Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel. Brautfackeln

»Magdalena – Weib – Engel – wie nenn' ich dich?« ruft Freyer und breitet die Arme aus. »O, stünden wir jetzt nicht auf freiem Feld, daß ich dich ans Herz drücken und dir danken dürfte, daß du so gut warst – so groß und so gut!«

»Verlangt dein Herz endlich nach mir? O, so komm mit mir in den Wald, wo uns niemand belauscht, als die heilige Natur. Weißt du was, führe mich auf einen dieser Berge. Willst du? Kannst du? Geht dein Heu nicht zu Grunde?«

»Und ginge es auch zu Grunde, was liegt daran! Aber du mußt mich vorher nach Hause lassen, um mich deiner würdig anzukleiden.«

»Nein, das wird zu spät! Bleib nur, wie du bist, – du bist doch schön!« flüstert sie leise errötend wie ein Mädchen, und ihr Auge gleitet an der königlichen Gestalt nieder zur Erde. – Ein glückliches Lächeln fliegt über sein Gesicht. Er bückt sich und nimmt die Joppe auf, die er bei der Arbeit ausgezogen.

»Und du – bist du denn gerüstet für eine Bergfahrt?«

»Ach, wir wollen ja nicht weit gehen! Nur so, daß wir bis zu Tisch wieder unten sind.«

»Aber die Schuhe, wie steht es damit? Das werden wohl papierne Söhlchen sein?«

»Nein,« sagt sie launig, »die Ammergauer Wege stehen in einem so argen Renommee, daß ich schon vorgesehen bin.«

»Nun denn, in Gottes Namen! Schlimmsten Falls nehm' ich mein Täubchen auf die Schulter und trage es, wenn's nicht mehr weiter kann.«

Die Gräfin jubelt: »O selige Ungebundenheit! So in den Wald laufen wie ein paar Märchenkinder, die dann darin verzaubert werden von irgend einer bösen Fee und erst nach tausend Jahren wieder zum Vorschein kommen! O Poesie des Kindergemüts – zum erstenmal lachst du mich an mit vollen Wangen! Komm, laß uns eilen – es ist so schön, daß ich meine, es könne nicht sein! Ich glaub's nicht eher, als bis wir oben sind!«

Und sie fliegt mehr, als sie geht, neben ihm her.

»Täubchen – du, wenn wir aber verzaubert würden und müßten tausend Jahre miteinander im Walde bleiben?''

»Laß es uns darauf hin wagen!« flüstert sie und verstrickt ihren Blick in dem seinen, daß er schwer atmend sagt: »Ich glaube – der Zauber beginnt schon!« Und mit düster flammendem Auge murmelt er, sie betrachtend: »Wer weiß, ob ich nicht die Lorelei selbst am Arm halte, die mich in ihr Reich lockt, um mich zu verderben!«

»Was weißt du von der Lorelei?«

Freyer bleibt stehen: »Denkst denn du, ich lese gar nichts? Was täte ich anderes die langen Abende, wenn ich müde von der Arbeit zu Hause Rast halte?«

»Wirklich?« sagt sie zerstreut und zieht ihn weiter.

»Glaubst du denn, ich könnte ein Weib wie dich verstehen, wenn ich mich nicht in der Stille etwas gebildet hätte? Ach, wenig erreicht man, wenn die rechte Grundlage fehlt. Das ungeschulte Gedächtnis hält nichts fest, als was sogleich in Fleisch und Blut übergeht: die Erkenntnis des Lebens, soweit sie uns aus dem Spiegel der Kunst entgegentritt. – Aber auch dieses Spiegelbild verzerrt sich hin und wieder und verwirrt unser natürliches Denken und Fühlen. – Ach, liebe Seele, ein Mensch, der nichts recht gelernt hat und doch so viel weiß, daß er den Drang nach etwas Höherem fühlt, ohne ihn je befriedigen zu können, – ist wie ein Verdammter, der nie zu dem ersehnten Ziel gelangt!«

»Armer Freund. Ich kenne das, – bis zu einem gewissen Grad geht es ja auch uns Frauen so. Auch wir haben den Drang nach Bildung und bringen es doch schließlich nur zu einem lückenhaften Wissen! Um so reicher entwickelt sich aber dafür das Individuelle, das Unmittelbare und Intuitive. Du brauchtest gar nichts zu wissen – du wirkst als Individualität, – als solche bist du groß. Alles Wissen kommt von den Menschen und ist von diesen zu erwerben, – das Gottesgnadentum der Individualität kann niemand erringen, noch geben, so wenig wie die Intuition! Alle Logik des grübelnden Verstandes, – was ist sie gegen die Sehergabe, mit der du dich in die Rolle eines Gottes hineingelebt hast. Ist das nicht ein größeres Wunder, als die mühselig errungenen Resultate systematischer Studien am Büchertisch?«

»Du bist eine gute Trösterin!« sagt Freyer.

»Das Denken macht den Menschen alt!« fährt sie fort. »Es hat auch die Menschheit alt gemacht, – Natur, Einfalt, Liebe müssen sie verjüngen! Darin ist der unmittelbare Kontakt mit der Gottheit, in der Kultur nur der mittelbare! Wohl mir, ich habe meine Lippen an die Quelle gelegt. – O, ewiger Born der Menschennatur, ich trinke aus dir mit vollen Zügen!«

Sie sind in den Wald getreten – hoch über ihnen rauschen die Wipfel und zu ihren Füßen der Waldbach. Die Gräfin ist verstummt, – ihr Haupt ruht an der hochklopfenden Brust des Freundes, – ihre weiche Gestalt ist müde an ihn hingesunken. – »Jetzt sprich nichts mehr – hier reicht kein Wort mehr aus!« Tiefes Waldesdunkel umgibt sie, – heilige Stille und Einsamkeit. – »Ueber allen Wipfeln ist Ruh!« zieht es leise klingend über das Haupt der Gräfin hin, das wundervolle Rubinstein-Goethesche Lied. Es ist keine Menschenstimme, es ist, wie wenn ein Hauch aus Traumesferne herüberweht, – wie wenn der Wind durch die Saiten der Zimbel streicht, die Lenaus Zigeuner am Baum aufgehangen, kaum gehört, schon wieder verklungen. – Ihr Ohr hat schon einmal diesen Aeolsharfenton getrunken, – sie weiß es wieder: am Kreuz – mit den Worten: »In deine Hände befehle ich meinen Geist!« Und so süß wie damals die Sprechstimme ist jetzt die Tenorstimme, die leise, leise das unruhvolle Gemüt des großen Weltkindes in Schlummer singt! – »Warte nur, balde – balde –« und jetzt schwillt der Ton allmählich sanft an, und es ist, als fiele der ganze summende, singende Waldeschor mit ein: »Balde ruhst auch du!«

Aus der Tiefe des großen Herzens, an dem sie sich wiegt, kam der geisterhafte Klang, als habe die Seele sich auf Augenblicke vom Körper getrennt gehabt, und künde nun zurückkehrend, mit süßer Klage, was sie geschaut im Reich des Verborgenen!

»Du weinst?« fragt er zärtlich und küßt die lockige Stirn: » Mein Kind

»O, wenn du dies Wort sagst, das ist ein Gefühl, wie ich es nie gekannt. Ja, ich bin ein Kind in deiner Hand, ich will es sein! Wer jemals die Wollust gekostet, die Last des eigenen Ich hinzuwerfen auf irgend einen Altar, sei es der Religion oder der Liebe, – sich hinzugeben, aufzugehen in einer anderen, höheren Potenz, der nur kann wissen, wie mir zu Mute ist, wenn ich mich an deine Brust lehne und du mich dein Kind nennst! So, unserer selbst entledigt, so frei und leicht muß es uns sein, wenn wir im Tode die Fesseln des Körpers abgestreift und alles, was persönlich an uns ist, aufgelöst haben in Gott!«

»Weib, dich hat der Himmel für sich bestimmt und du spürst es schon, wie's deine Fasern lockert und dich allmählich herausheben will aus dem profanen Boden, in dem du gewurzelt. Darum hast du auch jetzt geweint, als ich dir hier in der stillen Waldeinsamkeit das Lied sang. – Solche Tränen sind wie die Tropfen, welche der Baum weint, wenn ihm ein Name eingeschnitten wird. In solchen Augenblicken fühlst du, wie die Hand Gottes die Rinde aufritzt, die das Treiben der Welt um dein Herz gelegt, und der edle Saft entquillt der wunden Stelle. Nicht wahr?« Und er streicht ihr sanft mit der Hand über die feuchtschimmernden Augen.

»O du große Seele! Wie dringst du in die Tiefen meines Seins! Was ist aller Witz und Scharfsinn des gebildeten Geistes gegen die unmittelbare Eingebung deiner poetischen Natur, Freyer, Frühling der Erde, – Christus, Frühling der Menschheit! Mein Herz treibt dir die erste Knospe, brich sie ab!« Sie wirft sich ihm geschlossenen Auges an die Brust – gleichsam blindlings! – Er umfängt sie und hält sie lange stumm in den Armen. – Dann sagt er leise: »Ich will sie brechen, mein Kind, die schöne Blüte deines Herzens, aber nicht für mich!« Er blickt inbrünstig empor: »Gott, du hast deine Hand aufgetan über dem Bettler und ihn reich gemacht, daß er dir opfere, was kein König zu geben vermag! Dank sei dir!«

Da lacht etwas über ihrem Haupt – es ist ein Wildtaubenpaar, das sich dort oben im grünen Zelt schnäbelt.

»Weißt du, worüber die lachen?« fragt die Gräfin mit verändertem Ton: »Die lachen über uns!«

»Magdalena!«

»Ja! – Sie lachen über den selbstquälerischen Zweifel an Gottes Güte! Blick um dich, sieh hier den Sturzbach schäumen und die blauen Genzianen tränken, sieh hier die früchtebeladene Haselstaude, den heiligen Baum, der deine Kindheit beschattet, sieh die schwellenden Waldbeeren zu deinen Füßen, das ganze berauschende Wogen und Weben in der Natur, und dann frage dich, ob der Gott, der dem allem das warme, wonnige Leben eingehaucht, ein Gott ist, der nur nimmt – nicht gibt! Glaubst du, er hätte uns diesen Liebesfrühling bereitet, damit wir seine Blüten auf dem kalten Altar der Pflicht oder des Vorurteils welken lassen? Nein – nimm sie an, wie er sie dir gibt – und frage nicht!«

»Magdalena!« bittet er leise, »führe mich nicht in Versuchung! Ich sagte dir schon heute, du weißt nicht, was du entfesselst!«

Er steht vor ihr wie verwandelt – seine Augen lodern wieder in dem dunkeln Feuer, das heute früh einen Moment darin aufgezuckt, durch den Wald geht ein Rauschen wie Adlersfittiche. – Jupiter naht in Menschengestalt!

Die schöne Frau setzt sich auf einen Baumstamm, die Hände im Schoß gefaltet. –

»Ein Mensch wie ich liebt nur einmal, aber mit dem ganzen Sein. Ich begehre nichts – aber was sich mir gibt, das gebe sich mir ganz – oder gar nicht, denn hab' ich's einmal, dann lass' ich's nicht mehr als mit meinem Leben!

»Jüngst war ein Fremder bei uns, der sang das Lied von den Aßras, welche sterben, wenn sie lieben – ich glaube, von dem Stamm bin ich! – Weib! scherze nicht mit mir, spiele nicht! Denn wisse – ich liebe dich mit der tödlichen Liebe jener Aßras!«

Sie erbebt vor Wonne.

»Wenn ich einmal deine Lippen berührt, dann ist die Schranke zwischen uns gefallen! Verzeihst du mir, wenn mich dann der Strom der Empfindung fortreißt, daß ich vergesse, wer du bist und welch ein Abgrund die Gräfin Wildenau von dem niederen Manne trennt?«

»O daß du dich daran erinnern kannst – in dieser Stunde –!« ruft die Gräfin mit schmerzlichem Vorwurf.

Er biegt sich zurück und schaut ihr fast drohend in die Augen. Es ist, als knisterten die dunkeln Locken um sein Haupt wie die sich sträubende Mähne eines Löwen: »Weib, du kennst mich nicht! – Wenn du mich betrügst, verrätst du das Heiligste, was je ein Mensch empfunden – und furchtbar wird sich's rächen! – Dann wird die Flamme, die du entfachst, entweder dich oder mich oder uns beide verzehren! Sieh, nun bin ich ein anderer. Bisher sahst du mich nur gebändigt von der sieghaften Macht meiner heiligen Aufgabe! Du hast die Geister beschworen, jetzt sind sie nicht mehr zu bannen – wird dir nicht bangen vor der Gewalt einer Leidenschaft, die ihr Weltmenschen mit eurer kühlen Selbstbeherrschung nicht kennt?«

» Mir bangen, vor dir?« jubelt das stolze Weib mit Entzücken: »O, das ist Größe, das ist Atem der Götter! Und mir sollte bangen inmitten des Elements, das ich geahnt, ersehnt – das sich mir längst offenbarte in der eigenen Brust? Fürchtet die Flamme das Feuer? Die Titanin den Titan? Ah – jetzt deinen Blitz, Zeus – schleudere ihn nieder und laß den Wald auflohen als Siegesfackel der lange geknechteten, endlich erlösten Natur!«

Er läßt sich neben ihr nieder und sein Gluthauch streift ihre Wange. »So willst du es mit mir versuchen, willst ihn mir dennoch geben, den Kuß, den ich heute nicht anzunehmen gewagt?«

»Ja!«

»Dann ist es aber ein Brautkuß!«

»Ja!«

Da breitet er die Arme aus, und wie ein schwarzer Falter sich auf die duftige Teerose niederläßt, mit sammetnem Flügel über dem tauschweren Kelch schwebend, so beugt er das Haupt zu ihr herab, dunkel überschattend – und drückt den ersten Kuß auf die zitternden Lippen der Gräfin.

Aber solche Augenblicke locken die Götter an, und Jupiter schwebt über dem Paar grimmigen Zornes voll, beim er neidet dem christlichen Menschensohn das herrliche Weib. – Er hat's gehört, wie sie ihn lachend herausgefordert in ihrer gestohlenen Götterwonne, und der Himmel verdüstert sich, die Windsbraut sattelt die Sturmrosse, seines Winks gewärtig, und nieder loht es, das Feuer des Himmels – ein kreischender Schrei gellt durch die Lüfte, berstend zerklafft der höchste Baum im Wald und hochauf lodert die Brautfackel, die Jupiter dem Paare entzündet.

»Die Götter wollen's nicht,« sagt Freyer düster.

»Trotze ihnen!« ruft die Gräfin aufspringend, »sie sind machtlos – wir stehen in eines Höhern Hand!«

»Weib, du bist nicht von dieser Welt, oder du hast keine Nerven, die zu zittern vermögen!«

»Zittern?« lacht sie selig auf: »Zittern, an deiner Seite?« Sie schmiegt sich an ihn: »Ich bin so feig wie je ein Weib, – aber wo ich liebe, hab' ich Todesmut! Und wenn ich jetzt vom Blitz getroffen zerschmettert niedersänke, könnt' ich schöner sterben als in diesem Augenblick? Du würdest sterben für deinen Christus – und ich für den meinen.«

»Nun denn, so komm, du großes Weib, daß ich dich berge, so gut ich kann! Jetzt wird sich's zeigen, ob Gott mit uns ist! Den Elementen trotz' ich!« Stolz faßt er das geliebte Weib in die Arme und führt es weiter, sicheren Schrittes durch das Chaos, in das der ganze Wald jetzt aufgelöst ist. – Heulend bricht sich der Sturm Bahn durch das Dickicht. – Die Aeste krachen, die Vögel werden steuerlos umhergeschleudert. Als käme das rasende Element aus Höhe und Tiefe zugleich, so erschüttert es den Boden und gräbt mit wühlender Hand die Wurzeln der Bäume aus der Erde, daß die Hochstämme prasselnd niederschmettern und bergab rollend alles mit sich reißen im jähen Absturz. Und in teuflischer Kampfeswut zückt das Feuerschwert aus den Wolken in den Aufruhr hinein, Streich um Streich und Schlag um Schlag – und da und dort flammt es auf, rot züngelnd und knisternd durch das dürre Geäst! –

Brausend, aber ohne zu löschen, stürzt jetzt ein Wolkenbruch nieder und drückt den Rauch der schwälenden Flamme herunter in die vom Sturm ineinander verstrickten Wipfel. Wie eine schwarze Riesenschlange wälzt sich's von allen Seiten daher, atemraubend, erstickend, mit dem Gluthauch des Waldbrandes, und der ringelnde Wolkenleib führt schimmernd und sprühend Millionen Funken brennender Tannennadeln mit sich.

»Nun, Feuerseele, geht dir's jetzt heiß genug her?« fragt Freyer und preßt das schöne Weib an sich, um es zu decken mit seinem eigenen Leib: »Ist dir jetzt wohl?«

»Ja!« sagt sie, nach Atem ringend, und beider Augen versenken sich ineinander, als fühlten sie nur den Brand im Herzen und als habe sich dieser und das äußere Element aufgelöst in ein einziges großes Flammenmeer.

Und immer näher, immer enger zieht das Feuer seine Kreise um das trotzige Paar, und immer schwüler wird der Weg – immer leuchtender die Bahn, die sie sich durch die züngelnde Lohe suchen müssen. – Bald links, bald rechts starrt ihnen rotäugig, aus feuchtem Dunst und Glast die Brunst entgegen, halb erstickt von den herabströmenden Regenfluten, aber aus dem geöffneten Rachen heißen, sengenden Qualm speiend – unnahbar der schwer atmenden Menschenbrust – und zwingt die Flüchtenden, umzukehren, um einen neuen Ausweg zu suchen.

»Wenn der Regen nachläßt, sind wir verloren!« sagt die Gräfin mit Todesruhe. – »Dann ist das Feuer ganz Herr!«

Freyer spricht kein Wort. Unaufhaltsam, unbeugsam strebt er weiter. Mit der Kraft der Titanen fängt er die stürzenden Aeste und Stämme auf, die das Leben der Gräfin im Fallen bedrohen. Mit beiden Armen schützt er das unbedeckte Haupt des geliebten Weibes vor den springenden Funken, dann und wann netzt er ihre Haare und Gewänder aus einem vorbeirieselnden Quell. Schon wird das Wasser in den Bächen warm. Zu ihren Füßen wimmelt es von flüchtenden Tieren, – und Vögel mit verbrannten Flügeln stürzen herab.

Es ist nicht mehr möglich, nach der Tiefe durchzukommen, unter ihnen wütet das Feuer. Sie müssen wieder bergauf und in die Höhe zu gelangen suchen. – »Nur Mut – vorwärts!« ist das einzige, was Freyer sagt. – Und aufwärts kämpfen sie sich – weg- und steglos – durch Gestrüpp und Dickicht, über Baumwurzeln, Geröll und Runsen weg, ohne anzuhalten, ohne Atem zu schöpfen, denn die Flamme folgt ihnen auf den Fersen und bedrängt sie mit teuflischer Umarmung. – Und wo der Pfad zu mühselig, da nimmt Freyer das bedrohte Weib auf die Arme und trägt es über die beschwerlichen Stellen.

Da endlich – öffnet sich das Gehölz, die Feuergrenze ist überschritten, sie sind oben – sind gerettet. Wiehernd empfangen die Windrosse sie nun auf der kahlen Höhe und mühen sich, sie herabzuschleudern, zurück in das brennende Grab, aber Freyers hochragende Gestalt steht ihrem Anprall, und mit ohnmächtiger Wut reißen sie rechts und links Felsblöcke los und wälzen sie donnernd hinab in die Tiefe. Und der Wassersturz aus den Wolken überflutet das Paar wie eine Meereswoge, als wolle er sie vom Felsen hinabspülen, und schlägt ihnen in Augen, Mund und Ohren, daß sie sich wie blind und taub weiter tasten müssen, der Bergwand entlang. Zerfetzt und bleischwer hängen die Gewänder an der schönen Frau nieder, die Haare aufgelöst, naß und verweht, der ganze Körper zitternd vor Kälte in dem eisigen Sturm und Regen hier oben auf der Höhe, nach der Hitze und Bangigkeit dort unten im schwelenden Dickicht.

»Ich weiß eine Sennhütte, dort bring' ich dich hin! Halt dich nur fest an mich, wir müssen noch höher hinauf!«

Und stumm klimmen sie weiter.

Die Gräfin wankt. Freyer nimmt sie wieder auf den Arm und trägt sie mit übermenschlicher Anstrengung das letzte steile Stück hinan bis zur Hütte. Diese ist leer. Auf dem Strohlager des Sennen läßt er die erschöpfte Frau nieder, sie bricht ohnmächtig zusammen. – Als sie erwacht, ruht sie in Freyers Armen, und seine Tränen netzen ihr Gesicht. Sie sieht ihn an wie einen wahrgewordenen schönen Traum: »Bist du's wirklich?« sagt sie mit solch süßer Kinderseligkeit und schlingt ihre Arme um ihn, daß es dem starken Mann in Kopf und Herzen wirbelt, als sollten ihm die Sinne vergehen.

»Du lebst, du bist gerettet?« weiter kann er nichts sagen. Er küßt ihr nasses Kleid, ihren Fuß – er umschlingt ihre Kniee und betastet zärtlich die ganze schöne Gestalt, ob sie noch unversehrt: »Gott sei Dank!« jubelt er unter Tränen, »du bist heil!« Und dann, wie taumelnd, erhebt er sich: »Jetzt, angesichts der überstandenen Todesgefahr, jetzt sag mir, ob du mich wahrhaft liebst, sag, ob du mein bist, ganz mein! Oder stürz mich hinunter in den brennenden Wald – es wäre barmherziger, bei Gott! – als mich belügen!«

»Joseph!« ruft die Gräfin, ihn leidenschaftlich an sich ziehend. »Kannst du das fragen – jetzt noch?«

»Ach, ich kann's nicht begreifen, daß ein armer, unwissender Mensch wie ich solch ein Weib besitzen soll! Was kannst du denn an mir lieben als die Christustäuschung, und ist diese dahin – was bleibt dann übrig?«

»Die göttliche, die wahre Liebe!« sagt die Gräfin mit erhabenem Ausdruck.

»O Weib, ich glaube ja, daß du's ehrlich meinst. Aber wenn du dich selbst getäuscht hättest, wenn du es jemals erkenntest, daß du mich überschätzt hast – schau – mir wäre besser, ich läge da unten in den Flammen, als das erleben! Noch ist es Zeit – überleg es wohl, und sag – was soll's werden?«

»Ueberlegen?« sagt die Gräfin und zieht seinen Kopf zu sich herab. »Sag dem Sturzbach, er soll sich's überlegen, ehe er vom Felsen springt, um im Sprung zu zerstäuben! – Sag der Blume, sie soll sich's überlegen, ehe sie sich dem Sonnenstrahl öffnet, der sie versengen wird! Willst du kleiner sein als diese? Was ist zu überlegen, wo ein großer Impuls allgewaltig zwingt? Ist dir der Augenblick nicht wert, das ganze Leben dranzusetzen, ohne zu fragen: ›Was soll's werden?!‹ O dann, ja, dann hab' ich mich in dir getäuscht, und es ist besser, wir trennen uns, da es noch Zeit ist!«

»O Weib – Zauberin! – Du hast recht, ich kenne mich selbst nicht mehr! Uns trennen, jetzt? Nein, es ist zu spät, ich bin dir verfallen mit Leib und Seele. Wohlan denn, ich gebe mein Leben für den Augenblick hin und frage nicht mehr, denn ich kann nicht anders!«

Und er sinkt vor ihr nieder und begräbt das Haupt in ihrem Schoß. – Sie umschlingt ihn mit unnennbarer Zärtlichkeit. – Aber wie eine schwere Verantwortung legt sich's auf sie, denn sie fühlt es jetzt – sie ist sein Schicksal. Sie hat, was sie wollte, seine Seele, sein Herz, sein Leben – und wenn er Unsterblichkeit besäße, er würde auch diese hingeben für sie! – Aber jetzt ist »der Gott« Mensch geworden – die Wahl ist entschieden. Und mit einer heimlichen Träne blickt sie auf die zurückgebliebene Hülle des entschwundenen schönen Wahnes herab.

»Was hast du?« fragt er plötzlich, den Kopf erhebend, und sieht ihr mit banger Ahnung in die Augen: »Du bist kalt geworden!«

»Nein, nur wehmütig!«

»Und warum?«

»Ach, ich weiß es nicht! Es soll ja nichts Vollkommenes geben hienieden,« – sie zieht ihn liebevoll an sich: »Jetzt ist einer der Augenblicke, wo das höchste Glück zum Schmerz wird! Nicht die Wut der Elemente konnte uns etwas anhaben, aber ein stilles schleichendes Weh ist es, das den Neid der Götter versöhnt für unerhörte Erdenwonne: die Trauer um meinen Christus!«

Da stößt Freyer einen schmerzlichen Schrei aus und verhüllt aufspringend das Gesicht mit beiden Händen. »O, daß du mich daran mahnen mußt!« Und er eilt aus der Hütte.

Was war das? Die schöne Herrin hat ein Gefühl, als habe sie sich dennoch getäuscht, da sie glaubte, er gehöre ihr ganz und ausschließlich, als sei noch ein Etwas in dem Manne, worüber sie keine Macht habe! Und in einer unerklärlichen Angst folgt sie ihm vor die Tür. Er steht wie träumend an die Hütte gelehnt, ohne aufzublicken. – Vom Tale herauf tönt Sturmläuten und das Gerassel der Feuerwehr. Der Regen hat sich gelegt, und die Flammensäulen steigen jetzt hoch auf und bilden einen roten Thronhimmel über den Kronen des Waldes. Es ist ein wildes Schauspiel, dies wogende Glutmeer, in dem allmählich Baum um Baum verschwindet, die Luft erschütternd durch das Geprassel stürzender Wipfel, und hoch darüber ein Sprühregen von Funken, und eine Wolke kreischender Vögel, die dem Flammenschoß entwirbeln. Joseph Freyer achtet des nicht. Die Gräfin tritt fast schüchtern zu ihm hin: »Joseph – habe ich dich gekränkt?«

»Nein, mein Kind, im Gegenteil! Als ich dich heute an deine Standespflichten erinnerte, da zürntest du mir, ich aber danke dir, daß du an den gedacht, den ich um deinetwillen vergaß!«

»Wohl! Doch ich schämte mich deiner, trotz der Mahnung nicht, und verleugnete dich nicht vor der Gräfin Wildenau! Du aber, Joseph – du schämst' dich jetzt meiner vor Christus!«

Da sieht er sie durchdringend und schmerzlich an: »Ich mich deiner schämen, ich dich verleugnen vor meinem Erlöser, der ja auch der deine ist? Ich dich verleugnen, weil ich ihm gestehen müßte, daß ich dich über alles liebe – ja hienieden vielleicht mehr als ihn? O liebes Weib, wie wenig kennst du mich noch! Möge der Tag nie kommen, wo es sich zeigen wird, wer von uns zuerst den andern verleugnet, und mögest du nie die Tränen meinen müssen, die Petrus weinte, da der Hahn zum drittenmal krähte!«

Sie sinkt an seine Brust: »Nein, geliebter Mann, das wird nie geschehen! In der Stunde, wo das möglich würde – dürftest du mich verachten!«

Er küßt sie liebreich auf die Stirn: »Das würde ich nicht tun – so wenig wie Christus Petrus verachtet hat! Du bist ein Kind der Welt, sollte dir ein Verrat an mir angerechnet werden, wenn dem starken Mann, dem Jünger Christi, ein Verrat am Heiligsten verziehen ward?«

»O mein Engel! Auch das wäre ein Verrat am ›Heiligsten‹,« sagt die Gräfin in tiefer Bewegung, »wenn ich dich verleugnen könnte!«

»Ja, um Gottes willen, Herr Freyer,« ruft eine Stimme von weitem, und der Senn springt in großen Sätzen vom Gipfel her den Abhang hinunter: »Sie stehen so ruhig da – bei dem Unglück?« Die Worte verhallen in der Entfernung.

»Der Mensch hat recht,« sagt die Gräfin erschrocken, »wir vergessen alles um uns her! Da muß helfen, wer Hände hat. Geh – laß mich hier allein und folge dem Senn zum Löschen.«

»Hier hilft kein Löschen mehr, der Wald ist verloren!« sagt Freyer gleichgültig. »Es ist gut, daß es ein so vereinzeltes Gehölz ist, so kann der Brand nicht weiter greifen.«

»Aber, mein Gott, so versuche doch zu retten, was zu retten ist – das ist ja Nächstenpflicht.«

»Ich verlasse dich nicht, werde was wolle.«

»Aber ich bin hier geborgen, und da unten verbrennt vielleicht eines armen Mannes Hab und Gut!«

»Was liegt daran, in dieser Stunde!«

»Was daran liegt?« ruft die Gräfin empört. »Joseph, ich begreife dich nicht! Hast du so wenig Gefühl für die Not deiner Mitmenschen – und willst den Christus spielen?«

Freyer blickt mit seltsamem Ausdruck in die Zerstörung – seine edle Gestalt ragt stolz in den düstern Wolkenhimmel hinein. Er streckt mit ruhigem Lächeln die Hand nach dem geliebten Weibe aus und zieht es zärtlich an die Brust: »Schilt mich nicht, Taube – der Wald war mein


 << zurück weiter >>