Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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12

Im Zollhaus wartete Anna Holling auf die Rückkehr des Vaters; Sonnabends gingen Knechte und Mädchen aus und kamen spät nach Haus, und der Dienstjunge schlief die Nacht bei seinen Eltern.

Es regnete, es wehte, und der Wind nahm wunderliche Laute an. Er wühlte in den Bäumen und begann düster zu reden und zu klagen. Von der Brücke her kam er seufzend, versenkte in beide Schornsteine des Zollhauses sein Leid und schlenderte dann gefaßter an den Küchenfenstern, schließlich an der Stube entlang. Es hörte sich an, als ob jemand leise über das Steinpflaster hinweg kümmere, nicht im Heulton der Verzweiflung, sondern in dem müden Ton abgebrühter Weltweisheit, im leisen Ton einer mit allen Nichtigkeiten vertraut gewordenen Ergebung. Und gleich darauf stürzten und prasselten Hagelschauer herab und bestätigten die Richtigkeit seiner Philosophie.

Anna wartete auf den Vater.

Wie der Prozeß ausgegangen, das wußte sie so gut, als sei sie dabei gewesen. Kassen Siem, vom Ferkelmarkt kommend, war schon am halben Nachmittag zurückgekehrt. Bei Jochim Vollstedts Vuschkoppel hatte er mit Jakob Sierk über die Wagenleiter hinweg gesprochen. Seine Kopf- und Handgeberden hatten gesagt: ›Peter Holling hat verloren, und das schadet ihm nicht.‹ Weshalb kommt Vater nicht? Wo bleibt er so spät? Wie wird er heimkommen? Niedergeschlagen, trostbedürftig? Wird er seiner Tochter, der er doch am nächsten steht, sein Herz ausschütten? Oder wird er hartherzig, hochmütig – vielleicht gar angetrunken mit harten Worten seines Hauses Schwelle überschreiten?

Hans Rohwer war im Bett. Er hatte bei Koopmanns Timm zu viel und zu fett gegessen, auch etwas zu viel getrunken – da hatte er einen schweren Schlaf.

Bei allem, was er träumte, waren Peter Holling und seine Tochter dabei, und die vom Sturm aufgestörten Hofeichen redeten drein.

Nun kam ein scharfer Stoß vom Moor herauf und seufzte und rief und lag hart an den Fenstern seiner Stube und weckte ihn.

Der Steinhöfer dachte an seinen Prozeß, er wußte, daß er gewonnen hatte. Und dachte daran, wie der Prozeß in sein Leben eingegriffen habe. Wenn doch der Knick in der Meinerskoppel dicht gewesen wäre! Wie viel hätte er darum gegeben. Wie anders und freundlicher hatte sich dann sein Leben gestaltet! Anna Holling wäre sicher seine Frau geworden.

Dem Steinhofbauern war schon lange klar, daß er sich nach der Zollwirtstochter und ihrer Liebe sehne. Als er die Eigenmacht beging, als er den Sperrbaum und die Mechanik entzweischlug, da hatte ihn noch Zorn beherrscht, nachher hatte er nichts lieber gewollt als Frieden.

Wie er mit Anna stand, wußte er nicht genau, er hatte aber Grund zu glauben, er stehe sich innerlich so gut mit ihr, wie es den Verhältnissen nach möglich sei. Sie saß wie eingemauert im Zollhaus. In all der Zeit war er ihr einmal begegnet. »Anna«, hatte er gesagt, »kann das gar nicht zurechtkommen?« Staunend und fragend hatte sie ihn angesehen. »Ich meine«, hatte er hinzugesetzt, »kann es nicht zurechtkommen mit mir und dem Vater?« – »Du weißt, Hans, Vater ist so eigen, er will nicht.« Hans hatte ihre Hand ergriffen. »Und mit uns, Anna? Kann das nicht zurechtkommen? Ich meine, willst du meine Frau werden?« Da hatte sie herzbrechend geweint: »Hans, was rührst du in mir auf? Wie kann ich!«

Hans Rohwer überdachte das zwischen Wachen und Traum. Und draußen schickte der Sturm vom Moor herauf seine windigen Boten. Und wie vorher lag es hart an den Fensterläden seiner Stube. Nun räusperte es sich, und eine keuchende Stimme, wie vom Blasebalg, wenn der Dorfschmied seine Kohlen aufglüht, oder wie ein asthmatisches Roß nach scharfem Ritt, sagte:

»Will dir was erzählen« (dem Sprecher wurde die Luft knapp) »draußen ist ein Mann ... der pfeift aus dem letzten Loch. Er ist vom Weg abgekommen. Als ich wegging, lag er im Graben.«

»Im Graben, das ist nicht gut«, erwiderte Hans Rohwer.

»Ist es auch nicht, aber ich habs selbst gesehen.« Die Stimme schnappte nach Luft. »Er schickt mich, dir zu sagen ...«

Im Zimmer erhob sich ein Schlürfen.

»Sieh hin, da ist er selbst. Oder doch eine Hülse seiner Gedanken.«

Und wieder: »Sieh doch, da steht er!«

Hans richtete sich im Bett auf.

Als er schlafen gegangen war, hatte er die Lampe ausgemacht, nun aber war es ganz hell. Und am Ofen, da stand etwas. Es war ein Mann, der trug ein langes Stück Holz in der Hand. Es war die Stange, die als Sperrholz bei Peter Hollings Moorteil dient. Hans Rohwer kannte sie, es war noch der Eisenbeschlag der Eimerklinke daran. Er hatte Stange und Klinke oft im Moor gesehen. Sie lag schon lange quer über dem Graben. Und den Mann mit dem Angstgesicht, mit den starren Augen, kannte er auch. Das war der Zollwirt, mit dem er prozessierte. Peter Holling war es, triefend von Wasser, von Schmutz und Morast. Und Wasser und Schmutz und Morast tropften und liefen auf die reinen Dielen.

Hans Rohwer stand mit bloßen Füßen im Hemd vor seinem Bett. Das Wasser sickerte zu ihm hin. Und er starrte die Erscheinung an. »Was willst du, Peter?«

Die Gestalt blieb stumm. Nur die Augen rollten.

»Sag, soll ich helfen?«

Nun bewegte sichs im Gesicht, und Laute gingen durch den Raum. Aber Hans verstand nicht. Es klang wie Flügelflattern gefangener Vögel. Dann wie Quetschlaute Gewürgter. Endlich löste es sich mit dünner, hohler Stimme: »Du sagtest, ich sollt rufen. Ich rufe dich, hilf!«

»Ich komme«, antwortete Hans und griff nach den Kleidern. Wir hätten sagen sollen: er wollte greifen. Denn jetzt erst erwachte er und fand sich in dunkler Stube im Bett.

 

Ist es ein Zeichen? Er dachte noch darüber nach, da schlug jemand an das Fenster und rief seinen Namen.

Es war eine weibliche Stimme, voll von dunkler verhaltener Angst. Er erkannte sie, Anna stand vor seiner Tür.

Mit einem Ruck flog das Fenster auf. »Was ist, Anna?«

Seine Lampe beleuchtete ein bleiches Gesicht; sie wollte sprechen, konnte aber nicht gleich, sie konnte nur weinen.

»Was führt dich her, Anna?« fragte er leise.

Da faßte sie sich: »Angst, Not, Sorge, Hans. Ich weiß keinen Andern als dich.«

»Wenn geholfen werden muß, bist du an rechter Stelle.«

»Wir müssen Vater suchen. Er ist nicht gekommen.«

Und sie erzählte, wie Fuchs und Wagen heimgekehrt seien, aber nicht der Vater. »Ich fürchte, es ist ihm was zugestoßen.«

Der Steinhöfer antwortete nicht, er ließ Anna schweigend ins Haus. Er sah, er wußte, wo der Zollwirt war. Wo der Sperrbaum hingehört, da lag er im Graben und ertrank. Und die Gedanken seiner Todesangst hatten den Feind gerufen, die Erfüllung des einstmals gegebenen Versprechens gefordert. ›Ruf nur, ich komme!‹ Er hatte es gesagt, er wollte es einlösen.

»Ich danke dir, Anna«, sagte er und faßte warm ihre Hände. »Ich danke dir, Anna, daß du an mich gedacht hast. Ich ziehe meinen besten Renner aus dem Stall und sprenge hinunter. Ich fürchte, es ist keine Zeit zu verlieren. Und du und mein Mädchen und mein Knecht Johann, ihr fahrt nach. Es sollen warme Betten und Decken mitgenommen werden– sie werden nötig sein. Wir treffen uns beim Moorteil des Zollhauses.«

»Beim Moorteil?«

»Ich weiß, da ist er.«


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