Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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Des Reiches Kommen

1

Wo immer sie sich trafen, der Notar und der Geistliche, da stritten sie sich. Ihre Ansichten näherten sich zu sehr, um voneinander lassen zu können, wichen aber zu weit voneinander ab, sich ganz zu einigen. Nun waren sie im Knickweg einer Dorfgemeinde aufeinandergestoßen, der Notar und sein Sekretär im weichen Landauer, der Geistliche am Wagentritt im Gehrock, einen derben Wanderstock in der Rechten.

Das Gespräch kam auf eine vor wenigen Wochen verstorbene, stadtbekannte Persönlichkeit. Wie ein Armenhäusler hatte der Mann gelebt, in seinem Nachlaß fand man märchenhafte Schätze.

Bei dem Geistlichen fiel das Wort: »So gehts, wenn der Materialismus sich zum Wahn versteigt«, worauf der Jurist die Ansicht äußerte, man könne hier ebensogut von Idealismus sprechen.

Er sah schmal und kränklich, ein bißchen pedantisch und schulmeisterlich aus, holte auch jetzt, seine These zu verteidigen, zu einer Abhandlung über die Psyche des Geizigen aus. Der raffe zwar Verkehrsmacht zusammen, so viel er fassen könne, tue es aber nur wegen der Idee, die in der blanken Münze ihren Niederschlag finde. Er wolle zwar mächtig sein, denke aber nicht daran, von seiner Machtfülle Gebrauch zu machen. Gefeit vor Ruhm und Ehrsucht, ein verkappter Donnergott, der seinen Hammer nicht fliegen lasse. Er kleide sich nicht allein in härene Gewänder, sondern wolle die Welt auch überreden, daß er keinen besseren Rock bezahlen könne.

Der Propst, eine hochgewachsene, prächtige Priestergestalt, wollte die Ehrenbezeichung des Idealismus für die Hingabe irdischer Güter gegen sittliche, jenseits persönlicher Erfahrung liegende Ziele gelten lassen.

Er war ein rüstiger Fußgänger, seine Krankenbesuche machte er meistens mit dem Wanderstab ab.

Beim Abschied fragte der Notar: »Sie kommen von Westerhusen?«

»Und das soll wahr sein.«

»Und waren bei Peter Schmidt?«

»Stimmt.«

»Da habe ich auch zu tun.«

»Ich hörte, Peter Schmidt will Testament machen.«

»Richtig. Aber um drei Uhr muß ich in Bültenbrooksdamm sein. Da ist Erbteilung; auf dem Rückweg fahre ich bei Peter Schmidt vor. Er ist ja schon lange krank, und Sie besuchen ihn, wie ich höre, zuweilen. Halten Sie ihn für verfügungsfähig?«

»Peter Schmidt ist bei gesunder Vernunft«, antwortete der Propst.

»Waltet auch keine Gefahr im Verzuge ob, ich meine im Verzuge einiger Stunden? Es paßt mir besser für den Rückweg. Auf Bültenbrooksdamm bin ich gemeldet; was ich da zu tun habe, ist eigentlich meine Reise. Wenn keine Bedenken sind, dann will ich das Geschäft bei Peter Schmidt auf den Abend verschieben. Was meinen Sie, hat das Gefahr?«

»So wie Peter Schmidt jetzt ist«, erwiderte der Geistliche, »ist er schon lange. Es liegt freilich ein Herzfehler vor, es kann über kurz und lang zu Ende gehen, heute aber war er ganz gut.«

»Dann will ich es bei meinem Plan lassen.«

»Wissen Sie um Schmidts Verhältnisse Bescheid?« fing der Propst wieder an. »Da ist ein Bruder in Amerika, ich glaube, den wollen die beiden hiesigen, Peter und der andere, der die Stelle hat (Hinnerk heißt er ja wohl), übergehen. Mir schien das nicht in Ordnung zu sein, und da habe ich dem Kranken ein bißchen ins Gewissen geredet. Wie stehen Sie dazu?«

»Will mal sehen. Es kommt auf die Umstände an.«

»Die Umstände, glaube ich, sind die, daß Peter eine tüchtige Schale Zorn mit ins Grab nehmen möchte und daß der andere seinen Segen dazu gibt.«

»Wenn das ist, Propst, dann wird die Gewissenspauke wohl am Platze gewesen sein.«

Nun schieden sie wirklich.

Der Wagen bewegte sich stöhnend und federnd dem Dorf entgegen und stieß den weich in die Polster gelehnten Notar und dessen Schreiber hin und her. Das Dorf war weitläufig gebaut, jeder Hof in eigenem Ackerland, hinter Koppel und Hecken leuchteten Wiesen auf, Wiesen von abgeblaßtem Grün. Ein Kenner hätte aus der Farbe gefolgert, daß der Untergrund Moor sei, ein schwarzumrandetes Hochmoor wuchs hinter ihnen auf. Und es reichte bis zum Himmelsrand. Es war eine eigentümliche, in ihrer großzügigen Folgerichtigkeit etwas eigensinnige Gegend, ihre Wirkung anfangs beklemmend, dann aber befreiend. Dem Wagen begegneten wenige Menschen. Sie schritten hastig, die Mütze rückend, mit einer gewissen Unbekümmertheit vorüber.

Der Vogelsang ist, sagen die Gelehrten, nicht nur ein Lied der Liebe, er ist vor allen Dingen der Kriegsruf für die ›Gewere‹ des Futterplatzes. Daran wurde man gemahnt beim Anblick der Höfe in ihrer trotzigen Einsamkeit. Zuweilen quoll über die Hofwälle ein Peitschenknall und predigte: ›So weit wie meine Schwingung reicht, nenn ich Grund und Boden mein‹.

Hinter dem Gefährt lag ein großer Wald, den hatte man durchfahren, da war es kühl und schattig gewesen. Der Dorfweg war trockener und sandiger, es ging bergan, aber nach nicht langer Zeit hatte man den höchsten Punkt.

Auf dem Bock sitzt Hein Möller, erster Fuhrknecht bei dem Gespannhalter des Städtchens, hier im Dorfe geboren und sich noch immer von hier fühlend, immer das Leitseil in Händen habend, wenn der Justizrat seinen Sprengel bereist. Der Rat kennt ihn, und er kennt den Rat, sie verstehen sich und sind miteinander vertraut, Hein kennt aber nicht allein den Rat und die Gegend, er kennt auch die Geschichten, wovon der Westwind in dem Eichenkranz der Häuser raunt.

An eine solche schon halb zur Dorfsage gewordene Geschichte dachte der Rat:

»Hein, was war doch das für einer, der hier bei Nacht und Nebel mit seines Bruders Braut über das Moor nach Amerika ging?«

Wenn man von Hein Möllers Gesicht sagen wollte, es sehe gutmütig und ehrlich aus, so hieße das Eulen nach Athen tragen, denn das versteht sich bei einem so alten Fuhrmann von selbst. Ein bißchen Nußknackervisage war freilich dabei. Seine Stimme ein wenig belegt; wenn er sprach, lächelte er listig und lustig vom Kinn bis zur Nase und zugleich mit den Augen.

»Ja«, entgegnete er, »Herr Rat, das war Hinnerk Schmidt, und der, der nach Amerika ging, war Hans Schmidt, und die Deern, das war Mars Lüders seine Anna.«

Nun erinnerte sich der Justizrat. Es waren dieselben Schmidts, bei denen er heute abend ein Testament aufnehmen wird.

»Dann ist Hans wohl der Bruder, von dem der Propst sagte?«

»Das ist so, Herr Rat.«

Nun nahm sich der Justizrat vor, noch mehr bei dem Testament ein Auge darauf zu haben, daß dem Amerikaner kein Unrecht widerfahre.

Er sah in die Weite und sah die fliehende Wucht der Gegend. »Sehen Sie«, wandte er sich an seinen Gehilfen, wie groß und schön und gewaltig!«

Der überlegte gerade, ob er wohl zum Skatabend rechtzeitig nach Hause komme oder diese Oase seines Daseins schwänzen müsse; mitten hinein fiel die Gewalt der Gegend.

»Sie belieben, Herr Rat?«

»Das da!« Und des Justizrats Hand machte einen Bogen: »Wir wollens ansehen; halt mal still, Hein!«

Hinter dem Moor begann das Land des Dufts und der blauen Poesie; der Ackerboden und seine Hecken schwangen sich mit einer gewissen Feierlichkeit hinab. Beide Herren sahen an Hein Möller vorbei und über Hein Möller hinweg in die Gegend.

Der Notar schwieg, sein Gehilfe auch, der Rat setzte sich, der andere folgte ihm und machte nun der Gegend sein Kompliment. »Man kann weit sehen«, sagte er.

Und dann fuhr man weiter.

Der Justizrat interessierte sich für mancherlei, er sah die mit Dachreth gedeckten Bauernhäuser und trug seinem Begleiter eine kurze Geschichte der menschlichen Wohnung vor, beim einfachen Windfang anfangend; er tadelte dabei die Achsenrichtung der meistens mit der Breitseite gegen die Windrichtung gestellten Gebäude. Da könne man freilich die überall als Windbrecher hingepflanzten Eichen und Pappeln nicht entbehren.

Hein hatte das mit angehört, er drehte sich um und bemerkte: »Herr Rat, nehmen Sie nicht für ungut! Aber was Sie da sagen, das kommt daher, daß der hiesige Zimmermann alle Häuser mit den Stuben an den Weg stellt. Und weil der Weg nach Westen geht, da pustet dann der Westwind voll aufs Dach. Und auch ist es so Mode bei den Zimmerleuten dahier, daß sie hohe Sparren aufsetzen. Sie sagen, das gibt Platz auf dem Böhn, und Heu und Korn sagen sie, gehören ins Haus und nicht in Diemen. Da kann der Bauer nichts bei tun, da muß er bauen, wie der Zimmermann will.«

Der Notar lachte. »Wenn alles hier einen eigenen Kopf hat, weshalb nicht auch der Zimmermann? Das scheint mir ganz in der Ordnung zu sein.«

»Dachhäuser«, fuhr Hein fort, »sollen ja nun nicht mehr sein. Sehen, Herr Rat«, der Sprecher zeigte auf einen Neubau, »nun macht man Kniestöcke und legt ein Dach von Pappe darauf. Die sind niedriger und flacher.«

»Jawohl, aber es sieht übel aus.«

»Gleich kommt«, fing Hein nach einer Weile wieder an, »gleich kommt Peter Schmidt seine Berlehnskate, wo Sie nachher hin sollen, die ist aus roten Steinen und hat Säulen vor der Tür. Süht heel schmuck aus.«

Sie fuhren langsam an dem gelobten Haus vorüber. Mit den roten Steinen, den weißen Fugen, den in Zement abgeputzten Säulen schrie es förmlich aus dem Gebüsch heraus, wie schmuck es sei.

»Hinnerk Schmidt, der die Stelle hat, wohnt man altmodisch, Säulen hat er aber auch vor der Tür.« Hein Möller zeigte auf das mit altem, breitem Strohdach zwischen den Bäumen hervortretende, aber von der Straße mißtrauisch abgerückte Bauernhaus. »Er könnte gern neue Brandmauern aufsetzen, hat ja Geld genug. – Süh, da steht er am Hecktor!« setzte der Sprecher mit gedämpfter Stimme hinzu.

Am Hecktor stand ein magerer, kaum mittelgroßer, in Weste und Beinkleid von Blauleinen gekleideter, rockloser Mann von unbestimmtem Alter. Er war im Begriff, seine auf den Melkplatz treibende Herde hineinzuzählen. Als der Wagen näher kam, zog er die Mütze. Sie war abgetragen und saß auf braunblonden, wirren Haaren.

Hinnerk Schmidt setzte sie rasch wieder auf, um eine Dungkarre worauf man eine kleine Schaufel sah, aus der Fahrstraße auf die Seite zu schieben.

»Godn Dag, Schmidt!«

Ein rotbraun verbranntes Gesicht mit harten, etwas starren, aber nicht unfeinen Bauernzügen sah aus grauen, tiefen Augen herauf. Die Treuherzigkeit der Dorfleute lag darin, aber auch ihre Eigenwilligkeit. Um Kinn und Mund und Brauen hatte sie ihre Linien gezogen.

»Gegen acht, denke ich, bin ich so weit. Paßt es dann?«

»Es paßt immer. Kann ich die Zeugen zu acht bestellen?«

»Bitte. Sie nehmen doch Nachbarn, die nicht mit Ihrer Familie verwandt sind?«

»Jawohl, Herr Justizrat.«

»Ihr Bruder ist wohlauf?«

»So as ümmer, Herr Rat. Sük ist er ja man, das ist er aber ja schon lange«.

»Wenn ich in Bültenbrooksdamm fertig bin, komme ich gleich her.«

»Is god so, Herr Rat.«

Ein kleines Mädchen trieb die Kühe, die von der Weide geholt waren, entgegen. Es war eine große, stattliche, buntgefleckte Herde, der Wagen fuhr langsam durch den lebendigen Strom.

Die Herde war vorüber, Hein nahm wieder das Wort: »Herr Rat, haben Sie die Schuvkar gesehen?«

»Die habe ich gesehen. Was ist mit der Schuvkar?«

»Je, die Leute sagen ja: wenn die Küh zu Haus sind, dann muß die Kuhdeern damit den Weg zurückfahren und aufschüffeln, was die Küh unterwegs verloren haben.«

Der Justizrat wagte ein Lachen. »Schullt wahr sin?«

»Je, ich weiß nicht. Aber die Leute halten ihn für nau und wunderlich. Manchmal sagen sie auch ›Hinnerk mitn Fellerbüdel‹ zu ihm.«

»Wo kommt das her?«

Hein Möller räusperte kurz und vergnügt eine kleine Heiserkeit hinweg, machte eine halbe Wendung nach hinten und erzählte:

»Je, das ist so ne Geschichte. As Hinnerk noch ein jung Kerl wesen is und sein Oll noch auf dem Hof gedauert hat, da hat er sich mal mit Johann Hargens (nu ist Hargens ein alter Mann, und es geht ihm schlecht), mit dem hat er sich zusammengetan, um ein bißchen Geld mit dem Goshandel zu verdienen, indem sie die Gös mager gekauft haben, fett gemacht und dann durch die Dörfer damit getrieben haben. Aber der Handel ist slecht gegangen, die Gös haben auf dem Marsch ihr Fett und auch ihre Federn verloren. Johann Hargens ist nun ein Mensch, der alles licht nimmt, Hinnerk ist aber schon damals einer west, der alles swarz und swer angesehen hat. Und er hat alle Federn, die die Gös fallen gelassen, in einen großen Beutel gesammelt. Und schließlich hat er geweint.«

Hein Möller drehte sich noch etwas weiter herum und lachte über das ganze Nußknackergesicht:

»Da hat Johann Hargens so halb spöttisch zu ihm gesagt: ›Nä, Hinnerk, ween schaft ni! Un wenn kok vun Dör to Dör mit di gan schall und üm Brot bern: ween schaft ni, Hinnerk!‹ Da ist Hinnerk ganz still geworden, aber den Fellerbüdel hat er mit nach Hause bröcht – n ganzen Sack voll. Aber was drin gewesen, hat nicht viel getaugt, Dunen sünd da wenig mang wesen.«

So sprach Hein Möller und kehrte, als er fertig geredet hatte, das Gesicht den Pferden wieder zu.

»Dann ist er wohl sehr geizig?«

Hein mit halber Wendung: »Nau ist er, geizig kann man wohl nicht sagen. Nau und sparsam ist er. Was ihm nicht gehört, läßt er liegen, aber das, von dem er glaubt, daß es ihm zukomme, das nimmt er von ... wie man so sagt, vom Altar. Aber er ist auch wieder gut. Kleine Leute haben viel Gutes bei ihm, und as der alten Witfrau Kracht, die in Martin Matthiessens Kate wohnte, ihr ganzer Kram aufgebrannt ist und nichts versichert gehabt hat, da hat er ihr hundert blanke Taler auf den Tisch gezahlt und ihr geschenkt. Abel Kracht hat nichts nachsagen sollen, hat es aber doch herumgebracht.«

»Das war ein guter Streich«, lobte der Notar.

»Ja, slecht is er nich, Herr Rat.«

Sie fuhren weiter.

Der Beamte ließ sich die bei dem heutigen Geschäft zu erledigenden Punkte durch den Kopf gehen und beriet mit seinem Sekretär. Die Erbteilung in Bültenbrooksdamm wird nicht viel Schwierigkeiten machen, sind lauter ruhige, anständige, vornehm denkende Leute. Der älteste Sohn bekommt die Stelle zur Bruder- und Schwestertaxe, die beiden Schwestern eine Geldabfindung. Hoch kann sie nicht ausfallen, es ruhen Schulden auf dem Hof, beide Mädchen haben aber nette Partien gemacht und sind in guten Brotstellen.

Und dann dachte er an das Schmidtsche Testament.

»Hein Möller, habe ich recht gehört, hat Peter Schmidt mal in der Lotterie gewonnen?«

»Das sagt man.«

»Wie viel?«

»Die Leute schnacken von velen Dusend, es soll ein Teil vom großen Los gewesen sein. Ich glaub, Herr Rat, Peter und Hinnerk wollen es durch Sie festmachen, daß Hans, der nach Amerika gegangen ist, nichts davon kriegt.«

»Sagten Sie nicht, Hein, daß Hinnerk Schmidt mit dem Mädchen, das mit dem Bruder wegging, versprochen gewesen sei?«

»Ganz recht, Herr Rat. Das hatten die Alten noch zurechtgemacht. Und nun kam das so: Peter und Hinnerk sind ja Zwillinge, liker old, und man weiß noch heutzutage nicht, wer von ihnen zuerst geboren worden ist. Nun ist hier ja ... dat is doch so, Herr Rat, nicht wahr? ... man hört ja immer so ... ich mein, daß hier Rechtens ist, daß der Älteste die Stelle kriegt. Wie nun der Alte starb und nichts gemacht hatte, da wußte man nicht, wer denn eigentlich Bauer werden müsse, ob Hinnerk oder Peter. Wer weiß, sie hätten sich, so viel sie auch voneinander halten, vielleicht darum verschiert. Da ist der Allerweltsadvokat Karl Schnoor von Bargenhusen, der von Mutterseite mit ihnen verwandt ist, dazugekommen und hat gesagt: ›Da muß um gelost werden. Der eine kriegt die Stelle, der andere kriegt die Kate und Verlehnt.‹ Und da haben sie gelost, und Hinnerk hat den Längsten gezogen und Peter hat die Kate und Verlehnt bekommen. Und die Kate ist ganz neu aufrepariert worden und hat die schmucken Säulen gekriegt.«

»Das ist ja alles ganz gut, Hein, ich mein aber, wie war es mit der Braut?«

»Ja«, war die eifrige Antwort, »das wollte ich man sagen. As Hinnerk Schmidt die Stelle zugefallen war, da wollte er Hochzeit machen, aber süh mal an! – da war die Braut weg.«

»Mit Hans?« warf der Rat fragend ein.

»Ja, mit Hans. Eines Morgens war sie nicht da, und Hans war auch nicht da, und der Kahn, der in der Au bei Ephraims Wiese liegt, war auf der andern Seite. Da waren sie mit übergesetzt. Und dann waren sie übers Moor gegangen. Und dann müssen sie mit dem Eiderdampfer, der bei Breiholz hält, hinunter nach Tönning, gefahren sein. Lange Zeit wußte man gar nicht, wo sie geblieben. Dann schrieben sie aus Amerika.«

»Wenn die Deern Hans lieber leiden mochte als Hinnerk – weshalb versprach sie sich denn mit Hinnerk?«

»Das hat wohl so seine Haken gehabt, Herr Rat. As sie sich versprochen haben, da hat der alte Schmidt doch gelebt und auch der alte Mars Lüders. Nun aber waren die beide nacheinander tot geblieben. Mars und der alte Schmidt hatten es in der Hauptsache wohl miteinander ausgemacht. Im Dorf munkelte man aber schon immer, daß Hinnerk Schmidt von seiner Braut betrogen werde, daß sie mit Hans gehe. Hinnerk Schmidt ist nun aber so, daß er kein Arg hat; nachher hat er es ja allerdings schwer genug genommen.«

»Hat er es schwer genommen?«

»Ja, er ging immer so schuls umher und bildete sich ein, er könne sich vor Leuten nicht mehr sehen lassen. Einige sagen sogar, er habe sichs Leben nehmen wollen, aber Peter sei darüber zugekommen. Ganz ist er erst wieder geworden, als Maleen Lohsen seine Frau geworden. Die hat ihn zurechtgekriegt. Damals war sie noch frisch und kräftig, seitdem sie aber die große Krankheit dörgemacht hat, ist sie man släfrig und swack.«

»Hat Hinnerk denn viel von der Lüders Deern gehalten?«

»Viel mochte wohl der Schimpf und der Blam tun, ein bißchen hat er sich doch auch wohl in das falsche Ding verkuckt gehabt. Er behängte sie ja mit Gold, was doch sonst nicht seine Art und Wies war.«

Der Wagen näherte sich der Niederung und den Mooren. Nicht weit von Bültenbrooksdamm kam ein junger bleicher Mann, einen Milchtopf am Bandseil tragend. Im Vorbeifahren fing man einen Blick auf aus geduldigen, immer hoffenden Leidensaugen, wie sie den Lungenkranken eigentümlich sind. Der Jüngling rückte höflich die Mütze.

Außer Hörweite, fragte der Notar: »War das nicht der junge Heitmann?«

»Ja, das war Klaus Heitmann, Mutter Heitmannsch vom Moor ihr einzigster Sohn.«

»Sieht nicht gut aus, der junge Mensch.«

»Ja, Herr Rat, sied de Tied, wo he die Geschichte gehabt hat, ist er man swach.«

»Welche Geschichte?«

»Na, die Geschichte mit der Rühmannsch Deern. Herr Rat erinnern wohl, Klaus Heitmann kam zum Schwur, daß er nichts mit ihr zu tun gehabt habe.«

Der Justizrat erinnerte sich der Sache, er hatte Klaus Heitmann vertreten.

»Was hat der Prozeß mit seiner Gesundheit zu tun?«

»Je, seitdem er sich losgeflucht hat, swewt er nur noch so.«

»Halten Dorfsleute dafür, daß der Schwur nicht recht gewesen ist?«

Hein Möller knipste mit der Peitsche. »Es sind da zwei Partien, Herr Rat«, erzählte er in seinem platten Hochdeutsch. »Die einen sagen (und das sind ja wull die mehrsten) die sagen, er hat falsch geflucht, und deshalb holt ihn der Deubel und er swindt so allmählich bei lebendigem Leibe. Die andern sagen, es ist alles Lüge und Höhnergloben. Klaus Heitmann ist immer man flödig gewesen, und nun hat er, wie er, das Moor urbar zu machen, die tiefen Grabens gezogen hat, da hat er zuviel bei gekriegt.«

»Und diese andern werden wohl recht haben. Klaus Heitmann hat bei mir und auf das Gericht guten Eindruck gemacht«, erwiderte der Justizrat.

»Und die Rühmannsch, was die Deern ist, taugte in ihrer Haut nichts, und die Olsche, was die Mutter ist, noch weniger«, fügte Hein hinzu.

»Taugte nichts, Hein?«

»Taugte nichts in ihrer Haut, Herr Rat. Die war eine Allerweltsbraut, die hatte mit dem halben Dorf zu tun, und mit dem fremden Schmiedsgesellen fand man sie überall, wo ein Strohdiemen stand. Aber der Kerl ging weg, bevor die Sache so weit war, hatte auch nichts und gehörte zum losbannig Volk. Nun, da mußte denn ein anderer dran glauben. Klaus Heitmann kriegte eine eigene Kate, kriegte Land und Sand. Warum denn nicht Klaus? Ob er aber ganz frei von ihr gewesen, so daß er den Schwur tun konnte, das weiß man ja nicht.«

»Herr Rat«, fuhr er nach kurzer Pause fort, »ist das wahr, daß ein Mädchen auch dann noch was verlangen kann, wenn sie mit mehreren Bräutigams zu tun gehabt hat? Die Leute sagen ja so.«

»Und die Leute sagen recht. Das heißt: eigentlich ist es nur das Kind. Und es ist nicht überall in Preußen so. Aber bei uns hierzulande ist es jetzt noch so. Alle sind zu zahlen schuldig, bis das Kind hat, was die Gesetze vorschreiben.«

»Wissen Sie, Herr Rat, was die Leute sagen?«

»Was sagen die denn?«

»Die sagen: Was die Rühmannsch ist – Hinnerk Schmidt hat ihr auch abhandeln müssen.«

»Ei was!«

»Je, ja, das sagen sie.«

»Hein, sehens sich vor!«

Der Anruf bezog sich auf eine breit geladene Roggenfuhre, die ihnen entgegen kam. Hein Möller fuhr scharf an den Knick und redete mit seinen Pferden.

Als alles vorüber war, kam er auf den Fall Heitmann-Rühmann-Schmidt zurück. »Wokeen will sagen, daß Klaus Heitmann falsch geflucht hat? Aber dat he just domals die Swind kriegen muß!«

»Die kriegen andere Leute auch«, warf der Rat ein.

»Dat segg ik ok«, entgegnete Hein.

Nun raffte sich der Sekretär auch zu einer Bemerkung auf. »Vielleicht ist es gar nicht so schlimm mit seiner Brust«, sagte er.

Hein kratzte sich den Kopf. »Ich weiß doch nicht, Herr Sekretär. Die alte Wieb vom Moor, was Klaus seine Mutter ist, sagte mir vor vierzehn Tagen: Zweimal hat Klaus es vom Tode geholt, nu graut mi vorm drütten mal.«

Hein Möller schwieg, und der Notar überschlug die heute anstehenden Amtsgeschäfte.

Nicht lange, dann bog der Wagen in das Hecktor eines Gehöftes ein. Man war auf Bültenbrooksdamm, unmittelbar vor der großen Ebene der Wiesen.

Die Erben standen am Heck, den Notar zu empfangen.


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