Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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17

Aus Oldenborstel kehrte Hinnerk erst gegen Abend heim. An dem Hecktor der Lohkoppel stand die Großdeern.

»Uns' Weert!«

»Was ist?«

»Hab hier schon eine halbe Stunde gestanden.« Die Hausfrau, erzählte sie, sei zu Dorf gegangen, da seien ein Mann und eine Frau gekommen, die täten so wunderlich, wollten ihren Namen nicht sagen, wollten auf den Bauern warten. Und seien durch das ganze Haus gegangen und hätten alles, auch das in der Kate besehen. Und wenn sie sprächen, da kämen so wunderliche Worte in vor. Und die Frau trüge son wunderlichen Hut, und nun säßen beide in der Stube.

Was konnten das für Leute sein? Sonst spannte Hinnerk immer selbst aus, nun überließ er Pferde und Wagen den Knechten, ging mit langausholenden Schritten über die große Diele und trat mit plierenden Augen in die von Baumschatten verdunkelte Stube. Richtig – am Glockenhaus saßen zwei Menschen, ein Mann und eine Frau.

»Godn Dag!«

Die am Glockengehäuse kicherten und schüttelten sich innerlich wie vor unbändigem Spaß.

»Dank«, erwiderten sie, blieben aber sitzen.

»Ob he uns wull kennt?« hörte Hinnerk.

Hinnerk Schmidts Augen gewöhnten sich an das Halbdunkel. Was vor ihm saß, hielt er für ein Ehepaar, und es hatte eine rotbraune, an Indianerfarbe erinnernde Gesichtsfarbe.

Die Frau war zwar bäurisch gekleidet, jedoch nicht wie bei ihm zu Lande Mode, Wollrock und Spenster, sondern in einen bunten Ladenstoff. Eine gelbe, vielleicht goldene Kette ringelte sich über die breite, aber wenig üppig ausgefallene Brust, die Rechte schmückten Ringe. Sie war nicht jung, nicht alt, hatte grob geschnittene, aber nicht unschöne Züge und dunkelblondes, schlicht gescheiteltes Haar unter dem Federhut von einer im Dorf nicht üblichen Form.

Lustiger Triumph im Gesicht. »Was sagst du doch einmal dazu?« fragte es mit breitem Lächeln zu Hinnerk hinüber. »Daß wir wiederkommen, er und ich? Was sagst du dazu?« So sprach sogar die rote Hand im bunten Kleiderschoß, die hielt ein weißes Taschentuch und faltete daran herum.

Hinnerk Schmidt stand vor Anna Lüders, seiner ehemaligen Braut, und stand vor Hans, seinem amerikanischen Bruder.

Als ein sehniger, magerer Mann lag der auf einem Stuhle, Beine vorgestreckt, die Hände in den Taschen einer offenbar zu weit geratenen Hose – Hans Schmidt. Und Hans Schmidt lachte ebenfalls über das sonnverbrannte Gesicht und sagte: »Dat harrs di wull ni dacht?«

»Nä«, erwiderte sein Bruder, »dat harr ik mi ni dröm laten.«

Und wieder lachte Hans. »Jung, Jung, wo kommt man dor henlang?«

Das war eine schöne Bescherung, und das Gefühl, womit Hinnerk Schmidt die Bescherung entgegennahm, war ein Mischmasch von Verwunderung, Enttäuschung und Sorge.

Daß die Amerikaner hier waren, wunderte ihn, daß Anna Lüders, die ihm einstmals wie ein höheres Wesen vorgekommen war, eine gealterte und ausgedörrte Frau geworden, tat ihm weh. Die gealterte und ausgedörrte Frau, wie sie vor ihm saß, war ihm fremd, als habe er sie niemals gekannt.

Und neben diesen Gedanken die kaum noch eine Ungewißheit darstellende Empfindung, daß sich nun die Sache mit dem, was in dem Kistchen verborgen sei, entscheiden müsse.

Aber alle Verwunderung und Enttäuschung und Sorge durchbrach der Gedanke der Pflicht, die Besucher ordentlich und freundlich zu empfangen. »Sollt willkommen sein!« sprach er und gab Bruder und Schwägerin die Hand.

Das war die erste Begrüßung. Die lange Entwöhnung, das, was zwischen dem Wirt und seinen Gästen gestanden hatte und noch stand, machte, daß sie ziemlich hölzern ausfiel. Hans versuchte zwar zu scherzen und zu lachen, und Hinnerk Schmidt erwiderte, daß er ihn, wenn Anna nicht gewesen wäre, bei dem schönen Spitzbart gar nicht erkannt haben würde. Dann sagte eine Minute lang keiner ein Wort.

Das war peinlich, Hinnerk Schmidt ging in die anstoßende Kammer und kehrte mit einem Tabakskasten zurück, den er mit steifem Arm auf den Tisch stellte.

»Willst mal rauchen? Hast n Pfeife, oder soll ich geben?«

»Ich rauche nur Zigarren.«

»Da kann ich auf Stund nicht mit aufwarten, aber ich will holen lassen.«

Der Besuch bat um Obdach für ein paar Tage. Das sagte Hinnerk Schmidt zu.

Sie wollten sich einige Zeit in der Gegend aufhalten, alte Bekannte aufsuchen, Kiel und Hamburg besehen und Berlin besuchen und eine Harzreise machen und dann über Paris und London nach Amerika zurück. Es ging ihnen gut, sie hatten drüben eine Farm von fünfhundert Acker, fünf Kinder und hatten was vor sich gebracht.

Maleen, die von ihrem Gang zurückkehrte, trug nichts zur Belebung bei. Sie begrüßte mit der ihr eigenen müden Ruhe den Besuch ohne freundliche Worte und ohne harte Worte.


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