S. als vom Ingenieur der bauenden Firma, P., einem liebenswürdigen Bayern, in die Einzelheiten der eigenartigen Brückenkonstruktion einweihen zu lassen. Bis zum Ende des Jahres wird sie voraussichtlich fertiggestellt sein.

Aber die Landungsbrücke ist nicht das einzige Bauwerk, das im Entstehen begriffen ist. Unweit des Brückenkopfes baut man an einem stattlichen Zolldienstgebäude mit den zugehörigen Zollschuppen, und die Betonmauern des massigen neuen Gouvernementsgebäudes waren ein stattliches Stück emporgestiegen. Auch die private Bautätigkeit des Ortes ist rege, denn mehrere Firmen stehen gleichzeitig in einem Neubau ihrer Geschäftshäuser. Aber es bleibt trotz emsiger Arbeit der Zukunft gerade in der Wohnungsfrage noch viel vorbehalten. Die Zahl der Beamten hat sich in der Landeszentrale weit stärker vermehrt als die Zahl der zur Verfügung stehenden Wohnungen. Eine gewisse Ironie liegt darin, daß eines der ältesten und zugleich das minderwertigste und unhygienischste aller Beamtenhäuser dem Wächter der Hygiene, dem Arzte, als Wohnung angewiesen worden ist. Die Bedeutung einer hygienischen und nicht allzu notdürftig ausgestatteten Wohnung für das körperliche und psychische Wohlbefinden des Europäers in den Tropen wird bisher noch unterschätzt. Zudem liegen die Fragen der Wohnungshygiene hier weit komplizierter als in Deutschland, denn außer den allgemeinen sanitären Anforderungen, die auch dort an eine Wohnung gestellt werden müssen, sind noch eine ganze Reihe weiterer, besonders durchs Tropenklima bedingter Bedürfnisse zu berücksichtigen. An erster Stelle müßte in Zukunft darauf Bedacht genommen werden, nie mehr Häuser zu bauen, in denen mehrere Beamte gemeinsam untergebracht werden, sondern ausschließlich Einzelhäuser, in denen weit besser und sicherer alle die Bedingungen erfüllt werden können, die man an eine gesundheitlich und auch sonst einwandfreie Tropenwohnung stellen muß.

Etwas Halbes ist nach meinem Dafürhalten der »botanische Versuchsgarten« Lomes, der zwar schön und sauber angelegt ist, aber, sei es aus Mangel an fachmännischer Leitung, sei es aus Mangel an Mitteln, sei es durch den ungeeigneten Boden des für ihn gewählten Terrains oder auch aus allen diesen Gründen zusammengenommen, noch weit von dem wünschenswerten praktischen Ziele entfernt ist, maßgebende Versuche über die Anbaufähigkeit tropischer Nutzpflanzen anzustellen.

Am 26. morgens wollte Dr. K. an Bord des Heimatdampfers gehen. Die See war ungewöhnlich schlecht, die Brandung so hoch, wie ich sie kaum jemals bisher gesehen habe, und, was immer ein bedenkliches Zeichen ist, die schwarzen Bootsleute zögerten selbst, die Fahrt anzutreten. Trotzdem versuchten Dr. K. und sein Namensvetter, der Regierungslehrer K., in einem Brandungsboote die Überfahrt. Schon nach wenigen Minuten waren sie in den Brechern gekentert und kamen mit Unterstützung der Schwarzen, die eine große Routine in der Hilfeleistung bei solchen verhältnismäßig oft an der Togoküste sich ereignenden Bootsunfällen haben, aus der schweren See wieder an Land.

Trotz ihres Mißgeschickes und trotz des Widerratens der am Strande versammelten Europäer war die Verlockung, den auf der See liegenden Dampfer doch zu erreichen, so groß, daß beide schon nach einer Viertelstunde sich zu einem neuen Versuche entschlossen. Diesmal ging es ihnen noch schlimmer. Das Boot wurde weit abgetrieben, so daß wir es schließlich nur noch mit dem Fernglase von der Veranda des Zollgebäudes aus genauer verfolgen konnten. Vergeblich kämpften die ermüdenden Schwarzen immer wieder von neuem gegen die andrängenden Brecher an; endlich entschwand das Fahrzeug, durch einen kleinen Vorsprung des Landes verdeckt, unseren Blicken. W., der zu Pferde anwesend war, galoppierte auf meinen Wunsch am Strande entlang, um sein weiteres Schicksal zu beobachten, und kam mit der Nachricht zurück, daß es abermals umgeschlagen sei. Lehrer K. war auch diesmal verhältnismäßig leicht an Land gekommen, aber Dr. K. hatte das Unglück gehabt, anfänglich unter das Boot zu geraten, und wurde nur unter großen Anstrengungen der vom langen Rudern selbst erschöpften Bootsleute halb bewußtlos aus der hohen Brandung an die Küste gebracht. Der schwarze Lazarettgehilfe Felicio hatte rasch eine Hängematte für seinen Herrn zur Hand, in der er in seine Wohnung getragen wurde. Sein Zustand machte anfangs einen bedenklichen Eindruck; am Nachmittage stellte sich hohes Fieber ein, sei es durch die Einwirkung der Tropensonne, der er infolge Verlustes seines Tropenhelmes im Wasser lange Zeit schutzlos preisgegeben war, sei es durch einen vom unfreiwillig langen, kalten Bade provozierten Malariaanfall. Aber schon am nächsten Morgen hatte er sich wieder vollkommen erholt. Natürlich war der Dampfer inzwischen ohne die beiden Verunglückten abgefahren, so daß sie erst nach vierzehn Tagen ihren Versuch, in die Heimat zu gelangen, erneuern können Auch am 10. Juni waltete wieder ein Unstern über ihnen; wieder schlug das Boot zweimal um, und erst der dritte Versuch, die Brandung zu passieren, glückte!.

Am 28. Mai ging der aus Deutschland fällige Dampfer vor Anker und landete außer dem Zolldirektor der Kolonie H. H. starb ein Jahr später auf der Heimreise kurz vor Madeira auf hoher See. zwei Ärzte: Dr. H., den Nachfolger K.s und Dr. Seh., der nach abgelaufenem Urlaube ins Schutzgebiet zurückgekehrt ist, um von neuem seine Arbeiten zur Bekämpfung der Nagana der Rinder aufzunehmen. So waren ausnahmsweise vier Ärzte gleichzeitig in Lome versammelt.

Vorgestern reiste ich wieder nach Kleinpopo zurück.


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