Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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8

Heinrich jagte ein Pferd tot nach dem Doktor. Das half alles nicht – Katrien starb. Und wurde von Jochen mit großem Pomp begraben.

Das war seine letzte Protzerei. Er wurde ruhig und still. Dem alten Rickers hielt er sein Wort.

Abends saß er in seinem Kontor und rechnete und träumte. Wer über den Holzhof ging, sah ihn, grell von der Lampe beschienen.

 

»Unser Wirt«, redete ihn eines Abends sein Hausknecht – es war noch immer der alte Heinrich – an, »wollen Sie nicht lieber die Vorhänge zuziehen? Es schleicht hier schon ein paar Abende ein Mensch herum und sieht und starrt hinein. Und er hat was bei sich, ich weiß nicht, ist es eine Flinte oder ein Stock. – Wirt ... da ist er wieder ...« Der Knecht bückte sich nach dem Fenster. »Da beim Heck«, flüsterte er, »nun beim Pfahl, da geht er um die Ecke.«

Es dämmerte, aber nach der Torfahrt konnte man doch hinsehen. Da ging es wie ein Schatten ... Eine dunkle Gestalt ging über den Hof.

»Ach was, Heinrich! Mich machst du nicht graulen. Was kann das sein! Ein wilder Fußsteig führt von der Försterei über unseren Hof. Der Hegereiter hat einen neuen Gehilfen bekommen. Was meinst du, sieht der Mann anständig aus?«

»Anständig? ... Ja, das kann man nicht anders sagen. Er ist gut im Zeug und scheint nicht alt. Aber einen Bart hat er ... so ... lang.« Peter zeigte eine Viertelelle seine Weste hinunter.

»Seinen Bart fürcht ich nicht. Es wird ein neuer Forstwart sein ... Laß den Mann ruhig gehen! Mein Holzhof ist keine beste Stube, der kann einen fremden Schritt vertragen.«

Es wurde dunkler, der Holzhändler saß noch immer bei unverhängten Fenstern. Und rechnete?

Nein, rechnen tat er nicht. Er dachte an seine Schuld und an die starren, unerbittlichen Züge der Totenmaske. Ob er das Bild der steinernen Anklage wohl jemals vergessen werde?

Joachim Riese, der Einzige, war nicht wieder zu erkennen. Er grübelte, und er grämte sich. Er träumte immer mit offenen Augen, er merkte auch jetzt nicht, daß er nicht mehr allein war.

»Jochen«, weckte ihn eine Stimme.

Ein Wettergebräunter stand vor ihm, ein Mann mit dichtem Haar und vollem Bart. Er hatte etwas in der Stubenecke auf den Tisch gelegt, Jochen sah nicht, was es war. Der Mann wollte wild aussehen, sah aber nicht wild aus. Es lag zu viel Güte um die Schläfen, zuviel Ehrlichkeit in den Augen.

»Kennst du mich?« fragte der wilde, der ehrliche Mann. »Du kennst mich nicht mehr. Ich heiße Reimer, bin ein Schneidersmann. Einstmals dein Jugendfreund, jetzt dein Feind. Du hast mein Glück gemordet.«

»Ah!« sagte der Holzhändler. »Das freut mich, Reimer, daß du kommst. Du kommst doch, mich zu töten.«

Beide sahen sich stumm in die Augen.

»Wie soll ichs nehmen?« brach Reimer das Schweigen. »Du spaßest vielleicht, aber soviel ist richtig: seit Tagen schleiche ich hier herum, um dich wie einen Hund niederzuknallen. Aber ich hatte nicht das Herz. Zum Mörder reichts bei mir nicht. Ich bin entweder zu gutmütig oder zu feige. Es liegt wohl in meiner Natur.«

Jochen lächelte. »Ja, Reimer. So gehts, wenn man sich was zumutet, was einem fremd ist. Mir wärs schon recht und dienlich gewesen. Aber deinetwegen, Reimerchen, ist es gut, daß du nicht das Herz fandest. Du kennst die Gesichter der Toten nicht, die auf dem Kirchhof liegen ...«

Die Prahlstimme des Holzhändlers wurde ganz gedämpft und ganz leise. »Wenn man nämlich schuld dran ist, daß sie dort liegen. Ich trag so ein steinern Gesicht mit mir herum. Je dunkler es um mich ist, um so ernster und drohender blickt es. Deshalb muß ich es ja immer hell um mich haben. Deine Flinte, Reimer, wäre für mich schon ganz gut. Es fragt sich nur, ob auch für dich. Mich hätte sie vielleicht von meinen Gesicht befreit, dafür hättest du ein anderes gehabt, guter Junge. Für dich ist es gut, daß du nicht den Mut hattest.«

Reimer verwunderte sich je länger, je mehr. Was war aus Joachim Riese geworden?

»Ja«, sagte er, »wenn es so steht, wenn die Toten selbst ihre Sache führen, dann habe ich hier nichts mehr zu suchen.«

Er wollte gehen und suchte nach dem in der Ecke niedergelegten Ding. Jochen aber war ihm zuvorgekommen. Er wog es in der Hand und schlug damit klatschend gegen seine Waden.

»Sieh da, eine Peitsche für Dackel und Hühnerhund, wie sie ein Jäger in der Wildtasche trägt. Bei Johannes Kock gekauft. Ganz neu. Man handelt bei Johannes Kock gut und billig. Was, Reimer? Die hab ich wohl kosten sollen, weil der Mut zum Gewehr nicht langte.« Jochen Riese lächelte.

»Ja«, gestand Reimer. »So ungefähr stimmts. Aber ich seh, es ist nicht mehr nötig. Bei mir reichts auch wohl nicht zum Büttel.«

»Schade um den Gedanken, Reimer!«

Jochen wog das zum Zuschlagen lüsterne Ding in der Hand.

»Drei, vier Striche ... nein, was sag ich ... dreißig, vierzig, damit von deiner Hand in mein Gesicht ... mein Blut an die Wände ... Das wäre Wohltat.«

Jochen drängte ihm das Instrument in die Hand. »Tu es, Reimer! Füg mir Schmerz zu, schneidendes körperliches Weh. Es wird Arzenei für meine Seele sein.«

»Wunderlicher Mensch!«

»Du willst nicht, du kannst nicht? ... Nein, du kannst wirklich nicht. Deine Seele ist immer weich gewesen, und ist so geblieben. Nun, so tu ein Ganzes und vergib mir! Vergib mir so recht von Herzen, dann wird ihr Bild freundlichere Züge annehmen. Wir sind Schicksalsgenossen, Reimer. Du hast sie geliebt, wie deine Natur ist, wie die Engel lieben. Ich war mit einer anderen Seele in die Welt gestellt und hab auf meine Art geliebt. Das war eine andere Liebe, die Menschen wollen sie gar nicht für Liebe gelten lassen. Aber Liebe war es doch. Vergib mir, Reimer!«

Der Schneider im Bart wußte nicht, was er sagen sollte.

»Ich kann nicht, Jochen!« kam es aus schwerer Brust. »Das Gefühl der Rache ist dahin, und auch der Haß. Hassen kann ich nicht, oder nicht mehr. Aber vergeben ... so ganz aus Herzensgrund vergeben, daß kein Groll zurückbleibt? Ich hoffe, ich glaube, es wird die Zeit kommen, wo ich auch das vermag. Aber heute ... jetzt ... kann ich es noch nicht. Laß mich gehen!«

Der Holzhändler streckte die Hand aus. Reimer Stieper sah es nicht oder tat doch so.

»Gute Nacht!«

Und die Tür fiel hinter ihm ins Schloß.


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