Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

25

Auf Hinnerks Moorwiese weidete Jungvieh. Die vom Regen geschwollenen Gräben begannen aus den Ufern zu treten; Hinnerk öffnete, kurz entschlossen, den Schlagbaum und ließ es darauf ankommen, ob die von dem Wasser in die Enge getriebenen Tiere den Weg nach Hause finden würden. Er beging und besah seine und der Nachbarn Wiesen, ob wohl für diesen Herbst auf weitere Ausnutzung des Weidegrundes zu rechnen sei. Und dann kehrte er nach der Heitmannwohnung zurück.

Der Geistliche trat gerade aus der Tür. »Ich habe seine letzten Seufzer gehört«, sagte er. »Er hat mir sein Innerstes geöffnet. Sie können es überall erzählen. Er hat unter dem Gerücht unschuldig gelitten, er hat mit dem Mädchen in dem Sinne nichts zu tun gehabt. Und daß das wahr ist, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Am Rande der Ewigkeit lügt man nicht – am wenigsten ein Mann wie der.«

Diese Gnaden- und Freudenbotschaft wirkte bei Hinnerk wie ein Donnerschlag. In allen Gewissensängsten war es ihm eine Art Trost gewesen, einen Dorfsgenossen in der Hölle zu haben. Nun sah er diesen Glücklichen in die Sphären der Seligen entrückt, nun war sein eigenes Los um so entsetzlicher. Und tief empfand er seine Unzulänglichkeit hüben wie drüben. Alles, was er tat und dachte, geschah zu seinem eigenen Nutzen, zu eigenem Frommen, aus Furcht allein war sein Wille und war sein Wesen weich. Dein Reich komme! Erst, wenn man das Gute denkt und tut, weil man nicht anders kann, so hatte der Propst gepredigt, dann erst ist das Reich Gottes da. Für ihn lag es in nebelhafter Ferne.

Hein Möller nahm den Pferden die Decken ab, der Geistliche bot Hinnerk auch für die Rückfahrt nach Westerhusen einen Platz im Wagen an, der Bauer kroch ohne Dank hinein. Seine Unbeholfenheit und Unhöflichkeit war ihm dabei halb bewußt, aber er fand kein passendes Wort. Und als er saß, vergrub er sein Gesicht in beide Hände.

Der Propst wunderte sich. »Stand Ihnen der junge Mann so nahe?« fragte er.

Schluchzen lief durch die harte Bauerngestalt – Hinnerk Schmidt weinte.

»Fassen Sie sich, Schmidt«, ermahnte der Propst. »Ich weiß nicht, was Sie so erschüttert. Sterben ist Leben, der junge Dulder ist bei Gott.«

Hinnerk Schmidt gab sein Gesicht frei, seine Züge waren vor Weinen verstört.

»Das ist es«, schluchzte er, »ich weine ja nicht um ihn, ich weine um mich. Ich tu alles, was ich tu, um mich selbst. Wenn doch Gottes Reich zu mir käme!«

»Wenn Sie so darum bitten, dann kommt es sicherlich«, war die Antwort. »Aber sagen Sie, was bewegt Sie so?«

»Herr Propst, ich will es Ihnen sagen. Klaus hat einen Eid geschworen und kann damit vor Gott bestehen. Ich habe auch einen geschworen, damit werde ich nicht bestehen, denn mein Eid ist ein falscher gewesen.«

Der alte Herr war ganz verstört, schlug die Hände zusammen. »Aber, Schmidt! Was ist? Sagen Sie!«

Da fing der Bauer von Westerhusen an zu erzählen. Aber was er vortrug, war noch durcheinander gerüttelt, das Maß seiner Fehle trat nicht klar hervor.

»Mein lieber Schmidt«, unterbrach der Seelsorger, »ich sehe nicht klar. In Ihrer Vorstellung halten Sie, wie mir scheint, jetzt vieles für bösen Willen, was damals, als Sie schworen, Irrtum und Unwissenheit, vielleicht frevelhafter Irrtum, aber doch wohl ein Irrtum war. Für heute wollen wir es gut sei lassen, morgen erwarte ich Sie in meinem Hause; da wollen wir es gründlich durchsprechen. Inzwischen unterreden Sie sich mit dem ewigen Vater und bleiben Sie fest auf dem Pfad, den Sie jetzt gehen. Wahrheit, schonungslose Wahrheit gegen sich, sei Ihre Richtschnur, die Gnade Gottes Ihr Ziel, und immerdar leuchte es vor Ihren Augen! Und wenn Sie die Buße jetzt auch zu Ihrem eigenen Nutzen und aus Furcht tun – schließlich handeln Sie doch noch mal aus eigenem Wesen heraus nach Wahrheit und nach Liebe und Güte. Dann lieben Sie Ihren Nächsten wie sich selbst und Gott über alles. Und Gottes Reich ist in Ihnen. Es kommt ja nicht mit äußeren Gebärden, still kommt es und sanft, und mit leisen Schritten wird es auch bei Ihnen einkehren.«


 << zurück weiter >>