Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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2

Ob Hinnerk das, was seine Kühe unterwegs vergeudeten sonst aufsammeln ließ, bleibe dahingestellt. An dem Tag, als er vor dem Justizrat am Hecktor den Deckel lüftete, hat er es nicht getan, an dem Tag schob er, als der letzte Kuhschwanz hineingezählt worden war, und die Milchmädchen mit Eimern und Kesseln zur Melkenriegel hinüberrasselten, die Karre auf die Hofstelle und ging in seine Wohnstube.

Seine Frau, die, wenn nötig war, beim Melken mit zugriff, war dabei, sich dafür zurechtzumachen. Aber Hinnerk sagte: »Laß, Maleen! Pack ein bißchen auf und mach schier! Klock acht kommt der Justizrat zu Peter, ich muß ihn reinnötigen.«

»So«, erwiderte seine Frau, »er kommt also wirklich. Das gibt viel Kosten und Stempel.«

»Wat wesen mutt, mutt wesen«, antwortete Hinnerk.

Maleen tat, wie ihr geheißen worden war, packte auf und nahm allerlei Schürzen und Unterröcke, die an den Wänden hingen, weg und trug sie nach der Kammer. Mit einem Fahrtuch kehrte sie zurück und fing an zu wischen.

Sie war eine rund – zu rund gewordene Frau, sprach mit müder Zunge und ging mit fallendem Schritt, hatte schwarzes, volles Haar und braune, müde Augen. Einstmals hatte sie gut ausgesehen, die schön geschwungenen Brauen, ein in dem immer verschleierten Blick zurückgebliebenes Etwas sprachen dafür, und die Hautfarbe immer noch frisch und rein.

»Je, Hinnerk«, entgegnete sie und trug ihres Mannes Sonntagshose, die hinter dem Ofen gehangen hatte, ebenfalls hinaus, »mut dat würkli wesen?«

Darauf antwortete Hinnerk nicht mehr.

Hinnerk Schmidt hatte keine Nachkommenschaft, er und Maleen waren Bruder- und Schwesterkinder, sie hatte ihm den Hausstand geführt. Geheiratet hatte er sie erst, als ihm die ärgerliche Geschichte mit der Rühmanndeern passiert war. Die Rühmann hatte bei ihm als Mädchen gedient. Sinnlich und sittlich hatte Hinnerk sich immer in Schranken gehalten, für die vollblütige Rühmann hatte er nun gar nichts übrig gehabt, aber das mannstolle Frauenzimmer war in seine Stube gekommen.

Über alle Augenblicke seines Lebens glaubte er einigermaßen vor Gott und vor sich selbst bestehen zu können, jener Stunde schämte er sich von Grund aus, und seine Scham kannte keine Grenzen, als er schließlich über die letzten Gründe der Rühmann ins klare gekommen war.

Aber da half es denn nicht, da zog er, um so wenig wie möglich bei der schmutzigen Geschichte genannt zu werden, um, soweit es möglich war, bei sich selbst sofort von der Sache loszukommen, da zog er den Beutel und legte der alten Rühmann, die übrigens eine wahre Megäre war und wie eine Megäre die aus der Liederlichkeit ihrer Tochter erwachsenden Ansprüche vertrat, der legte er blanke tausend Mark auf den Tisch und ließ sich dafür einen Schein unterschreiben, daß sein Name bei der Sache nicht genannt werden solle. Einen solchen Schein hielt Hinnerk für rechtsverbindlich, die beiden Damen Rühmann glücklicherweise auch.

Es ist eine böse Sache gewesen, sie hat aber gute Folgen gehabt. Als Hinnerk um Tausend leichter aus der Rühmannkate zurückkehrte, ging er in die Kammer seiner Haushälterin Maleen, erzählte ihr offen, was geschehen war, und fragte sie, ob sie seine Frau werden wolle. Da dauerte es nicht lange, und Hinnerk mitn Fellerbüdel schlief gesichert vor Überfällen unter eheweiblichem Schutz.

Hinnerk hatte auf Maleens Frage, ob es wirklich sein müsse, nicht geantwortet, das war seine Gewohnheit, wenn ein Einwurf zu überlegen war. Seine Frau wußte das und nahm sein Schweigen nicht übel. Sie wischte in der Stube herum und wischte weiter, als Hinnerk Schmidt nach seiner Mütze griff.

»Wullt röwer na Kat?« fragte sie.

Das Gartenhaus, worin der kranke Bruder wohnte, war rechtlich ein Zubehör der an Hinnerk gefallenen Landstelle. Zur Wohnung für Menschen eingerichtete Nebengebäude fallen unter den Gattungsbegriff ›Kate‹.

»Wullt na Peter?« wiederholte sie.

»Ja«, erwiderte ihr Mann, die Mütze in der Hand.

»Von wegen des Testaments?«

»Ja.«

»Sollte es nötig sein?«

»Das ist doch.«

»Es gibt viele Kosten, und es ist jeden Tag was zu bezahlen.«

»Das magst wohl sagen, aber da ist doch wohl nichts beizumachen.«

»Du mußt wissen, Hinnerk«, erwiderte sie und stand, das Wischtuch in der Hand. »Früher habt ihr es nicht für nötig gehalten. Es gibt Kosten und Stempel und auch noch Steuer; zu bezahlen ist jeden Tag, und mein seliger Vater pflegte zu sagen: Afkaten und Uhrmakers, wenn die einem begegnen, denn man forts dörchn Knick!«

Maleen sprach selten so viele Worte auf einmal, und auf Erzählungen und Gleichnisse ließ sie sich selten ein. Die Rede machte ihren Mann nachdenklich, er nahm langsam seine Mütze und sagte halb für sich und halb zu Maleen: »Je, noch weer t Tied.« Und dann ging er aus der Tür, den Kranken aufzusuchen.


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