Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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19

Das amerikanische Ehepaar machte Besuche in der Umgegend und kehrte immer wieder nach Westerhusen, wo sie ruhig und still bewirtet wurden, zurück. Und keiner schien an den Punkt zu denken, der Hinnerks Sorge ausmachte. Und schließlich rüstete man zum Abschied, und noch immer war kein Wort über Peters Nachlaß und darüber, wie man teilen wolle, gesprochen worden.

Der Wagen war angespannt, und Hans und Anna im Begriff, ihren Fuß auf den Tritt zu setzen. In Rock und Hut und Mantel standen sie in der Stube. Da fing Anna an: »Hinnerk, wir haben noch nicht darüber gesprochen, aber Peter hat ja noch ein bißchen Sachen nachgelassen. Wir haben sie besehen.«

Hinnerk Schmidt schloß schweigend die Schatulle auf und legte die Abschrift des Nachlaßverzeichnisses auf den Tisch. »Dor is dat«, sagte er dann.

Das Papier blieb unberührt. »Wenn das die Abschrift vom Gericht ist, die haben wir auch bekommen. Es ist ja alles taxiert, und die Taxe nehmen wir an. Und wenn du die Sachen für die Taxe haben willst, dann ist es gut.«

»Das ist mir recht«, entgegnete Hinnerk.

»Und auch die Hypotheken, denn kannst du ja unsern Part in Geld ausbezahlen.«

»Wenn es nicht auf den Stutz zu sein braucht, will ich es gern tun.«

»Auf den Stutz ist es nicht nötig, Bruder«, nahm Hans das Wort. »Advokat Rau hat meine Vollmacht. Bezahl an ihn, wie es dir paßt.«

Ein Advokat dazwischen, das war Hinnerk. freilich nicht recht, aber er antwortete ruhig: »Schön, denn weiß ich ja Bescheid.«

»Ja und denn ...« sagte Anna.

»Ja und denn ...« fiel Hans ein.

»Laß mich«, entschied Anna, »ich will es sagen. Du hast es nicht so mit die Wörtern, kannst dich nicht so verdeffendieren.«

»Wir meinen, Hinnerk, da ist ja noch Geld, was Peter in der Lotterie gewonnen hat ...«

Hinnerk hatte es heraufkommen sehen, er dachte an Karl Ohm Schnoor und – schwieg.

»Ich meine, da müssen wir doch auch unsern Part von abhaben.«

»Ja, das mein ich auch«, fiel Hans ein und fing an, auf und ab zugehen.

»Hans«, erwiderte Hinnerk, »ich wollte mich eigentlich nicht darüber aussprechen, will aber auch keinen Unfrieden mit euch haben. Deshalb sage ich soviel: Es ist wahr, Peter hat Geld gewonnen.«

»Wieviel ist es?« fragte Hans.

»Es ist nicht grad wenig«, war die Antwort. »Aber das ist einerlei, denn es ist bei Lebzeiten verschenkt, da ist nichts von im Nachlaß.«

Anna faßte ihren Mann an der Schulter. »Hörst du, Hans? All das Geld ist verschenkt ...«

Die Augen der roten, magern Frau brannten. »Hab ich es nicht gesagt? Das wird herauskommen, Hab ich gesagt ... es ist verschenkt. Nicht wahr, Hinnerk. es ist an dich verschenkt? ...«

Hinnerk Schmidt schwieg, seine Schwägerin brach in ein hysterisches Lachen aus. »Verschenkt?« schrie sie. »Kann es nicht auch gestohlen sein?«

Hans verwies es ihr. »Lat!« sagte er. Aber sie kehrte sich nicht daran.

Maleen hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, sie konnte das lange Stehen nicht vertragen. An sie wandte sich Anna.

»Maleen«, rief sie, Hinnerk hat seine Sprache verloren, hast du sie vielleicht gefunden? Was sagst du denn dazu, Maleen?«

»Das sind Männersachen«, antwortete diese, »da kümmere ich mich nicht um.«

Sie war ganz ruhig, um so wilder und zorniger lachte Anna.

Da trat ihr Mann fest auf. »Still!« befahl er. »Hinnerk und Maleen haben uns gut aufgenommen. Dafür sind wir ihnen Dank schuldig. Sie sind in ihrem Hause, da brauchen sie sich Auslachen und Ausschelten nicht gefallen zu lassen.«

»Sieh, Hinnerk«, wandte er sich an seinen Bruder. »Du sagst, du willst in Frieden mit uns auseinander. Sieh, das möchten wir auch. Du sagst, es ist verschenkt, willst nicht sagen, an wen, aber ich nehme an, es ist an dich verschenkt, und das wird denn auch wohl deine Meinung sein. Gut! Nun habe ich aber auch Verantwortung vor meiner Familie, hab wohl bißchen vor mich gebracht, bin aber nicht reich. Und hab fünf unversorgte Kinder. Du und Peter habt hier Freude und Leid miteinander getragen, das ist wahr, und ich war in Amerika und war euch ein Fremder, und was ich tat, mag für den, der nicht in die Sache hineinsah, sich nicht gut ausgenommen haben. Du sollst Vorzug haben, da will ich gar nicht dagegen sein, deshalb schlage ich vor, du zwei Drittel, ich ein Drittel. Nicht wahr, so wollen wirs machen. Ich will ja nicht auf den letzten Taler, auch nicht auf das letzte Tausend sehen, aber etwas wirst du mir doch abgeben wollen. Mach es mit Rau ab! Biete uns etwas, und wenn es nicht zu wenig ist, dann solls gut sein.«

Wenn Hinnerk nur ein bißchen mehr mit dem Mund voran gewesen wäre ... wenn es ihm nur gegeben gewesen wäre, zu zeigen, daß er treuen Worten den Zugang zum Herzen nicht versperre ... wenn er nur gesagt hätte, was er meinte: ›hab Dank, Bruder, ich wills in meinem Herzen bewegen und sehen, was sich tun läßt‹ ... wenn auch nur seine Frau etwas anders, etwas lebhafter, etwas mehr obenauf gewesen wäre, ihm das Wort weggenommen hätte – die Brüder wären wie Brüder, und die Frauen wie Schwestern auseinandergegangen. Das Samenkorn, das schon anfing zu keimen, wäre ein Friedensbaum geworden, aber Hinnerk Schmidt konnte nun mal nicht über seine Art hinweg, konnte nicht über seinen Schatten springen ... nicht das, was er so gern getan hätte, konnte nicht das sagen, was er so gern gesagt hätte, konnte gar nichts sagen ... er konnte nicht einmal durch sein Auge Kunde von seiner Gesinnung geben ... er konnte sich nur in ein sich düster und verstockt ausnehmendes Schweigen hüllen. Und Maleen fand es passend, just jetzt den Frühstückstisch abzukramen und zwischen Stube und Küche hin und her zu fallen.

In Betracht kam auch, daß des Bruders Antrag in Widerspruch stand mit der Unerbittlichkeit von Westerhusen, worin Hinnerk aufgewachsen war und noch immer lebte und webte. Das, was Hans vorschlug, war das nicht das Zugeständnis eines Unrechts? Zwei Drittel und ein Drittel? Eher hätte er dem Amerikaner schon den ganzen Betrag überlassen können, wenn dieser nur sein Recht anerkannte.

Die Amerikaner standen noch immer in Hut und Rock und Mantel. Sie waren zu lange von der Heimat weggewesen, hatten zu viel mit anders gearteten Menschen verkehrt, um den Bruder und Schwager zu verstehen. Eine ganze Minute warteten sie auf Antwort, und als nichts kam, da blieb für sie nur eine Auslegung.

»Ja, Anna, denn hilft es wohl nicht«, sagte Hans. Er reichte seinem Bruder die Hand. »Adjüs, Hinnerk! Dats n slimm Ogenblick! Adjüs, Maleen!« Er gab auch ihr die Hand. Maleen setzte eine Schüssel, die sie hinauszutragen im Begriff gewesen war, auf einen Tisch, wischte die Finger in der Schürze ab: »Adjüs Hans, und denn besäuk mal weller!«

»Ich hab schon Adjüs gesagt«, bemerkte Anna mit spitzem, scharfem Gesicht, »das ist schon abgemacht.« Damit ging sie aus der Tür.

Wenn nur das nicht hinzugekommen wäre! Gegen Hans ließ sich nicht viel sagen; der hatte seine Worte gut gesetzt, aber das scharfe, spitze, rachsüchtige Wesen der früheren Braut konnte Hinnerk nicht vergessen. Das stachelte ihn zum Eigensinn auf.

Maleen sagte nicht viel, die Silben, die sie, als der Wagen mit dem Besuch aus der Heckpforte herausgefahren war, sprach, ließen sich zählen, aber jedes trocken und dröhnig hin gesprochene Wort hatte einen Widerhaken. »Mich dünkt, Anna hat mehr Hitze in sich als Zeug an sich ...« Nach einer Pause: »Mit dem Adjüsgeben ist sie was sparsam, wenn sie im Hausstand ebenso sparsam ist, dann müssen gute Umstände bei ihr sein.«


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