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Eine schwierige Operation

12. März

In letzter Zeit habe ich einige Nachbardörfer nach gelbfieberverdächtigen Erkrankungen unter den Schwarzen abgesucht; aber erfolglos. Leider ist der sonstige Gesundheitszustand unter den Schwarzen schon seit einigen Wochen kein guter. Sie selbst bringen die häufigen Erkrankungen mit der außergewöhnlichen Trockenheit in Zusammenhang, die wir seit Ende vorigen Jahres haben. Da die sonst im September und Oktober herrschende kleine Regenzeit an der Küste völlig ausgeblieben ist, so hat die Lagune einen äußerst niedrigen Wasserstand erreicht und bildet durch ihr Zurücktreten weite Moraststellen mit häßlichen Ausdünstungen.

Die Poliklinik wird, wie immer, viel von den Schwarzen aufgesucht.

Einen gerade jetzt in Behandlung stehenden Krankheitsfall will ich wegen seiner Eigenart näher schildern. Man brachte mir eine ungefähr 30jährige Negerfrau mit folgendem Befunde. Seit sieben Jahren hatte sich in ihrem Munde eine Geschwulst gebildet, die immer größer und größer geworden war, bis sie jetzt nicht nur die ganze Mundhöhle ausfüllte, sondern noch faustgroß aus ihr herausgewachsen war. Nur ein enger Spalt des weit nach dem Ohr hin verzerrten Mundwinkels war freigeblieben. Durch ihn führte sich die Patientin mühsam flüssige Nahrung zu, die aber so ungenügend war, daß sie in einem trostlosen Schwächezustande hier ankam. Dabei nährte sie ein dreijähriges Kind! Die Untersuchung über den Ausgang der Geschwulst, über die Stelle, auf der sie aufsaß usw., war sehr erschwert, da der tastende Finger nirgends neben ihr Zugang finden konnte. Nach mehrmaligem, vorsichtigem Sondieren und Palpieren von außen konnte ich endlich mit einiger Sicherheit annehmen, daß es sich um eine vom rechten Unterkiefer oder seiner Knochenhaut ausgehende Neubildung handelte. Beide rechtseitige Kieferhälften waren durch den jahrelangen Druck der andrängenden Geschwulst in starkem Bogen nach innen gedrängt worden, der Oberkiefer dabei nach oben, der Unterkiefer nach unten gelagert. Die entsetzliche Entstellung und der drohende Hungertod führten sie endlich zum Arzte.

Die mikroskopische Untersuchung eines durch Probeexzision entnommenen Stückes ergab die Diagnose eines Fibrosarkomes. Was tun? Die Frau ging unrettbar ihrem Ende entgegen. Der Kräftezustand war so schlecht, daß sie eine Narkose kaum überstanden hätte, zumal diese durch einen Luftröhrenschnitt hätte stattfinden müssen, und der Eingriff nicht ohne starken Blutverlust vor sich gehen konnte. Der Ehemann bat mich trotz meiner Bedenken, sie auf jeden Fall zu operieren. Ich war gleichwohl nahe daran, sie als inoperabel anzusehen. Aber die Überlegung, daß sie ohne Operation sicher dem Tode verfallen war, während mit einer solchen wenigstens die Möglichkeit einer Rettung für sie bestand, brachte mich endlich doch dazu, zum Messer zu greifen. Ich wandte die lokale Anästhesie durch Einspritzung Schleichscher Lösung an und spaltete zunächst vom rechten Mundwinkel aus die ganze Wange über die größte Konvexität der andrängenden Geschwulst, um sie mir überhaupt erst zugänglich zu machen. Als ich gerade damit fertig war, trat ein so schwerer Kokainkollaps ein, offenbar begünstigt durch die Schwäche der Frau und den unvermeidlichen Blutverlust, daß ich gezwungen war, den Eingriff abzubrechen.

Die Patientin erholte sich rasch und verlangte selbst am folgenden Tage die Fortsetzung der Operation. Beim Ausschälen der Geschwulst trat indessen auch diesmal, und zwar noch frühzeitiger, ein neuer Kollaps ein. Ich mußte wieder pausieren. Darauf schlug ich ihr vor, ohne Anwendung des für sie bedenklichen Kokains die Operation zu beenden, womit sie auch einverstanden war. Sie hielt, ohne einen Schmerzenslaut zu äußern, tapfer stand, so daß endlich am dritten Tage die Entfernung der Geschwulst gelang. Jetzt geht sie hoffentlich einer glatten Genesung entgegen. Die äußeren Nähte sind gut verheilt, und die ganze innere Wundfläche – die Geschwulst ging von der Knochenhaut des Unterkiefers aus – befindet sich ebenfalls in voller Heilung.

 

Anecho, 24. März

Gestern am Spätnachmittage wurde ein junger Kaufmann G. bewußtlos in der Hängematte in unser Krankenhaus gebracht, ein neuer Gelbfieberkranker! Er kam aus Grandpopo. Schon um Mitternacht starb er, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Er weilte erst seit vier Monaten in den Tropen. Heute haben wir ihn begraben. Pater Sch. hielt ihm die Grabrede, die beste, die ich je gehört habe.

»Ich komm' und weiß nit woher,
Ich geh' und weiß nit wohin,
Ich leb' und weiß nit wolang,
Mich wundert's, daß ich so fröhlich bin!«

Durch diesen Fall sind meine Befürchtungen, daß uns von Dahome eine neue Gelbfiebereinschleppung droht, zur Gewißheit geworden. Zwar brauchen wir durch ihn noch nicht in neue Beängstigung versetzt zu werden, denn der Verstorbene stand bei seiner Ankunft im fünften Tage seiner Krankheit, und nur während der ersten drei Tage ist sie ansteckungsfähig. Trotzdem werden wir der Ostgrenze erhöhte Aufmerksamkeit schenken müssen.


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