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» Qu'en dites-vous! Die Gräfin gründet eine maison d'orphelines!« ruft der Prinz, aus dem Großschen Haus kommend, einem Trupp Herren zu, die im Gärtlein vor der Tür warten.
Die Nachricht erregt Sensation, die Herren umringen den Prinzen fragend und lachend.
» O grand Dieu, wer kennt eine Frau aus! Unsere Göttin sitzt dadrin in der Bauernstube, umringt von den alten Töchtern des Hauses, unbeschreibliche Gestalten, und beschäftigt sich mit weiblichen Arbeiten!«
»Die Wildenau? Die Gräfin? Ah, das ist ein schlechter Witz!«
»Nein, mein Wort darauf! Wenn sie nicht das Fenster mit einem Schleier verhangen hätte, könnten wir sie sitzen sehen. Sie hat sich eine baumwollene Schürze von den ›Damen des Hauses‹ geliehen, trägt heute, da sie sich in Ermangelung der Kammerjungfer selbst die Haare machen mußte, eine excentrisch einfache Frisur und sieht aus,« er wirft eine Kußhand in die Luft, »berückender denn je, wie ein Mädchen von sechzehn Jahren, ein Gretchen! Wen sie in großer Toilette nicht verrückt gemacht hat, der wird es, wenn er sie so sieht!«
»Ah, ah! Das müssen wir auch sehen, stürmen wir das Fenster,« ruft der Schwarm begeistert durcheinander.
»Nein, nein! Um Gottes willen nicht, bei ihrem Zorn! Fürst Hohenheim, ich bitte Sie! Graf Cossigny, nicht klopfen! St. Génois, au nom de Dieu, elle ne vous pardonnera jamais!«
»Aber warum denn nicht, Hausfreunde wie wir!«
»Ich sag's Ihnen ja, wer berechnet die Launen einer Frau! Lassen Sie sich doch nur erzählen: Ich komme herein, triumphierend, ihr eine so angenehme Neuigkeit zu bringen, ich sage: ›Gräfin, raten Sie einmal, wen ich soeben an der Kasse getroffen habe?‹ Die Angebetete sitzt und näht!«
Allgemeines »Ah!«
»Näht,« fährt der Prinz fort, »natürlich ohne Fingerhut, denn die im Hause befindlichen waren ihr doch etwas bedenklich, und unter den Kostbarkeiten der Gräfin befindet sich natürlich kein Fingerhut! Also ich wiederhole meine Frage! Ein eisiges ›Wie kann ich das wissen!‹ ist die deprimierende Antwort, als ob es nichts auf der Welt gäbe, was sie in diesem Augenblick mehr interessieren könnte als ihre Arbeit! Ich muß also ungefragt und spannungslos mit meiner Neuigkeit heraus: ›Gräfin, denken Sie nur, Prinz Hohenheim, die Grafen Cossigny, Wengenrode, St. Génois, ganz Oesterreich, Frankreich und Bayern ist da!‹ ruf' ich voller Freude! Ich denke, sie wird aufatmen, daß sie wieder Menschen sieht, aber nein: Stirnrunzeln!«
»Hört, hört!« murrt der ganze Trupp.
»Stirnrunzeln, il faut que j'insiste! ›Sie sind draußen, bereit, sich Ihnen zu Füßen zu legen,‹ sag' ich weiter. Noch stärkeres Stirnrunzeln: ›Ich bitte Sie, halten Sie mir die Herren ab, ich kann niemand sehen, ich will niemand sehen!‹ So erklärt sie rund heraus! – Ich erlaube mir schüchtern zu fragen, warum nicht? Sie ist angegriffen, sie kann sich so nicht sehen lassen, sie hat keine Zeit! Und endlich kommt's heraus! Was glauben Sie, daß die Gräfin seit gestern getrieben hat?«
» Je n'ose pas deviner,« sagt St. Génois mit einem boshaften Blick auf den Prinzen, den dieser vornehm ignoriert: »Mich hat sie um elf Uhr fortgeschickt und dann hat sie genachtwandelt, Mondschein geschwärmt mit dem alten Schnitzer, ihrem Hausherrn.«
Allgemeines Gelächter: »Die Gräfin Wildenau muß in Ermangelung von Begleitung mit einem alten Schnitzer herumirren.«
»Ja, und diesen tugendreichen Spaziergang benutzte sie, um einem verzweifelten Mädchen, das sich sehr apropos im Moment das Leben nehmen wollte, als die Gräfin des Weges kam, dieses kostbare Gut zu retten. Nun sitzt sie und richtet eines ihrer reizenden Costumes tailleur für diese neueste Puppe ihrer Laune her. Sie behauptet, das Wesen zärtlichst zu lieben, es nie mehr von sich zu lassen, enfin, elle jouit du rôle inconnu de bienfaitrice, und da will sie nicht gestört sein!«
»Sahen Sie die Orpheline?«
»Nein, sie versichert, es müßte dem Mädchen peinlich sein, sich neugierigen Blicken auszusetzen, und verbirgt diese zartfühlende junge Dame vor jedem profanen Auge in ihrem Schlafzimmer! Qu'en dites-vous, mon prince?«
»Ich sage,« erwidert Fürst Hohenheim, ein älterer Herr mit feingeschnittenem, sarkastischem Gesicht, etwas kahler Stirn und leiser, aber scharfaccentuierter Sprechweise: »ich sage, daß eine lebhafte, phantasievolle Frau immer ist wie die Umgebung, in der sie sich momentan befindet! Ist die Gräfin in gelehrter Gesellschaft, so wird sie streng wissenschaftlich sein, ist sie in einem etwas frivol angehauchten Kreis wie der unsere, so ist sie – nicht gerade frivol, aber voll von sprudelndem Esprit und hier unter diesen frommen Schwärmern gefällt sich Ihre Erlaucht darin, die Säulenheilige zu spielen! Lassen wir sie, das dauert nicht lange, man muß die Laune einer Dame niemals stören! Ce que femme veut, Dieu le veut!«
»Hat die Gräfin auch ein Gelübde getan, zu fasten?« fragt Graf Cossigny von der österreichischen Gesandtschaft und deshalb schlechtweg »Oesterreich« genannt; »könnten wir denn nicht zusammen dinieren?«
»Nein, sie hat mir erklärt, daß sie die liebe Selbstmörderin vorerst keinen Augenblick allein lassen wolle, und daß sie zu Hause speist! Ich sage Ihnen, gestern noch schüttelte sie sich bei dem Gedanken, eine Tasse in dieser Hexenküche gebrauten Tees einzunehmen, und nur der Umstand, daß mein Kammerdiener ihn angoß und daß ich ihr ihn vortrank, bewog sie endlich nachts um zehn Uhr, dieses Labsal zu acceptieren! Und heute genießt sie ein von den Damen dieses Hauses bereitetes Diner! Es muß wirklich in dieser Ammergauer Luft etwas Gefährliches liegen!«
»Für Naturen wie die Gräfin, ja!« sagt Fürst Hohenheim in seiner kühlen Weise, legt seinen Arm einen Augenblick in den des Prinzen und flüstert ihm im Weiterschreiten vertraulich zu: »Ich rate Ihnen, Prinz Emil, suchen Sie sie bald wieder hier wegzubringen!«
»Ja, gewiß. Alles ist bestellt, wir reisen sogleich nach der Vorstellung.«
» A la bonheur! Also morgen! Sie haben doch Billets?«
»Jawohl, und was noch mehr ist, ganze Knochen!«
»Nicht wahr?« ruft Oesterreich, »welch ein Zudrang, man könnte glauben, die Sarah Bernhard spielte die Jungfrau Maria!«
» C'est ridicule! Ich habe so etwas nicht einmal auf der Pariser Ausstellung erlebt!« meint St. Génois.
»Es ist ärger als in Baden-Baden bei einem Rennen!« brummt Wengenrode empört.
»Lächerlich, was haben die Leute dabei?«
»Je nun, wir sind ja auch da!« lächelt Hohenheim.
» Mon Dieu, man muß es ja einmal gesehen haben, wenn man gerade in der Gegend ist wie wir!« meint Cossigny.
»Gehen Sie auch nach der Vorstellung fort?« fragt Prinz Emil.
»Natürlich, was soll man denn hier tun? Kein Jeu – keine Damen; ich bitte Sie, dieser Bürgermeister von Ammergau gestattet weder einen Zirkus, noch sonst irgend ein gemeinnütziges Unternehmen! Vierzigtausend Mark bar sind ihm vom Zirkus Rouannet geboten worden, wenn er ihm gestattete, während der Dauer der Passionsspiele Vorstellungen zu geben! Mademoiselle Rouannet hat es mir selbst gesagt! Glauben Sie, dieser obstinate, steifleinene Philister wäre zu bewegen gewesen? Nein! das vertrage sich nicht mit der Würde des Passionsspiels! Lieber schlägt er die vierzigtausend Mark aus. Salon Klüber wollte ein elegantes Karussell errichten, bot zwölftausend Mark Handgeld – Gott bewahre! Von Damen, welche nicht ihr bürgermeisteramtliches Leumundszeugnis an der Stirn tragen, nun schon gar keine Rede, wer soll denn da länger als vierundzwanzig Stunden aushalten?«
»Ich glaube, die Leute haben den Größenwahnsinn,« meint Wengenrode.
»Sagen wir lieber den Heiligenwahnsinn,« präzisiert Fürst Hohenheim.
»Gewiß, sie halten sich alle für die betreffenden himmlischen Herrschaften selbst! Man soll nur diesen arroganten Bürgermeister und nun gar den Herrn Jesus Christus ansehen, was die Leute sich einbilden!«
Allgemeines Gelächter.
»Ja,« sagt Wengenrode, »und der römische Statthalter Pilatus, welcher Schaffner bei einem Boten ist, also Lasten schleppt, trägt mir heute mein Gepäck herauf und läßt mir den Toilettenkasten fallen, worin lauter zerbrechliche Büchsen sind. Ich fahre ärgerlich mit einem ›Dummer Tropf‹ heraus. Da richtet sich der auf und schaut mich an mit einem Blick, daß ich ordentlich in Verlegenheit komme. Ich heiße Thomas Rendner, Herr! Ich bitte um Entschuldigung für die Ungeschicklichkeit und bin gern bereit, den Schaden zu ersetzen, soweit meine Mittel reichen!«
»Nun bitte ich Sie, ist das nicht der reine Größenwahnsinn?«
Einige lachen, der Prinz aber und Hohenheim schweigen.
»Wo gehen wir denn morgen abend in München noch hin zur Erholung von der Langenweile?« fragt Cossigny.
»Ich denke, aufs Kasino!« sagt der Fürst.
»Gut, da wollen wir uns sämtlich Rendezvous geben, nicht?«
Allgemeine Zustimmung.
»Vorausgesetzt, daß die Gräfin uns nicht befiehlt?« meint St. Génois.
»Das wird sie nicht,« sagt der Prinz, »denn entweder die Geschichte wirkt lächerlich, wie es nicht anders zu erwarten ist, dann schämt sie sich vor uns und gönnt uns den Triumph nicht, weil wir es ihr prophezeit haben, – oder ihre sentimentale Laune zieht auch aus dieser Komödie irgend ein süßes Gift der Rührung, dann sind wir ihr zu frivol! Das muß man erst verrauchen lassen.«
»Sehr richtig,« bestätigt Hohenheim, »Sie sind der Mann, der dieser problematischen Schönen gewachsen ist, Prinz Emil! Adieu! avancez bien.«
Die Herren lüften die Hüte.
»Adieu!« sagt Cossigny, »apropos, ich mache einen Vorschlag. Wir werden der Gräfin in dieser Stimmung am besten durch Edelmut imponieren, sammeln wir glühende Kohlen auf ihr Haupt und lassen wir ihr durch Telegramm an den Hofgärtner das ganze Palais in einen Blumentempel verwandeln, bis sie heimkommt. Das wird sie sympathisch berühren, nichts als diese stummen Boten unserer Verehrung! Wenn sie beim Eintreten die Ueberraschung findet und bedenkt, wie schnöde sie uns heute behandelt hat, dann wird sie gerührt sein und uns übermorgen zu Tisch laden.«
»Der Plan ist famos,« jubelt Wengenrode und St. Génois. »Sind Euer Durchlaucht dabei?«
»Gewiß,« sagt Hohenheim mit kühler Höflichkeit, »wenn es sich um Sachen der Galanterie handelt, bleibt ein Hohenheim niemals zurück.«
»Ich bitte auch mich beteiligen zu dürfen, aber inkognito! Von mir wäre es eine Sentimentalität ihr gegenüber und würde den umgekehrten Effekt machen,« sagt der Prinz.
»Wie Sie wünschen!«
»Also aufs Telegraphenbureau!« ruft Wengenrode begeistert.
»Adieu, meine Herren!«
» Au revoir, Prinz Emil! Sie kehren in der Löwin Höhle zurück?«
» Vous demandez?« sagt Hohenheim mit feinem Lächeln.
»Also morgen früh bei den Heiligen und nachts im Kasino, nicht vergessen!« ruft Cossigny zurück.
Die Herren schlendern lachend und plaudernd die Straße hinunter ihren Quartieren zu. Der Prinz blickt ihnen einen Augenblick nach, dann kehrt er um und geht zur Gräfin zurück.
»Ich kann es ihr im Grunde nicht übel nehmen, wenn diese Umgebung sie nicht befriedigt,« denkt er bei sich. »Würde ich sie zur Gemahlin wollen, wenn es der Fall wäre? Gewiß nicht! Aber wenn die Frauen nur nicht immer von einem Extrem ins andere fallen wollten. Hohenheim hat ganz recht, sie darf mir nicht zu lange hier bleiben, morgen muß sie fort.« Er hat das Haus erreicht und tritt in den alten verwilderten Garten, wo riesige knorrige Obstbäume mit winzigen verkümmerten Früchten ihr Gezweig über einer schiefen Bank verflechten. Da sitzt jetzt die Gräfin, mitten im wuchernden Gras und Unkraut, den schönen Kopf an die verschimmelte Rinde des alten Stammes gelehnt, und blickt sinnend hinüber nach den lichten Bergen, die aus der Ferne durch das verworrene Gezweig und Gestrüpp hindurchschimmern.
Aus dem benachbarten, höher gelegenen Garten des Bildhauers Zwink schaut neugierig eine Diana von weißem Stein herüber und scheint der sinnenden Frau, die selbst in diesem Augenblick einer Statue gleicht, sagen zu wollen: »Die Kunst schafft dir überall Götter!« Aber die Lockung verfängt nicht, die Gräfin scheint mit diesen Göttern kein Glück gehabt zu haben, sie glaubt nicht mehr an sie!
»Nun, Gräfin, hat Sie Licht und Luft doch herausgelockt?« fragt der Prinz, sich freudig nähernd.
»Ach, ich konnte es drin nicht mehr aushalten! Die Töchter Groß machen das Kleid fertig. Prinz, wir wollen hier draußen essen; dort am Haus unter dem Dach von wildem Wein ist ein ganz ordentlicher Tisch, da soll man uns servieren. Für einen Tag kann man sich schon behelfen.«
»Für einen Tag!« betont der Prinz sehr erleichtert; »o ja, für einen Tag geht es schon.« Gottlob, sie denkt nicht daran, hier zu bleiben.
»O Prinz, sehen Sie doch nur, wie schön, wie herrlich ist es hier.«
»Schön, herrlich? Verzeihen Sie mir, ich sehe aber nichts, was Ihnen diesen von Ihren Lippen so seltenen Ausruf entlocken könnte! Sie müßten denn Ihre Anforderungen so herabgeschraubt haben, daß Sie nach dem Anblick der Zaubergärten der Isola Bella und aller italienischen Villen plötzlich Gefallen an Kohlstrünken, Holzbirnen, Ginster und Huflattich fänden?«
»Da sehen Sie, wie Sie wieder sind!« spricht die Gräfin unangenehm berührt. »Sagt nicht Spinoza: jedes Ding ist schön und indem ich mich in Betrachtung seiner Schönheit vertiefe, fühle ich eine Zunahme meiner Lebensfreude?«
»Gräfin, das war aber bisher Ihr Motto nicht. Sie fanden sonst an allem etwas zu tadeln. Mir scheint, Sie sind des Schönen müde und finden nun zur Abwechslung einmal das Häßliche schön!«
»Sehr wahr, mein Freund! Ich bin übersättigt, nichts reizt mich mehr, nichts genügt mir, auch das Schönste nicht, weil ich stets den Maßstab der Vollkommenheit an die Dinge lege und diesem doch nichts entspricht.« Sie schüttelt sich plötzlich, als werfe sie eine Last von sich. »So darf es nicht mit mir fortgehen, dieser ästhetische Gewissenszwang, der mir jeden Genuß von vornherein verkümmert, muß ein Ende nehmen, ich werfe ihn von mir, den ganzen Ballast kritischer Analyse und akademischer Schönheitsbegriffe und schlage einmal den Gespenstern Winckelmanns und Lessings ein Schnippchen. Hier im wüsten Gemüsgärtlein unter Kohlstrünken und Huflattich, Holzbirnen und Zwetschgenbäumen, umweht von der frischen krystallhellen Luft des Hochgebirges, dessen Firnen da bläulich durch die Zweige schimmern, in der heimlichen Stille und Einsamkeit, hier finde ich es jetzt einmal schön, schön, weil mir wohl ist, weil ich nur Mensch bin, frei von jedem Zwang, nichts denke, nichts fühle, als den Frieden der Natur und die Wonne dieses Ausruhens!«
Sie legt die Füße behaglich auf die Bank und blickt, den Kopf zurückgebogen, mit seligem Ausdruck in den blauen Aether hinein, der allerdings nach dem Regen wie eine krystallene Glocke über die Erde ausgebreitet ist.
Dem Prinzen gefällt diese Stimmung ganz und gar nicht. Er ist ausschließlich Kulturmensch. Sein Denken steht unter den Gesetzen strengster Logik, was nicht logisch durchführbar, existiert nicht für ihn, sein Enthusiasmus erreicht die höchste Stufe nur im Genuß der höchsten Leistungen in Kunst und Wissenschaft: daß man deren jemals überdrüssig werden könnte, wenn auch nur einen Augenblick, begreift er nicht, einerseits, weil sein maßvolles Wesen die Dinge nicht, wie es bei der Gräfin der Fall, in leidenschaftlichem Anlauf gleich bis in ihren tiefsten Kern erschöpft und er so vor Uebersättigung bewahrt blieb, andererseits aber, weil ihm jedes Verständnis für die Natur und ihre unwillkürliche Selbstherrlichkeit fehlt. Er ist der disziplinierte Mann der Form auf konventionellem wie jedem anderen Gebiet. In der Gräfin aber ist etwas von jenem Gottesgnadentum, das jeden Augenblick bereit ist, die Fessel aufgezwungener Traditionen und künstlicher Schablonen abzuwerfen und dem Zug der Verwandtschaft mit der souveränen Natur zu folgen. Da ist die Grenze, über die er ihr nicht nachkann und er weiß es wohl, denn er ist einer von den stolzen Charakteren, die es verschmähen, sich über sich selbst zu täuschen. Aber es erfüllt ihn mit ernster Besorgnis.
»Was denken Sie jetzt, Prinz?« fragt die Gräfin, die sein finsteres Brüten bemerkt.
»Daß ich Sie in Monaten nicht so vergnügt gesehen habe, Gräfin, und mir die Ursache dieses Vergnügens nicht erklären kann. Wenn man bedenkt, was sonst dazu gehört, um Ihnen ein Lächeln der Befriedigung zu entlocken!«
»Aber mein Gott, muß denn auch alles erklärt sein?« lacht die schöne Frau; »da haben wir wieder den Pedanten! Müssen wir denn beständig unter einer Selbstkontrolle stehen und uns Rechenschaft ablegen, ob das, was wir in einem glücklichen Moment empfinden, auch vernünftig und berechtigt ist? Müssen wir uns immer selbst bespiegeln und dürfen nie vor dem eigenen Blick den Schleier über unsere Seele ziehen und dem lieben Gott noch ein unausgespähtes Geheimnis darin lassen?«
Der Prinz tritt schweigend zu ihr und küßt ihre Hand. Was jetzt aus seinem Auge blickt, ist ein ernstes, tiefes Gefühl und sie legt ihm gerührt die andere, freie Hand aufs Haupt: »Sie sind ein edler Mann, Prinz, wenn auch etwas Unausgesprochenes, Unverstandenes zwischen uns liegt, ich weiß doch, wie Sie es meinen!«
Das war wieder zugleich eine Rose und ein Dorn. So war es immer! Im selben Augenblick, wo ihn ihre weiche, süße Hand schmeichelnd berührt, stößt sie ihm den Dolch ins Herz. Ja, das ist es, das »ewig Unverstandene«, das zwischen ihnen liegt, das ist der Stachel an jeder Rose, die sie ihm reicht.
Frauen wie diese sind nur zu ertragen, wo sie wahrhaft lieben: wo ein mächtiges Gefühl sie ganz sich selbst aufgeben läßt! Wo dies nicht der Fall ist, sind sie, ohne es zu wissen und zu wollen, tückische, gefährliche Wesen, schmeichelnd und tötend im selben Moment.
Und erst, wehe dem Mann, den sie selbst zu lieben glauben! Denn wie oft täuschen sich solche Wesen über ihre Gefühle!
An solch einer Täuschung geht nicht die Frau, sie macht ja dergleichen öfter durch, sondern der Mann zu Grund, der sie mit ihr geteilt hat! Wehe, wer da nicht den kalten Kopf bewahrt.
Der Prinz steht mit dem Rücken gegen die Straße und sein Blick ruht sinnend auf der schönen Frau mit den unergründlichen, seltsam schimmernden Augen. Plötzlich sieht er sie jäh zusammenfahren und erröten. Wie der Blitz dreht er sich um und folgt der Spur ihres Blickes. Aber er sieht nichts mehr als eine überragend hohe Männergestalt mit langem schwarzem Haar in raschem Gang um die Ecke biegen und verschwinden.
»Kennen Sie diesen Herrn?«
»Nein,« sagt die Gräfin ehrlich, »es war der, den ich gestern beim Herauffahren sah.«
»Gräfin, verzeihen Sie mir die Indiskretion, aber Sie sind errötet?!«
»Ja, ich fühlt' es auch, aber ich weiß nicht warum!« sagt sie mit einer fast naiven Unschuld im Blick, daß der Prinz unwillkürlich lächeln muß.
»Gräfin, Gräfin!« droht er mit erhobenem Finger wie einem Kind: »hüten Sie Ihre Phantasie, sie wird zum Verräter an Ihnen.«
Die Gräfin zieht wie in einem kleinen, süßen Schuldbewußtsein mit einer so unbeschreiblich anmutigen Gebärde die drohend erhobene Hand herab, daß ihr kein Gott hätte zürnen können. Der Prinz ist eine Sekunde lang vor ihr aufs Knie gesunken, nicht länger als das Riedgras braucht, um sich im Winde zu biegen und wieder aufzustehen, dann rafft er sich auf, etwas blaß, aber kalt, besonnen:
»Ich werde hineingehen und meinem Kammerdiener sagen, daß er hier außen für uns deckt!«
»Tun Sie das, mon prince!« erwidert die Gräfin und blickt zerstreut hinaus auf die Straße.
Der alte Groß tritt in den Garten: »Es ist alles in Ordnung, Frau Gräfin; ich habe mit sämtlichen Verwandten und Vormündern der Josepha gesprochen und sie sind alle recht froh, wenn sich Frau Gräfin ihrer annehmen.«
»Alle, auch der Christus-Freyer?«
»Jawohl, das hat gar keinen Anstand!«
Die Gräfin hat mehr erwartet, sie sieht den Alten an, als solle er noch mehr sagen, aber es folgt nichts weiter.
»Sollte Freyer nicht einmal herkommen, um sich mit mir über das Nähere zu besprechen?« fragt sie endlich fast schüchtern.
»Ja, wissen Sie, der geht zu niemand, ich sagte es Ihnen ja schon, und wegen der Josepha käme er erst recht nicht, da schämt er sich. Er sagt, wie's Frau Gräfin machen, so sei's ihm recht!«
»Schön!« sagt die Gräfin etwas enttäuscht.
»Welch komisches tête-à-tête!« ertönt jetzt plötzlich hinter dem Zaun her eine lachende Stimme. Die Gräfin fährt erschrocken auf, aber es ist zu spät, da ist kein Entrinnen mehr, sie ist gefangen.
Eine hübsche, elegante, junge Frau, begleitet von zwei älteren Damen, stürzt enthusiastisch auf sie zu:
» Chère comtesse, also hier an das äußerste Ende des Dorfes haben Sie sich versteckt? Ganz Ammergau haben wir abgesucht. Ihr Wappen auf dem Wagen und Ihre Livree in der alten Post haben Sie verraten! Ja, ja, wenn man inkognito sein will, muß man nicht mit echt Wildenauscher Elegance reisen! Da sind wir vorsichtiger! Wir sind in einem bescheidenen Mietwagen gekommen! Aber quelle existence ici! Auf Stroh soll ich heute nacht schlafen, hören und schaudern Sie, auf Stroh! Haben Sie ein Bett gehabt? Sie sind ja schon seit gestern hier?«
»Nun, liebste Hoheit, kommen Sie nur zu Atem! Bon jour, Baronin, bon jour, Excellenz!«
Die Gräfin embrassiert sämtliche Damen zerstreut, aber um so zärtlicher: »Geruhen Sie sich auf diese Bank niederzulassen?«
»O bitte, Sie müssen auch noch her!«
»Nein, die Bank reicht nicht, ich sitze schon!«
Die Gräfin hat sich auf eine Baumwurzel gesetzt, das Gesicht nach der Straße, die sie sehr zu interessieren scheint. Die Damen sind auf der Bank glücklich installiert und nun beginnt ein Geplauder, dem keine Feder folgen könnte. Ein Dies und Das und ein Gewunder über alles mögliche, was die Gräfin bisher gar kein Nachdenken gekostet hat, ein Erzählen, was man alles über die Ammergauer gehört hat, und der Christus ist ihnen auch schon gezeigt worden, ein schöner Mann, sehr schön, prachtvolles Haar, merkwürdige Augen, eigentlich kein Christuskopf, mehr ein Kopf, wie man sich den Faust denkt oder den Wotan: aber es ist ihm nicht beizukommen, er ist menschenscheu! Schade, es wäre so interessant! Man sagt ihm nach, er habe irgend eine hohe Gönnerin, die er liebe, sehr möglich, sonst wäre ja auch sein unnahbares Wesen gar nicht zu erklären!
Die Gräfin ist sehr still geworden, sie hat fast einen leidenden Zug um die Augen, wie sie so auf die Straße blickt.
Der Prinz steht schadenfroh unter der Tür: »Das geschieht ihr ganz recht für ihre excentrischen Launen, daß sie nun, nachdem sie die Freunde so schnöd abgewiesen, dieses Geschwätz anhören muß!«
Endlich erbarmt er sich ihrer und schickt den Kammerdiener mit Tischtuch und Tellern hinaus, um zu decken.
»Ah, c'est l'heure de votre dîner!« Die Damen springen auf. Die Hoheit nimmt die Lorgnette:
»Ah, das ist ja der Kammerdiener des Erbprinzen! Also der getreue Toggenburg auch um die Wege?«
»Gewiß, meine Damen,« antwortet es von der Tür her und der Prinz tritt heraus. »Ich war nur zu schüchtern, mich in einen so gefährlichen Kreis zu wagen!«
Großes Gelächter!
»Ja, natürlich, der Erbprinz von Metten-Barnheim schüchtern!«
»Gewiß, ich bin gegenwärtig nur Stellvertreter des weggejagten Reisemarschalls der Gräfin Wildenau, welches Amt ich mit gewohnter Devotion für die Herrin verwalte und alles tue, um nicht schließlich dem Schicksal meines Vorgängers zu verfallen!«
»Weggejagt zu werden?« fragt die Baronin ein wenig boshaft.
Die Gräfin sieht ihn mit einem freundlich-strafenden Blick an: »Wie können Sie so sprechen, Prinz!«
»Aber Ihre Suppe wird kalt!« ruft die Herzogin.
»Wo speisen denn Eure Hoheit?«
»Bei einem der Chorsänger, wo wir wohnen. Auch ein Mensch wie ein Apostel und seines Zeichens ein Schmied. Es ist merkwürdig, diese Leute haben hier alle etwas so Ideales, und alle das schöne lange Haar! Sind Sie noch nicht durchs Dorf gegangen? Ach, das müssen Sie tun, es ist ja höchst originell, diese Völkerschaften, die sich da um die Passionsspieler zusammendrängen, das sieht man so bald nicht wieder. Ich freue mich auf morgen, hoffentlich sitzen wir nahe beisammen. Adieu, liebe Gräfin!« Die Herzogin nimmt den Arm des Prinzen, der sie hinausgeleitet. »Ich hoffe aber, Sie sorgen uns dafür, Prinz Emil, daß die Gräfin übermorgen nicht unter dem Eindruck des Passionsspiels ins Kloster geht!«
»Hoheit vergessen, daß ich eine unverbesserliche Häretikerin bin!« lacht die Wildenau und küßt die beiden Hofdamen in der Zerstreuung mit einer Zärtlichkeit, die sich jene gar nicht erklären können.
Der Prinz führt die Damen ein Stück über das Weichbild des Hauses.
Die Gräfin ist zu ihrem Schützling hineingegangen, als wolle sie sich bei dem armen, stillen Geschöpf erholen von der lauten Unterhaltung.
»Nein, diese Wildenau! Bei der Frau ist wirklich embarras de richesse! Nun hat sie das glänzende Wittum, die unermeßlichen Wildenauschen Revenüen und diese Masse von Bewerbern!« sagt die Baronin, nachdem der Prinz sich von ihnen verabschiedet hat, um zu seiner »Angebeteten« zurückzukehren.
»Ja, aber die Revenüen verliert sie, wenn sie wieder heiratet,« berichtigt die Herzogin, »das Testament ist von Wildenau eigens so gemacht, weil er noch über das Grab hinaus eifersüchtig war. Ich kenne die Verhältnisse genau. Sie muß entweder Witwe bleiben oder eine sehr brillante Partie machen, denn eine Frau wie die Wildenau könnte sich ja nie mehr in bescheidenere Verhältnisse finden!«
»Also, ist sie nicht einmal eine gute Partie?« fragt die Excellenz.
»Sicher nicht, denn an dem Tage, so lautet wörtlich das Testament, wo sie den Namen Wildenau mit einem andern vertauscht, fallen die Güter mit allen Einkünften an eine minder reiche Seitenlinie der Wildenau, da keine direkten Erben da sind. Schon um dieses Testaments willen könnte man ihn hassen, denn die Wildenauschen Vettern sind verschwenderisch und habgierig, sie brachten schon ein großes Vermögen durch. Die arme Gräfin hat aber dann nichts mehr als ihr persönliches Eigentum, ihre paar Brillanten und was sie sonst von ihrem Manne geschenkt bekommen hat, wenn sie sich je wieder verheiratet.«
»Besitzt sie denn kein Privatvermögen?« fragt die Baronin neugierig.
»Sie wissen ja, sie ist eine Prinzessin Prankenberg und die Prankenbergs sind finanziell ganz heruntergekommen. Deshalb hat man ja auch das junge, schöne Mädchen mit siebzehn Jahren dem alten, entsetzlichen Wildenau hingeopfert, der dafür ihrem Vater die Schulden bezahlen mußte!« erklärt die Herzogin.
»Ah, so ist das!« atmet die Excellenz erleichtert auf.
»Wissen denn das ihre verschiedenen Bewerber? Die Herren halten sie gewiß alle für unermeßlich reich!«
»O, sie macht kein Hehl aus diesen Verhältnissen,« sagt die Herzogin wohlwollend. »Ehrlich ist sie, das muß man ihr lassen, und sie hat auch viel durchgemacht mit dem alten, nervösen Mann. Man weiß ja, wie er war; alles hat ihn gefürchtet und er tyrannisierte die Frau geradezu. Was nützte ihr da all der Glanz und Reichtum? Es wäre ihr wohl zu gönnen, wenn sie einmal ein Glück kennen lernte!«
»Nun, sie hat auch ihre Witwentrauer so bald wie möglich abgelegt. Das hat man ihr doch sehr verdacht!« bemerkt die Baronin nicht eben liebevoll.
»Und gerade deshalb sage ich: sie ist besser als ihr Ruf, weil sie Lüge und Heuchelei verschmäht,« erwidert die Herzogin und geht über einen Steg voraus. Die beiden Damen flüstern sich etwas zurückbleibend in die Ohren: »Die soll nicht lügen und heucheln? Ich bitte Sie, Excellenz, das ganze Wesen ist nichts als Lüge! Sie kann ja keinen Augenblick sein, ohne Komödie zu spielen! Mit den Frommen ist sie fromm, mit den Liberalen spielt sie die Liberale, mit jeder Partei liebäugelt sie, um ihren Einfluß als ehemalige Gesandtin zu behaupten. Sie kann es ja nicht lassen, zu intrigieren und zu diplomatisieren. Und jetzt spielt sie sich wieder auf die jugendlich Naive, um diesen Prinzen Emil zu berücken. Sahen Sie vorhin den verschämten Blick, wie ein Mädchen? Es ist zum Uebelwerden!«
»Ja, ich bitte Sie, wie sie diesen schönen, geistreichen Prinzen, den Erben eines so großen, regierenden Hauses düpiert,« klagt die Excellenz, die auch Töchter hat. »Die Sache wird geradezu chokant, überall sieht man ihn mit ihr und nie hört man etwas von einer Verlobung! Was nur die Männer an ihr haben? Sie macht sie alle verrückt, junge und alte, es ist ganz gleich!«
»Und dabei ist sie nicht einmal mehr schön! Sie ist ja ganz verblüht, keine fraicheur mehr, nichts als Koketterie!« stößt die Baronin noch schnell heraus, denn die Herzogin bleibt stehen, um die Damen nachkommen zu lassen. So schreiten sie der Richtung des Passionstheaters zu, wo ihnen morgen der Gott der Liebe erscheinen soll, zu dem sie die fromme Pilgerfahrt machen. – –
»Das geschieht Ihnen recht, Gräfin Madeleine!« lacht der Prinz, während sich die beiden zu Tisch setzten. »Die treuen Freunde haben Sie weggeschickt und mußten nun dafür diesen falschen Freundinnen in die Hände fallen.«
»Die Herzogin ist nicht falsch,« sagt die Gräfin mit einem müden Ausdruck; »sie denkt und handelt edel.«
»Wie alle Menschen, die in einer Stellung sind, wo sie niemand zu beneiden brauchen,« sagt der Prinz und umschifft mit seinem Löffel kleine Inseln von unklarer Beschaffenheit, die in der Suppe schwimmen. »Aber glauben Sie mir, mit einer gefeierten Frau meint es, außer diesen wenigen, niemand ehrlich, als die Männer. Frauen gewöhnlichen Schlages können den Neid nicht unterdrücken. Ich möchte nicht hören, was jetzt auf dem Heimwege von den Freundinnen über uns gesprochen wird.«
»Was liegt daran!« sagt die Gräfin und läßt ihre Suppe stehen.
»Unser armes diplomatisches Corps, was sich so auf Sie gefreut hatte!« beginnt der Prinz wieder. »Ich hätte fast eine Bitte an Sie, Gräfin!«
»Nun, und welche?«
»Daß Sie uns übermorgen zu Tisch laden. Die Herren haben nämlich beschlossen, sich edel zu rächen und Ihnen morgen abend bei der Rückkehr nach München eine Ovation darzubringen.«
»So, was denn?«
»Ich sollte es nicht verraten, aber ich weiß, daß Sie Ueberraschungen nicht lieben. Das ganze Palais Wildenau wird in einen Blumentempel verwandelt! Es ist schon alles bestellt, es soll ohnegleichen werden, märchenhaft!«
Der Prinz beobachtet heimlich, welchen Eindruck diese Lockung auf sie macht, denn er muß sie hier fortbringen um jeden Preis! Diese mysteriöse Spukgestalt von vorhin, die ihr ein Erröten auf die Wangen zaubert, für das er Jahre seines Lebens hingäbe, gälte es ihm; der auffallend verstimmte, fast eifersüchtige Ausdruck, als die Damen von dem »schwarzgelockten« Christus und seinem Verhältnis mit einer hohen Gönnerin gesprochen, – dem scharfen Auge und Ohr des Prinzen entgeht ja nichts, – sie muß fort, ehe die Phantasterei festen Boden gewinnt. Der biedere Bauernkomödiant dürfte es im Punkte der hohen Gönnerinnen nicht so genau nehmen, einer Gräfin Wildenau wird so ein goldpapierner Theaterheiliger schwerlich wiederstehen, wenn es ihr gefiele, ihn zum Gegenstand einer excentrischen Laune zu machen!
»Das ist sehr rührend von den Herren,« sagt die Gräfin; »lassen Sie uns ihnen also zuvorkommen, und die Herren auf übermorgen zum Diner bitten.«
»Ah, das ist wieder meine liebenswürdige Freundin, jetzt bin ich mit Ihnen zufrieden. Sie gestatten mir, nach Beendigung dieses üppigen Mahles sogleich den Herren die Freudenbotschaft zu überbringen?«
»Tun Sie das, mein Prinz!« sagt die Gräfin gleichgültig. »Und wenn Sie die Herren geladen haben, würden Sie mir dann den Gefallen tun, an meinen Haushofmeister zu telegraphieren?«
»Versteht sich.« Der Prinz schiebt den Teller mit unendlich gut gemeinten, aber ungenießbaren Koteletts zurück und zieht sein Taschenbuch heraus, um zu notieren.
»Also was soll ich schreiben?«
»Haushofmeister Geres, Palais Wildenau, München. Uebermorgen, Montag 6 Uhr Diner, zwölf Couverts, fünfzehn Gänge,« diktiert die Gräfin.
»So, das wäre besorgt, aber Gräfin, zwölf Personen? Wen wollen Sie denn noch einladen?«
»Wenn ich nachher der Herzogin Gegenbesuch mache, will ich es den drei Damen sagen, dann die Fürstin Hohenheim und die beiden Töchter der Excellenz, macht zwölf.«
»Aber ich bitte Sie, das wird grenzenlos langweilig für den, der neben die Töchter der Excellenz kommt!«
»Ja, das geht nicht anders, ich muß den armen Mädchen doch Gelegenheit geben, ihr Glück zu machen! Ihr seid alle, mit Ausnahme von Fürst Hohenheim, noch zu haben!« sagt sie lächelnd.
»So stolz kann nur eine Gräfin Wildenau sprechen, die weiß, daß ihr jedes andere Weib lediglich zur Folie dient,« sagt der Prinz und küßt mit einem vielsagenden Blick die Hand der Gräfin. Sie ist heute mittag merkwürdig zugänglich, sie läßt ihre Hand in der seinen ruhen, es ist etwas wie eine Abbitte in ihrem Wesen. Eine Abbitte, wofür? Er braucht nicht lange nachzugrübeln: Sie schämt sich, daß sie einem Hirngespinst, dem Alpdrücken einer Nacht, welches die Gestalt von rätselhaften, schwarzen Augen und wallenden Locken angenommen, den bewährten Freund hintansetzen konnte. Die Erzählungen der Damen von den galanten Beziehungen des präsumtiven Besitzers dieser Locken haben den Traum zerstört und den Zauber des Alps gebrochen.
Vortrefflich, das kam sehr apropos!
»Aber Gräfin, die Herren werden unglücklich sein, wenn noch Damen kommen! Wäre es nicht hübscher, wir könnten unter uns sein? Sie sind ja unvergleichlich viel reizender und sprudelnder, wenn Sie allein mit uns paar Freunden unser kleines Tabakskollegium halten!«
»Das können wir ja nachher. Die Damen gehen um zehn Uhr fort. Dann könnt ihr andern bleiben!«
»Und wer wird dann fortgeschickt, wenn Sie auch dieser après-soirée müde sind? Wer darf dann noch ein Stündchen tête-à-tête bleiben und die letzte Zigarette mit Ihnen rauchen?« fragt er schmeichelnd mit schmelzendem Ton; er ist sehr hübsch in dem Augenblick.
»Das werden wir sehen,« sagt die Gräfin und zum erstenmal zittert auch durch ihre Stimme etwas wie eine wärmere Empfindung. Ihre Hand ruht noch in der seinen, sie hat vergessen, sie zurückzuziehen. Aber auf einmal fällt es ihr ein, seine Hand ist so unangenehm warm geworden und seine blaßblauen Augen blicken sie so hell an, wie ein indiskreter Lichtschimmer einen Träumer weckt.
Sie macht sich los, und da das Diner beendet ist, hebt sie die kleine Tafel auf.
»Wollen Sie mich nachher zur Herzogin führen?« fragt sie. »Dann mache ich mich jetzt fertig, während Sie zu den Herren gehen, und Sie können mich später holen.«
»Ganz wie Sie Befehlen!« sagt der Prinz in verändertem Ton, denn die leise Schwankung in dem Gefühl der Gräfin ist ihm nicht entgangen. »Also in einer halben Stunde! Adieu!«