Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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16

Aber diese Stimmung dauerte nicht. Mit Karl Ohm Schnoor bei gutem Wetter auf einem Korbwagen, wenn der gleich ein bißchen stieß, in die Welt fahren, dann kann es nicht fehlen. Karl Ohm war in einer geradezu verklärten Laune, und da sollten Verdruß und Ärger bleiben?

Karl Ohm Schnoor tat, was er immer in Gesellschaft anderer tat, er erzählte. Er erzählte und erzählte, eine Pfeife nach der andern aus seinem ledernen Tabaksbeutel stopfend. Als sie die Ohrsener Feldmark erreichten, kam er auf seine Reise nach Kopenhagen, von der niemals festgestellt worden ist, ob Karl Schnoors Phantasie sie allein oder mit Karl Schnoor zusammen gemacht hat.

Es war, berichtete er, in den fünfziger Jahren, als der Däne die neue Steuer ausschrieb; da war Karl Schnoor als Wortführer einer Landesdeputation nach Kopenhagen ›kommittiert‹ worden. Die Rede, die er dem Ministerium gehalten haben wollte, mußte Hinnerk Schmidt bis zu Ende anhören. Er tat es auch gern, denn nichts macht auf den Bauer mehr Eindruck als die Phrasengießkanne der freien Rede, wie ein großer Mann sich mal ausgedrückt hat. Und Karl Schnoor sprach zu Hinnerk Schmidt wie Gagern zu Bismarck im Tone eines Volksredners.

Er ritt seinen besten Phantasiegaul ... Man denke: ein bankerotter, vom Hof gekommener Landmann, trotz alles Getues ein einfacher, ungelehrter Bauer – Wortführer einer Landesabordnung in Steuersachen! Das war schwer zu glauben. Aber das war einerlei ... Karl Schnoor in die Augen sehen, ihn handschlagen sehen, ihn reden und lachen hören, und dann nicht glauben – das gab es nicht, wenigstens bei Hinnerk Schmidt nicht. Hinnerk Schmidt glaubte ihm, Karl Schnoor glaubte es beinahe selbst.

›Exzellenzen!‹ so hatte er gepredigt. ›Sie glauben und sagen, es ist Ruhe im Lande. Aber ich sage, es ist nicht an dem. Ruhe? Ja, wenn Sie die Ruhe des Kirchhofs meinen oder besser: die Ruhe des Feuerbergs Vesuv, als Gras auf seinem Krater wuchs, bevor er Pompeji verschüttete.‹ – Hier schaltete der Redner so viel ein, wie nötig war, seinem Hörer die zum Verständnis dieses Bildes notwendigen geschichtlichen Kenntnisse zu übermitteln, nahm dann aber mit um so größerem Eifer den Faden seiner Rede wieder auf. – ›Meine Herren, Sie meinen die Revolution sei tot, die Flamme erloschen ... Tot? ... Erloschen? ... Erloschen, weil die hellen Flammen nicht hervorschießen, weil Sie die roten Flammen nicht sehen? Wahrlich, meine Herren Exzellenzen, Hüter des Staats, wahrlich ich sage Ihnen: es ist noch da, das Feuer, unter der Asche glüht und glast es, und. bei Ihnen, meine Herren Exzellenzen, steht es, ob es wirklich verlöschen oder ein großes Feuer werden soll. Es wird verlöschen und tot sein, wenn man kein Öl hineingießt, wenn man die letzten Funken austritt. Das heißt, wenn man denen, die in den langen Kriegsjahren um Hab und Gut gekommen sind, eine milde Hand reicht. Aber wehe, wenn blinde Herrschsucht die Leiden vermehrt, wenn ungerechte unselige Maßnahmen getroffen werden! Und eine unselige Maßnahme nenne ich diese Steuer. Meine Herren Exzellenzen! Wer Wind säet, wird Sturm ernten. Und der Sturm wird die Asche zerstäuben, wird zur hellen Flamme aufwirbeln, was jetzt ein kleiner Funke ist. Ja, meine Herren Minister, gießen Sie nur fleißig Öl hinein, Sie werden sehen, was darnach kommt. Die Flammen, die roten Flammen werden auflodern und werden ...‹

»Ich sah die Exzellenzen an, es war ein halbes Dutzend da, sie saßen im Halbkreis, und sie waren ganz still und stumm, und es war ein Saal, groß wie eine Kirche. Ich sah sie an und hatte meine Rechte erhoben und war begeistert, und meine Begeisterung hallte in meiner Stimme nach. ›Unsere Menschenrechte‹, sagte ich, ›hängen unveräußerlich in den Wolken des Himmels, und wenn man sie uns nicht gibt werden wir sie herunterlangen. Und wenn wir sie herunterholen, dann, meine Herren Exzellenzen, wird der Holzstoß hell auflodern, und die Flammen werden das Haus des Staates verzehren, und Sie, meine Herren Exzellenzen, ja selbst Seine Majestät der König, alle werden unter den Trümmern begraben.‹«

Die Wirkung dieser Rede von Karl Ohm war (nicht damals bei den Ministern, sondern jetzt auf dem Federwagen Hinnerk Schmidts), da war ihre Wirkung ganz außerordentlich. Der Wagen fuhr zwischen hohen Knicken, die die Tonschwingungen der bald rollend, bald hallend vorgetragenen Deklamation hübsch zusammenhielten. Die Pferde hoben die Köpfe und ›glupten‹ hinter sich, sie waren der Meinung, daß man sie ausschelte, und warteten auf die Peitsche. Durch den zur rechten Hand sich hinziehenden Knick sah ein kleines Mädchen, das auf einer Koppel Gänse hütete, und zeigte dabei ein blondes, erstauntes, ein bißchen dummerhaftes, demütiges Gesicht ... zu Hause wird sie erzählen, daß ein Pastor vorbeigefahren sei, der im Wagen gepredigt habe. Dem Wagen begegnete ein Trupp großer Kälber. Die wußten auch nicht, was aus dem schreienden Mann zu machen sei, erschraken maßlos und kehrten dem Widerstand ihres kleinen Hirten, der sich umgerannt und weinend im Sande wieder fand, sie kehrten diesem zum Trotz um und liefen nach dem Dorfe zurück.

So wurde alles in der Natur ringsum von Karl Schnoor an seine Nichtigkeit und an des Redners Überlegenheit erinnert. Hinnerk hatte oratorische Leistungen der Art noch niemals gehört und war förmlich erdrückt. Lange Zeit wußte er nichts zu sagen; endlich pfiff und schnalzte er zu den Pferden hinüber, bewegte die Peitsche und sprach das Wort »Hü!« Und als die Rosse sich in Trab gesetzt hatten, sah er den Ohm mit seinem rotverbrannten Gesicht, mit seinen treuen, tiefen Augen an und beglückwünschte ihn in einem Satz, woraus Kenner das stille Jauchzen seiner Bewunderung heraushören. Er sagte: »Junge ja, Ohm, dat hest ehr awer god seggt – das hast ihnen gut gegeben.«

»Und ob ichs ihnen gesagt habe!« fiel Karl Ohm ein. »In Kopenhagen prophezeite man mir, man werde mich einstecken. Ich antwortete: ›Lat s' mi man instecken, se lat mi ok wull weller rut.‹«

Wie gutmütig das Lächeln seiner Lippen, wenn er so überlegen hin sagte: »se lat mi ok wull weller rut.«

Kurz vor dem Bahnhof verließ Ohm Schnoor das Gefährt. Die Pferde waren nicht lokomotivensicher. Hinnerk wendete den Wagen und stieg dann auch selbst auf einen Augenblick ab. Den Fuß am Tritt, nahm er, ganz gegen seine Gewohnheit, umständlich Abschied von seinem Ohm. Er band sogar die Pferde mit dem Leitseil am Deichselhaken fest und bedankte sich, die Hand des Alten in seiner Rechten.

»Ohm«, sagte er, »da kann ich mich doch auf verlassen?«

»Daß ich in Kopenhagen gewesen bin?«

»Nein, was du mir über die Papiere gesagt hast.«

»Jung, was denkst du von mir! Ich werde dich doch nicht ins Unglück bringen!«

»Also ganz gewiß?«

»So gewiß, as ik Karl Schnoor heet.«

Hinnerk Schmidt ließ Ohm Schnoors Rechte und fragte dann: Kannst mir die Hand auf geben?«

»Hier!« beteuerte der große Ohm, und eine runde, weiche Hand legte sich in Hinnerks. »Hinnerk«, sagte er feierlich, »ich will nicht selig werden, wenn ich dich belogen habe.«

Das überzeugte Hinnerk, das machte seine Rührung fließen. Er fuhr in die Rocktasche und brachte ein Papier ans Licht. »Dat is din Schien.«

»Dat seh ik.«

»Un nu is he dat.« Hinnerk zerriß den Schein und ließ die Fetzen fallen. »So bün ik ok ni. För wat is wat.«

»Jung, Hinnerk!«

»De Schien is betalt, Ohm.«

Ohm hielt es für angemessen, sein Gesicht auf einen Augenblick zu verdüstern (er nahm ja keine Geschenke und kein Honorar), ließ sich aber besänftigen. Und, da er eigentlich niemals oder doch selten Darlehen zurückzahlte, am allerwenigsten aber in diesem Fall daran gedacht hatte, so war seine Rührung über die Güte seines Neffen entsprechend maßvoll. Den Schein hatte er fröhlich wie auch in andern Fällen unterschrieben mit dem inneren Vorbehalt, daß er nicht ernst genommen werden dürfe.


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