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Eingeborenen-Medizin

20. Februar

Wie alle Naturvölker hat auch der Togoneger seine Medizinen. Gerade die innige Berührung mit der Natur und eine durch Jahrhunderte allmählich sich vervollkommnende und ergänzende Beobachtung hat ihm in der Pflanzen- und Tierwelt eine Menge Stoffe gezeigt, die auf seinen Organismus nicht ohne deutlich erkennbaren Einfluß blieben. So ist er zur Kenntnis pflanzlicher und tierischer Gifte gekommen und hat sich deren Wirkung nutzbar gemacht. Viele der von ihm gebrauchten Arzneien sind für uns hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, ihrer Herstellungsart und ihrer Wirkungsweise noch in völliges Dunkel gehüllt. Wir kennen z.B. heute noch nicht die wirksamen Bestandteile der äußerst starken Pfeilgifte oder der tödlichen Fetischtränke. Andere wieder sind uns wohl bekannt. Ein großer Teil der Medizinen ist auch nicht Allgemeingut aller Togoneger, sondern Privatgeheimnis der Priesterkaste, der »Fetischmänner«. So hat sich genau wie im klassischen Altertume und auch im Altertume der germanischen Völker die Ausübung der Heilkunde in ihren Anfängen mit religiösen Vorstellungen vergesellschaftet. Das Ansehen, das der Fetischpriester unter seinen Landsleuten genießt, beruht weniger auf seiner priesterlichen Würde als auf dem Respekt, den man vor seiner geheimnisvollen Medizin hat; im Grunde nichts anderes als eine schwache Karikatur der gleichen Suggestionswirkung, die einst Tausende zu den Tempeln des Äskulap pilgern ließ. Fast als selbstverständlich setzt der Schwarze auch beim Europäer voraus, daß er über starke Medizinen verfügt; gut wirkende Arzneien vermögen beim Neger eine wichtige Rolle im Glauben an die Überlegenheit des Weißen zu spielen. Klugerweise haben sich die Missionen diese Tatsache zunutze gemacht und betreiben eine ausgedehnte Verabfolgung von Arzneien unter den Eingeborenen ihres Wirkungskreises.

Der Fetischpriester beutet den Glauben des Eingeborenen an seine Medizin oft in der rücksichtslosesten Weise aus. Aber auf lange Jahre hinaus wird dies den Neger nicht hindern, in Erkrankungsfällen immer erst seine Hilfe zu suchen, ehe er sich an den Europäer oder, wenn ein Arzt vorhanden ist, an diesen wendet. Daß der Neger auf solche Schwindeleien hineinfällt, darf uns nicht wundern, wenn wir bedenken, wie daheim, in unserem auf seine Aufklärung stolzen Jahrhundert, Tausende immer wieder ein Opfer der plumpsten Scharlatanerien werden.

Ja, es sind mir sogar mit Sicherheit einige Fälle bekannt geworden, in denen kranke Europäer hier ihre Hilfe zunächst bei einem »schwarzen Doktor« gesucht haben, einem ehemaligen Lazarettgehilfen, der seine kümmerlichen Rudimente medizinischen Wissens lediglich einem mehrjährigen Dienste im Nachtigal-Krankenhause verdankte, aus dem er als unbrauchbar entlassen wurde. Daß er und die meisten früheren Gehilfen europäischer Ärzte unter ihren Landsleuten eine ausgedehnte Kurpfuscherei schlimmster Art betreiben, bei der gestohlene Medikamente und selbst das Messer eine große Rolle spielen, ist eigentlich selbstverständlich. Tout comme chez nous! Vorsichtigerweise verlegen sie aber den Schauplatz ihrer Tätigkeit meist ins Hinterland oder auf französisches Gebiet.

Ich habe die in der Poliklinik mich aufsuchenden Kranken lange Zeit hindurch alle danach gefragt, ob sie schon bei einem Fetischpriester gewesen seien. Nur sehr wenige verneinten es. Auf die Frage, warum sie nun doch zu mir kämen, gaben sie gewöhnlich die Antwort, die Medizin des weißen Mannes sei doch stärker als die des Fetisch. Im Küstengebiet hat übrigens der Fetischmann die noble Passion, nur Gold als Bezahlung anzunehmen, treibt also praxis aurea im wahrsten Sinne des Wortes. Im Hinterlande begnügt er sich als Landarzt auch mit einem Huhn, einer Ziege oder mit Feldfrüchten.

Viele, namentlich pflanzliche Mittel werden indessen auch vom ganzen Volke häufig angewendet. Eine mühsame, zeitraubende aber aussichtsvolle Aufgabe wäre es, den Spuren dieser Eingeborenenmedizin gerade beim hochentwickelten Togoneger nachzugehen, um brauchbares vom unbrauchbaren zu scheiden. Ich bin fest überzeugt, daß es dabei gelingen würde, eine ganze Anzahl uns unbekannter, therapeutisch wirksamer Stoffe zu ermitteln und unseren Arzneischatz um manches wertvolle Medikament zu bereichern. Sind uns doch bereits früher manche wirkliche Heilmittel mehr oder weniger zufällig durch Vermittlung der Naturvölker zugefallen. Eine Grundbedingung für den Erfolg solcher Studien würde es aber sein, daß man sich vorher das volle Vertrauen der Eingeborenen erwirbt, denn der Neger mißtraut zunächst jeder Frage des Weißen, deren Grund er nicht versteht, und wo er mißtrauisch ist, antwortet er stets mit einer Lüge. Auch eine Kenntnis ihrer Sprache und namentlich ihrer medizinischen termini technici wäre erforderlich. Sie sind meist sehr bezeichnend und geben vielfach einen deutlichen Hinweis auf die oft eigenartige Vorstellung, die er vom Wesen der betreffenden Krankheit hat, bisweilen lassen sie auch die Art, wie er sie zu behandeln pflegt, erkennen. Die Malaria nennt er z.B.: atikesi; ati = der Baum, eke = die Wurzel, esi = das Wasser, also: die Krankheit, die mit einer aus Baumwurzeln hergestellten Arznei behandelt wird.

Bei einzelnen Krankheitsformen legen die Schwarzen oft ein wirklich wesentliches und bezeichnendes Merkmal des Symptomenkomplexes ihrer Benennung zugrunde, die eine scharfe Beobachtungsgabe verrät. So haben sie für die ekzematösen Hauterkrankungen das Wort akpa. Akpa ist ein Flecken, der über eine schadhafte Stelle gesetzt wird, wenn z.B. ein Defekt im Strohdach der Hütte ausgebessert oder wenn neuer Lehm über eine bröckelnde Stelle des Hauses gestrichen wird, kurz alles, was dadurch doppelt erscheint, daß etwas Neues auf einer alten Unterlage aufgetragen wird. Dabei haben sie ein gutes Unterscheidungsvermögen für einzelne sich ähnelnde Krankheiten, die sie nur selten verwechseln, so daß man sich – soweit sich's um äußere Erkrankungen handelt – im ganzen auf die vom Eingeborenen selbst gestellte Diagnose verlassen kann. Bei anderen wieder nimmt er das Wort nach einem nebensächlichen, ihm aber auffälligen Merkzeichen, und wenn er das Erbrechen mit tutrú, das Fieber mit kpòkpo (schlagen, klopfen), den Husten mit ekpé benennt, so ist eine naive Tonmalerei unverkennbar. Den Unterleibsbruch belegt er nach den an ihm zu hörenden, gurrenden Darmgeräuschen mit dem Namen aklòloe, »etwas, was hin und her rauscht«. Das Bewußtsein von der Übertragbarkeit kommt in seiner Sprache dadurch zum Ausdruck, daß er ganz allgemein von einem Menschen, der krank ist, sagt: er hat die Krankheit angefaßt: élè lé dò. Vereinzelt findet sich die auch bei anderen Völkern zu beobachtende Erscheinung, daß er Seuchen, die ihn besonders schwer bedrohen, euphemistisch mit einem ehrenden Namen belegt, wie z.B. die Pocken: mía tó = mein Herr.

Was im Innern des Menschen vor sich geht, behandelt er wie die meisten Naturvölker mit großer Scheu und denkt nicht gern darüber nach. So sieht er es auch höchst ungern, wenn der Arzt an einem Verstorbenen eine Sektion vornimmt. Seine Anschauungen vom anatomischen Baue des Menschen sind daher auch äußerst primitive, eine Tatsache, die sich auch in der Nomenklatur zeigt. Den Bauch im allgemeinen nennt er z.B. do, und in ihm unterscheidet er summarisch den dogbó, den »großen Bauch« = Magen und den doví, den kleinen Bauch = Darm. Ähnlich hilft er sich bei der Unterscheidung von Hand und Finger, erstere alo, letztere alo-ví = die kleine Hand; oder beim Fuß und der Zehe: afo bzw. afoví.


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