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Aus meinem Krankenhausleben

Kleinpopo, 9. Mai

Meine liebe Frau!

So, nun sind wir über den Berg, die erste Hälfte der anderthalbjährigen Dienstzeit liegt hinter uns; hoffentlich verläuft die zweite ebenso glatt für Euch daheim wie für mich hier draußen. Die ursprüngliche Heimat ist eine Mutter, sagt ein Sprichwort, die zweite eine Stiefmutter, aber es gibt auch gute Stiefmütter, wie ich sehe; Togo läßt sich wirklich liebgewinnen, und das Liebste am ganzen Lande ist mir unser Nachtigal-Krankenhaus. Zwei wichtige Neuerwerbungen haben wir in den letzten Wochen für dasselbe gemacht: eine, die hoffentlich seinen materiellen Wert, eine andere, die seine ideelle Bedeutung erhöhen wird.

Erstere besteht in einem schönen, neuen, großen Kochherde, der nach vielem Hin- und Herschreiben endlich aus Deutschland eintraf und seinen alten, qualmenden und rußenden Bruder, der uns gar manche Mahlzeit verärgerte, verdrängt hat. Die starken Bretter der Riesenkisten, in denen er sorgsam verpackt war, gaben mir gleichzeitig Gelegenheit, das eine meiner drei Zimmer, das fast leer stand, mit einigen primitiven Möbeln auszustatten. Ein schwarzer Zimmermann hat nach meinen Angaben und unter meinen Augen mehrere ganz brauchbare Stücke, darunter sogar einen Schreibtisch, gezimmert, so daß der Raum jetzt wenigstens den Eindruck eines bewohnbaren Zimmers macht. Der einzige Fehler, der diesen neuen Kunstwerken anhaftet, ist der, daß wir sie in Ermangelung von Beize mit Ölfarbe anstreichen mußten.

Die zweite Eroberung ist ein Denkmal, ein wirkliches, stattliches Denkmal, das erste, das in Kleinpopo errichtet werden soll zum Andenken an unsern ersten Regierungsarzt, Oberstabsarzt Wicke, der im Jahre 1899 nach elfjähriger Tätigkeit hier starb. Die Kosten sind teils vom Nachtigalverein in Berlin, einem Verein für vaterländische Afrikaforschung, teils von den Freunden des Verstorbenen, teils von dankbaren Patienten Togos und seiner englischen und französischen Nachbarkolonien aufgebracht worden. Selbst hiesige Schwarze haben namhafte Beträge gespendet! Der zuerst genannte Verein hat auch die Aussendung des Denkmals bewerkstelligt. Es kam mit einem Begleitschreiben der Kolonialabteilung an, in dem scharf betont ist, daß keine Unkosten aus amtlichen Mitteln bei seinem Aufbau entstehen dürfen. Angesichts der langen, verdienstvollen Arbeit des Verstorbenen, der unter Weißen und Schwarzen weit über die Grenzen unserer Kolonie hinaus sich großen ärztlichen Ansehens und ebenso großer persönlicher Beliebtheit erfreute, mutet mich diese Ablehnung seltsam an. Wie ich den gewünschten amtlich »kostenlosen« Aufbau bewerkstelligen soll, weiß ich zur Zeit noch nicht Die für Landungsgebühren, Fundament, Baugerüst und Arbeiterlöhne später entstandenen Ausgaben von 3–400 M. wurden durch freiwillige Beiträge der Beamten Togos gedeckt..

Vorläufig bin ich aus einem andern Grunde leider nicht imstande, mich an diese Aufgabe zu machen, denn bei der Landung des Denkmales ist uns ein ärgerliches Mißgeschick zugestoßen. Das ganze Denkmal besteht aus einzelnen Blöcken weißen Granits, die nach den übersandten Plänen und Zeichnungen zu einem massiven Unterbau zusammengefügt werden müssen. Auf diesem sich nach oben leicht verjüngenden Unterbau tragen vier Säulen eine mit einem Kranze gekrönte Kuppel; auf seiner Vorderseite wird eine Bronzetafel mit dem lebensgroßen Brustbilde Wickes eingelassen. Das ganze Monument wird die stattliche Höhe von 5 m erreichen. Das Gesamtgewicht der einzeln verpackten, größeren und kleineren Granitblöcke beträgt über 400 Zentner. Nun waren die meisten dieser Einzelteile nicht größer, als daß sie bequem in ein Landungsboot aufgenommen werden konnten. Nur die obere, aus einem Stück gehauene Deckplatte erreichte das Gewicht von 40 Zentnern und damit gerade die äußerste Grenze der Tragfähigkeit eines solchen Bootes.

Zunächst kostete es lange Verhandlungen mit dem Kapitän des Dampfers. Ich erbot mich, innerhalb eines halben Tages aus Balken ein breites Floß bauen zu lassen; aber das Anerbieten wurde nicht angenommen, weil der Dampfer nicht so lange warten konnte. Die See war überdies schlecht, die Brandung sehr hoch. Als schließlich der große Block unbefestigt quer über ein Boot gelagert, sich der Brandung näherte, sah ich schon von Ferne mit Bangen die Unruhe der schwarzen Bootsleute. Sobald sie in den ersten Brecher gekommen waren, verloren sie die Gewalt über das Fahrzeug, sprangen ins Wasser und überließen es seinem Schicksal. Noch einige Brandungswellen gingen darüber hinweg, dann schlug es ungefähr 50 m vom Ufer entfernt um, und der Block versank.

Ich konnte einstweilen nichts anderes tun, als die Stelle, an der er unterging, am Lande genau zu markieren, im übrigen müssen wir abwarten, ob bei einer ausnahmsweise tiefen Ebbe wieder etwas von ihm sichtbar wird. Ein anderes Boot mit sechs kleineren Stücken schlug ebenfalls um; doch es glückte den Schwarzen, diese durch Tauchen wieder heraufzubefördern. Jetzt liegen vorläufig alle gelandeten Blöcke vor dem Krankenhause am Strande, bis es uns entweder gelingt, die fehlende Platte aus ihrem nassen Grabe zu heben, oder bis wir Ersatz aus Deutschland bekommen Einige Wochen später wurde zur Zeit der Ebbe eine Ecke des Blockes sichtbar. Es gelang, Schienen unterzuschieben, ein Drahtseil umzulegen und durch einen Vorspann von vier Ochsen der hilfsbereiten Plantage Kpeme, verstärkt durch 50 schwarze Gefangene aus Sebe, ihn aufs Trockene zu bringen..

Zu den Krankenhausgeschäften kommt in letzter Zeit noch die vertretungsweise Erledigung bezirksamtlicher Angelegenheiten, soweit sie keinen Aufschub gestatten; v. R. muß oft auf Reisen sein, teils in seiner Eigenschaft als Bezirksamtmann, teils als Bezirksrichter. Ich selbst mußte kürzlich zweimal nach Porteseguro gondeln, wo ein vom Hinterlande zugewanderter Eingeborener an Pocken erkrankt liegengeblieben war, so daß die schleunige Durchimpfung des ganzen Ortes nötig wurde. Die Meldung des Pockenfalles kam durch Vermittelung der katholischen Mission, die dort eine Niederlassung hat.

Ich reiste sofort hin, suchte, vom Missionsbruder N. geführt, den Kranken auf, sorgte für seine Isolierung und verhandelte mit dem Häuptling des Ortes »King Mensah« und seinen Dorfältesten darüber, daß gleich am nächsten Morgen alle anwesenden Einwohner zum Impfen antreten sollten. Die Verhandlungen fanden im sauber eingerichteten Hause Mensahs statt, der ein intelligenter Mensch zu sein scheint. Er spricht fließend französisch, die Frucht eines früheren, längeren Aufenthaltes in Marseille. Auch sonst machte er mir einen sehr sympathischen Eindruck. Um so mehr tat es mir deshalb leid, eine von ihm angebotene Erfrischung, die er »Champagne d'Afrique« nannte, eine bedenkliche Mischung von Pilsener Bier und brausender Zitronenlimonade, ablehnen zu müssen. Tags darauf machte ich in Begleitung Dovis die Tour (3 ½ Stunden Entfernung auf der Lagune) noch einmal und impfte unter seiner Assistenz die erschienenen Schwarzen, über 400 an der Zahl. Die dabei verwendete Lymphe hatte ich selbst gewonnen.

Die im Oktober vorigen Jahres begonnenen Versuche zur Lymphgewinnung habe ich bisher ununterbrochen fortgesetzt; anfänglich schlugen manche von ihnen fehl, auch äußere Schwierigkeiten waren zu überwinden; aber jetzt darf ich wohl hoffen, daß es keine Mühe haben wird, wirksame Tropenlymphe in Togo selbst herzustellen. Um die Dauer ihrer Wirksamkeit und die Möglichkeit ihres Versandes zu prüfen, habe ich auch ins Hinterland größere Probemengen verschickt und will auch an Dr. Z., den Regierungsarzt Dualas in Kamerun, in nächster Zeit Proben verschiedenen Alters schicken. Wir sind ja in unseren äußeren Hilfsmitteln auf das einfachste angewiesen, die schönen komfortablen Einrichtungen unserer modernen heimischen Lymphanstalten fehlen uns natürlich; aber es muß vorläufig auch ohne sie gehen. Bis Juli sollen die Versuche noch weiter fortgeführt werden, dann will ich ihr Ergebnis einmal zusammenstellen und sehen, ob sich nicht eine allgemeine Durchimpfung des Landes ermöglichen läßt; denn es sterben im Hinterlande jährlich Tausende an den Pocken, wie mir erst kürzlich wieder Dr. K., mit dem ich in Kpeme zusammentraf, versicherte Ausführliche Berichte über die Lymphgewinnung und die Pockenbekämpfung in Togo finden sich veröffentlicht im Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene, Bd. VII und Bd. IX..

Dovi, Heinrich und August haben es alle sehr bald begriffen, sachgemäß die nötigen Hilfeleistungen beim Impfgeschäft auszuführen, das wir – nachdem das Kalb auf weichem Sande gestürzt ist – im Gemüsegarten unter dem Schatten einer hohen Kasuarine vornehmen. Die nötigen Kälber bekomme ich sogar kostenlos von den schwarzen Herdenbesitzern geliehen, wohl in dem Glauben, daß durch die an ihnen vorgenommene Impfung irgendein Schutz gegen Tierkrankheiten zustande kommt. Für August sind die Impftage geradezu Festtage, und das Stürzen der Tiere, ihre Säuberung, die Beaufsichtigung ihrer Fütterung usw. scheint ihm besondere Freude zu bereiten. Er ist wohl überhaupt der schlauste unter unseren schwarzen Angestellten, leider nicht der zuverlässigste, so daß er ab und zu einer ernsten Lektion bedarf. Ein beliebter Trick von ihm ist der, daß er sich von Zeit zu Zeit einen arbeitsfreien Nachmittag zu verschaffen sucht. Zu diesem Zwecke kommt er gewöhnlich mit einem tieftraurigen Gesichte an und erzählt eine lange Geschichte von einem schwerkranken »Bruder«, den er unbedingt besuchen müsse. Seitdem das nicht mehr wirkt, hat er mehrere Brüder auch schon sterben lassen. Jedenfalls übertrifft er aber an Anstelligkeit und Geschicklichkeit in der Arbeit alle übrigen, namentlich in der Hilfeleistung bei Schwerkranken. Besonders gern erkundigt er sich morgens beim Säubern der Krankenzimmer nach dem Befinden der Patienten und bringt mir vor der Visite schon ausführlichen, Bericht über ihren Zustand und ihre Wünsche. Da er das Deutsche noch nicht völlig beherrscht, laufen ihm freilich allerhand Verwechslungen unter. Kürzlich z. B. meldete er mir, ein Schwerkranker wünsche zwei Beefsteaks. Ich war überrascht durch diese an sich hocherfreuliche Appetitäußerung, doch als ich mich selbst erkundigte, hatte der Patient um zwei Biskuits gebeten.

Die Photographien, die ich Dir diesmal mitschicke, sind nur zum Teil von mir selbst aufgenommen, der Rest stammt von einem Mulatten Herpin, einem dankbaren Patienten. Auf den Bildern unseres kleinen Tiergartens beachte die größte der Schirrantilopen! Sie trägt nämlich einen regelrechten Gipsverband. Eines Morgens herrschte große Trauer im Krankenhause, denn »Kasper« lag mit gebrochenem Unterschenkel im Stalle, sei es, daß ihn eine Wildkatze über Nacht gehetzt hatte, oder daß er aus sonst einem Grunde scheu geworden war; jedenfalls hatte er einen doppelten Beinbruch, wahrscheinlich durch Hängenbleiben im Staket der Umzäunung davongetragen. Ich wollte ihn eigentlich durch einen Schuß von seinen Schmerzen befreien, aber auf vieles Bitten der Schwestern entschloß ich mich, den Versuch einer Einrichtung und eines Verbandes zu machen, ohne eigentlich selbst Hoffnung auf Erfolg zu haben. Es ging jedoch besser, als ich dachte. Die Schwarzen hielten die Antilope auf einem Bündel Stroh fest, und mit Hilfe von Schwester J. wurde ein kunstgerechter, durch Schusterspahn verstärkter »Gehverband« angelegt, in dem sie sehr bald wieder umherlaufen konnte. Vorgestern haben wir ihn abgenommen, und der Bruch ist recht gut darunter verheilt. – – –

 

15. Mai

Aus dem benachbarten Porteseguro wurde mir heute morgen ein Schwarzer zugeführt, den ein Krokodil durch einen Biß ins Bein schwer verletzt hatte. Fast die gesamte Wadenmuskulatur war ein Opfer des Bisses geworden. Es ist dies der erste derartige Fall, den ich hier erlebe. Auch nach den Erzählungen der Eingeborenen kommt es trotz der Häufigkeit der Krokodile in der Lagune nur selten vor, daß ein Mensch von ihnen verletzt wird. Es scheint mir, als ob gerade das Krokodil ein besonders auffälliges Beispiel dafür bietet, daß die Lebensgewohnheiten einer und derselben Tierart längst nicht an allen Orten ihres Vorkommens die gleichen sind.

Gerade das Krokodil wird von den meisten Beobachtern, darunter auch sicher zuverlässigen, als ein hinterlistiges, raub- und angriffslustiges Tier geschildert. Unser Lagunenkrokodil – crocodilus niloticus – ist alles andere als dies. Hier hat man sehr häufig Gelegenheit, teils im Wasser, teils auf dem Lande seine Gewohnheiten zu beobachten. Geht es an Land, so scheint sich's nie allzuweit vom Wasser zu entfernen, oft schläft es so fest am Ufer, daß man sich ihm auf wenige Schritte nahen kann. Ich habe selbst mehrmals auf eine Entfernung von 20-30 Metern auf sie geschossen, ohne daß der Knall sie veranlaßt hätte, ins Wasser zu gehen; sie warteten ruhig einen zweiten Schuß ab. Schießt man zu kurz, so werden sie durch das aufspritzende Erdreich geweckt und gleiten ins Wasser. Oft liegen sie paarweise in ihrem Sonnenschlafe. Ich glaube, daß sie mit Vorliebe für ihre Sonnenbäder immer wieder denselben Platz aufsuchen. An einigen Stellen des Lagunenufers traf ich fast regelmäßig immer wieder dieselben Tiere, kenntlich an ihrer Größe, an. Sie scheinen nur ausnahmsweise den Menschen zum Ziele ihres Angriffes zu wählen, und die Neger fürchten sich im allgemeinen nicht vor ihnen. Ich sah wiederholt Schwarze in der Lagune waten und in aller Ruhe mit ihren Fischnetzen hantieren, während in kurzer Entfernung davon Krokodile am Lande lagen. Ich glaube, daß ihnen der große Fischreichtum der Lagune mühelos so viel Nahrung bietet, wie sie brauchen, so daß sie andere Beute verschmähen. Ganz entgegengesetzt lauten z.B. die Schilderungen aus Ostafrika, nach denen es häufig aus dem Hinterhalte Menschen überfällt, und ich entsinne mich, daß auch französische Ärzte über die Häufigkeit und Bösartigkeit der Krokodilbisse auf Madagaskar berichten.

Gerade aus diesem Beispiel des Krokodils geht hervor, wie verschieden der Charakter – sit venia verbo – eines Tieres sein kann. Es folgt ferner die Lehre daraus, wie vorsichtig man beim Aufstellen biologischer Resultate und ihrer Verallgemeinerung sein sollte; denn wie das Krokodil, so werden,sicher eine große Anzahl anderer Tiere unter ostafrikanischen und ostindischen Bedingungen ganz andere Eigenschaften entwickeln als hier in Westafrika.


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