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Das Nachtigal-Krankenhaus

Kleinpopo, 8. August

Die Lage Kleinpopos ist äußerst eigenartig, und wenn Lome kühn das Nizza der Westküste genannt wird, so würde mit gleichem Rechte Kleinpopo ihr Venedig sein dürfen. Denkt Euch einen schmalen Streifen Dünensand, der auf der einen Seite vom offnen, brandenden Meere begrenzt wird, auf der anderen von einem breiten Arme einer nach dem Hinterlande zu vielfach verzweigten Lagune. Auf dieser Landzunge liegt mit mehreren tausend Schwarzen und etwa 40 weißen Einwohnern der Ort, schmal, aber über 2 km lang ausgestreckt. Die Nehrung ist durchschnittlich nicht viel über 100 m breit.

Hier stehen dicht gedrängt wohl an 6–800 Eingeborenenhütten, aus dunklem Lehm gebaut, mit Schilf gedeckt, nur durch winklige Quergäßchen voneinander getrennt, die so eng sind, daß zwei Menschen sich in ihnen kaum ausweichen können, und in denen man nicht aufrecht zu gehen vermag, ohne mit dem Kopfe an die von beiden Seiten überhängenden Schilfdächer zu stoßen. Sowohl nach dem Seestrand als nach der Lagune zu lassen diese Hüttenkomplexe nur einen schmalen, unbebauten Streifen frei, auf dem sich aller Verkehr abspielt. Hie und da fassen die einzelnen Häuser einen kleinen, unsauberen Hof zwischen sich, der als Koch-, Wasch- und Arbeitsplatz für die Frauen und als Spielplatz der Kinder dient. Denkt Euch einige undefinierbar zusammengesetzte Gerüche und die ganze Szenerie belebt von schwarzen Frauen, Männern, von lustig herumspringenden, spielenden, dickbäuchigen, schmutzigen, nackten Negerkindern, Hühnern, Enten, Tauben, Ziegen, Schweinen, die sich alle bei Wärme und Sonnenschein gleich wohl fühlen, so habt ihr das Milieu des Ortes Kleinpopo. Ich weiß nicht recht, ob es Stadt oder Dorf genannt wird. Wenn ich es nicht eben mit Venedig verglichen hätte, möchte ich ihm den Vorzug der Ländlichkeit geben gegenüber der Hauptstadt Lome.

Auf derselben Landzunge, meistens mitten unter die Negerhütten eingesprengt, liegen die Europäerhäuser. Hygiene? Am westlichen Ende des Ortes liegt abseits der Negerniederlassungen, frei von seiner Umgebung, das Nachtigal-Krankenhaus. Von sonstigen Regierungsgebäuden findet sich am entgegengesetzten Ende des Platzes das Zollamt und die Post; dazwischen verteilen sich die Faktoreien der sieben hier vertretenen Firmen und zwei Missionsanlagen, jede mit einem Kirchlein; sowohl eine katholische als eine wesleyanische sind hier vertreten. Letztere ist trotz ihres englischen Ursprungs mit einem deutschen Missionar besetzt, der augenblicklich auf Urlaub in der Heimat weilt. Dies ist der eigentliche Ort Kleinpopo. Indessen schließen sich weitere Niederlassungen der Eingeborenen überall entlang dem Ufer der Lagune an. Auf dem jenseitigen Ufer des breiten Lagunenarmes, der den Ort begrenzt, liegt, in dreiviertelstündiger Wasserfahrt zu erreichen, der Ort Sebe mit dem Bezirksamte und der Regierungsschule. Bis 1895 war dieses Sebe der Sitz des Gouvernements von Togo. Erst dann wurde es hauptsächlich aus hygienischen Rücksichten nach dem trocken gelegenen Lome verlegt, dessen Aufschwung seit diesem Jahre datiert.

Sehen wir uns noch ein wenig näher das Nachtigal-Krankenhaus an, das nun voraussichtlich für längere Zeit mein Heim sein wird. Seinen Namen trägt es nach dem bekannten deutschen Afrikaforscher Dr. Nachtigal, der im Jahre 1884 an der Togoküste die deutsche Flagge hißte, kurz darauf an der afrikanischen Westküste ein frühes Grab fand und dem nun im Nachtigal-Krankenhause ein schönes Denkmal dankbarer Erinnerung gesetzt worden ist. In meinem Arbeitszimmer steht seine lebensgroße Gipsbüste.

Das Krankenhaus ist noch nicht alt, vor sieben Jahren erst wurde es erbaut. Von einem Kokospalmen-Garten umrahmt, zweistöckig, luftig gebaut, mit breiter, rundherum laufender Veranda, weißem Anstrich bis auf die grünen Fenster und Türen, mit großen, hellen Räumen schön ausgestattet. Die Anordnung der Räumlichkeiten ist übersichtlich und anscheinend praktisch in der Verteilung. Das obere Stockwerk dient als Krankenabteilung, gleichzeitig hat der Arzt seine Wohnung in ihm; im untern Stockwerk sind die Räume für die drei Schwestern vom Roten Kreuz untergebracht, ferner eine reich ausgestattete Apotheke, Vorratsräume und ein gemeinsames Eßzimmer. Hier steht auch – ich glaube, es ist das einzige am ganzen Orte – ein Klavier. Zwar streiken einzelne Tasten, weil die Ratten den Filzbelag der Hämmer benagt haben, aber immerhin genügt es noch, um ihm einige heimatliche Lieder zu entlocken. Auf der Rückseite des Hauses sind zwei Anbauten aufgeführt: ein mittlerer, der unten die Küche birgt und oben einen allen europäischen Anforderungen genügenden Operationsraum sowie ein chemischbakteriologisches Laboratorium; ferner ein seitlicher Anbau mit Bade- und Klosettanlage.

Die frische Seebrise, die den größten Teil des Tages über recht stark weht, trifft unser Haus in voller Stärke und trägt viel dazu bei, die tropische Hitze erträglich zu machen. Allerdings bringt sie auch reichliche Feuchtigkeitsmengen mit, so daß alle Eisenteile rasch rosten und selbst die chirurgischen Instrumente sich nur unter dauerndem Ölüberzug einigermaßen unversehrt halten lassen. Leder verschimmelt, Glas beschlägt vom salzhaltigen Wasser, und die Uhren versagen nach kurzer Zeit ihren Dienst.

Der Garten, der das Haus umgibt, hat etwa eine Ausdehnung von 100 m im Geviert, ist recht hübsch angelegt und auch leidlich instandgehalten. In ihm liegen noch einige Baracken, die als Wohnung für die schwarzen Hilfskräfte, als Leichenkammer, Geräteschuppen usw. dienen. Die angepflanzten Bäume sind hauptsächlich 6-7jährige Kokospalmen, die eben anfangen Früchte zu tragen; aber auch Casuarinen, Papayas mit ihren schmackhaften, melonenartigen Früchten und manche andere, mir vorläufig noch unbekannte Bäume und Sträucher sind vertreten. Auf den Gartenwegen und im sonnigen Sande laufen allerorten Eidechsen in großer Zahl herum, oft huschen sie sogar auf der Veranda und in den Zimmern hin und her; besonders auffällig ist dabei eine Art, von der sich das Männchen durch einen hochroten Kopf auszeichnet, während der übrige Körper dunkelblau gefärbt ist. Seekrabben sieht man ebenfalls in allen möglichen Größen und Farben über den Boden laufen und in ihren Löchern verschwinden, die sie sich überall graben. Eine Art wilder Tauben mit rotbraunem Gefieder, etwas kleiner als unsere daheim, bevölkern neben vielen größeren und kleineren Singvögeln den Garten. Unter letzteren scheint hier besonders häufig eine Art Webervögel zu sein, die, goldgelb mit schwarzem Kopf, in der Nachbarschaft des Gartens auf hohen Kokospalmen ihre dicht aneinandergereihten Nester bauen.

Ich glaube, ich werde mich sehr bald hier wohl fühlen. Es ist alles ungleich behaglicher, als ich's mir vorgestellt hatte, und soviel ich zu meinem Teile vermag, will ich mir das Ziel stecken, das Haus und seine Umgebung nach Kräften zu pflegen, damit diejenigen, die es aufsuchen müssen, sich behaglich in ihm fühlen und außer ihrer körperlichen Genesung auch eine psychische Erfrischung mit von dannen nehmen können. Augenblicklich bilden fünf Europäer den Patientenbestand, die hoffentlich sämtlich in nächster Zeit ihre Tätigkeit wieder aufnehmen werden.

Außer den drei Schwestern setzt sich mein Hilfspersonal nur aus Schwarzen zusammen. Ihr Senior ist der Koch, eine würdige Gestalt, die über dem stattlichen Bauche stets eine saubere, weiße Schürze trägt. Er ist seit dem Bestehen des Krankenhauses in ihm tätig und scheint seine Sache gut zu machen. Max und Moritz sind zwei ungefähr 12jährige Bengel, die als Diener für die Zimmer der Kranken und des Arztes tätig sind. Außer ihnen versieht August, ein etwa 20jähriger Neger, Krankenwärterdienste, und Hans, in ungefähr dem gleichen Alter, hat die Instandhaltung des unteren Stockwerkes als Ressort zugewiesen erhalten. Zwei kleine Mädchen von etwa 10 Jahren, Hulda und Farfara, Waisenkinder aus dem Togohinterlande, helfen beim Säubern des Geschirres in der Küche, beim Putzen und beim Servieren bei Tisch. Für die Pflege des Gartens, seiner Anlagen und Wege, haben zwei weitere Eingeborene zu sorgen: Kwasi und Mensah. Ihre Haupttätigkeit besteht im Wassertragen für die neuen Anpflanzungen, für Gemüse- und Blumenbeete, die hier in der trockenen Zeit täglich früh und abends begossen werden müssen. Ein schwarzer Waschmann mit seinen Gehilfen vervollständigt das Personal der Eingeborenen.


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