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Über Fernandopo nach Kamerun

Vor Santa Isabel auf Fernandopo, 14. Juli

Nachdem wir eine Woche lang unter Quarantäneschwierigkeiten an der französischen Dahomeküste Güter gelöscht und Ladung genommen hatten, liegen wir seit gestern vor Fernandopo, jener dem deutschen Kamerungebiete vorgelagerten, fruchtbaren spanischen Insel, die wir noch vor einigen Jahren für einen geringen Kaufpreis von den Spaniern hätten haben können, während jetzt die wachsende Eifersucht Englands diese Besitzerwerbung unmöglich macht. Es wäre ein interessantes Unternehmen, einmal aus den geheimnisvollen Akten des Auswärtigen Amtes festzustellen, welche Länderkomplexe auf der Welt ohne Risiko für Deutschland zu haben waren und welche Länder bereits durch feste Verträge deutscher Kommissare unserm Besitz gesichert schienen, bis die Diplomatie sie sich wieder durch die Finger gehen ließ. –

Unter der liebenswürdigen Führung eines Deutschen, des Herrn v. Klitzing, machte ich einen Rundgang durch den freundlichen Ort, der von 150 Europäern, meist Spaniern, bewohnt wird. Das Hauptausfuhrprodukt der Insel bildet der auf den Plantagen gebaute Kakao. Am meisten interessierte mich das Hospital, das in seiner Anlage als Muster gelten kann, in seiner mangelhaften Instandhaltung aber leider eine schlechte Wirtschaft verrät. Ein abseits von ihm gelegener Raum enthielt eine Anzahl schwarzer Patienten, die von Schlafkrankheit befallen waren. Sie soll stark unter den Eingeborenen der Insel grassieren.

20. Juli

Beim Morgengrauen näherten wir uns der Reede von Viktoria. Mit dem anbrechenden Tage fuhren wir durch die beiden vorgelagerten Inseln Mundole und Ambaßeiland in die weite, halbkreisförmige Bucht ein. Der Eindruck dieses Morgens wird mir unvergeßlich bleiben. Das Meer, ein gigantisches Hochgebirge und düsterer Tropenurwald von der aufgehenden Sonne beleuchtet, auf einem Bilde vereint, ein gewaltiges Panorama. Auf einem schmalen Streifen zwischen der Küste und der ersten bewaldeten Bergkulisse liegt der Ort Viktoria mit seinen terrassenförmig übereinandergebauten Europäerhäusern. Alle die hintereinander aufgetürmten Kuppen werden überragt von dem Riesenhaupte des großen Kamerunberges, des höchsten Gebirgsstockes der ganzen westafrikanischen Küste. Mongo ma loba, den Götterberg, oder Fako nennen ihn die Schwarzen. Dichter Urwald bedeckt ihn von halber Höhe herab bis zur Salzflut, deren schäumende, weiße Brecher seine Wurzeln umbranden. Sein 4075 m über das Meer ragender Gipfel wird nur selten hinter einem Wolkenschleier sichtbar. Da, wo keine tropische Vegetation ihn überkleidet, sind die einzelnen Züge, welche die Lava des jetzt erloschenen Vulkans einst hinab zur See genommen hat, dem Auge noch kenntlich. Unter den vielen kleineren Bergen, die sich um ihren Herrscher gruppieren, zeichnet sich der kleine Kamerunberg durch seine schlanke, scharf umrissene Gestalt aus. Er erreicht die Höhe von 1700 m.

Leider hatte sich unser Dampfer nur der Post zu entledigen, so daß ich nicht länger als eine Stunde an Land verweilen konnte. Ich benutzte diese Zeit zu einem Besuche des Kollegen Dr. Z. Über meine voraussichtliche Verwendung in Kamerun habe ich auch hier noch nichts erfahren können.

Rio del Rey, 22. Juli

Von Viktoria aus dampften wir nordwärts nach Rio del Rey. So königlich der Name klingt, so erbärmlich und winzig ist die Niederlassung und so trostlos und ungesund ihre Lage. Während ich sonst der Ansicht bin, jeden tropischen Platz möglichst dauernd mit ein und demselben Europäer zu besetzen, gehört Rio del Rey zu den Orten, die nie länger als ein Jahr ohne Wechsel des Beamten bleiben dürften, um ihn vor Schaden an Leib und Seele zu bewahren. Von der offenen See aus fährt der Dampfer in die allmählich sich immer mehr und mehr verengende Flußmündung ein, links und rechts nichts als ödes Mangrovengebüsch. Unter den vielen einzelnen Wasserarmen, die netzartig das ganze Mündungsgebiet durchziehen, sucht er sich stromaufwärts fahrend mühsam den richtigen Kurs, bis er endlich vor dem Orte angelangt ist.

Die ganze »königliche« Niederlassung besteht aus drei Europäeransiedelungen, einem Gebäude für den Regierungsbeamten und zwei Faktoreien, einer deutschen und einer englischen. Die Station, äußerlich übrigens in musterhaftem Zustande, liegt nebst der deutschen Firma auf einer kleinen, wohl kaum 1 Hektar umfassenden Halbinsel; die englische Faktorei hat sich ihren Platz auf dem gegenüberliegenden Ufer auf einem mühsam vom Gebüsch gesäuberten Fleckchen Landes gewählt. Die Ufer der Stationshalbinsel sind mit Holzpfosten gegen das Wasser hin abgedämmt, damit der kärgliche Besitz nicht weggeweicht wird. Trotzdem bricht von Zeit zu Zeit ein Stück des Bodens ab und muß dann von den Bewohnern durch Erdstücke aus der Nachbarschaft wieder ergänzt werden. Die ganze Umgegend ist ausschließlich von schmutzigen Wasserarmen gebildet, deren Ufer mit abwechslunglosem, eintönigem, dem Auge undurchdringlichen Mangrovendickicht bestanden sind; kein Wechsel der Landschaft, kein Wechsel in der Vegetation, nirgends ein Ausblick weiter als auf 2–300 m über das Wasser bis zur nächsten Mangrovenwand, dazu immer eine feuchte, drückende Treibhausluft, Moskitos und Sandfliegen in Hülle und Fülle.

Das einzige, was die Leute außer den Schwarzen, die mit Produkten auf Kanus ab und zu gehen, von der Welt sehen, sind die Dampfer, die sich von Zeit zu Zeit hierher verirren. Augenblicklich ist die Station von einem Zollbeamten und seiner jungen Frau bewohnt, die trotz des trostlosen Milieus, in dem sie leben, lustig und guter Dinge waren. Ich gönnte dem Paare von Herzen ein besseres afrikanisches Heim.

Wir lagen zwei Tage dort, teils um zu löschen, teils um neue Ladung zu nehmen. Als unser »Adolph« heute wieder nach der See ausdampfen wollte, um seine Reise nach Duala fortzusetzen, hatte er noch das Malheur, aus dem richtigen Fahrwasser zu geraten und im Schlamme festzufahren. Trotz aller Anstrengungen kam er nicht wieder los, bis die steigende Flut ihn von seinem unfreiwilligen Aufenthalte wieder erlöste.

Duala, 28. Juli

Am 23. landete ich in Duala und habe auf meine telegraphische Anfrage beim Gouvernement in Buea nach einigen Tagen den Bescheid erhalten, mit nächster Dampfergelegenheit, das ist am 5. August, nach Kribi in Südkamerun zu reisen, wo eine Hospitalanlage für Weiße und Schwarze geplant ist, deren Entwurf ich »nähertreten« soll. Bis zu meiner Abreise dorthin genieße ich die liebenswürdige Gastfreundschaft des Regierungsarztes von Duala, des Marinestabsarztes Dr. W.

Ich verglich früher Lome mit Nizza und Kleinpopo mit Venedig. Duala könnte man das Hamburg der Westküste nennen, mit dem es zufällig auch denselben Längengrad teilt. Aber es liegt noch ein besserer Vergleichspunkt vor. Man erreicht Duala von der See aus durch die Einfahrt in eine große wasserreiche Bucht, die sogar in ihrer äußeren Konfiguration entfernt an die Elbmündung erinnert: das Mündungsbecken von drei in ihr zusammentreffenden Strömen, des Mungo, des Wuri, des eigentlichen Kamerunflusses, und des Dibambu. Leider sind diese Flüsse trotz ihrer Größe nur noch eine Tagereise stromaufwärts schiffbar, weil dort bereits unpassierbare Stromschnellen die Weiterfahrt hindern.

Die Kamerunbucht Der Name »Kamerun« wird vom portugiesischen rio dos camaroes: Fluß der Krebse hergeleitet, nach den zeitweise massenhaft in ihr auftretenden eßbaren Krabben. Früher hieß der nach dem dort ansässigen Stamm jetzt Duala genannte Ort »Kamerun«. Wie in Togo wurde nach diesem ersten Platze deutscher Besitzergreifung der Name des ganzen Schutzgebietes gewählt. ist ein sogenanntes Ästuar. Unter Ästuarien versteht man die Mündungsbecken großer Flüsse, in deren Gebiet Flut und Ebbe des Meeres hineinreichen. Da, wo die Einströmung des Meeres und die Ausströmung des Flusses einen gewissen Ausgleich der Wasserbewegung herbeiführen, bildet sich durch Niederschlag der vom Wasser mitgeschwemmten Erdmassen eine »Barre«, deren Bildung wir vielfach an der afrikanischen Westküste begegnen. Werden, wie an der Togoküste, die Ablagerungen von Seesand durch die Meeresströmung so gewaltig, daß sich ein Dünenstreifen vor die Flußmündungen lagert, den die dahinter mündenden Flüsse auf lange Strecken nicht mehr zu durchbrechen vermögen, so kommt es zur Lagunenbildung.

Das Kamerunästuar ist zur Zeit der Flut für Dampfer bis zu einem Tiefgange von 16–18 Fuß in seiner ganzen Ausdehnung herauf nach Duala befahrbar, so daß man direkt vom Schiffe aus über eine Landungsbrücke zum Ufer gelangt. Für Schiffe von noch größerem Tiefgange bildet die kurz vor Duala quer unter dem Wasser hinziehende Barre ein vorläufiges Hindernis. Es würde aber sicher möglich sein, durch Ausbaggerung in ihr eine genügend tiefe Fahrrinne zu schaffen und dadurch den Wert des Hafens von Duala für den Schiffsverkehr bedeutend zu steigern.

Aus der eigentlichen freien Bucht fährt der Dampfer über die Barre in das Flußgebiet des Wuri ein, der hier immer noch eine Breite von zwei Seemeilen hat; linker Hand von der Einfahrt aus überall flaches, von Mangroven bestandenes Gelände, von vielen Creeks durchschnitten; im fernen Hintergrunde der von Wolken umhüllte Kamerunstock. Rechter Hand aber tritt ein etwa 10 m hohes, langgestrecktes Plateau, die Joßplatte, zum Wasser vor. An ihrem Ufer und auf ihrem Rücken breiten sich die Niederlassungen Dualas, des Haupthandelsplatzes der ganzen Kolonie, aus. Früher war es auch Sitz der Regierung, bis diese nach dem am Abhange des Kamerunberges ca. 1000 m hoch gelegenen malariafreien Buea verlegt wurde.

Reges Leben herrscht auf und an dem Wasser vor Duala. Bei unserer Ankunft lagen der »Habicht« dort vor Anker, ferner die dauernd auf dem Flusse als Lazarettschiff der Marine festgemachte Hulk »Cyklop«, zwei kleine für den Küstenverkehr bestimmte Regierungsdampfer: »Nachtigal« und »Herzogin Elisabeth« neben den Leichtern und Booten der Firmen und den Kanus der Schwarzen. Unweit der Landungsbrücke tönte uns das fleißige Hämmern der großen Maschinenreparaturwerkstätte entgegen, und dicht dabei lag auf dem Wasser das erst neuerdings hierhergebrachte Schwimmdock der Woermannlinie.

Das imposanteste aller Europäerhäuser ist das auf einem markanten Platze der Joßplatte errichtete Bezirksamtsgebäude, zu dessen peinlich sauber gehaltenen Garten eine Steintreppe hinaufführt. Fünf Denkmäler für die Europäer, die im Dienste der Kolonie ihr Leben ließen, liegen in den Gartenanlagen zerstreut, ihr schönstes das für Gravenreuth, der beim Sturm gegen die Bakwiris 1891 den Heldentod starb: auf einem hohen Marmorpostamente, welches das Medaillonbild des Gefallenen trägt, ruht ein Bronzelöwe, das Haupt über das Wasser hin nach dem fernen Kamerunberge gerichtet, mit der Vorderpranke die deutsche Kriegsflagge umklammernd.

Durch eine Mangoallee vom Bezirksamtsgarten getrennt schließt sich der Gebäudekomplex des Regierungskrankenhauses an. Entsprechend der weit größeren Zahl der in Kamerun ansässigen Europäer ist der ganze Hospitalbetrieb ein bedeutend umfangreicherer als der des Nachtigalhospitales in Togo. Fast will es mir scheinen, als sei die Arbeitslast zu groß, als daß nur ein Arzt ohne Assistenz sie auf die Dauer bewältigen kann. Dr. W., der augenblicklich in Vertretung des auf Urlaub weilenden Dr. Z. die ärztlichen Geschäfte führt, entwickelt allerdings eine staunenswerte Arbeitskraft, die ich mir selbst nie zutrauen könnte. Ich habe in den letzten Tagen mehrmals beobachtet, daß er nach Erledigung seiner Obliegenheiten im Europäerhospitale vom Vormittage an ohne jede Mittagspause bis in die späten Nachmittagsstunden hinein gemeinsam mit dem ihm befreundeten Arzte des »Habicht«, Dr. H., ununterbrochen chirurgisch tätig war. Bruchoperationen stellen auch hier anscheinend die überwiegende Zahl aller ernsteren chirurgischen Eingriffe.

Hinter den im Vordergrunde der Joßplatte gelegenen Wohnungen der Weißen breiten sich die Hütten der Schwarzen aus, die in drei Stadtteile: Bell-, Akwa- und Deidodorf zerfallen. Ihre gesamte Einwohnerzahl wird auf 20 000 angegeben. Auf dem gegenüberliegenden Flußufer liegt ein viertes Dorf Hikory, von dem aus die nach den Manengubabergen geplante Hinterlandsbahn ihren Anfang nehmen soll.

Über alle Negerwohnungen ragt weit empor der pagodenartig gebaute Palast des bekannten Dualaoberhäuptlings Manga Bell. Bei meinem Besuche, den ich ihm abstattete, gefiel mir nicht zum wenigsten an dem auch sonst äußerlich und in seinem Wesen sympathischen Manne, daß er mir in seiner Eingeborenentracht entgegenkam. Die überladene innere Einrichtung seiner negerfürstlichen Residenz, seiner Prunk-, Wohn- und Schlafräume, die er übrigens kaum jemals benutzt, ist zwar europäischer Herkunft, zeigt aber in allem die charakteristische Vorliebe des Schwarzen für spiegelndes Glas und blitzendes Metall.

Der ganze Ort Duala mit ungefähr 170 weißen Bewohnern zeigt in seiner sauberen Anlage, die sich vor allem auch auf die Wohnstätten der Eingeborenen erstreckt, in seinen gut gepflegten, breiten Straßen, sowie in allen sonstigen öffentlichen Arbeiten eine musterhafte Leistung, die allein der Umsicht und Ausdauer des seit vielen Jahren hier tätigen Bezirksamtmanns v. Brauchitsch zu danken ist. Daß gleichzeitig auch die Lösung hygienischer Fragen überall energisch in Angriff genommen wurde, darf wohl als Verdienst des früheren Regierungsarztes Dr. Plehn und des jetzigen, Dr. Ziemann, hingestellt werden. Die für die Schwarzen erlassenen und durchgeführten Bauvorschriften, die dadurch in den großen Negerdörfern erzielte Ordnung und Reinlichkeit, die selbstverständlich auch von segensreichstem Einfluß auf die gesundheitlichen Verhältnisse des ganzen Ortes ist, könnten für andere deutsche Küstenplätze, namentlich auch für Kleinpopo, als nachahmenswertes Vorbild dienen.

Duala, 29. Juli

Liebe Schwester Franziska!

Schon mehrere Wochen sind nun ins Land gegangen, seitdem ich von meinem alten Heim, dem Nachtigal-Krankenhause, Abschied nehmen mußte, aber ein leises Heimweh habe ich noch nicht überwunden.

Nach vierzehntägiger Fahrt entlang der Togo-, Dahomey- und Kamerunküste, welch letztere ich auf diese Weise kennenlernte, bin ich vor kurzem in Duala angekommen. Voraussichtlich werde ich nicht lange hier bleiben, sondern sehr bald auf einige oder mehrere Monate nach Kribi im Südkameruner Bezirke gehen, wo die Anlage eines neuen Hospitales für Europäer und Farbige in Aussicht genommen ist. Von da aus muß ich wahrscheinlich nach Jaunde marschieren, einer etwa zwölf Tage von der Küste entfernten Hinterlandsstation, einem ärztlichen Neulande.

Mit dem gleichen Dampfer, der Ihnen diese Zeilen bringt, schicke ich den kleinen Kabre zurück und empfehle ihn Ihrer Obhut. Ich wage es nicht, das kleine Kerlchen die bevorstehende weite Reise mitmachen zu lassen und ihm die vielfach wechselnden Lebens- und Ernährungsgewohnheiten unter fremden Negerstämmen zuzumuten. Äußerlich würde er sich zwar sicher sehr bald eingewöhnen, doch ich fürchte für seine körperliche Gesundheit in dem regenreichen Kameruner Klima. Ich trenne mich gar nicht gern von ihm. Auf der Reise hat er mir viel Spaß gemacht; seine Anhänglichkeit, sein Verständnis und seine Kenntnisse im Deutschen nahmen dadurch, daß er dauernd mit allen Anliegen auf mich angewiesen war, sichtlich zu. Anfangs war er jämmerlich seekrank und verkroch sich dauernd unter dem Kabinensofa, wo er übrigens später auch immer noch die Nächte zubrachte. Er überstand dieses Übel aber schnell und schlüpfte sehr bald wieder vergnügt auf dem Schiff herum. Ich hatte Mühe zu verhindern, daß er von allen, in deren Nähe er kam, verwöhnt und verfüttert wurde. Für sein leibliches Wohl hatte ich von Fernandopo ein großes Bündel Bananen mitgenommen und auf dem Achterdeck befestigt, davon durfte er nach Belieben die reifen nehmen und vertilgen. Seine sonstigen Mahlzeiten holte sich der Wicht selbst aus der Küche, suchte aber als Eßlokal stets meine Kabine auf, in der er sich seinen Blechkoffer zurechtrückte und kniend – so parierte er am besten die Schwankungen des Dampfers – seine ansehnlichen Portionen bewältigte. Ich packe ihm alle seine Habseligkeiten in sein Köfferchen und bitte den Kapitän, ihn in Togo an Land zu setzen. Lassen Sie ihn doch beim Einlaufen des Dampfers in Empfang nehmen. Im übrigen kann er ja im Haushalte zur Arbeit angehalten werden; schicken Sie ihn auf meine Kosten zur Schule und achten Sie darauf, daß er Fortschritte im Erlernen des Deutschen macht.

Duala hat auf mich einen sehr guten Eindruck gemacht. Man sieht überall die Spuren planmäßiger, angestrengter Arbeit, besonders auch auf hygienischem Gebiete. Das Hospital, das mich natürlich besonders interessiert und in dem ich mich täglich mehrmals einfinde, ähnelt in seiner Anlage unserem Nachtigal-Krankenhause, bietet aber einer größeren Anzahl von Patienten Platz, da der Arzt hier ein eigenes, im Hospitalgarten gelegenes Wohnhaus zur Verfügung hat. Im ganzen aber gefällt mir in seiner Einrichtung, Instandhaltung, dem Betriebe usw. das unsere doch besser. Es macht einen gepflegteren, freundlicheren, anheimelnderen Eindruck. Das Hospital in Duala kommt mir innen und außen kälter vor. Dadurch, daß der Barackenbetrieb und die gesamte Behandlung der Schwarzen sich in unmittelbarer Nähe des Eüropäerhospitals abspielen und aus manchen anderen Gründen mehr, tritt sein Lazarettcharaktier viel stärker in den Vordergrund, und daß dies vermieden werden konnte, empfand ich gerade als einen besonders schönen Vorteil unseres Nachtigal-Krankenhauses. Je mehr man einem Krankenhause das Lazarettmäßige nehmen kann, um so wohler werden sich die Patienten in ihm fühlen. Man soll ihnen wenigstens äußerlich soviel als möglich die dauernde Erinnerung daran ersparen oder erleichtern, daß sie Kranke sind. Jeder körperlich Leidende ist schon in der Heimat auch aus seinem seelischen Gleichgewicht gebracht – was oft von seiner Umgebung nicht genügend berücksichtigt wird –, wieviel mehr in der afrikanischen Ferne! Gerade Sie werden das in Ihrem Berufe häufig genug selbst erfahren haben.

Die schwarzen Angestellten des Hospitals sind zu einem großen Teile Togoleute, und als ich zum ersten Male mich dort einfand, kamen sie alle an und begrüßten mich mit freudestrahlenden Gesichtern; jeder wollte sein »ahometowole« Der Gruß des Ewenegers anbringen. Der eine erzählte mir, daß ich seinen Vater, ein anderer seine Schwester, seinen Bruder, seinen Onkel oder sonst jemand behandelt hätte. Die Togoleute sind doch ein ganz anderer Schlag als die Kameruner Eingeborenen. Ich kenne sie zwar vorläufig nicht näher, aber die hiesigen Europäer bevorzugen ganz allgemein in ihren Diensten als Koch, Waschmann, Diener usw. die importierten Togoneger. Mir sind sie sogar schon äußerlich sehr viel sympathischer; selbst Moritz mit seinen dicken Lippen und großen Füßen ist für mich eine Schönheit gegenüber der Physiognomie eines Dualas. Aber vielleicht liegt es nur an der Gewöhnung.

Ihre Mitschwestern besuchte ich auch gelegentlich. Sie fühlen sich alle drei anscheinend sehr wohl und trugen mir Grüße für Sie auf.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind viel Schwerkranke im Hospitale? Blühen die Blumen an der Laube, wird der Gemüsegarten gut in Ordnung gehalten, ist die Regenzeit schon zu Ende? Hier regnet es in einem Monat mehr als in Togo im ganzen Jahre! Entsprechend ist auch die Vegetation Kameruns ungleich üppiger, das Land fruchtbarer, dafür aber die Bevölkerung weniger heiter und harmlos.

Sie würden mir eine große Freude bereiten, wenn Sie mir ab und zu eine kurze Nachricht über das Nachtigal-Krankenhaus und ganz Togo nach Kamerun schickten. Es knüpfen sich an Togo ja ungezählte, meist schöne Erinnerungen mehrerer Jahre. Jeden Baum, jeden Weg, jeden Winkel könnte ich aus dem Gedächtnis aufzeichnen und alles, was Sie mir darüber schreiben, interessiert mich. Ich denke oft – und werde es bei meinen Wanderungen durch den Urwald und meinem Aufenthalte im Hinterlande gewiß noch öfter tun – an das alte Arbeitsfeld zurück, auf dem ich noch gern weiter tätig gewesen wäre. Ich hätte gern noch manches, was gesät wurde, in der Ernte gesehen. Auch Ihrer Hilfe gedenke ich oft mit Dankbarkeit.

Hoffentlich kehren nie wieder so ernste Zeiten, wie im verflossenen Halbjahr, für den Ort und ganz Togo zurück. Ich glaube, daß die Allgemeinheit der Europäer und die hohen Behörden daheim nicht ahnen, welche Gefahr diese Einschleppung des Gelbfiebers für unsere Küste bedeutete. Für erstere freut es mich, daß ihnen nun nach ihrer Beseitigung eine übergroße Beängstigung der Gemüter erspart blieb. Hoffentlich wird nunmehr an der Assanierung des Ortes noch lebhafter gearbeitet als bisher. Geschieht nichts oder begnügt man sich mit halben Maßnahmen, so halte ich's für leicht möglich, daß Togo ein neues Aufflackern des Gelbfiebers erlebt. Für die vom Hamburger Tropeninstitute versuchte Polemik habe ich nur ein selbstbewußtes, souveränes Lächeln. Wenn es nicht gelang, von Anfang an die Seuche zu erkennen und nachdrücklich zu bekämpfen, wenn sie sich, wie an den meisten anderen Einbruchsstellen, festnistete und endemisch wurde, dann war auf lange Zeit die Entwicklung Togos beeinträchtigt, der Schiffsverkehr gehemmt, die Europäer ungleich mehr als sonst in ihrem Leben gefährdet. Hoffentlich hat auch das benachbarte Dahome nun dauernde Ruhe.

Sie haben mir ja in diesen ernsten Monaten der Gefahr am treuesten geholfen und obendrein durch die schwere Pflege und den anstrengenden übrigen Hospitaldienst sich eine ungewöhnliche Arbeitslast zugemutet. Möge Sie das schöne Bewußtsein der erfolgreich geleisteten Arbeit für Ihre Mühen entschädigen, auch wenn Ihnen außer mir niemand dankbar sein sollte. Die Arbeit unterm roten Kreuze trägt ihren besten Dank in sich selbst. Hoffentlich ist es mir möglich, zu Anfang des nächsten Jahres, bei Antritt eines Heimaturlaubes dem alten Heime einen kurzen Besuch abzustatten. Ich würde mich freuen, dann auch Sie in voller Gesundheit wiederzusehen und ein Stündchen mit Ihnen auf der Veranda zu verplaudern und gemeinsam alte Erinnerungen wachzurufen.

Grüßen Sie das übrige Krankenhaus, auch die Schwarzen darin und alle, die sich meiner erinnern. Auf Wiedersehn in einem halben Jahre!

Ihr
Dr. K.


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