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Sechsundzwanzigstes Kapitel. Der letzte Halt

Im Palais Wildenau ist großer Schrecken. Frau Gräfin ist plötzlich zurückgekehrt, ohne der Dienerschaft vorher etwas zu annoncieren, – auf deutsch, ohne die Dienerschaft vorher um Erlaubnis zu fragen. Frau Gräfin hatte doch mehrere Monate fortbleiben wollen – nun war man gar nicht darauf gefaßt, hat nichts vorbereiten können, nichts geputzt, nicht einmal ein Zimmer geheizt –!

Und Frau Gräfin entschuldigte sich nicht einmal, daß sie der Dienerschaft so ins Haus fiel – sie bemerkte nicht einmal, was sie für ein Durcheinander mit sich brachte.

Sie war wie abwesend – zerstreut – ging ohne weiteres auf ihr Zimmer und schloß sich ein. Jetzt klingelt sie heftig – die im Souterrain beratschlagende Dienerschaft stiebt auseinander, die Kammerjungfern fliegen die Haupttreppe hinan, der Kammerdienet die Seitentreppe.

»Ich will den Kutscher Martin sprechen!« so lautet der unerwartete Befehl.

»Martin ist nicht im Hause,« wagt der Kammerdiener zu erwidern – »da wir ja nichts wußten –«

»So soll man ihn holen!« herrscht ihn die Gräfin an, die für diesen versteckten Vorwurf absolut kein Gehör zu haben scheint. – Dann gestattet sie, daß der Hausdiener Feuer im Kamin anmachen darf, denn es ist ein naßkaltes Frühjahr und erscheint der Gräfin, gegen den Aufenthalt in Cannes, wie in Sibirien.

Eine halbe Stunde vergeht. Währenddessen packen die Kammerjungfern aus und die Gräfin ordnet eine Menge von Briefschaften, die sie von der Reise mitbrachte, in ihren Sekretär. Die Briefe sind alle numeriert und meist älteren Datums. Von Freyer ist nur einer darunter, ein vier Wochen alter Brief, der nichts enthält, als die Worte:

»Josepha hat auch im Todte Mutterstelle bei unserem Kinde vertretten – sie ruht seid heute bei ihm in der Kapelle. Ich denke, Du hast nichts dagegen, daß ich sie dort beehrdigen ließ.

Joseph.«

Die Gräfin blickt noch einmal in den Brief, ihr Auge haftet auf den orthographischen Fehlern. – Ein so tragischer Inhalt, mit einem so furchtbar ernsten Vorwurf zwischen den Zeilen, – und die Wirkung – eine lächerliche! Sie möchte die Schreibfehler gern tilgen, um sich nicht vor sich selbst schämen zu müssen, daß sie diesem Manne eine so verhängnisvolle Rolle in ihrem Leben eingeräumt, – aber vergebens, sie stehen da mit der Deutlichkeit einer ungeübten Knabenhand. Ein Mensch, der nicht einmal richtig schreibt! – Sie hat es früher nicht so bemerkt, er schrieb ihr ja selten und immer nur kurz – oder hatte sie damals kein Auge für seine Fehler? Ja, sie muß blind gewesen sein – gänzlich blind. – Sie hat den Brief nicht beantwortet. Jetzt zerreißt sie ihn und wirft ihn ins Kaminfeuer. Josephas Tod wäre ihr eine Erlösung gewesen, hätte sie nicht einige Wochen später einen anderen Brief bekommen, den sie jetzt, schwer atmend, nochmals durchliest. Aber wie oft sie ihn auch schon gelesen, sie findet nichts anderes heraus, als daß der alte Martin sie anfleht, zurückzukommen – Josepha habe »ausgeplauscht«! –

Das eine Wort mit der steifen Kutscherschrift des alten Getreuen, wie mit einem Schwefelhölzchen auf ein stallduftendes Papier gekritzelt, hat die Gräfin so erschreckt, daß sie mit dem nächsten Zuge Cannes verließ und Tag und Nacht reiste bis hierher. Eine nervöse Unruhe läßt das Blatt in ihrer Hand zittern, das sie nun auch den Flammen übergibt. – Dann geht sie rastlos auf und nieder. Dieser Martin läßt so lange auf sich warten!

Ein kleines Souper ist in aller Eile gerichtet worden. Es wird serviert. Aber wie wenig es auch ist, die Gräfin genießt fast nichts und es muß unberührt abgetragen werden. Der servierende Lakai erzählt in der Küche, er habe gesehen, wie es ihr beim Essen den Hals zuschnürte.

Sie behauptet, es sei kalt im Speisezimmer und verkriecht sich wieder in ihr Boudoir. Endlich um halb zehn Uhr nachts wird Martin gemeldet. – Er war schon zu Bett gewesen und hatte erst geweckt werden müssen.

»Fahren Erlaucht noch aus?« fragt der meldende Kammerdiener, als könne er sich die nächtliche Verhandlung mit Martin nicht anders erklären.

»Wenn ich ausfahre, werden Sie Ordre bekommen!« sagt die Gräfin und ein Blitz aus ihren Augen läßt den Diener verstummen.

»Martin soll hereinkommen!« befiehlt die Gräfin mit einer harten, herrischen Miene.

Der Kammerdiener öffnet die Tür und läßt den Alten eintreten.

»Sie sind für heute entlassen. Das Gas kann ausgelöscht werden,« bedeutet sie jenen.

Martin steht mit dem Hut in der Hand da und erwartet die Befehle der Herrin. Ein paar Minuten vergehen, dann sieht die Gräfin leise nach, ob in den Vorzimmern alles leer und niemand horcht. Als sie zurückkommt, läßt sie noch die schweren Vorhänge vor die Türen fallen, damit jeder Schall gedämpft ist. – Nun aber verliert sie alle Haltung – auf den alten Kutscher zustürzend, nimmt sie ihn bei der Hand: »Martin, um Gottes willen, was ist geschehen?«

Martin kommen die hellen Tränen in die Augen, wie er die Angst seiner Herrin sieht, und er faßt ihre zitternden Hände so zart wie die Zügel eines feurigen, edlen Pferdes, dem zum erstenmal der Zaum aufgelegt wird. – »Ho – ho, – liebe Frau Gräfin, seien Sie nur ruhig – nur ruhig!« sagt er in beschwichtigendem Kutscherton, wie zu seinen scheuen Tieren: »Es wird ja noch nicht alles verloren sein! Ich habe mich nicht fangen lassen, und was die Josepha ausgeplauscht hat, das ist noch immer kein Beweis.«

»Also haben sie dich auch fangen wollen?« Die Gräfin bebt: »Erzähle doch – wie kamen sie an dich?«

»Ja nun,« erklärt Martin schwerfällig: »Das war so: also die Josepha, die haben sie, scheint's, in die Enge getrieben. Beim Begräbnis von der Josepha bin ich auch mitgegangen, und da hat mir das Küchenmädel derzählt, es seien ihr, wie sie schon zum Sterben kommen ist, zwei fremde Herrn ins Haus g'fallen und hätten der kranken Person recht zug'setzt. Wie der Has fertig g'wesen sei, den die Dirn hätt' braten sollen, da hab' sie ihn auftragen wollen. Es sei aber drin so laut zugangen, daß sie sich nicht hineingetraut und an der Tür g'lauscht hätt'! Da sei von Gräfliche Gnaden die Red' g'wesen, und von einem Verbrechen, und die Josepha sei ganz auseinander g'wesen. Plötzlich hab' sie nichts mehr gehört, die Josepha hab' nur unverständlich gelallt und die Herren seien herauskommen mit feuerroten G'sichtern. Den Has hätten sie im Stich gelassen – und fort! – In derselben Nacht sei die Josepha gestorben. – Drauf hab' ich mir denkt, daß das die Herrn Barone von Wildenau sein möchten, – denn, – weil mich denen ihr Kutscher schon oft über unsere Frau Gräfin hat ausholen wollen und hab' denkt, ›jetzt mach' ich's ihm auch so!‹ Und richtig hab' ich 'rausbracht, daß die Herrn verreist seien und zwar wohin? Nach Prankenberg!«

Die Gräfin erbleicht und sinkt in einen Lehnstuhl. »Ja – nur ruhig, Gräfliche Gnaden – nur ruhig« – fährt Martin unbeirrt fort – »das hilft ihnen noch nichts, die Kirchenbücher liegen doch nicht offen auf den Wirtshaustischen 'rum, wie die Speisezettel, und der alte Pfarrer wird auch nicht jeden die Nas' hineinstecken lassen.«

»Der alte Pfarrer?« ruft die Gräfin verzweifelt aus – »der ist ja tot, und seit mein Vater, der Fürst, geistesschwach geworden, ist das Patronat an den Staat zurückgefallen. Der neue Pfarrer hat gar keine Rücksicht auf uns zu nehmen.«

»So, der alte Pfarrer ist tot? Hm! Hm!« Martin schüttelt zum erstenmal bedenklich den Kopf: »Wenn nur ein Wörtl mit dem Durchlauchtigsten Papa zu reden wär', – daß man erfahren könnt', ob die Trauung auch wirklich ins Kirchenbuch eingeschrieben ist?«

»Ja, wenn man das wüßte!«

Martin lächelt verlegen. – »Ich hab' mir auf meine Faust etwas erlaubt und bin hingangen – ich hab' denkt – ich probier's, ob ich nichts von ihm inne werd'? Weil Seine Durchlaucht – Frau Gräfin werden sich erinnern – doch nach uns auf Prankenberg gekommen sind?«

»Ganz recht!« nickt die Gräfin in höchster Spannung: »Nun?«

»Ach lieber Gott – da war's nichts! Seine Durchlaucht kennen niemand mehr, können sich auf nichts mehr besinnen. Wenn Gräfliche Gnaden morgen hinüberkommen, werden Sie's sehen, daß er's nicht mehr lang macht. Seine Durchlaucht sind ganz kindisch, wollten immer allein essen, verschütteten aber alles und erzürnten sich, wenn der Wärter Höchstdieselben abputzen wollt'. Dann verschluckten sich Seine Durchlaucht vor Aufregung so, daß wir dachten, der Odem ginge aus, und zuletzt mußten Sie zu Bett gebracht werden! Ich hab' weinen müssen, wie ich's sah – so ein stattlicher Herr – und jetzt so hilflos!«

Die Gräfin hört die umständlichen Berichte völlig teilnahmlos mit an. Der Vater war ihr nichts, solange er noch zurechnungsfähig – jetzt, im Zustand einer langwierigen Auflösung, ist er nur ein armer Kranker, dem sie die üblichen Kindespflichten erweist.

»Weiter, weiter,« ruft sie in zitternder Ungeduld. – »Du erzählst nicht der Reihe nach. Wann warst du denn bei meinem Vater?«

»Vor acht Tagen, nach dem G'spräch mit den Herrn.«

»Das ist ja eben die Hauptsache – so erzähle doch!«

»Ja, das war so: Ich sitz' ganz ruhig am Abend im Bräuhaus, da kommt der Malefizkutscher von dem Herrn Vetter von Wildenau wieder zu mir her und sagt, sein Herr möcht' etwas mit mir reden, wegen unserer kollerigen Fuchsstut', die er gern zu seinem Fuchsen einspannen möcht'. Ich hab' mich gefreut, daß wir grad den mit der Stut' anschmieren.«

»Pfui, Martin!«

»Ja, nun, – wenn man niemand anführen dürft', gäb's ja keinen Pferdshandel mehr! Ich sagt' ihm also, ich glaub' schon, daß Frau Gräfin die Stut' hergeben – wir hätten ja doch keinen Kamerad dazu und ich wollt' der Erlaucht Bericht abstatten. Nein, die Herrn wollten direkt an Erlaucht schreiben – ich sollt' nur hinkommen, sie müßten mit mir selber sprechen. No – ich geh' also hin, da haben sie, so wie Frau Gräfin jetzt, alle Türen zugemacht und verhangen, dann haben sie von der Stut' angefangen und mir ein gutes Trinkgeld versprochen wenn ich mach', daß sie das Pferd billig kriegen. Ein Trinkgeld, – das nimmt jeder Kutscher,« sagt der Alte etwas verlegen, »das ist so Kutscherbrauch und – Frau Gräfin werden mir's nicht übel nehmen, – ich hab' mich halt auch ein bissel wichtig g'macht und getan, als wenn's nur von mir abhing, und ich wollt' der Frau Gräfin das Pferd schon verleiden, daß sie froh wär', wenn sie's billig los wird, und – was wir Kutscher halt so sagen! Da haben nun die Herrn g'meint, weil ich in dem Punkt mit mir reden lass' – ich tät's in dem andern auch. – Aber das ist halt doch was anders als ein Roßhandel und meine Herrschaft ist kein Gaul, den man verschachert, und da sind sie halt bei mir an den Unrechten kommen. Wenn ich mir gelegentlich einen kleinen Nebenverdienst von fünfzig Märklein herausluchs', damit meine Herrschaft einen schlechten Gaul los wird, den wir schon lang anbringen möchten, so bin ich drum noch kein Hundsfott, der von einem andern ebensoviele Tausend annimmt, um seine Herrschaft von Haus und Hof zu bringen! Und der arme alte Herr Vater, der sich ja nicht mehr helfen kann, müßt' womöglich dann auch noch für die letzte Lebenszeit darben! – Nein, da haben sich die Herrn in dem Martin geirrt, die wissen nicht, was es heißt,« – dem Alten laufen die Tränen über die runden Backen – »wenn man so ein kleines Prinzeßchen auf den ersten Gaul gesetzt und ihm die ersten Zügel ins kleine Händchen gegeben hat!«

»Martin,« sagt die Gräfin sanft, aber sich kaum mehr beherrschend, »ich bitte dich, fahr fort! Was boten sie dir?«

»Viel Geld, wenn ich ihnen wollte vor Gericht Zeuge stehen, daß Frau Gräfin verheiratet seien.«

»Ah!« – das geängstigte Weib schlägt beide Hände vors Gesicht.

»Ruhig – ruhig, Frau Gräfin –« tröstet Martin, »ich hab's ja nicht getan! Gräfliche Gnaden – ich bitt' Sie, halten Sie den Kopf hoch, jetzt ist nicht Zeit zum ohnmächtig werden, jetzt heißt's aufpassen und die Zügel gut in die Hand, daß die uns nicht vorkommen!«

»Ja, ja! Weiter!«

»Nun, sie haben's probiert, ob sie mich nicht überrumpeln könnten: Sie wüßten alles und ich wäre ja Zeuge bei der Trauung gewesen in Prankenberg!«

»Herr Gott!« Die Gräfin ist wie gelähmt.

Martin lacht: »Ich hab' mich aber nicht werfen lassen – ich hab' ein so dummes Gesicht gemacht, als könnt' ich keinen Gaul aufzäumen und als hätt' ich mein Tag des Lebens nichts von einer Trauung gehört, als von unserer Prinzessin mit dem hochseligen Grafen, Erlaucht. Bei der sei ich freilich in der Kirche gewesen, wie die ganze Dienerschaft. Drauf murmelten sich die Herrn was Französisches zu – und nun fragten sie mich, was ich Lohn hätt', und wie ich's sagte, fanden sie's zu wenig für eine so reiche Herrschaft und fingen an, mir Offerten zu machen, bis zu fünfzigtausend Mark, wenn ich aussagte, was sie wollten. Ja, und damit kamen sie mir, Frau Gräfin seien im stande, zwei Männer zu heiraten, den Herzog wollten Sie zum Herrn Verwalter noch dazu nehmen und so ein Verbrechen wollten die Herrn in ihrer Familie nicht haben. – – Drum müsse ich helfen, es zu verhindern! Das hat mich aber gar nicht gerührt, und ich hab' ganz kalt gesagt: ›Das geht mich nichts an. Meine Herrschaft wird schon wissen, was sie zu tun hat!‹ Und damit bin ich abgeschoben und hab' die Herrn stehen lassen. Aber die haben Augen gemacht wie schiefrige Gäule, wenn sie an was nicht vorbei wollen. Ich bin dann zum Durchlauchtigsten Herrn Papa gegangen, und als ich da nichts erfahren konnt', wie der Frau Gräfin zu helfen wär', wußte ich mir keinen Ausweg mehr, als den Schreibebrief an Gräfliche Gnaden selber zu schreiben. Ich bitt' halt um Verzeihung, daß ich so frei war –!«

»O Martin, du braver, alter Diener! Ich stehe beschämt vor deiner schlichten Treue, aber ich fürchte, dein Opfer ist vergebens – sie wissen ja alles, Martin, mich rettet nichts mehr!«

Martin lächelt verschmitzt in die dunkle Tiefe seines Hutes hinein, als schöpfe er aus ihm seine Weisheit: »Ich mein' halt so: Wenn die Herrn auch alles wissen – so können sie's drum noch nicht beweisen, denn die Josepha ist tot, und wenn sie auf Prankenberg die rechte Auskunft bekommen hätten, so brauchten sie sich mein Zeugnis nicht so ein Heidengeld kosten zu lassen, da könnten sie das sparen!«

Die Gräfin hält sich den Kopf: »Ich weiß es nicht, ich kann nichts mehr denken! O Martin, wie soll ich dir danken? Wenn der Federstrich, der dir die fünfzigtausend Mark zuschreibt, die du von Wildenaus verschmähtest, dir lohnen kann – so nimm sie hin, aber deine Schuldnerin bleibe ich doch.« Und sie wirft schnell einige Worte aufs Papier: »Da hast du einen Check auf fünfzigtausend Mark, laß dir's gleich morgen früh beim Bankier auszahlen. – Versäume keine Stunde, solange ich noch etwas verschenken kann, jeder Tag kann's bringen, daß ich über nichts mehr verfügen darf. Da nimm's schnell!«

Aber Martin nimmt es nicht: »Ja, was denken denn Frau Gräfin: ich werd' mich doch nicht bezahlen lassen wie ein bestochener Zeuge, dafür daß ich meine Schuldigkeit getan hab'? Da wär's keine Kunst gewesen, das Geld auszuschlagen, wenn ich mir's nachher von der Frau Gräfin geben ließ. Nein, ich mach' meine untertänigste Danksagung, – aber nehmen tu' ich's nicht.«

Die Gräfin ist tief beschämt. »Und wenn ich verliere, Martin, wenn sie einen Prozeß anfangen – dann kann ich dir deine Treue mit nichts mehr vergelten. Hast du auch daran gedacht, daß man mir alles nehmen kann, wenn der Nachweis gelingt, daß ich verheiratet bin?«

Martin nickt: »Ja, ja, ich kenn' ja das Testament vom hochseligen Herrn. Er war halt übers Grab 'naus eifersüchtig und hat der Frau Gräfin das Wiederheiraten versalzen wollen. Aber dessentwegen brauchen sich Gräfliche Gnaden nicht zu beunruhigen, ich hab' mir schon so viel erspart, daß ich mir ein Heimatl kaufen könnt', und für Frau Gräfin und den Herrn Verwalter tät's zur Not auch noch langen! Ich hab's ja doch alles von Ihnen!« Und dem Martin leuchtet das ganze, dicke Gesicht bei dem Gedanken vor heller Freude.

»Martin!« – mehr kann die Gräfin nicht sagen. Martin weiß nicht, wie ihm geschieht, – der Himmel fällt ein – die Frau Gräfin ist ihm an die Brust gesunken – an die alte, breite Brust, in der ein so dummes, kreuzbraves Herz schlägt –! Er weiß gar nicht, was er machen soll – er rührt sich so wenig, wie sich ein Mauerpfahl oder Brückenpfeiler rührt, an dem sich jemand hält, der ins Wasser gefallen ist. Aber in den sechsundfünfzig Jahren, die das kreuzbrave Herz schon unter der fürstlich Prankenbergschen Montur schlägt, hat es noch nie so gehämmert, wie in diesem Augenblick. – Sein Prinzeßchen! Er hält es wieder in den Armen, wie damals, wo er's zum erstenmal als Kind auf den Sattel setzte. Damals weinte es und klammerte sich an ihn, als das Pferd einen Satz machte, aber er hielt es fest und es war sicher geborgen in seiner Obhut – jetzt weint es wieder und klammert sich wieder in hilfloser Angst an ihn – aber jetzt ist es eine hohe Frau, die seinem Schutz entwachsen!

Die wild dahinstürmenden Leidenschaften, deren Zügel ihr entfallen und die sie bis an den Rand des Abgrundes geschleppt, kann der alte Kutscher nicht aufhalten und vor diesem Sturz können seine treuen Arme sie nicht mehr bewahren –!

»So – so, Frau Gräfin,« spricht er leise. »Der liebe Gott wird schon weiter helfen. Jetzt ruhen sich Frau Gräfin nur gut aus. Sie sind auch müde von der langen Reise. Morgen, wenn Frau Gräfin ausgeschlafen haben, werden Sie alles mit ganz anderen Augen ansehen. Und wie gesagt, wenn alle Stricke reißen – dann quartieren sich Gräfliche Gnaden beim alten Martin ein. Freilich, fürlieb müßten Frau Gräfin nehmen, wie wir's halt hätten. Aber Frau Gräfin mochten ja immer so gern Bauernbrot essen! Wissen Gräfliche Gnaden noch, wie Sie mir als kleines Prinzeßchen das Pferdsbrot aus der Krippe genascht haben und mir weismachen wollten, die Hühner hätten's getan?« Er lacht so herzlich mit seinem breiten zahnlückigen Mund.

»O und gar, wenn Sie ein Stück Käs erwischen konnten! Wissen Gräfliche Gnaden noch, wie Sie heimlich zu mir ins Kutscherstübel schlupften, und ich war grad beim Untermahl, da hat das Prinzeßchen gar oft mitgehalten, bis es einmal die Gouvernante gemerkt hat und den ganzen Spaß verdarb! Ja, ja, Käs und Brot, das waren verbotene Genüsse und sind doch gute Gottesgaben, die kann sich auch der Aermste noch gönnen! Frau Gräfin müssen nur ans Kutscherstübchen denken und wie's Ihnen da geschmeckt hat! Na, so weit sind wir noch nicht und werden's auch die vielen Freund' von Frau Gräfin nicht kommen lassen. Aber ich denk' mir, wenn's einmal so weit wär', daß Frau Gräfin eher von mir so was annehmen könnten, als von den hohen Herrn!«

»Da magst du recht haben!« nickt die Gräfin sinnend.

»Gott mög' die Frau Gräfin beschützen, daß es weder zum einen, noch zum anderen kommt, – ich mein' nur so, – wie man halt redet! –« entschuldigt sich Martin. »Haben Frau Gräfin noch etwas zu befehlen?«

»Ja, mein guter Martin! Geh du mir morgen in aller Frühe zum Prinzen – oder vielmehr – jetzt Herzog von Metten-Barnheim, ich lasse ihn auf zehn Uhr zu mir bitten.«

»Ach – der Herzog sind gerade heute auf die Auerhahnbeize gefahren – haben wohl nicht gewußt, daß Frau Gräfin kommen.«

»Freilich nicht! Ach mein Gott, – wie lang bleibt er denn fort?«

»Der Kutscher sagt mir, bis End' der Woche.«

»Auch das noch!« Sie steht in ratloser Verzweiflung da.

»Der Kutscher hat g'meint, Hoheit gingen auf Schloß Sternbach – wenn Frau Gräfin vielleicht telegraphieren wollten!«

»Ja, guter, alter Freund – du hast recht!« Und mit Fieberhast schreibt die geängstigte Frau ein Telegramm. »So, Martin, da hast du das Telegramm, irgendwo wird es ihn doch erreichen?«

Und sie denkt an die Depesche, die sie nach dem Passionsspiele vor neun Jahren an den Mann abfertigte, den sie heute als die letzte Hilfe zurückruft. Damals zeigte sie ihm an, daß sie in Ammergau bliebe, und ließ die Rosen verwelken, die ihrer daheim warteten, – jetzt bleibt sie daheim und läßt die Rosen welken, die ihr in Ammergau erblüht.

Und als ob der alte Kutscher in ihren Zügen läse und die stumme Sprache des bitter geschlossenen Mundes entzifferte, fragt er unsicher und zaghaft: »Ins Grieß fahren Gräfliche Gnaden wohl nicht?«

»Nein!« sagt sie so kurz und herb, daß alles weitere abgeschnitten ist.

Da fliegt zum erstenmal ein Schatten über das ehrliche Gesicht Martins. »Geht es so?« denkt er bei sich und schüttelt unwillkürlich den Kopf – »dann ist's g'fehlt!« – Traurig, fast vorwurfsvoll wünscht er der geliebten Herrin »eine ruhsame Nacht!« und humpelt wie müde hinaus. – Das hat ihm weh getan – »das Letzte, was er da inne geworden ist –« er wagt es aus Respekt für die Gebieterin vor sich selbst nicht auszusprechen!


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