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Allerlei Alltagssorgen

Kleinpopo, 20. März

Meine liebe Frau!

Den heutigen Abend will ich zum plaudern mit Dir benutzen; ich sitze und warte auf einen telegraphisch aus Lome angemeldeten Kranken, der gegen 3 Uhr in der Hängematte abgegangen ist und vor Mitternacht nicht hier eintreffen kann. Vor einigen Wochen starb in Lome ein junger Europäer. Dieser Todesfall hat die Gemüter anscheinend wieder etwas ängstlich gemacht; denn in den letzten Tagen suchten bereits zwei andere Patienten von dort unser Hospital auf. – Ums Haus heult ein heftiger Tornado, einer der kurzen Gewitterstürme, die wir beim Übergang der trocknen in die Regenzeit hier öfter erleben. Hoffentlich hat der Kranke gerade Unterschlupf in einem Negerdorfe gefunden.

Deine letzte Nachricht hat mich vorgestern über Frankreich erreicht; danach ist die vorletzte verlorengegangen. Im allgemeinen funktioniert die Postverbindung nach und in unsern Kolonien sehr gut, aber vereinzelte Verluste lassen sich nicht vermeiden. (Erst kürzlich hatte es z.B. der schwarze Postbote aus Grandpopo vorgezogen, seinen Postbeutel nicht bis hierher zu tragen, sondern ihn unterwegs im Meer zu »verlieren«, wie er sich ausdrückte.)

Wie das törichte Gerücht von meinem Tode entstanden ist, kann ich von hier natürlich nicht ermitteln, aber ich freue mich, daß Du es sofort als das angesehen hast, was es war, und ich ärgere mich nur über die Gefühllosigkeit, die darin liegt, daß G. auf einer offenen Postkarte darüber bei Dir angefragt hat. In Wirklichkeit ist »uns ganz kannibalisch wohl als wie fünfhundert« . . . Und was braucht man mehr als Gesundheit und frohen Mut? Wir wollen uns damit trösten, daß nach einem alten Aberglauben gerade den fälschlich Totgesagten eine lange Lebensdauer beschieden ist. Beruflich und gesundheitlich fühle ich mich wie bisher ohne Ausnahme vollkommen auf der Höhe, und das gefürchtete Tropenklima ist noch immer spurlos an mir vorübergegangen, ich müßte denn einige Sandflöhe, deren Saison jetzt hier angebrochen zu sein scheint, und die auch meine Füße hin und wieder als Brutplätze zu benutzen suchen, für eine Tropenkrankheit ansehen. Sobald ich ihre Einkehr festgestellt habe, unterzieht sich August mit großem Geschicke der ehrenvollen Aufgabe, sie zu entfernen. Ich habe auch jetzt gerade keine Neigung und Zeit, einen Tribut ans Klima zu zahlen, denn alle drei Schwestern sind augenblicklich marode.

Dabei kann ich ihre Hilfe schlecht entbehren, denn abgesehen vom Krankenhausdienste müssen gerade in nächster Zeit die umfangreichen Jahresbestellungen an Wirtschaftsvorräten, Geräten für den Haushalt, Wäsche und namentlich an Medikamenten aufgestellt und eingereicht werden. Der Proviant wird dann in monatlich immer wiederkehrenden Sendungen uns zugeschickt, die Medikamente in vierteljährlichen Raten, alles übrige auf einmal. Bei unsern schwankenden und wechselnden Verhältnissen ist es zwar ein gewagtes Unternehmen, auch nur einigermaßen genau den voraussichtlichen Jahresbedarf für ein Hospital vorherzubestimmen. Ganz unmöglich ist es natürlich, den mutmaßlichen Bedarf an Arzneien für ein Jahr vorauszusehen. Viel richtiger wäre es, wenn die Bestände der Apotheke alle 3–4 Monate, je nachdem sie durch Verbrauch gelichtet worden sind, durch Neubestellungen ergänzt würden. Aber es besteht vorläufig noch keine Neigung, eine Änderung in dem bisher geübten Schema eintreten zu lassen. Die selbstverständliche Folge davon ist, daß man von der einen Hälfte der Arzneien zu viel bestellt, weil man den Verbrauch zu hoch taxiert, während man von der andern Hälfte zu wenig erbittet, weil man den Bedarf zu niedrig angesetzt hat. Im ersteren Falle muß der Überfluß unbenutzt lagern und verdirbt natürlich zum Teil, im letzteren werden Nachbestellungen erforderlich. Von mir geht die Bestellung ans Gouvernement, von da an die Kolonialabteilung und von ihr an eine bestimmte Berliner Apotheke, die kontraktlich allen Bedarf für die Schutzgebiete liefert, ganz gleichgültig, ob es Krankenbetten, Glaswaren, chirurgische Artikel, eine Eismaschine oder Arzneien sind. Ihre Preise sind ganz enorm. Bei direktem Bezuge der Kolonie aus der Fabrik oder durch Ausschreibung könnten allein für unser Ländchen jährlich einige tausend Mark gespart werden.

Bei den Konservenbestellungen ist es ebenfalls unmöglich, den durchschnittlichen Bedarf vorher annähernd richtig festzulegen, denn die Krankenzahl des Hospitals schwankt ganz erheblich. Aber hierbei können wir uns besser helfen; denn bekommen wir zu wenig, können wir aushilfsweise in den hiesigen Faktoreien dazukaufen, bekommen wir zu viel, können wir von unserm Überflusse abgeben. Die Proviantlieferungen sind durchweg gut und im Preise nicht zu hoch. Das einzige, was einem bisweilen Ärger dabei verursacht, ist, daß die Sendungen, ehe sie in unsern Besitz gelangen, beraubt werden. Wo diese Beraubung geschieht, und wer sie vollführt, wird schwer festzustellen sein. Es könnte durch Schwarze während der Seereise des Dampfers geschehen; denn jedes Woermannschiff nimmt auf der Fahrt an hundert Kruneger als Arbeiter an Bord. Aber die raffinierte Art und Weise dieser Stehlereien läßt mich vermuten, daß sie nicht von Negern und nicht auf der Dampferfahrt, sondern eher von Weißen in den Hamburger Lagerschuppen verbrochen werden. Die bestohlenen Kisten sind ganz sorgfältig geöffnet und wieder verschlossen, und meist ist aus ihnen mit vielem Verständnis gerade das herausgesucht, was für einen europäischen Gaumen schmackhaft ist. Unser geringer Vorrat von Wein und Sekt wird gern einer gründlichen Probe unterzogen, Bier schon seltener, und die kondensierte Milch wird völlig mit Verachtung gestraft. Bei den Konserven bleiben die Gemüse immer unberührt, während Kaviar und Lachs ihre Liebhaber finden. Um das Gewicht der Kisten wieder voll zu machen, sind uns leere Flaschen mit schmutzigem Wasser nachgefüllt worden, auch Steinkohlen hat man uns schon als Quittung für den Diebstahl beigelegt.

Haben wir die Schätze glücklich in unsern Vorratsräumen, so sind sie dort auch noch nicht ganz sicher. Von Menschenhand sind sie dann zwar nicht mehr bedroht, wohl aber von Ratten, Ameisen und Küchenschaben. Letztere (hier Kukurutschen genannt, wohl eine Verballhornisierung des englischen cockroaches) scheinen im afrikanischen Klima an Zahl und Größe besonders gut zu gedeihen und gefährden nicht nur alles Eßbare, sondern auch unsere Wäschebestände. Um sie auszurotten, haben wir, abgesehen von anderen Mitteln, neuerdings eine »Fetischschlange« in Tätigkeit treten lassen. Es ist dies eine in der Zeichnung dem Python ganz ähnliche, an Wuchs aber kleinere, ungiftige Schlange, die im Fetischkult der Küstenneger eine große Rolle spielt; kein Neger wagt sie zu töten. Ein solches Tier setzen wir in den Wäscheschrank und in den Vorratsraum, wo es tatsächlich Jagd auf die ungebetenen Gäste macht.

Mir scheint es, als ob hier die ganze Tierwelt aufdringlicher oder weniger menschenscheu sei als zu Hause. Die Ratten zeichnen sich durch besondere Frechheit aus; mit großer Vorliebe tummeln sie sich nachts auf meinem Waschtische und fressen als offenbare Delikatesse die Seife weg. Einmal wachte ich kürzlich sogar dadurch auf, daß eine von ihnen, die sich unter mein Moskitonetz eingeschlichen hatte, ganz dreist anfing, meine Zehen zu benagen. Wir wollten ihnen schon früher einmal mit Strychnin zu Leibe gehen, aber vergiftete Strychninbrocken zu legen, ist bei dem lebhaften Verkehr im Krankenhause nicht unbedenklich. Das erste Opfer war damals auch nicht eine Ratte, sondern der Hund eines Europäers. Katzen sind gegen die Rattenplage hier nicht recht zu brauchen, weil sie – ebenso wie die Hunde – sehr bald im Tropenklima ihr Temperament verlieren, faul werden und obendrein an allen möglichen Krankheiten leiden. Tagsüber besuchen uns in den Zimmern höchstens die zierlichen Eidechsen; aber sobald es dunkel wird, mehrt sich die Zahl der Gäste: Moskitos, Nachtschmetterlinge, die oft zu Hunderten an den Decken und Wänden der Veranda und der Stuben sitzen; selbst Fledermäuse haben wir mit dem Schmetterlingsnetz schon in unseren Räumen gefangen, und unlängst flog sogar eine schöne, große Schleiereule gerade während des Abendbrotes gegen die Hängelampe unseres Eßzimmers an. Ich schloß rasch die Türen und fing sie; mit dieser Post soll ihr Balg neben einer Anzahl anderer auf der Jagd erbeuteten Vögel abgehen.


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