Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es ist Mittag geworden. – Die Kinder sind in der Schule, die Großen an der Arbeit. Still liegt das Dorf und niemand hält Freyer auf, als er, vom Bürgermeister kommend, mit geflügeltem Schritt hindurcheilt, – dem Friedhof und der Kirche zu, die alte breite »Außergasse«, wie die Hauptstraße des Ortes heißt, mit ihren bemalten Häusern entlang.
Auf dem Friedhof zunächst der Kirche da steht ein einfaches Grabmal mit einer Bronzebüste. Ein unschöner Kopf mit allerlei Verzeichnungen, als habe die Natur dieser Seele absichtlich nur eine häßliche Hülle gegönnt aus Aerger darüber, daß jene ihr nicht gehören sollte, daß sie nicht so viel Macht über sie haben dürfe, wie über jeden andern Staubgeborenen, – denn diese Seele gehörte dem Himmel und die Erde hatte kein Teil an ihr. Aber wie sich die Natur auch bemühte, sie zu verunstalten, ihre reine Schönheit strahlte durch die körperliche Hülle so blendend hindurch, daß auch das irdische Auge nur das Schöne erblickte und die Häßlichkeit übersah.
Diese Seele, die zugleich die Seele Ammergaus genannt werden konnte, denn sie trug das ganze Volk, sie lebte für alle, sie gab sich allen und behielt nichts für sich, – dieser edle Geist, dem der Dank seiner Hinterbliebenen, und das war die ganze Gemeinde, ein Denkmal setzte, war Alois Daisenberger, – der Reformator des Passionsspiels.
Es ist eine eigentümliche Erscheinung, daß die Ammergauer im Gegensatz zu allen anderen Menschen nur für geistige Güter dankbar sind, während sie leibliche Wohltaten mit Verachtung strafen. Es empört ihren Stolz, daß sie gezwungen sind, derlei niedere Gaben anzunehmen, und sie haben schon im voraus den Argwohn, der Betreffende könne sich seiner Wohltaten überheben. Wer nicht die Selbstverleugnung hat, durch Ertragen von Demütigungen und Beleidigungen aller Art diesen Argwohn zu widerlegen, der lasse sich nicht beikommen, den Ammergauern helfen zu wollen. Ein Akt des Wohltuns in Ammergau ist nicht, was er anderswo ist, eine abgeschlossene Tat, die ihren moralischen Wert in sich trägt – nein, er ist der Anfang einer Reihe von Prüfungen, die erst bestanden werden müssen, das erste Glied einer Kette kleinerer und größerer Bußübungen, die erst vollbracht sein müssen, bevor er als vollgültig erachtet werden kann. Wer etwas Gutes getan hat – hat nichts getan, – erst wenn er das Gute, das er tat, wie etwas Böses abgebüßt hat, – dann hat er seiner Gabe den rechten Wert verliehen und den beleidigten Stolz des Empfängers versöhnt! –
So war es bei Daisenberger. Mit der Geduld eines Heiligen ertrug er alle die Ecken und Eigenheiten der merkwürdigen Charaktere – und wie einen Heiligen haben sie ihn dafür verehrt. Er hatte den genialen Blick für die natürliche Kunstbegabung, das Herz für die Leiden, das Verständnis für die innere Größe dieses Volks. Und er leistete Bürgschaft für diese, – denn keine Ehre der Welt, kein Bischofsstuhl, der ihm angeboten, konnte ihn weglocken. Was war es denn, was ihm alles aufwog, womit Staat und Kirche ihn erhöhen wollten? Wer da oben auf dem stillen Friedhof steht, umweht von der scharfen Hochgebirgsluft, die verlorene Klänge eines neu einstudierten Requiems vom Dorfe herüberträgt, umgeben von beschneiten Firnen, die träumend hereinschauen auf die kleinen Grabhügel mit ihren winzigen Kreuzlein, wer das Denkmal mit dem mächtigen Haupt betrachtet, das da umzuckt von den blauen Blitzen einer frisch gewundenen Gentianenkrone in das Dorf hinabschaut, – den ergreift ein leises, wehmütiges Ahnen, daß hier wohl ein Geheimnis verborgen, in dem ein großer Geist seines Lebens Genüge finden könnte, sofern er den Schlüssel dazu hätte! Aber es ist, als ruhe der Schlüssel in Daisenbergers Grab, als hätten ihn die Ammergauer mit dem geliebten Toten dahinein versenkt, damit ihn kein anderer mehr finde – und als fänden sie ihn jetzt selbst nicht mehr! –
Zu diesem Grabe eilt Freyer. Es ist der erste Gang des zurückgekehrten Christusspielers zu seinem Dichter! – Einsam liegt das Grab, von der Welt vergessen. Das ist das echte Werk des Glaubens und der Liebe, wo der Dichter hinter seiner Schöpfung verschwindet und Gott die Ehre läßt. Die ganze Welt strömt zum Passionsspiel – aber dessen, der ihm eine Form schuf, die es unserer Zeit zugänglich machte, gedenkt kein Mensch. Es ist das »Oberammergauer«, nicht das »Daisenbergersche« Passionsspiel. –
Er gab den Ammergauern nicht nur sein Leben, seine Fähigkeiten – er gab ihnen auch das, wovon der sterbliche Mensch am schwersten läßt – seinen Ruhm! Er war ein Mann, dem die Erde nichts geben und nichts nehmen konnte. Darum waren es auch nur wenige, die ihm sein Grab auf dem kleinen Ammergauer Friedhof bestellten, und nur seine Gemeinde, seine Berge und seine toten Passionsdarsteller umgeben es. Anmut und Schönheit seiner einfach großen Dichterseele umweben es mit unsichtbaren Kränzen. Aber statt der Grazien sind es Engel und statt der Lorbeeren sind es Palmen!
In stummer Andacht kniet Freyer an dem Grabe und betet, aber nicht für sich, auch nicht für den, der unter den Seligen weilt, sondern zu ihm, für den Geist seines Volkes, daß er diesen weihe und stärke mit dem heiligen Ernst seiner Aufgabe. Und je länger er in das eherne und doch so weiche Angesicht blickt, ohne daß die altbekannten Züge, die ihm einst so wohlwollend gelächelt, da er zum erstenmal die großen Worte der Tempelaustreibung vor ihm sprach, sich mehr beleben wollen, – ein desto unbeschreiblicheres Weh erfaßt ihn, als sei die Seele seines Volks mit Daisenberger gestorben, als sei ganz Ammergau nur noch ein Friedhof und er der einzig Trauernde darauf.
»O edle, große Seele, die du Raum hattest für eine Welt und dich begrenztest auf dies enge Tal, uns eine Welt der Liebe hereinzutragen, – da liegt dein unwürdiger Christus vor dir und netzt mit Tränen den Stein, den kein Engel uns hinwegnimmt, daß wir noch einmal deinen verklärten Leib berühren und sagen könnten, gib uns deinen Geist!«
Da, als spräche der metallene Mund, von dem er Antwort erfleht, mit metallener Zunge, ertönt feierliches Glockengeläut. Es ist zwölf Uhr. Was die alte Stimme ihm sagt, es ist nicht in Worte zu kleiden. Die Stimme hat ihn geleitet, da er in der Taufe in den Bund dessen aufgenommen ward, den er einst darzustellen ausersehen war, – sie hat ihn getröstet, da er, ein weinendes Büblein, hinter der Bahre des Vaters dreinlief, sie hat ihm gedroht, wenn er Sonntags beim Läuten mit den »Schülern« zu wild am Glockenstrang riß, sie hat ihn gemahnt, wenn er hoch oben am Kofel oder Laaber sich mit Alpenrosensuchen versäumt oder, in die blaue Luft hinein jauchzend, den Gemsen nachgestiegen war. Sie hat ihn zur Ordnung gerufen, wenn er beim »Heimtreiben« mit den Kameraden um das erste Hirtenmädel raufte, dem sie zusammen huldigten. – Ein Lächeln gleitet über seine Züge, wie er dran denkt! »Ach, du frohe, frische Knabenzeit –!« Und dann – dann ertönte sie gewaltig wie eine Stimme aus einer andern Welt – die Glocke, am Passionsmorgen, wenn die Stunde kam, wo er im Christusgewand sich mit den andern hinter dem Vorhang versammelte, um das gemeinsame Vaterunser vor der Vorstellung zu sprechen, – das große, brünstige Gebet, der Herr solle ihnen beistehen, daß alles gut gehe, »zu Seiner Ehre!« Und wieder tönte sie ihm feierlich und süß zugleich, da er das Weib, das wonnige, in der Morgenfrühe im Garten beten sah – zu dem vermeintlichen Gott, der er nicht war! – Da ist's, als spränge die Glocke – ein schriller Mißton, ein heftiger Schmerz durch Kopf und Herz, oder war's eine Saite in seinem Innern, die gesprungen? O Erinnerung – Vergangenheit! – Engel und Dämon zugleich – was zauberst du deine Bilder dem Kreuz- und Todgeweihten vor, was weckst du die Sehnsucht nach unwiederbringlich Verlorenem? Mit einem lauten Stöhnen lehnt der Gequälte die feuchte Stirn an den kalten Stein, und als habe der bronzene Kopf Erbarmen mit ihm, läßt er aus seinem Kranze eine blaue Gentiane auf das Haupt des Büßers niederfallen mit leiser Berührung, wie ein Kuß von Geisterlippen. Er nimmt sie und steckt sie in sein Taschenbuch zu einer blonden Kinderlocke – dem einzigen, was ihm geblieben von all dem versunkenen Glück! –
Da legt sich eine Hand auf seine Schulter: »Ich danke dir – daß dies dein erster Besuch ist!« Der Mesner steht vor ihm: »Ich sehe, daß du ein Ammergauer geblieben bist. Grüß dich Gott!«
Da ergreift Freyer mit Tränen die dargebotene Hand: »O du edles Daisenberger-Blut, grüß dich Gott, tausendmal. Und du echter Ammergauer – Neffe unseres verewigten Schutzengels, du sage mir's in seinem Namen, wollt ihr mich wieder aufnehmen in eure Mitte und zum heiligen Werk?«
»Ich weiß nicht, was du erlebt und getan,« sagt der Mesner und sieht ihn mit seinen großen, treuen braunen Augen an. »Ich habe dich nur von weitem beobachtet, wie du hier auf meines Ohms Grabe gebetet hast, und ich meine, wer das tut, der kann uns nicht verloren sein. Auf diesem teuern Grabe reiche ich dir die Hand zum Bunde. Willst du mit mir wirken, leben und, wenn es sein muß, sterben für das heilige Vermächtnis dieses Toten, für unsere große Aufgabe, wie er sie im Herzen trug?«
»Ja und Amen!«
»So segne Gott deinen Eingang und deinen Ausgang.«
Und die zwei Männer sehen sich ernst und ehrlich in die Augen und ihre Hände sind über dem geweihten Hügel verschlungen wie zum Schwur.
Da taucht plötzlich eine jungfräulich schöne, etwas ältliche Gestalt zwischen den Gräbern auf und schreitet mit würdevoller Freundlichkeit auf Freyer zu: »Ja, grüß Gott, Herr Freyer – kennt's mich noch?« sagt sie mit ruhiger volltönender Stimme und streckt ihm die Hand hin.
»Maria!« ruft Freyer und ergreift ihre Hand. »Anastasia – wie werd' ich dich nicht kennen! Ja, grüß dich Gott! Aber warum sagst du denn ›Herr Freyer‹ zu mir? Sind wir uns denn so fremd geworden?«
»Ja, ich hab' halt g'meint, ich dürft' nimmer du sagen, weil du so lang fort warst und –« sie hält inne und ein mitleidig ehrfürchtiger Blick ruht auf ihm, als wollte sie sagen: »Und so unglücklich bist!« Denn feine Seelen haben mehr Respekt vor dem Unglück, als vor Rang und Reichtum und der Leidende ist ihnen eine geheiligte Person.
Der Mesner schaut auf die Uhr: »Ich muß fort, um ein Uhr ist wieder Vesper. Auf Wiedersehen, Freyer! Kommst heut abend in den Turnverein?«
»Schwerlich – ich bin nicht recht wohl. Aber wir sehen uns schon. Bist du denn jetzt verheiratet? Ich hab' ja noch gar nicht gefragt –!«
Da geht dem Mesner das Gesicht in heller Freude auf: »Jawohl, und gut, – ich hab' ein braves Weib. Du wirst sie ja sehen, wenn du zu mir in Heimgarten kommst!«
»Ein braves Weib, – du Glücklicher!« sagt Freyer leise.
»Sie hat nur jetzt ein bissel viel zu tun mit dem Kleinen, das ist gerad' geimpft worden, jetzt schreit's halt und will immer bei der Mutter sein –«
»So – ein Kind hast du auch?«
»O und was für eins!« bestätigt Anastasia. »Ein herziges Mädle. Das gibt einmal eine Maria! – Aber die Mesnerin verzieht's, sie bringt's nimmer vom Arm 'runter.« –
»Eine gute Mutter, – das muß was Schönes sein!« sagt Freyer mit einem seltsamen Ausdruck, als spräche er im Traum. Dann drückt er dem Freund die Hand und wendet sich ab, um zu gehen.
»So, und mir sagst nicht adie?« fragt Anastasia. Der Mesner macht ihr traurig ein Zeichen hinter Freyers Rücken als wie: »Der hat schwer gelitten!« und geht in seine Kirche.
Da dreht sich Freyer noch einmal um: »Ja so, meine Maria! Gelt, ich bin grob?«
»Nein – nicht grob – nur unglücklich!« sagt Anastasia und ein teilnehmender Blick streift forschend sein abgezehrtes Gesicht.
»Ja!« sagt Freyer und senkt die Wimper, als wolle er nicht, daß sie in seinen Augen läse – wie sehr. Aber sie sieht es durch die Lider hindurch. Eine Weile stehen sie am Grabe Daisenbergers, die Maria und der Christus. »Wenn der da noch lebte, – der wüßt' g'wiß, was dir helfen könnt'!«
Freyer schüttelt das Haupt: »Und wenn Christus selber vom Himmel käm', er könnt' mir nicht helfen – wenigstens nicht anders, als er mir auch so hilft, durch den Glauben an ihn!«
»Joseph, – willst nicht mit mir nach Haus kommen? Schau, gleich da drunten, da hab' ich mein Austragstübl. Es ist recht nett, geh mit, ich hab' dir's für eine Ehr', wenn du bei mir einkehrst!« Sie geht vor ihm her. Unwillkürlich folgt ihr Freyer und schnell ist das kleine Haus erreicht.
»So wohnst du nicht mehr bei deinem Bruder, dem Bürgermeister?«
»Ach nein! Weißt du, seit ich älter worden bin, sehn' ich mich nach Ruh' und Alleinsein und bei der Schwägerin ist immer so viel Leben durch den Laden und die Kinder. – Man hört da so manches reden, was einem weh tut, –« sie stockt verlegen. Und macht die Tür in ihr Gärtchen auf, wo sie auf der Bank hinter dem Haus ganz ungestört sitzen können.
»Das war gewiß über mich, was dir zu Ohren kam, und das ertrugst du nicht! Du treue Seele – nicht wahr, deshalb zogst du dich von den Leuten zurück und lebtest einsam?« sagt Freyer und läßt sich nieder. »Sei nur ganz offen – nicht wahr, du hast vieles über mich hören müssen und bist zuletzt selbst irre geworden an dem alten Schulkameraden?«
»Nun ja! Sie haben dir Schlechtes nachgesagt mit der Prinzessin – aber ich hab's nie geglaubt, ich weiß ja nicht, wie's gewesen ist, aber wie's auch war, du hast nichts Schlechtes getan!«
»Maria – woher nimmst du dies Vertrauen?«
»Nun, lieber Gott,« lächelt sie, »ich werde doch meinen Sohn kennen – und welche Mutter sollte wohl ihrem Kind mißtrauen?«
Er ist tief erschüttert: »O du jungfräuliche Mutter! Wunder des Himmels, da draußen verließ mir eine Mutter das eigene Kind – und hier reifte ein Kind zur Mutter für mich, um sich des Verlassenen zu erbarmen! Maria, reine Magd Gottes, womit hab' ich diese Gnade verdient?«
»Schau – ich hab' dich allzeit lieb gehabt wie deine Mutter, seit wir damals zusammen gespielt, und hab' um dich getrauert all die neun Jahre, wie eine Mutter. Aber ich hab' an dich geglaubt und auf dich gehofft, daß du einst wiederkommst und deinem alten Mütterlein die Augen zudrückst, und wenn's noch zwanzig Jahr' gegangen war' – ich hätt' doch nicht aufgehört zu hoffen. Sieh, und ich hab' recht gehabt und du bist wirklich 'kommen! Ach, das hätt' ich mir nicht träumen lassen, daß ich noch einmal mit dir spielen werd', – daß ich meinen Jesus noch einmal auf den Knieen halten darf und seinen müden Kopf stützen, wenn er vom Marterpfahl genommen wird. O, das ist ein Glück über alles! Freilich bin ich nun unterdessen ein alt' Jüngferlein worden und 's wundert mich, daß sie mich's noch einmal spielen lassen – ich bin jetzt neununddreißig Jahre alt, weißt du, vor zehn Jahren war ich g'rad neunundzwanzig – 's ist ein bißchen alt für die Maria, aber ich mein', es wird sich natürlicher machen, denn Maria war ja damals auch eine alte Jungfrau, als Christus gekreuzigt ward!«
»Neununddreißig Jahre und noch unverheiratet – solch ein schönes Geschöpf – wie kommt das, Maria?«
Sie lächelt: »O ich hab' keinen gewollt – ich hätt' doch keinen so lieb haben können, wie meinen Jesus!« –
»Großer Gott, auch das noch auf meine Seele! Ein ganzes Leben vertrauert, verloren in stillem Hoffen, in Lieb' und Treu' für mich – lächelnd und vorwurfslos! – Diese Seele hätte mein sein können, diese Blume hat mir geblüht im stillen Tal der Heimat, und ich ließ sie verwelken, indes ich mir draußen in der Fremde Herz und Hirn versengte. Maria, ich will's nicht denken, daß du dein Leben um mich verloren, – du bist noch so schön, Maria, du wirst noch lieben und glücklich werden an der Seite eines braven Mannes!«
»O nein, was fällt dir ein! – Jetzt ist's vorbei,« sagt sie' heiter. »Ich bin ja ein Jahr älter wie du – das ist für ein Frauenzimmer schon zu alt. Da sieh her, wenn man einmal graue Haare hat, da denkt man nicht mehr ans Heiraten!« Und sie schiebt mit der Hand ihren reichen, braunen Scheitel von der Schläfe und da ist es weiß darunter, – schneeweiß!
»Mein Gott, – ergraut, vielleicht um mich –!« sagt er bewegt.
»Ja nun, das sind die Muttersorgen, die altern früh!«
Da sinkt er vor ihr ins Gras, keines Wortes mächtig. – Sie streicht ihm mit der Hand sanft über das gesenkte Haupt: »Ach, wär' nur mein armer Sohn als ein glücklicher Mann zurückgekommen – wie hätte sich da mein Herz gefreut. Hättst du mir gar eine liebe Frau aus der Stadt mitgebracht, der hätt' ich dann geholfen und ihr die grobe Arbeit getan, die sie nicht gewohnt gewesen wär' – und wenn ihr dann ein Kindchen gehabt hättet, das hätt' ich euch gewartet und gepflegt! Und wenn's ein Bub gewesen wär', da hätten wir's zum Christus erzogen – gelt? Bis über zwanzig Jahr' hätt's ihn dann schon spielen können, – dein Ebenbild!«
Freyer zuckt zusammen, als schneide ihm das Wort in die Seele. Sie ahnt es nicht und plaudert fort: »So hätt' sich der Christus vielleicht von Kind auf Kindeskind in deiner Familie vererbt – das wäre schön gewesen!«
Er erwidert nichts – ein leises Schluchzen nur ringt sich aus seiner Brust.
»Sieh, dergleichen hab ich mir oft ausgedacht in den langen Jahren, wenn ich die Winterabende so allein im Stübl saß! Aber so ist's leider nicht gekommen! – Du kehrst heim als ein armer, einsamer Mann – und auch durch dein Haar schimmern Silberfäden – und wenn ich dich anseh', möcht' ich weinen! Du Armer, was haben sie mit dir angefangen da draußen, die bösen fremden Leut', daß du so bleich und krank bist? Was haben sie meinem Jesus getan? Es kommt mir vor, als hätten sie dich gekreuzigt und dich abgenommen, als du noch nicht ganz verschieden warst – und du gingst jetzt herum, und könnest nicht leben noch sterben, ein halbtoter Mann. Ich mein', ich seh' die Wunden in deinem Innern, ich seh' dein armes Herz, vom Speer durchbohrt. O mein großes, blutendes Kind, – leg dein Haupt noch einmal in deiner Mutter Schoß und ruhe aus bei der, die so viel gern ihr Herzblut für dich gäb'!« Und sie zieht sanft seinen Kopf auf ihre Kniee und legt ihm die eine Hand wie ein weiches Kissen unter, mit der andern streichelt sie ihm liebevoll die Stirn, als wolle sie die Blutspuren der Dornenkrone hinwegwischen, indessen Träne um Träne von ihren langen Wimpern auf den Sohn niederrieselt, – den Sohn der jungfräulichsten Mutter!
Stille ist's um sie her – über ihrem Haupt rauscht's wie in Zedern und Palmen – eine Trauerweide breitet ihr Gezweig über ihnen aus und von der Kirchhofsmauer herunter nicken die Kreuzesblumen stumme Grüße von Golgatha.