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Der alte Afrikaner

5. September

Der alte Afrikaner repräsentiert eine eigene Spezies des genus humanum. Trotz mancher Spielarten ist er doch durch eine ganze Reihe gemeinsamer charakteristischer Merkmale seines Wesens von seinen Mitmenschen unterschieden. Er gedeiht, wie der Name sagt, nur auf tropischem Boden und im warmen Klima Afrikas. Gewisse Anklänge an seine Art findet man zwar auch daheim unter den als Spießbürgern und Kannegießern gewöhnlich bezeichneten Gewächsen, aber doch decken ihre Eigenschaften auch unter Berücksichtigung der örtlichen, verschiedenen Wachstumsbedingungen sich nicht. Solch ein alter Afrikaner ist ein ganz sonderbarer Mensch. Alt an Jahren braucht er keineswegs zu sein, im Gegenteil, denn alte Leute findet man in Afrika überhaupt wenig. Alt ist nur relativ zu verstehen, und »alter Afrikaner« ist er nur deshalb, weil er eine Reihe von Jahren, jedenfalls aber länger wie die zum ersten Male neu Herauskomenden im Lande weilt. Mit gewissem Stolze und nicht immer ohne einen kleinen Beigeschmack von Verächtlichkeit blickt er auf die jüngere Generation herab. Er ist das reaktionäre Element der Kolonie. Jede Neuerung, jeden geplanten Fortschritt nimmt er zunächst einmal unter die stark lichtbrechende Lupe seiner Kritik. Aber bei diesen kritischen Betrachtungen findet er prinzipiell immer nur das, was gegen die beabsichtigte Neuerung spricht, während er ihre Vorteile hartnäckig aus seinem Gesichtsfelde ausschaltet. Er weiß nicht nur alles, dieser alte Afrikaner, er weiß alles viel besser. Ist eine Eisenbahn projektiert, so sieht er die drohenden Unglücksfälle unter den schwarzen Negerkindern durch Überfahren voraus; ist eine Erhöhung der Spritzölle geplant, so prophezeit er den Ruin einer ganzen Anzahl von Firmen; hebt sich der Export von Mais, so plant er allen Ernstes ein Ausfuhrverbot dieses Produktes, um einer Hungersnot unter den Eingeborenen vorzubeugen usw. usw.

Er schwärmt bei jeder Gelegenheit von der guten alten Zeit, so wie sie damals war, als er herauskam. Gewisse Äußerlichkeiten geben ihm ein scheinbares Recht dazu, denn das Huhn kostete tatsächlich anno dazumal nur 20 Pfennig, für eine leere Blechbüchse bekam man – wie noch heute im Busch – ein halb Dutzend Eier eingetauscht, ganze Landstrecken konnte man gegen eine Flasche Schnaps von den Eingeborenen in Kauf oder Pacht nehmen. Natürlich pocht er auf die Länge seiner Erfahrungen, und in die Dauer seiner Tropendienstzeit rechnet er gewissenhaft den gesamten Urlaub in Deutschland mit hinein, und jedes angefangene Tropenjahr wird selbstverständlich als voll gezählt.

Jeder Afrikaner hat auch auf Grund seiner ausgiebigen Kenntnis von Land und Leuten ein unfehlbares System, die Kolonie zu reformieren, zu reorganisieren und einer blühenden Zukunft entgegenzuführen. Bei jeder passenden Gelegenheit weiß er sein Kulturprogramm in fließender Rede zu entwickeln. Dabei kommt es ihm nicht immer darauf an, Pläne, die gar nicht von ihm stammen, als eigene Prägung auszugeben. Häufig ist der alte Afrikaner nur wenige Stunden über den Küstenbezirk hinausgekommen. Dies hindert ihn natürlich nicht, über die Verhältnisse des Hinterlandes völlig unterrichtet zu sein.

Überhaupt zeichnet er sich durch große Vielseitigkeit seiner Talente aus. Daß er gerade sein Berufsfach allein am allerbesten versteht, daß er unersetzlich ist, und daß keiner seiner Stellvertreter oder Nachfolger es ihm gleichtun kann, ist selbstverständlich; und hat ihm in seiner Abwesenheit etwa einer durch eine Neuerung ins Handwerk gepfuscht, so ist es bei seiner Rückkehr das erste, daß diese rückgängig gemacht wird. Auch über jedes andere Thema, über das mitzusprechen ihm in der Heimat vielleicht ein leises Lächeln der Kenner eintragen würde, weiß er vollkommen Bescheid und ist höchst entrüstet, eine abweichende Meinung vertreten zu sehen. Er wird ohne weiteres einen geschlossenen Vortrag darüber halten, wie unfehlbar der Gummiexport sich in kurzem verzehnfachen läßt, wie die Nagana der Pferde und die Malaria des Menschen sicher auszurotten sind, usw. An letzterer leidet er übrigens niemals, denn dem echten, alten Afrikaner darf auch das Klima nichts anhaben, selbst wenn er alle Monate einige Tage auf der Nase liegt.

Kurz, er ist nicht nur vielseitig, sondern allseitig beschlagen und ist ganz erstaunt, daß sein genialer Gedankengang nicht schon längst von maßgebender Stelle angenommen wurde, so daß endlich die goldene Morgenröte des Schutzgebietes emporsteigt. Abweichende Ansichten vertreten zu sehen, ärgert ihn; Widerspruch ist dasjenige Mittel, mit dem er am allerfürchterlichsten gereizt werden kann, und besonders dann, wenn die Opposition von einem stammt, der vielleicht einige Monate nach ihm in die Kolonie kam. Das ist ein Kapitalverbrechen. Ganz selbstverständlich ist es, daß gerade dasjenige Ressort, dem er angehört, das wichtigste des ganzen Schutzgebietes ist, und daß mit seinem Gedeihen oder Nichtgedeihen die Kolonie steht oder fällt. Das Wort »ich« habe das und das getan, »ich« habe es bereits damals vorausgesagt, »ich« habe schon längst davor gewarnt, gehört in das stehende Programm des alten Afrikaners.

Zu seinen allgemeinen charakteristischen Merkmalen gehört ferner eine wohlausgebildete Eigenschaft: er muß auf alles, was die Regierung tut, schimpfen. Das gehört nicht nur zu seinem seelischen, sondern auch zu seinem körperlichen Wohlbefinden, das hat er so nötig, wie die Blume die Sonne oder die Pflanze den Morgentau. Und treffen sich zwei alte Afrikaner nach längerer Trennung in der Kolonie oder einer Berliner Weinstube wieder, so kann man sicher sein, der erste Abend wird beim Trunke mit zweierlei Dingen verbracht: sich ordentlich auszuschimpfen und sich gegenseitig tüchtig etwas vorzurenommieren. Es wird von den gegenseitigen Erlebnissen erzählt, von Verwaltungsschwierigkeiten der einzelnen Bezirke, von Leoparden-, Büffel- und Elefantenjagd. Wehe, wenn er bei Besetzung einer Stelle, auf die er vielleicht entfernt Anspruch zu haben glaubte, nicht berücksichtigt wurde. Dann bricht die Entrüstung los; eine geharnischte Beschwerde soll abgehen und tut es bisweilen auch, allerdings schon in mildere Form gekleidet: bellende Hunde beißen nicht. Er wird ausscheiden aus dem Kolonialdienst, und es wird ein unersetzlicher Verlust für das Land sein und – er bleibt schließlich doch und fühlt sich behaglich und wohl, denn er ist ja ein alter Afrikaner. Er ist in allen Ständen zu finden, unter Kaufleuten, Beamten, Missionaren; und wenn erst mehr Frauen ihren Männern in die Tropen folgen können, so bin ich sicher, daß auch unter ihnen die alte Afrikanerin rasch erscheinen wird.

Einige äußere Eigenschaften vervollkommnen das Bild. Da er nur für Afrika lebt, so dokumentiert er das unbeabsichtigt auch oft in seinem Äußern, in Kleidung, Lebensweise und im Gebrauch drastischer Worte, deren Inhalt oft noch nachhaltig durch die Lautheit der Stimme verstärkt wird.

So ungefähr ist »der alte Afrikaner«, und manch einer ist dabei, der wirkliche Verdienste um die Kolonie hat. Und ich mag sie alle sehr gern leiden, denn sie sind im Grunde schrecklich harmlos, wenn man sie nur gewähren läßt und sie nicht reizt. Übrigens möchte ich nicht etwa behaupten, daß jeder Europäer in der Kolonie über kurz oder lang zu einem alten Afrikaner wird. Meist ist er sich dessen selbst gar nicht bewußt, denn nur allmählich bildet sich diese Mutation aus. Wer weiß, ob ich nicht später auch einmal dazu komme oder vielleicht gar schon angefangen habe, in diese Umwandlung unbemerkt einzutreten. Eine Eigenschaft schätze ich jedenfalls an ihnen besonders hoch: ihren unbegrenzten Patriotismus für ihr Adoptivvaterland sowie ihre daraus entspringende Arbeitsfreudigkeit für dasselbe. Trotz aller Kritik und äußerer Mißstimmung hat es ihnen ihre Kolonie angetan. Ihre psychische Akklimatisierung ist eine so vollkommene, daß sie immer wieder hinausziehen ins »Affenland«. Schon nach kurzen Jahren finden sie sich in Deutschland nicht mehr zurecht und sind froh, wenn das Ende eines Urlaubes wieder naht und sie den Dampfer besteigen können, der sie dem alten Wirkungskreise wieder zuführt. Ich fand besonders bei den alten Südwestafrikanern, denen doch unter allen deutschen Kolonisten die, härtesten Lebensbedingungen beschieden sind, diese Eigenschaften am stärksten ausgeprägt. Es war rührend anzuhören, mit welcher Anhänglichkeit und Begeisterung sie von ihrem reizlosen Dasein erzählten.

Im allgemeinen macht mir das alte Afrikanertum den Eindruck einer leichten psychischen Tropenkrankheit. Jedenfalls ist es die leichteste aller Tropenkrankheiten und hat nur selten Neigung, bösartige Formen anzunehmen. Ihr Kardinalsymptom könnte man vielleicht präzisieren als eine leichte Verschiebung der normalen Urteilsgrenzen, als ein Aufquellen des eigenen Ichs.

Gefährlicher und mir unsympathischer ist der Antipode des alten Afrikaners, der auch anzutreffen ist, und dem ich den Gattungsnamen des Salonafrikaners geben möchte. Er schadet infolge seiner parasitären Natur unseren Kolonien in vieler Hinsicht. Dazu gehören alle die, welche hinausgehen, um einmal draußen gewesen zu sein und später damit renommieren zu können, die einen raschen persönlichen Vorteil durch einen kurzen, afrikanischen Aufenthalt erzielen wollen, einen Schwerterorden, einen Titel oder dergleichen, die als Schaumschläger eine kurze Zeit in der Kolonie weilen, ohne sie in irgendeinem Punkte auch nur einen Schritt weiterzubringen.


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