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Dreizehntes Kapitel. Aus Eden verbannt

Still ist's auf der Höhe. Die Lüfte schweigen, die Wolken jagen dahin wie ein fliehendes Geisterheer. Von unten herauf knistert leise der verglimmende Wald. Die Stämme sind allesamt abgenagt vom feurigen Zahn bis zur Wurzel. Es ist wie ein Kirchhof voll ungefüger, schwarzer Kreuze und Grabmale, auf denen die armen Seelen als irrende Flämmchen hin und her tanzen.

Die Gräfin ruht stumm an Freyers Brust.

Als er gesprochen: »Der Wald war mein!« da ist sie ihm keines Wortes mächtig in die Arme gesunken – und so blieb sie seitdem in stillem, tiefinnerstem Frieden.

Jetzt hebt sich, immer leichter, immer durchsichtiger entschwebend, der Nebelschleier, und der blaue Himmel wölbt sich wieder zur majestätischen Kuppel. Da und dort schießen die Sonnenstrahlen aus dem sich klärenden Wolkentreiben hervor, und plötzlich, als öffne sich das Himmelstor, – steht hoch über ihnen ausgespannt ein doppelter Regenbogen, erstrahlend in siebenfarbiger Pracht, nicht mit eins zu fassender Schöne!

Da bedeutet Freyer die in sich versunkene Frau, aufzusehen. Und wie sie das holde Luftwunder gewahrt, und den Geliebten mitten darin – davon umflossen, da erhebt sie den Kopf und breitet die Arme aus, wie die Braut, welcher der himmlische Bräutigam naht. Ihr Auge ist wie geblendet auf ihn geheftet: »Sei, was du willst, sei ein Mensch, ein Seraph, oder ein Gott! Lichtgestalt, ich muß dich haben! Ich hole dich herunter aus deiner Kreuzeshöhe, und wärest du mit siebenfachem Eisen dort oben festgenagelt! Mein mußt du sein! Freyer, höre meinen Schwur, hört ihn, ihr Berge ringsum, höre ihn, heiliger Boden dort unten, und du hier über uns, leuchtender Farbenring, der du mit aphroditischer Anmut das All gürtest, das Chaosentstiegene: Ich gelobe mich dir zum Weibe, Joseph Freyer, bei dem Gott, der mir erschienen ist, wachsend von Wunder zu Wunder, seit dich zuerst mein Auge erblickt!«

Freyer steht bebend, geneigten Hauptes vor ihr. Ihm ist zu Mute, als brause eine Gottheit in ihrem Wolkenwagen über ihn hin, – als löse sich das sanft schimmernde Prisma dort oben auf und überschütte ihn mit einem Meer farbiger Funken – »Du – mein Weib?« stammelt er schluchzend, dann wirst er sich vor ihr auf sein Angesicht nieder. – »Das ist zu viel – zu viel!« –

»Mein Gatte sollst du werden,« – flüstert die Gräfin, ihn emporziehend: »laß mich dich jetzt schon so nennen, bis uns Priestershand verbunden hat! Wann, wo und wie dies geschehen kann, – ich weiß es noch nicht! Das zu bedenken, sei die Aufgabe von Stunden, die der Erwägung des Irdischen gewidmet sind! Diese Stunde ist zu heilig dazu, sie ist unsere geistige Trauungsstunde, denn in ihr habe ich mich dir zugeschworen, im Geist und in der Wahrheit! Unsere Kirche, die freie Natur, unsere Trauzeugen, Himmel und Erde, unsere Opferkerzen, der brennende Wald dort unten – dein armes Hab und Gut, das du lächelnd hingabst für mich! – Und so küsse ich dich mit bräutlichem Kuß – mein Gatte!«

Aber Freyer erwidert den Kuß nicht, der alte Kampf erwacht aufs neue in ihm – der Kampf mit seiner Pflicht als Christusdarsteller.

»O mein Gott, mein Gott – ist es nicht der Versucher, den du auch deinem eigenen Sohne auf dem Berge Ebron geschickt, damit er die Herrlichkeiten dieser Erde vor ihm ausbreite und spreche: ›dies ist dein?‹ Darf ich der Rolle deines keuschen Sohnes untreu werden, wenn du mich auf die Probe stellst, wie ihn? Darf ich glücklich sein, darf ich genießen, solange ich die heilige Maske seines Leidens und Entsagens trage? Wird es dann nicht eine furchtbare Lüge, und darf ich mit dieser Lüge auf dem Herzen noch vor Gottes Angesicht treten? Wird er mir nicht die Dornenkrone vom Haupt reißen und mir zurufen: ›Gaukler, – ich will auferstehen durch Heilige und Reine – nicht durch Betrüger, die meine Schmerzen heucheln und mit täuschender Kunst das Heiligste zur Komödie machen!‹ – Weh mir armen, schwachen Mann – die Prüfung ist zu schwer – ich kann sie nicht bestehen, mein Gott! – So nimm sie denn wieder, deine Krone – ich lege sie in deine Hände zurück – und spiele den Christus nie mehr.«

»Joseph!« ruft die Gräfin erschüttert – »muß das sein? O Gott – ich fühle deinen Schmerz und es ergreift auch mich wie ein Abschied vom Liebsten, was wir haben!« Sie blickt mit feuchtem Auge empor: »Christus! Du sollst mir entschwinden an dem Tage, an welchem ich mich dem verbinde, den ich liebe als dein Ebenbild, wie Eva den Adam lieben mußte, seiner Gottähnlichkeit willen? Und soll ich, wie Eva, dein Angesicht nicht mehr schauen, weil ich das Göttliche in der menschlichen Form menschlich geliebt? Unglückselige Lehre vom Sündenfall, die das heiligste Gefühl zum Verbrechen macht, mußt du uns auch hier aus dem Paradies vertreiben, und dich zwischen uns und die selige Berührung mit der Gottheit stellen? Joseph! Glaubst du, daß dieser Heiland, der gekommen, um der armen, aus Eden verjagten Menschheit die Versöhnung zu bringen, glaubst du, daß er dir zürnen wird, wenn du mit einem liebenden glücklichen Herzen das Sühnopfer darstellst, durch das er uns erlöst hat?«

»Ich weiß es nicht, geliebtes Weib, du magst ja recht haben! Selbst die ehrwürdigen Satzungen unserer Väter gestatten, daß der Christusdarsteller verheiratet sei. Ich aber fass' es anders auf! Das Höchste fordert auch das Höchste! Wer den Erlöser spielen darf, der soll in dieser Zeit kein anderes Gefühl haben, als Christus selbst, denn Wahrheit darf nicht durch Lüge geboren werden!«

Er zieht die weinende Frau an die Brust. »Weißt du, süßes Weib – dich lieben und dich besitzen, das ist ein ander Ding als der träge Gewohnheitsfrieden eines Eheglücks, wie unsere schlichten Frauen es gewähren können! Du forderst das ganze Sein und jede Seelenkraft verzehrt sich in dir!«

Er preßt sie an sich, daß ihr der Atem stockt, und wieder flammt jener machtvolle Liebeszorn aus seinen Augen, womit das entfesselte Element sein Opfer umfängt: »Sag was du willst, du hast's auf dem Gewissen! Ich kann nichts mehr fühlen, nichts mehr denken als dich. – Und wenn sie mir die Nägel durchs eigene Fleisch schlügen, ich sparte es nicht vor brennendem Verlangen nach dir. Ich hab' mich lange genug gewehrt, aber mit der süßen Verheißung, mein Weib zu werden, hast du mir's angetan – und zum Christus bin ich verdorben! – – Da hast du mich, nimm mich hin! Nur fliehe mit mir in den fernsten Winkel der Welt, von der Stätte weg, wo ich mich eins mit einem Gott fühlen durfte und ihn aufgab – für ein Erdenglück!«

»So komm, mein Geliebter, laß uns denn hingehen, wie die beiden Verbannten aus Eden, und unser schweres Menschenlos auf uns nehmen, wie jene getan, um der Liebe willen! Laß es uns gemeinsam tragen und auch in der Verbannung wie treue verstoßene Kinder den Vater lieben und anbeten, der uns einst so nahe war!«

»Amen!« sagt Freyer und schließt das wundervoll hingebende Weib in die Arme. Er hält sie lange fest umschlungen. Der Regenbogen über ihren Häuptern verblaßt allmählich. Die strahlende Herrlichkeit erlischt. Die Sonne hat sich wieder hinter Wolken versteckt und das warme Blau des Himmels ist verwandelt in kaltes Grau neu aufquellender Dünste. – Kahl, unwirtlich liegt die Höhe, das Erdreich zerwühlt und aufgerissen, nichts als wüstes Geröll und farbloses Heidekraut. Ein frostiges Nebeltreiben wallt leise, gespenstisch daher und zieht sich immer dichter um sie zusammen. Nichts ist mehr zu sehen als die unfruchtbare Scholle des nackten Bergrückens, auf dem sie stehen, die beiden Einsamen, aus Eden Verwiesenen. Die Pforten ihres Paradiesestraums haben sich hinter ihnen geschlossen, der Zauber zerrann, und still ergeben schreiten sie hinab auf rauhem, steinigem Pfad in die Wirklichkeit, ins harte ungewisse Menschenlos!


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