Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15

Nach des Richters Abreise kam Karl Ohms Laune zur vollen Blüte. Hinnerk und Maleen konnten den Reichtum allein unmöglich verzehren, gegen Abend mußten ein paar Nachbarn dazu gebeten werden. Ein Bauer namens Ferdinand Lucht, der, nebenbei gesagt, mit seinen Vettern um eine Staatsobligation prozessierte, gehörte auch dazu.

Die Gesellschaft blieb spät beisammen, und Karl Ohm hatte immer das Wort, und immer erzählte er von Rechtssachen, und überall war durch seinen Rat eine günstige Wendung herbeigeführt worden. Mehrere Male war es schon bei den Gerichten gewesen und hatte bös ausgesehen, dann war aber, nachdem er den Leuten die Sache klargemacht hatte, der Advokat herzugeholt worden, um anzuhören, was Karl Schnoor aus Bargenhusen für einen Ausweg gefunden habe. Der Advokat hatte sich dann immer hinter die Ohren gekratzt und gesagt: »Deuker noch n mal, da hab ich gar nicht daran gedacht! ... Ja, ja, das muß gehen. Nun wollen wir es schon kriegen.« ... Ja, nachdem Karl Schnoor ihm ein Licht aufgesteckt hatte, da war es freilich keine Kunst mehr, da wollte er es wohl kriegen. Wie er dabei lachen konnte, der Allerwelts-Karl-Ohm!

Als man die Sitzung am späten Abend aufhob, sagte der Besuch: »Zum Zehnuhrzug muß ich am Bahnhof sein. Solltest mich wohl hinfahren können, Hinnerk?«

»Das kann angehen.«

Selten hatte Hinnerk Schmidt eine Zusage so gern gegeben. »Ich habe doch bei Voß in Oldenborstel zu tun«, setzte er hinzu.

Die Nachbarn standen, die Mütze in der Hand, sich zu empfehlen. Ferdinand Lucht zog aber den klugen Ohm noch in die Ecke und setzte ihm mit abgetönter Stimme etwas auseinander.

»Sieh, Hinnerk«, rief Karl Schnoor, »da ist Ferdinand, der streitet auch um seines Ohms bißchen Geld. Der Alte hat ihm auf dem Sterbebett ein Staatspapier geschenkt, und die anderen wollen das nicht gelten lassen. Aber Ferdinand hat seinen Prozeß gewonnen, und das Kreisgericht hat gesagt, da könnten sie nicht daran tippen, das sollten sie wohl stehen lassen. War das nicht so, Ferdinand?«

»Ja«, entgegnete Ferdinand Lucht, »so ist es. Aber die anderen sind weitergegangen, und nun ist die Sache beim Appellgericht.«

»Das laß sie man ruhig tun«, prahlte Karl. »Es gibt immer Leute, die nie klug werden, die sich nicht genug Kosten machen können.«

»Sie sagen«, erklärte Ferdinand, »es hätte vor Gericht gemacht werden müssen.«

»Vor Gericht?« schrie Karl Ohm. »Das ist ja Unsinn! Und das sollte das Kreisgericht nicht gewußt haben?!«

An dem Abend ging Hinnerk als ein vollkommen Glücklicher zu Bett. Ohne Aderlaß wird es freilich nicht abgehen, etwas Rauhreif wird auf die Blüte fallen ... das muß sich helfen.

Der Reif kam aber doch bißchen stärker, als er erwartet hatte, und fiel gleich nach dem Morgenkaffee, als Hinnerk seinen Besuch durch die Pferdeställe führte. Eben hatte Karl den braunen Wallach gelobt, der auf der Tierschau ehrenvolle Erwähnung gefunden, da trat er rasch auf die hinter den Pferden sich hinziehende Karrenbahn zurück. »Ah, Hinnerk!«

Und dies »Ah, Hinnerk« kam zwar ein bißchen gedämpft, rollte aber doch braun und voll und treuherzig wie auf Freundschaftswalzen daher. Karl Ohm stellte sein bestes Lächeln auf, zwei Reihen guterhaltener Zähne leuchteten Hinnerk Schmidt entgegen.

»Na?« erwiderte Hinnerk. Sein Ton war kurz und ahnungsvoll.

Und dann kam das, was kommen mußte, die in wattenweiche Redensarten eingewickelte Bitte um ein Darlehn. Augenblickliche Umstände ... sie wurden großzügig vorgetragen.

»Wieviel?«

»Hundert Taler.«

Über die Höhe war Hinnerk mitn Fellerbüddel erschrocken. Erst sprach er davon, er habe gar nicht so viel Geld im Hause, aber Karl Ohm lachte, lachte ihm mit leuchtenden braunen Augen ins Gesicht. »Ich nehme auch Coupons.«

Nun versuchte Hinnerk mitn Fellerbüddel abzudingen. Aber Karl Ohm Schnoor hatte schon in des Neffen Miene gelesen, daß das nichts weiter als ein Hinhalten und Zappeln sei, und daß ihm die hundert sicher, wenn er nur fest bleibe. Karl Schnoor bedauerte, nicht hundert und fünfzig gefordert zu haben.

»Will mal sehen« antwortete Hinnerk schließlich trocken und gequält.

»Wenn du mir eine Schere gibst, helf ich beim Couponschneiden«, lachte der lustige Ohm. Er hatte immer ein spaßiges Wort.

Es bedurfte aber so großer Anstalten nicht. Als sie die Pferdeställe verlassen hatten und wieder in der Wohnstube waren, ging Hinnerk mit weitem, wogendem Schritt nach der Schatulle, schloß auf, kramte hinter der Klappe, klimperte mit Geld (Karl Schnoors geübtes Ohr hörte heraus, daß es Goldstücke seien) und zählte dann, wie ein entschlossener gefaßter Mann, die damals erst eingeführten Goldstücke, fünfzehn für Butter gelöste jungfräuliche Doppelkronen, seinem Berater in die Hand. Er hätte aber lieber Papier nehmen sollen, denn Maleen war plötzlich in der Stube, nahm ihre Schürze ab, hängte sie an einen Nagel, nahm eine andere vom Haken, band sie vor, sah müde und interesselos aus und sagte: »Dat is jo vel Geld.«

Die Männer schwiegen. Und als sie nach einer Weile wieder allein waren, da stellte Karl Ohm ›um Lebens- und Sterbenswillen‹ eine kleine Handschrift aus.

Und dann wurde angespannt. Von Maleen verabschiedete sich der Gast in guter Laune, er fand sogar Worte des Trostes für die hundert Taler. Er hoffe, sagte er, seine Schuld nach nicht langer Zeit abzahlen zu können. Bei dieser wohl etwas kühnen Zusage hatte er den Kopf in den Nacken geworfen und sah die Zimmerdecke verschämt an. »Und dann, Maleen«, setzte er hinzu und war wieder ein den Leuten frei in die Augen blickender Mann, »du mußt bedenken, daß mitunter ein guter Rat viel mehr wert ist als hundert Taler.«

Hinnerk stand dabei, die Mütze auf dem Kopfe, die Peitsche in der Hand. Er schluckte ein paar mal trocken nieder, wie er zu tun pflegte, wenn es galt, einen Verdruß zu verstauen. Seine Stimmung war immer noch ein bißchen angetrocknet, als es zum Hecktor hinausging.


 << zurück weiter >>