Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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7

Auf der Meinerskoppel riß nicht allein der neue Faden, es riß auch die alte Verbindung. Es ruhte ein eigentümliches Verhängnis auf der undichten Stelle im Knick der Meinerskoppel.

Der Steinhofbauer war nicht nach dem Zollhaus hinübergekommen, um sich mit dem Zollwirt in dessen Sommerroggen zu prügeln. Bewahre! Er hatte sogar gute Gefühle gegen das Zollhaus und namentlich gegen die Zollhaustochter, es war ihm den ganzen Tag so lieb, wenn er an Anna Hollings Gesicht dachte.

›Es wird nicht anders werden‹, sprach und dachte er weiter, ›sie wird meine Frau. Und es ist auch wohl das beste. Ich will mich Sonntag fein machen und sehen, mit Anna ins Gespräch zu kommen, ob sie mich wohl will.‹

Denkt ein Mann an ein Mädchen, so wie Hans Rohwer an Anna Holling dachte, dann wird er sich sicherlich bald verlieben. Er steckte schon halb drin in der Liebe, er blieb auch dann noch zur Liebe aufgelegt, als ihm die Nachricht gebracht worden war, die Kühe seien in Peter Hollings Sommerroggen. Peter war ja sein zukünftiger Schwiegervater. Verdrießlich war er wohl, er hatte doch ausdrücklich gesagt und Peter hatte versprochen, aber von Zorn wußte er nichts.

Aber das von dem Schütten verwandelte alles in gärend Drachengift. Wenn Peter ihn verklagt, ihn geschimpft hätte, das hätte nicht halb so schlimm gewirkt. Aber sein Vieh wegschütten, dabei hörte alles auf! Wann war das jemals vorgekommen? Alte Leute hatten es nicht selbst erlebt, hatten es höchstens von ihren Eltern und Voreltern gehört, gehört als ein Gerücht, da solle mal ein Lateinischer, der auf Hof Neuenrade gewohnt habe, der solle es mal getan haben. Aber unter richtigen Bauersleuten war es nie vorgekommen.

Das Gedächtnis der Vorgänge auf der Meinerskoppel hat sich lange erhalten. Wenn zwei Leute sich die Freundschaft wegen Sachen kündigen, die nicht lohnen, dann sagt man wohl: ›Das ist ein Streit wie um Peter Holling seinen Knick.‹ Wenn jemand mit dem Einsatz eines großen Guts kleinen unsicheren Hoffnungen nachjagt, dann spottet man: ›In Kisdorf schoß Klaus Dummerjahn mit Kartaunen nach einem Mückenschwarm, auf der Meinerskoppel wollte Peter Holling nicht dicht machen und verlor das Brückengeld. Wo war man nun am klügsten: in Kisdorf oder auf der Meinerskoppel?‹ Wenn große und zornige Worte mit einem Hitzkopf durchgehen, wenn die vollen Bauernfäuste auf den Eichentisch schlagen, dann ruft ihm ein Ruhiger, ein Friedliebender zu: ›Laß dirs nicht gehen wie Peter Zollhaus‹, oder: ›Über Knickendichten spricht man am besten sachte‹.

Wie sich der Vorgang in Peter Hollings Sommerroggen bis zu der Katastrophe steigern konnte, die die ruhigen Dorfleute so aufrüttelte, daß die Dorfväter den von uns berichteten Sühneversuch machten, das wollen wir so genau mitteilen, wie es einem aus den besten Quellen schöpfenden Geschichtsschreiber möglich ist.

 

Auf der Steinhöfer Meinerskoppel hatte das Kleinmädchen die letzten Kühe aus der Ecke geholt, sie zum Melken zusammenzutreiben. Da hat sie laute, zornige, scheltende Stimmen von der Zollhauskoppel herüber gehört. Peter hat geschrien, hat von seinem Recht und von Affkatenstreichen Gewisser gezetert und beteuert, er sei ein rechtschaffener Mann. Und der Steinhofbauer dazwischen, seine Stimme dumpfer und rollend, wie zorniger Donner: »Ich will dir sagen, was du bist. Ein Viehräuber bist du und ein Filu dazu!« Und nun wieder der schrille Zollhauswirt: »Das sollst du mir wahr machen, da will ich mehr von wissen.«

Die Stimmen haben sich überschlagen. »Du bist ja besoffen«, hat Hans Rohwer gesagt, »ein Schwein bist du«, und dann: »Laß mich los, sage ich dir!« Dazwischen dumpfes, unsinniges Stöhnen und Wutknirschen von Peter. Dann hat der Steinhofbauer gerufen: »Laß mich los, oder ich vergesse mich!«

»Laß mich los, oder ich vergesse mich!« hatte das Mädchen auf der anderen Seite des Walls gehört, der Steinhofbauer hatte es gesprochen.

In diesem Augenblick oder kurz vorher mag es gewesen sein, als Jörn Paulsen, der Dienstjunge, unter den Roggenhalmen im Wallgraben schleichend, nach dem Platz zurückkehrte, wo sein Bauer stand. Schon von weitem hörte er die scheltenden und streitenden Männer. Er glaubte sich eigentlich überflüssig, er hatte das Gefühl, daß die zankenden großen Bauern sich vor ihm, dem Dienstjungen etwas vergäben. Er schämte sich in ihre Seele hinein, es war ihm, als ob er und nicht die Bauern auf unrechtem Wege seien. Das ist nun mal der Fluch unserer Menschenliebe. Er kam sich gedrückt und gedemütigt vor. Zum Trost kaute er an einem Timothyhalm. Er hätte gewünscht, Franz wäre selbst zurückgegangen und hätte ihm das Vieh überlassen. Aber das war nicht. Allmählich kam er bis auf zwanzig Schritt an die abgegraste Stelle heran, wo Hans Rohwer und Peter Holling einander gegenüberstanden. Weiter aber hat der kleine Kerl es nicht gebracht, da ist er starr am Wall stehen geblieben, hat sogar sein Grünfutter vergessen.

»Nu, Jörn, was hast gesehen, wie ists denn gewesen?« hat Franz ihn abends, als sie zusammen im Wandbett lagen, ausgefragt. – »Ja«, hat Jörn geantwortet – unter der Bettdecke war er ein ganz Teil mutiger als am Nachmittag mit dem Timothystengel im Mund am Wall – »ja«, hat er erzählt, »unser Wirt hat dem Steinhofwirt die Hand auf die Brust gelegt und hat gesagt: ›Das sollst du mir bezahlen!‹«

– »Jörn, vorher sagtest du, unser Wirt habe gesagt, da will ich mehr von wissen.« – »Ja«, entgegnete Jörn und streckte sich behaglich, »das weiß ich denn nicht so genau, ob er gesagt hat, das sollst du bezahlen, oder: da will ich mehr von wissen. Von Affkatenstreichen schnackte er auch.«

– »Na, und da?« – »Ja, da hat Hans Rohwer vom Steinhof gesagt: »Laß mich los! Du raubst Vieh«, hat er gesagt, und »viel Lu.« – »Er raube viel Lu?« fragte Franz, »viel Lu? Was meinte er damit?« – »Das weiß ich auch nicht. Und da hat er noch mal gesagt: ›Laß mich los!‹ Aber unser Wirt wollte nicht loslassen.« – »Hatte er ihn denn angefaßt?« – »Ja, das weiß ich denn nicht, aber unser Wirt hatte seine Hand an Hans Rohwers Weste, und da hat Hans Rohwer geschrien: ›Laß mich los, oder – da passiert was!‹«

– »Und du?« – »Hans Rohwer hatte immerso vor unserem Wirt gestanden, die Arme und Hände runter.« Jörn streckte seine Arme parallel über die Bettdecke hin. »Und da unser Wirt noch immer nicht losließ, da hat Hans Rohwer so getan« – Jörn machte über der Bettdecke den Versuch, dem Knecht eine Greif- und Wurfbewegung vorzumachen – »und hat unsern Wirt in den Roggen geworfen. Und das hat er dreimal getan, denn unser Wirt sprang immer wieder gegen ihn an. Und zuletzt hat Hans Rohwer gefragt: ›Hast noch nicht genug?‹ Da hat er ihm einen in den Nacken gegeben. Und als er das getan hatte, da ist er über den Wall gesprungen. Unser Wirt wollte mit einem Stein schmeißen, da stand aber unsre Anna vor ihm, und da bin ich weggelaufen.«


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