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Afrikanische Stadt- und Landpraxis

10. August

Heute morgen lief ein Woermann-Dampfer unsere Reede an. Da er den gelben Quarantänewimpel gehißt hatte, fuhr ich zu ihm hinüber. Nach Erledigung meiner dienstlichen Geschäfte verweilte ich noch ein Stündchen im Gespräche mit dem Schiffsarzte und den Passagieren. Der Zufall wollte es, daß sich unter letzteren eine Anzahl mit bekannten Namen befanden. So der Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika Leutwein, der einen Heimatsurlaub antrat, angeblich, um nicht wieder ins Schutzgebiet zurückzukehren. Doch ich glaube, daß, wie immer beim Urlaub eines Gouverneurs, der Wunsch seiner Gegner der Vater dieses Gedankens ist.

Außer ihm benutzten denselben Dampfer bis Southampton drei vielgenannte Burengenerale mit ihrem Gefolge: Botha, der wetterfeste Dewet, der Zieten aus dem Busch, äußerlich ein häßlicher Kerl mit struppigem Haar und eckigen Zügen, fast mißtrauisch still, und Delarey, eine stattliche, hochgewachsene Erscheinung, mit freier hoher Stirn, Adlernase und klarem Auge in seinem von einem schwarzen Barte umrahmten, ausdrucksvollen Gesicht. Ich freute mich über die Gelegenheit, diesen drei Braven hier in Afrika die Hand drücken zu dürfen. Über den eigentlichen Zweck ihrer Europareise, jetzt nach dem Friedensschlusse, konnte ich nicht recht ins klare kommen. Wahrscheinlich habt Ihr inzwischen aus den Tagesblättern schon Näheres über sie erfahren. Sie gedenken auch Deutschland zu besuchen.

15. August

Es ist eine bunte Praxis, die hier der Erledigung harrt, teils schwarz, teils weiß, aber der erstere Teil ist der größere. Gestern abend mußte ich zum ersten Male »über Land«. Nächtliche Landpraxis kommt hier also auch vor. Ich saß an meinem Schreibtisch, als plötzlich zwei Schwarze zu mir hereingestürmt kamen und mich baten, so schnell wie möglich nach Sebe zu kommen. Ein Kanu läge für mich am Ufer bereit. Ein schwarzer Soldat sei von einer Giftschlange gebissen worden! Ich nahm aus der Apotheke ein Taschenbesteck, eine Injektionsspritze, Kalium hypermanganicum und eine Dosis des vorrätigen Calmetteschen Schlangenserums zu mir. Damit eilte ich zum nahen Lagunenstrande und stieg ins Kanu, das Platz genug für einen Stuhl bot.

Es war meine erste nähere Bekanntschaft mit der Lagune, diese Nachtfahrt im hellen afrikanischen Mondschein. Im Schilfe des Ufers zirpten zahllose Grillen, Tausende kleiner Leuchtkäfer tauchten im feuchten Grase auf und nieder, Fledermäuse jagten ihrer Beute nach, und bisweilen scheuchte das Geräusch des fahrenden Kanus einen schlafenden Wasservogel auf, der, mit müdem Flügelschlage über unsern Köpfen hinwegfliegend, im dichten Buschwerk des Ufers verschwand. Die drei Neger, die mit langen Stangen das Kanu vorwärtstrieben, ermunterten sich durch Gesang und Zurufe zu rascher Fahrt, und in einer halben Stunde waren wir am Ziel.

Der Gebissene lag bei meiner Ankunft in tiefem Schlafe, schwer berauscht von großen Mengen Schnaps, die man ihm eingefüllt hatte. Offenbar gilt auch hier der Alkohol als wirksames Gegenmittel gegen Schlangengift. Außerdem war ihm von seinen Kameraden ganz kunstgerecht oberhalb der Bißstelle das Bein fest abgeschnürt worden. Ich machte ihm über die kleine, kaum sichtbare Bißwunde einen herzhaften Kreuzschnitt, wusch die Wunde mit einer Lösung von Kalium hypermanganicum aus und öffnete, da das Gift voraussichtlich doch schon weitergegangen war, die Hauptvene des Unterschenkels. Seine Alkoholnarkose ersparte ihm jeden Schmerz. Das Calmettesche Serum spritzte ich ihm in der Nähe der Bißwunde ein, dann wurde die Umschnürung gelöst; eine lebhafte, nicht unerwünschte Blutung folgte, die ich schließlich durch einen Verband zur Ruhe brachte.

Einer der Umstehenden hatte bei meinem Kommen bereits ein weiteres, angebliches Gegengift zur Hand, um es äußerlich auf die Bißwunde zu reiben und auch innerlich zu geben. Ich nahm mir das in einem Fläschchen enthaltene schwarze Pulver mit, um ermitteln zu lassen, was es wohl sei. Die Untersuchung ergab, daß es sich lediglich um pulverisierte Holzkohle handelte.

Heute vormittag ging es dem Patienten leidlich, bis auf einen gewaltigen Katzenjammer. Der Übeltäter war eine Puffotter (Clotho arietans) gewesen, die häufigste der hier vorkommenden Giftschlangen. Sie war nachträglich noch im Hofe von Sebe gefangen worden. Es ist eine bis 1 ½ m lange Schlange von Armstärke, mit plattem Kopfe, stark ausgebildeten Giftzähnen und schöner Rückenzeichnung: kupferfarbener Grundton, mit breiter, zickzackförmig verlaufender Streifung. Ich hoffe, der Patient ist außer Gefahr. Trotz ihres häufigen Vorkommens soll die Puffotter verhältnismäßig selten den Menschen beißen, und für Erwachsene ist ihr Biß nicht unter allen Umständen tödlich. Von Europäern ist überhaupt in Togo bisher noch keiner einem Schlangenbiß zum Opfer gefallen, so daß die Gefahr der Giftschlangen für sie nicht groß zu sein scheint.

Von sonstigen Giftschlangen findet sich im Küstenbezirk noch die gefürchtete Spuckschlange mit stahlblauem Rücken und zinnoberrotem Bauche, schlank gebaut und im Gegensatz zur trägen Puffotter äußerst beweglich. Sie besitzt die Fähigkeit, ihren Oberkörper vom Erdboden zu erheben und blitzschnell ihrem Angriffsobjekte eine Portion ihres stark ätzenden Giftes entgegenzuspucken. Trifft es das Auge eines Tieres, so ist eine rasche Erblindung die Folge. Von den zahlreicheren ungiftigen Schlangenarten des Lagunengebietes ist die imposanteste der Python, der eine Länge bis zu 5 m erreicht.

Die schwarze »Stadtpraxis« wickelt sich zum größten Teile in der »Poliklinik« ab. Unter diesem stolzen Namen verbirgt sich eine vorläufig noch recht primitive Einrichtung, die aber trotzdem von unschätzbarem Werte ist. Diese Poliklinik liegt einige Minuten vom Nachtigal-Krankenhause entfernt inmitten des Negerdorfes. Vor etwa einem Jahre wurde sie von Dr. Sch. schüchtern ins Leben gerufen, anfänglich auf eigene Verantwortung und Kosten des Gründers, weil das Gouvernement dieser neuen Einrichtung zunächst mit Mißtrauen begegnete. Jetzt ist sie schon Hunderten von kranken Eingeborenen eine willkommene Zufluchtsstätte geworden. Aus bescheidenen Anfängen heraus hat sich ihre Frequenz dauernd gesteigert, und ich hoffe, daß diese Steigerung noch weiter anhalten wird.

Das Hauptgebäude der Poliklinik ist ein niedriges, einstöckiges Häuschen, nach Art der Eingeborenen aus Lehm mit Schilfdach gebaut; Glasfenster fehlen. Außer einem größeren Mittelraum enthält es drei kleinere Nebenräume. Ersterer dient als Sprech-, Untersuchungs- und Verbandzimmer der Schwarzen, für die ich täglich von 9 Uhr ab dort Sprechstunde halte; letztere dienen zur Aufnahme einzelner Kranker. Ans Hauptgebäude reihen sich zwei schmale, primitive Baracken von gleicher Bauart, nur noch niedriger, an: ich kann kaum aufrecht in ihnen stehen; eine von ihnen ist für Männer, eine für Frauen. Dort liegt die Mehrzahl der Schwerkranken und Operierten bis zu ihrer Genesung.

Das Ganze gehört einem Schwarzen, der es aber für die unbezahlte Schuld einer Firma verpfänden mußte. Von letzterer hat es die Regierung gemietet. Die innerlich Kranken bekommen in der Poliklinik ihr Rezept, mit dem sie zur Krankenhausapotheke pilgern, wo ihnen das verordnete Medikament von einer Schwester verabfolgt wird. Erforderliche Operationen nehme ich stets im Operationsraum des Hospitals vor; nach beendetem Eingriff werden die Patienten in einer Tragbahre zur Weiterbehandlung in die Poliklinik zurückgebracht. Ich glaube, daß gerade die ärztliche Hilfeleistung unter den Eingeborenen besonders geeignet ist, sie dem Weißen näherzubringen. Vielleicht ist es für sie vorläufig das einzige Geschenk der Regierung, für dessen Wert sie schon jetzt ein volles Verständnis besitzen.

Im Dienste der Poliklinik sind zwei schwarze Hilfskräfte beschäftigt, Dovi und Heinrich. Ersterer ist ein flinker, geweckter und wohl auch gewissenhafter Mensch, ungefähr 25 Jahre alt. Er war jahrelang im Dienste eines meiner Vorgänger, des 1899 hier verstorbenen Oberstabsarztes Wicke, tätig. Seine Ausbildung hat er zum Teil in Deutschland erhalten. Deutsch und Englisch beherrscht er vollkommen in Sprache und Schrift, und bei Operationen leistet er sehr gute Assistenz. Heinrich ist noch jünger und Anfänger im Samariterdienst, zeigt aber viel Eifer und guten Willen trotz mancher Ungeschicklichkeiten, die ihm noch unterlaufen.


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