Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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13

Mürrisch und unzufrieden rauschte der geschwollene Fluß durch das enge Brückensiel. Quark! sagte ein Rabe, der beim Zollhaus wohnte und in nasser Novemberstille aus seinen Pappeln nach Jochim Vollstedts verlassener Buschkoppel flog. Still! rauschte es in den Bäumen; sie hoben unwillige Äste und Zweige zum grauen Himmel, sie waren groß und gerade und kahl, und Wasser tropfte herab. ›Still!‹ sagten sie; ›der Zollwirt ist krank, der Zollwirt schläft.‹

Peter Holling war zum Sterben krank.

Das Schenkgeschäft war nach dem Dielentor verlegt, die Lehmdiele mit Strohballen vollgepfropft, den Schall zu dämpfen. Der Kranke lag im Wandbett der Gartenstube, man kam vom Garten her und kam auf leisen Sohlen. Wenn jemand mit lautem Gruß ins Zimmer trat, so bat die still erhobene Hand der treuen Tochter, die unbekümmerte Tagesfreude zurückzudrängen.

Der Zollwirt liegt auf den Tod, aber er – schläft.

Er schläft und träumt. Die Nacht – die schreckliche Nacht hat ihn nicht allein verwandelt, sie hat auch sein Gedächtnis ausgelöscht.

 

In Sturm und Regen suchte er seinen Pfad, er war nicht ganz Herr seiner selbst, aber er glaubte auf dem rechten Weg zu sein. Ganz unversehens versank er, der Graben verschluckte ihn. Verzweifelnd griff er um sich, packte die Sperrstange und blieb hängen. Er hing wie ein Gekreuzigter im kalten Sumpf und Moor.

Der Tod reckte die Hand nach ihm aus. Das wußte er. Er dachte an den Fluch, den er dem Steinhöfer zugeschleudert hatte. Und dachte an die Milde seines Feindes: ›Ruf nach mir, ich komme‹, hatte er gesagt. Nun rief er und schickte seine Gedanken: »Hans Rohwer, mein Feind, mein Widersacher, du hasts mir zugesagt. Nun komm, es geht mir ans Leben!«

Er hatte gut rufen im einsamen Moor. Es war weit bis zum Dorf. Er hing im kalten Wasser. Die Füße, die Beine, der Leib starben ab, der Frost stieg zum Herzen.

Wie ein Schächer hing er vor den Pforten der Ewigkeit. Und sein Leben zog an ihm vorüber; was er gehaßt, was er geliebt hatte, das ganze Leben war ihm Tand und Mär.

Ob er wirklich verpflichtet gewesen war, auf der Meinerskoppel dicht zu machen? Wie weit und nichtig lag es hinter ihm! War Hans in Notwehr, als er ihn in den Sommerroggen warf? Und wie stand es mit seinen und seines Hauses Privilegien? Der Brückenzoll, der Wegzoll, um den er jetzt in Wasser und Morast verging. Und was gibt es für verschiedene Gesetze? Georg Heinrich Joens raucht aus einer Weichselpfeife und trägt einen schwarzen Rock.

Ihm war, als habe er mit dem wegen aller dieser Sachen prozessierenden Peter Holling nichts zu schaffen. Er begriff nicht, wie daran jemals sein Herz habe hängen können.

Er wollte sich dem alten, so lang vergessenen Gott der Kindheit zuwenden, er wollte jetzt am letzten Ende den Wegzoll, den er so lange in schnöder Tasche behalten hatte, für die Fahrt ins Himmelreich zahlen, er wollte sich und seinem Gott die Glaubenssätze vorbeten, die er einstmals gelernt hatte, aber er kriegte sie nicht zusammen. Da sprach eine Stimme in ihm: ›Es ist nicht nötig. Ersäufe du nur den alten Adam mit allen Sünden und bösen Lüsten in diesem Graben, und du bist ein Verwandelter, ein Auferstandener, ein Lebendiger bist du, ob du gleich stirbst.‹

Und siehe! Die furchtbaren Stunden des Leidens gaben seiner Seele mehr als die vielen tausend, wo er Kleingeld in seine Hosentasche gefüllt hatte. Er war ein Geretteter, bevor der Helfer kam, bevor – Hans Rohwer nahte. Ein Beben und Zittern ging durch den Boden, kleine Wellenhufschläge eines galoppierenden Pferdes. Und die Nacht, die Winde, Ried und Rohr fingen an zu rauschen: ›Der, den du gerufen hast, er kommt. Hans Rohwer ist da.‹

Peter Holling hing wie ein halb fühlloser Körper am krampfhaft umklammerten Reck. Und er lebte kaum noch, er erlebte nur verschleiert, was der Steinhöfer tat. Noch war er nicht durch das schwarze Tor geschritten, seine Seele keuchte erst den dunklen Pfad. Aber der milde Petrus hatte ihn schon gesehen und nach dem richtigen Schlüssel der für Peter Holling bereiteten Zelle gekramt.

Er brauchte den Schlüssel vorderhand nicht. Peter stand freilich dicht vor der Tür, aber da kam ein starker Arm und riß ihn noch einmal zurück in die Welt seiner Irrtümer und Leiden.


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