Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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9

Mein lieber Friedrich! Freund Hein, der alte Sichelmann, hat um mich herum so gründlich aufgeräumt, ich habe so oft seine Bekanntschaft machen müssen, daß ich ihn füglich zu meinen Freunden rechnen darf. Im Traum sehe ich ihn oft, und stets ist er bereit, seine Gestalt zu wandeln und zu wechseln. Ich sehe ihn als ernsten Bootsmann, die Sturmhaube auf wettergebräunter Stirn, wie er den Nachen vom Lande stößt, als blasenden, mit flotter Hahnenfeder geschmückten Postillon, der mit gelassener Hand feurige Rosse zügelt, als Hofarzt und bebrillten Geheimrat, der uns das ewige Schlafmittel verschreibt und den Streusand über sein Rezept schüttet. Niemals aber sah ich das klappernde Knochengerippe, womit man die großen Menschenkinder schreckt.

Stets hat er für mich einen freundlichen Gruß, und wenn ichs recht verstehe, so bedeutet das Nicken: Geduld, lieber Freund, vorderhand habe ich noch andere Passagiere. Aber dereinst wirst auch du mit mir die Reise in die ewigen Weidegründe antreten; dann darfst du deine Lämmer in Frieden hüten.

Du hast jetzt alles gelesen, was ich aufschrieb, ich teilte Dir auch das Trauerspiel von Birkenrade ausführlich mit. Meine Sophie fanden wir am Strand, ihr Antlitz gab Zeugnis von dem Frieden, mit dem sie dahingegangen war. Fast ergrimmte ich über die melancholischen Möven, deren Klagelieder der Wind zerfaserte.

Die Verblichene ruht an der Seite ihres Kindes, und nicht weit davon schläft der tolle Jäger – in Frieden. Die Friedensglocken des neuen Turmes taten ihr Bestes, die Kirche sprach ihren Segen über die Gräber; wir Zurückgebliebenen weinten ihr das Herzeleid nach, womit wir Menschen unsern eigenen Schmerz so gern beklagen.

Ein stilles Wäldchen umrahmt den Friedhof, und fröhliche grüne Buchen beschatten das Grab meiner Freundin und eine benachbarte stille Gruft. Von diesem Grabe habe ich nur ein Wort zu sagen: dort ruht – meine Mutter. So weiß ich denn auf engstem Raume, was mir lieb und teuer war.

Es ist mir, lieber Freund, nicht leicht geworden, mein sicheres Gefühl der Verantwortungslosigkeit wiederzugewinnen. Ich habe Dir nichts verhehlt. Du weißt, wie es um mich stand, was ich verloren habe. Du kannst beurteilen, inwieweit ich mich, sozusagen, schuldig gemacht habe. Lange, lange Zeit hindurch wollte ich mich, der Rahel des Evangelisten gleich, nicht trösten lassen, die Pflege meines Schmerzes und meines Schuldgefühls war mein Lebenszweck, war meine Freude.

Aber ich habe es überwunden, die alte Weltanschauung ist wieder mein eigen. Anfangs kam sie als schlichter und schlecht empfangener Gast, dem man den Platz am Herde versagt, dann kämpfte sie mit den Eindringlingen um die Herrschaft, endlich trieb sie Schuld und Reue mit Geißelhieben zum Tor hinaus.

So ist es mir gelungen, das Gedächtnis der Verstorbenen über eine Stimmung hinweg zu heben, die in dem Gleichnis dieser Welt befangen blieb. Wandele ich auch noch in dem Lichte irdischer Sonnen, so bin ich mir doch schon meines von Raum und Zeit losgelösten Wesens halb und halb bewußt. So rechne ich denn das Bewußtsein der Wesenseinheit mit ihr zu meinen stillen Freuden.

Ich entdeckte in mir Neigungen, die ich mit besserer Einsicht abzulegen hoffen darf. Selbst wenn die Wahl meines Charakters auf meine Rechnung zu stellen sein sollte, lebe ich der Zuversicht, einen Durchschnittszug getan zu haben, kann daher eine in dem allgemeinen menschlichen Los nicht beruhende besondere Veranlassung zu Vorwürfen nicht ermitteln.

Da entspreche ich denn auch Deinem Wunsche, mich der Welt wiederzugeben. Aber auch das ist für mich eine Begebenheit, die mir nicht mehr und nicht weniger zu Gunsten oder zu Lasten zu schreiben ist als die Eroberung Galliens durch Julius Cäsar. Der Gewinn meines hiesigen Aufenthalts soll mir nicht verloren sein. Und vielleicht zwingt mich doch noch einmal die Sehnsucht, zurückzukehren zu der herzlichen Freude, die Natur und Menschen mir gewährten. Danke ichs doch ihrem stillen Frieden, daß ich es vermochte, meine nach allen Richtungen der Windrose auseinandergehenden Neigungen zu sammeln.

Es ist ein bescheidenes Pfund, das mir gegeben, aber nicht länger will ich mich dem Befehl, damit nach Kräften zu wuchern, widersetzen.

Während Du diese Epistel liesest, rase ich auf dem Schienenstrang zu Dir. Und wenn Du das Gelesene überdenkst, schurren vielleicht schon meine Handewitter Bauernstiefel über die Treppenläufer, die in die elegante Wohnung des Professors führen.

Horch, schon klopfts!

Dreist und sicher, Naturbursche, ein bißchen zu sehr vielleicht, umarmt Dich

Rudolf, der mal Schulmeister von Handewitt war.


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