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Wenige Minuten sind vergangen – für den Herzog eine Welt von Glück – für die Gräfin von Elend. Der Herzog neigt sich zu der schönen zitternden Gestalt nieder, sie in seine Arme zu ziehen zum erstenmal –!
»Hab' ich dich endlich errungen – geliebtes, lang ersehntes Weib?« ruft er siegestrunken. »Siehst du's nun ein, was es mit deinen ›göttlichen Fügungen‹ für eine Bewandtnis hat? Die Klugheit und Ausdauer eines einzigen Mannes, der weiß, was er will, hat sie zu Schanden gemacht, und alle Zeichen- und Wunderhelden aus dem Felde geschlagen! Glaubst du's jetzt, was ich vorhin sagte: daß wir unsere eigene Vorsehung sind?«
»Das wird sich zeigen, überhebe dich nicht und lästere nicht, Gott könnte den Uebermut strafen!« spricht sie matt und entzieht sich sanft seinem Arm.
»Madeleine – keinen Brautkuß – nach jahrelangem Hoffen und Harren?«
» Noch bin ich Freyers Gattin,« sagt sie abwehrend – »erst wenn ich von ihm getrennt bin!«
»Sie haben recht! Ich will den ersten Kuß meiner Braut nicht einem anderen stehlen. Ich danke Ihnen, daß Sie mein künftiges Recht in dem seinen ehren!« Und seine Lippen berühren nur freundschaftlich kühl ihre Stirn. Dann erhebt er sich: »Es ist Zeit, daß ich gehe, denn da ist keine Minute zu verlieren.« Er sieht auf die Uhr: »Es ist Sieben! Ich will sogleich Vorkehrungen treffen, ich reise morgen nach Prankenberg!«
»Sie wollen?«
»Ich will vor allen Dingen nachsehen, was im Kirchenbuch steht und was für ein Mensch der katholische Pfarrer dort droben ist. Damit man sich ein Bild von dem machen kann, was die Wildenaus ausgespürt haben und wie weit ihre Beweise reichen, – damit man doch weiß, wie man sich mit den Herren zu stellen hat, bis Sie Ihr Verhältnis zu Freyer lösen können, ohne gewaltsame Katastrophe und ohne etwas übereilen zu müssen. Auch will ich nach Barnheim und dort alles in der Stille für unsere Verbindung vorbereiten. Je schneller alle diese geschäftlichen Fragen bereinigt sind, desto eher können wir unsere Verlobung proklamieren. Und daß ich darauf brenne, Sie endlich die Meine nennen zu dürfen, das werden Sie – hoffentlich verstehen!«
»Aber vor allem muß mein Verhältnis mit Freyer geordnet sein,« sagt die Gräfin ausweichend. »Wir können ihn nicht abtun wie eine Geschäftsfrage. Er ist doch ein Mensch von Herz und Gemüt – dem müssen wir Rechnung tragen. Ich könnte keine Stunde glücklich sein, wenn ich wüßte, daß er unglücklich ist!«
»Und haben ihn doch Wochen und Monate allein gelassen ohne Gewissensbisse?« sagt der Herzog nicht ohne Schärfe.
»Das tat nicht ich, das taten die Verhältnisse, das aber, was jetzt geschieht, tue ich – und muß die Verantwortung dafür tragen. Helfen Sie mir sorgen, daß sie nicht zu schwer werde!« Es ist ein schöner, edler Ausdruck, mit dem sie das sagt, und er zieht gerührt ihre Hand an die Lippen.
»Gewiß, Madeleine! Wir wollen Rücksicht auf den Mann nehmen und alles so schonend wie möglich machen. Aber Madeleine, bedenken Sie, daß, wie ich vorhin seine Rechte geachtet, Sie jetzt auch meine Rechte zu wahren haben, und daß jede Stunde, die Sie länger als nötig in diesem Verhältnis zwischen ihm und mir stehen – ein Verrat an beiden ist. Es kann nicht nach Ihrem Geschmack sein, eine solche Rolle zu spielen – darum verlieren Sie keine Minute, sich derselben zu entledigen!«
»Gewiß – Sie haben recht!«
»Werden Sie stark sein – werden Sie die Kraft haben, das Unvermeidliche zu tun – und bald zu tun?«
»Ich habe stets gekonnt, was ich wollte – ich kann auch das!«
Der Herzog nimmt ihre Hand und sieht ihr lange und ernst in die Augen: »Madeleine – ich frage nicht: liebst du mich? Ich frage nur: glaubst du, daß du mich lieben wirst?«
Die tiefe Bescheidenheit dieser Frage ergreift ihr Herz mit einer unbeschreiblichen Wehmut und in überquellender Dankbarkeit für so viel große, alles gebende und so wenig fordernde Liebe neigt sie das Haupt: »Ja, – ich glaube es!«
Da verstummt des Herzogs sonst so schlagfertige Rednergabe, – für das Glück dieses Augenblicks hat er keine Worte! –
Was ist das? Stimmen im Vorzimmer, – es ist wie ein Streit. Jetzt klopft es heftig an die Tür.
»Herein!« ruft die Gräfin mit einem eigentümlichen Schauder. Der Kammerdiener eilt herein mit verstörter Miene: »Ein Herr, ›Verwalter Freyer‹ nennt er sich, ist da – folgt mir schon auf dem Fuße – wollte sich durchaus nicht abweisen lassen.« Er deutet mit der Hand zurück, wo Freyer bereits sichtbar wird.
Die Gräfin ist zur Bildsäule erstarrt. »Ich lasse den Herrn Verwalter bitten, einen Augenblick zuwarten!« befiehlt sie laut, mit der ganzen Wucht der Gebieterin. –
Der Kammerdiener tritt zurück und man sieht, wie er die Tür fast gewaltsam schließt. –
»Treiben Sie's nicht zu weit –« sagt der Herzog, »er scheint sehr erregt zu sein – solche Leute muß man nicht reizen. Lassen Sie ihn herein, bevor er die Tür forciert und einen Skandal vor dem Kammerdiener macht! Er kommt ja wie gerufen – in dieser Stimmung wird er Ihnen den Abschied sehr erleichtern! Also führen Sie's zu Ende! Aber ruhig, keine Scene – soll ich in der Nähe bleiben?«
»Nein – ich fürchte mich nicht – es wäre unedel, wenn ich Ihnen gestattete, ihn zu belauschen. Vertrauen Sie mir und überlasten Sie mich meinem Schicksal.«
In diesem Augenblick werden die Stimmen wieder lauter und jetzt wird die Tür heftig aufgerissen – Freyer steht im Zimmer.
»Was ist das – bin ich vogelfrei im eigenen Hause?« ruft die Gräfin, in der sich's trotzig gegen diese Gewalttat aufbäumt.
Freyer steht da, am ganzen Körper zitternd, man hört, wie ihm die Zähne aneinanderschlagen: »Ich wollte nur fragen, ob es der Wille der Gräfin Wildenau ist, mich – von Ihrem Bedienten insultieren zu lassen?«
»Gewiß nicht!« antwortet die Gräfin mit Würde, »wenn mein Diener Sie insultierte, so wird Ihnen Genugtuung werden – nur wünschte ich, Sie hätten diese in einer weniger unpassenden Weise verlangt.«
Der Herzog nimmt ruhig seinen Hut und küßt der Gräfin die Hand: » Restez calme!« dann grüßt er Freyer im Hinausgehen mit jener vornehmen Höflichkeit, die zugleich reizt und entwaffnet. –
Freyer tritt dicht vor die Gräfin hin, seine Augen irren unstät, seine ganze Erscheinung ist schreckenerregend: »Alles auf der Welt hat sein Maß, auch die Geduld – die meine ist zu Ende! Sag mir, sage – bist du mein Weib – du da, in der bunten Maskerade mit Schleifen und Perlen – bist du die trauernde Mutter eines toten Kindes? Ist das mein Weib, die sich putzt für einen andern, die sich einschließt mit einem andern, oder wenigstens Befehl gibt, nicht gestört zu werden, – die den angetrauten Mann draußen von ihrem Bedienten mit Fäusten zurückweisen läßt – und es dann unpassend findet, wenn sich der letzte Rest von Manneswürde in ihm aufbäumt und er von seinem Weibe Genugtuung fordert? Ich frage, wo ist der Mann, der da nicht rasend würde? Ich frage, wo ist das Weib, das mich einst geliebt hat? Bist du's, die mich verläßt, verrät, verächtlich macht vor sich und andern? Wo – wo – auf der weiten Welt ist ein Mensch so betrogen, so mit Füßen getreten worden, wie ich von dir? Hast du mir darauf eine Antwort, Weib?!«
Die Gräfin ist totenbleich, das Entsetzen schnürt ihr fast die Kehle zu. Zum erstenmal blickt sie der Gorgone, Volkswut, ins Antlitz und versteinert faßt sie der Gedanke: » Damit wolltest du leben?« Ein Grauen beschleicht sie – sie weiß nicht, ist es Furcht oder Abscheu, sie weiß nur, daß sie den »schmutzigen Wogen« entfliehen muß, die sich immer näher heranwälzen. –
Es gibt keinen undurchdringlicheren Panzer, als die Kälte eines abgestorbenen Gefühls. Damit wappnet sie sich: »Ich bitte, mir zu sagen, wie du daherkamst, was du wünschest und was dich in solche Aufregung versetzte?«
»Was – heiliger Gott, du fragst noch? Ich komme hierher, um zu erfahren, wo du jetzt seist, wohin ich dir schreiben könnte, da du mir auf meine Anzeige vom Tode Josephas nicht mehr geantwortet hast – und ich dir schreiben wollte, daß ich das Leben so nicht mehr aushalte! – Nun, wie ich unten beim Portier nach deiner Adresse frage, kommt der alte Martin dazu und sagt mir, du seist da. Ich will es versuchen, ein Wort, ein letztes Wort mit dir zu reden – ich gehe herauf, finde den Kammerdiener, bitte, beschwöre ihn, mich zu melden, oder wenigstens zu fragen, wann ich dich sprechen könne! Du habest einen Besuch, wo du nicht gestört werden dürfest, ist die höhnische Antwort. Da erwacht das Bewußtsein meines Rechts in mir und ich befehle ihm, mich zu melden – du weisest mich ab: ›Ich soll warten‹ – ich – soll im Vorzimmer warten, während du mit deinem ehemaligen Bewerber, ich sah's unter der Tür, vertraulich flüsterst! Da vergess' ich alles und nähere mich der Tür – der Diener will mich abhalten, ich schleudere ihn zur Seite und da – trifft mich ein Schlag ins Gesicht – in eben das Antlitz, das du einst das Antlitz deines Gottes genannt – die Faust deines Bedienten! Wenn ich nicht in dem Augenblick noch so viel Besinnung hatte, mir zu sagen, daß der Diener ja nur dein Werkzeug war – so hätt' ich ihn mit diesen meinen eigenen Händen zerrissen, wie ich jetzt dich zerreißen müßt' – wenn du nicht ein Weib wärst und mir auch in deiner Sünde noch heilig!«
»Ich bedaure aufrichtig, was geschehen, und nehme es dir nicht übel, daß du mich – wenigstens indirekt dafür verantwortlich machst. Ich werde selbstverständlich den Diener entlassen, – obgleich er eine Entschuldigung darin hat, daß du ihn provoziert hast und er dich nicht kannte.«
»Ja, er kann mich freilich nicht kennen, wenn ich nie zum Vorschein kommen darf!«
»Gleichviel, er darf sich auch gegen einen Fremden nichts Derartiges erlauben, er wird also mit Entlassung bestraft!«
»Weil er sich auch gegen einen Fremden dergleichen nicht erlauben darf?« Freyer lacht schmerzlich, bitter: »Ich danke dir, behalte deinen Bedienten – auf diese Genugtuung verzichte ich!«
»Ich weiß nicht, was du sonst willst!«
»Das weißt du nicht? O mein Gott, wenn das früher geschehen wäre, was hättest du da empfunden! Wie war dir's, bitte, erinnere dich daran, im Passionsspiel, wo ich zum Schein den Backenstreich bekam? Traf er dich nicht, wie du sagtest, in das eigene Herz? Wie müßte dir's erst sein, wenn du es in Wirklichkeit siehst? O Weib, die Tränen müßten dir über die Backen rinnen vor Jammer um den armen verkommenen Mann, der das einzige Mal, wo er es wagte, sich deiner Schwelle zu nahen, von deinen Lakaien mißhandelt wird. Wenn du noch einen Funken Liebe für mich hättest, so fühltest du, daß ein einziger Kuß, der mir mitleidig die Schmach von der Wange tilgte, eine bessere Genugtuung wäre, als die Entlassung eines Dieners, den du auch jedem Fremden geopfert hättest! – – Aber es ist vorbei, wir verstehen uns nicht mehr!«
Einen Augenblick kämpft die Gräfin zwischen Erbarmen und Widerwillen. Aber bei dem Gedanken, mit ihren Lippen das Antlitz berühren zu sollen, das von der Hand ihres Dieners geschändet, übermannt sie der Ekel und sie wendet sich ab.
»Ja, kehr mir nur den Rücken, – denn wenn du mir jetzt in die Augen sähest, müßtest du die deinen niederschlagen und rot werden vor Scham!«
»Ich bitte zu bedenken, daß ich, an derartige Ausbrüche nicht gewöhnt, genötigt sein würde, die Unterredung abzubrechen, wenn dein Benehmen nicht eine Form annimmt, die dem Bildungsgrad meiner Kreise mehr entspricht.«
»Jawohl, ich verstehe! Graut dir vor dem Element, das du entfesselt? Nicht wahr, zur Abwechslung war so ein Bauer schon recht, er hat doch anders, heißer, wilder geliebt als eure glatten Stadtherrn. Da war die Kraft und das Ungestüm des Naturmenschen nicht zu roh, als ich dich durch den brennenden Wald trug und die stürzenden Stämme auffing, die dich zu zerschmettern drohten, – da fürchtetest du mich nicht, da wiesest du mich nicht in die Schranken deiner gesellschaftlichen Form, im Gegenteil, da jubeltest du auf vor Lust, daß es noch Kraft und Gewalt in der Welt gebe, und fühltest dich als Titanin! – Warum bist du denn jetzt auf einmal so nervenschwach und kannst mich nicht ertragen, weil sich's wider dich kehrt?«
»Nein,« sagt die Gräfin mit einem Blitz tödlichen Hasses aus ihren unergründlichen grauen Augen: »Nicht deshalb – sondern weil ich dich damals für etwas anderes hielt als jetzt. Damals glaubte ich einen Gott vor mir zu haben, und jetzt sehe ich, daß es ein –« Sie hält inne.
»Fahre nur fort – tue dir keinen Zwang mehr an – jetzt siehst du, daß es ein Bauer war!«
»Du nanntest dich ja vorhin selbst so.«
Freyer steht da wie vom Blitz getroffen. Es ist, als müsse er erst Atem schöpfen und lange stumm wiegt er das Haupt hin und her, als habe er einen betäubenden Schlag darauf empfangen. »Ja,« stammelt er leise, »ich nannte mich selbst so, aber – du hättest es nicht tun sollen – du nicht!« Er greift nach der Lehne eines Stuhls, um nicht zu wanken.
»Du selbst bist schuld.« sagt die Gräfin kalt. »Aber willst du dich nicht setzen? Wir haben nur noch wenige Worte miteinander zu reden. Du hast die Christusmaske in diesem Augenblick abgestreift und mir die letzte Illusion aus dem Herzen gerissen. In einem Menschen, der so von Wut entstellt vor mir gestanden, kann ich das Bild des Erlösers nicht mehr sehen.«
»Wurde Christus nicht auch zornig, als er die Händler im Tempel sah? Und du, du schändest das Allerheiligste deines und meines Herzens für schnöden Besitz und eitle Güter, – ich aber soll nicht zornig werden! Vor kaum einem Jahr noch, am Bett unseres kranken Kindes, machtest du mir den Vorwurf, daß ich nicht aufhören könne, den Christus zu spielen, – jetzt – bin ich aus der Rolle gefallen! Es ist eben so, ich möchte sein, wie ich wollte, ich wäre dir nicht mehr recht, denn die Liebe fehlt, die aus dem Bauern einen Gott machte! Aber eins möcht' ich dir noch sagen, wenn ich roh und ein Bauer bin, jetzt noch, nach neunjähriger Ehe mit dir, – so trifft der Vorwurf nicht mich allein. Du hättest mich veredeln und bilden können, meine Seele lag in deiner Hand,« – die Tränen brechen ihm hervor: »Weib, was hast du aus meiner Seele gemacht?«
Er sinkt in einen Stuhl, seine Kraft ist gebrochen. Die Gräfin schweigt, der Vorwurf trifft sie. – Sie hat sich nie die Mühe genommen, seine Fähigkeiten zu entwickeln, sich geistig mit ihm zu beschäftigen. Nachdem seine poetische Quintessenz für sie erschöpft war – warf sie ihn weg wie ein ausgelesenes Buch.
»Du hast es gewußt, ich hab' dir's gesagt, daß ich ein armer Bube war, aufgewachsen mit den Pferden auf der Weide, und was ich weiß, das wenige, hab' ich nachgeholt aus eigenem Antrieb. Ich hätte dir's gedankt, wenn du mich aus dem Bann der Unwissenheit erlöst und die Sehnsucht gestillt hättest, die den Halbgebildeten nach den Schätzen der Kultur erfüllt, von denen er ein weniges weiß, gerade genug, um zu begreifen, wie viel ihm fehlt. Aber wenn ich über so etwas mit dir reden wollte, dann ließest du mich ungeduldig meine Unzulänglichkeit empfinden, und das beschämte und verschüchterte mich. So kam ich in dem einsamen Leben immer mehr herunter – und verwilderte, statt mich zu bilden! Weißt du, was die schwerste Strafe für Verbrecher ist? Einzelhaft! – Und man darf sie nur auf kurze Zeit ausdehnen, weil die Leute wahnsinnig davon werden! – Seit das Kind und Josepha tot sind, bin ich solch ein Unglücklicher und du – schreibst mir nicht einmal mehr eine Zeile, nicht ein Wort mehr hast du für mich! Ich fühl's, wie's allmählich mein Gehirn umnachtet! – Weib, wenn du auch Macht hättest über Leben und Tod – meine Seele darfst du nicht morden, dazu hast du kein Recht, – auch das Gesetz tötet nur den Leib, nicht die Seele. Und wo es zum Tod verurteilt, da sorgt es, daß die Qual möglichst verkürzt werde. Du bist grausamer als das Gesetz, denn du zerstörst dein Opfer langsam – geistig und körperlich!«
»Fürchterlich!« murmelt die Gräfin vor sich hin.
»Ja, fürchterlich ist's! – Da kommt ihr und lockt und seufzt und küßt uns den Saum der Gewänder, solange die Täuschung eurer erhitzten Phantasie währt, und euer Wahn steckt uns mit an, bis wir's zuletzt selbst glauben, daß wir Götter sind – und dann stoßt ihr uns hinab in die Tiefe! Da streut ihr die Miasmen des Größenwahns, der Eitelkeit, dort streut ihr Geld und den Samen der Geldgier aus – da wollt ihr Bildung säen, reißt uns heraus aus unserer Unwissenheit und vollendet euer Werk nur halb. Nachher aber wundert ihr euch, wenn wir verschrobene, unwahre, verkrüppelte Kreaturen werden, Komödianten, Spekulanten, verkannte Genies – alles auf der Welt – nur keine Ammergauer mehr!« Er wischt sich die Stirn, als ob sie blute, von Dornen geritzt. – »Ich war ein Typus meines Volks, als ich noch ein einfältiger Hirt war und von der Herde hereingeholt ward – halbwild, den Christus zu spielen, als ich in schüchternem Staunen plötzlich Kräfte in mir fühlte, die ich nie geahnt, und ich bin's jetzt wieder in meinem Unglück, meinen inneren Widersprüchen, in meinem verfehlten Leben. Ich werd's endlich sein in meinem Untergang oder Sieg – je nachdem Gott mir gnädig ist. Und sieh, Weib, seit du und alles mich verlassen – seit ich Josepha, das letzte, was mir aus Ammergau geblieben, im Sarg liegen sah – seitdem ist mir's, als wäre aus ihrem Grabe und aus dem Grabe all meines Glücks die Heimat wieder vor mir auferstanden, die verlassene, verratene, und es zöge mich dahin, wo der Boden ist, an den ich noch ein Recht habe, wo ich hingehöre. Ach, erst, wenn die Menschen draußen einen verlassen, weiß man, was einem die Heimat ist! Ich habe sie leider lang genug vergessen, solange ich meinte, du liebtest mich und bedürftest meiner. Jetzt weiß ich, daß du mich nicht mehr liebst – jetzt ist es anders! Ich hab' wie ein echter Bauer gemeint, ich hätte nur Pflichten, keine Rechte, aber in meiner Einsamkeit hab' ich so manchem nachgedacht, und da kam's mir, daß auch du Pflichten hast und mir mehr zumutest, als ich, ohne ehrlos zu sein, ertragen kann! – Daß ich es so lang ertrug, gab dir ein Recht mich zu verachten, denn der Mann, der grollend im Winkel sitzt und zusieht, wie sein Weib ihn Tag für Tag verleugnet, verrät und verhöhnt – der verdient nichts Besseres. Ich hab' ihn ausgerungen, den furchtbaren Schmerz! Und so bin ich gekommen, dich zu fragen, was du gesonnen bist, und dir zu sagen, was mein Entschluß ist.«
»Was verlangst du?«
»Daß du mit mir hingehst nach Ammergau, daß du den Reichtum, die Vornehmheit und den Glanz, die ich nicht mit dir teilen durfte, von dir wirfst und dafür meinen kärglichen Verdienst, meine Einfachheit, meinen ehrlichen, bürgerlichen Namen mit mir teilst. Denn wenn ich auch arm und gering bin, so verächtlich bin ich nicht vor dem, der mir Anstand und Kraft verlieh, seinen göttlichen Sohn darzustellen, daß du dich schämen müßtest, mein Weib zu sein im wahren christlichen Sinn!«
Die Gräfin atmet auf. »Du kommst mir zuvor,« sagt sie errötend. »Ich sehe, daß du die Unhaltbarkeit unseres Verhältnisses fühlst. Dein Ultimatum ist ein Beweis, daß du die Kraft hast, zu tun, was unvermeidlich ist und was ich nur aus Schonung für dich so lang verschob. – Denn daß ich nie auf das eingehen könnte, was du da verlangst, weißt du so gut wie ich. Es wird mir eine heilige Pflicht sein, so lange du lebst, für dich zu sorgen, daß es dir an nichts fehle, aber wir müssen uns trennen!«
Freyer erbleicht. »Trennen? Wir sollen uns trennen – für immer?«
»Ja!«
»Allmächtiger Gott, – ist dir denn gar nichts mehr heilig, nicht einmal das Band der Ehe?«
»Du weißt, daß ich Rationalistin bin und nicht auf dogmatischem Boden stehe, und als solche halte ich jede Ehe für löslich, sobald die sittlichen Voraussetzungen sich als falsch erwiesen, unter denen sie geschlossen. Dies ist leider bei uns der Fall. Du lerntest dich nicht in die Verhältnisse finden und wirst es nie lernen – der Konflikt hat sich bis zur Unerträglichkeit gesteigert, wir können uns nie verstehen, unsere Ehe ist also innerlich getrennt, wozu sie äußerlich aufrecht halten? – Ich habe neun Jahre meines Lebens durch dich verloren, dir meine Standespflichten geopfert, indem ich auf eine ebenbürtige Wiederverheiratung verzichtete. Es ist jetzt so weit gekommen, daß ich zu Grunde gehen muß, wenn du mich nicht freigibst! Willst du trotzdem noch meine Wege durchkreuzen und dich in meine Sphäre drängen?!«
»Gott, Gott – auch das noch!« ruft Freyer im tiefsten Schmerz. – »Wann hab' ich mich in deine Sphäre gedrängt? Womit, wodurch hab' ich deine Wege gekreuzt? Ich habe während unserer ganzen Ehe da oben in der Einsamkeit gelebt als dein Diener. Habe ich mich je meiner Stellung als dein Gatte überhoben? Ich habe geduldig gewartet, bis du alle paar Wochen, und später alle paar Monate, einmal zu mir kamst, und hingenommen wie ein Gnadengeschenk, was mein gutes Recht war. Ich habe alle Gaben deiner verschwenderischen Großmut verschmäht und mein Stolz war, dir für das Stück Brot, das ich aß, zu arbeiten. Ich habe nichts begehrt von deinem Reichtum, deiner Stellung, habe mich nicht gesonnt wie die anderen am Glanz deines Hauses. Ich wollte nichts von dir, als dein unsterblich Teil. Der ärmste deiner Diener war ich – der unscheinbarste! Mein einziges Gut war deine Liebe, und die mußte ich bergen vor jedem Späherblick, wie einen Raub, um den Preis der Verachtung meiner Landsleute und aller, die nicht ahnen konnten, in welchem Verhältnis ich zu dir stehe. Aber auch diese Schmach, ich trug sie schweigend, wo ein Wort genügt hätte, mich zu rechtfertigen, – ich trug's, um dich nicht aus deiner glänzenden Stellung zu mir herabzuziehen, – und das nennst du mich in deine Sphäre drängen? Wohl will ich dir zugeben, daß ich allmählich vergrämt und verbittert wurde und dir durch üble Launen und Vorwürfe das Kommen noch mehr verleidete, aber ich bin eben nur ein Mensch und hatte Uebermenschliches zu tragen. Die Absicht war gut, wenn auch die Ausführung verfehlt sein mochte. Ich verlor deine Liebe – ich verlor mein Kind – ich verlor die treue Gefährtin Josepha, und ich trug's und schwieg! Ich sah, wie du schwelgtest im Strudel der großen Welt, wie du von anderen umschwärmt warst und mich vergaßest, aber ich trug's – weil ich dich tausendmal mehr liebte als mich selbst und dir nicht wehe tun mochte. Manchmal kam mir der Gedanke, stillschweigend aus deinem Leben zu verschwinden, wie ein Schatten, der nicht hineingehört. Aber die Unverletzlichkeit der Ehe hielt mich ab und ich wollte es noch einmal versuchen, dich kraft des Schwurs, den du mir vor dem Altar getan, zu deiner Pflicht zurückzuführen, denn ich kann das Sakrament nicht lösen, das uns verbindet und das du freiwillig mit mir eingegangen. Und wenn es dich auch nicht bände – so bindet es doch mich! Ich bin dein Gatte und werde es bleiben, und wenn du die Ehe brichst, – so magst du es verantworten vor Gott, ich aber, ich werde sie halten – bis in den Tod!«
»Das wäre eine unnötige Aufopferung, die weder Kirche noch Staat von dir fordern. Ich werde mich nicht frei machen und dich gebunden zurücklassen. Du gehst von einer Verhängnisvollen Einbildung aus, als ob wir rechtmäßig getraut wären – es ist an der Zeit, den Irrtum aufzuklären, um deinet- wie um meinetwillen. Du sprichst von einem Schwur, den ich dir vor dem Altar getan – bitte, erinnere dich, daß wir nie vor einem solchen gestanden!«
»Nicht?!« murmelt Freyer und auf der Stirn schwillt ihm eine rote Ader drohend an.
Die Gräfin sieht es nicht. »War etwa der Frühstückstisch des Pfarrers von Prankenberg ein Altar?«
»Nein, aber wo zwei Menschen im Namen Gottes vor den Priester treten, ist der Altar unsichtbar da!«
»Das sind subjektiv-katholische Anschauungen, die ich nicht verstehe, – ich betrachte mich nicht als getraut und du brauchst es auch nicht zu tun!«
»Nicht getraut? Weib, weißt du, was du sagst!«
»Was ich sagen muß, um dir die Fessel zu lösen, wie mir!«
»Heiliger Gott, was nützt es mich, wenn du mir die Fessel lösest und mir dabei die Pulsader zerschneidest, daß ich mich verblute? Nein, nein, so grausam kannst du nicht sein. Das kann dein Ernst nicht sein – Allmächtiger Gott, – hab's nicht gesagt, nimm das Wort zurück, Herr, vergib ihr, sie weiß nicht, was sie tut! Weib, nimm das Wort zurück – ich will's nicht glauben, daß mein Weib, mein liebes Weib so schlecht sein soll!«
»Mäßige deine Ausdrücke! Ich vertrete meinen Standpunkt, frag, wen du willst, so wirst du's hören, daß wir nicht getraut sind!«
Da stürzt Freyer auf sie zu und faßt sie bei den Schultern, sie wie der Sturm eine junge Birke schüttelnd. »Nicht getraut, – und weißt du auch, was du dann bist?« Er wartet vergebens auf Antwort, er ist wie wahnsinnig. »Soll ich dir's sagen, soll ich? Dann bist du seit neun Jahren eine –«
»Vollende nicht!« schreit die Gräfin auf und mit einem verzweiflungsvollen Ruck schnellt sie empor, aus der furchtbaren Umarmung, ihn weit von sich schleudernd.
»Ja, ich vollende es und du verdientest, daß die ganze Welt es hörte und mit Fingern auf dich zeigte. In alle Winde sollt' ich's hinausschreien, daß die Gräfin Wildenau, die zu stolz ist, eines armen Mannes Weib zu heißen, nicht zu stolz war, seine Dirne zu sein!«
»Verräter, undankbarer, ehrloser Verräter. Das für meine Liebe? Da nimm ein Messer und stoß es mir ins Herz, das wäre anständiger, als mir mit Entehrung zu drohen!« Sie richtet sich zu ihrer vollen Höhe auf und erhebt die Hand wie zum Schwur: »Fluch sei der Stunde, wo ich dich aus dem Staub zu mir erhob! Fluch der falschen Humanität, die den Unterschied der Stände verwischen will, Fluch dem Gesäusel von ›ewigem Menschenrecht‹, das der Brutalität die Ketten abnimmt, damit sie der Bildung den Fuß auf den Nacken setzt! Es ist wie das Kind, das dem winselnden Wolf die Tür öffnet, um dann von ihm zerrissen zu werden. Ja, hebe dich weg aus meinem Leben, finsterer Schatten, den ich aus jenen gärenden Tiefen herausbeschwor, in denen uns das Verderben braut, – hebe dich weg, du hast keinen Teil mehr an mir! – Dein Recht ist doppelt und dreifach verscherzt, dein Zauber ist gebrochen, deine Macht prallt ab an dem Schild eines edeln Geistes, unter dessen Schutz ich stehe. Wag es noch einmal, mich zu berühren, – du beleidigst die Braut des Herzogs von Barnheim und diesem wirst du Rechenschaft geben!«
Ein Schrei – dann ein dumpfer Fall – Freyer ist zu Boden gesunken, das Bewußtsein hat ihn verlassen. – –
Scheu streift die Gräfin das bleiche Gesicht – ein seltsames Erinnern will sie beschleichen – »so lag er da – auf dem Boden ausgestreckt, als er ans Kreuz genagelt wurde«. Wieder und wieder muß sie ihn ansehen: »O, daß das alles Lüge war!« Diese Züge – diese edle Stirn, auf der die Majestät des Leidens thront – das Bild des Erlösers! Und dennoch, nur ein Bild, eine Maske! – Sie blickt weg, sie will es nicht mehr sehen, sie will der alten Täuschung nicht wieder zum Opfer fallen – will sich nicht erweichen lassen durch das wundervolle, trügerische Antlitz! Aber was soll sie tun, wenn sie ihre Leute ruft, so ist sie morgen das Märchen der ganzen Stadt. – Sie muß ihm allein beistehen, ihn zum Leben zu bringen suchen. – Aber wenn sie ihn jetzt weckt aus der wohltätigen Betäubung, wenn der Schmerz und die Wut, die ihn niederwarfen, ausbrechen – wird er sie nicht ermorden? Wunderbar, daß sie so ruhig bleibt bei dem Gedanken! Es ist eine todesverachtende Gleichgültigkeit über sie gekommen: »Wenn er mich umbringt, – er hat ja recht!«
Sie ist zu vornehm, um sich der Strafe zu entziehen, die sie verdient, und wäre es auch ihr Tod. So erwartet sie ihr Schicksal.
Sie holt ein Fläschchen mit einer scharfen Essenz aus ihrem Schlafzimmer und flößt ihm davon einige Tropfen ein. – Es dauert lang, bis er ein Lebenszeichen gibt – es ist, als wehre sich die Seele, zu erwachen, als wolle sie nicht mehr ins Bewußtsein zurück. Endlich öffnet er die Augen. Kalt und fremd haften sie auf der zitternden Hand, die sich um ihn bemüht, als habe er sie nie in der seinen gehalten, sie nie geküßt, sie nie auf sein hochpochendes Herz gelegt. – Der Sturm hat ausgetobt – er ist ruhig!
Die Gräfin hat sich wieder, wie immer, in ihm getäuscht, – er ist stets anders, als sie erwartet. Er erhebt sich so schnell, als es ihm seine Kräfte gestatten, streicht sich mit der Hand über die verwirrten Haare und sucht seinen Hut: »Ich bitte um Verzeihung, daß ich Sie erschreckte, – vergessen Sie diesen Auftritt, den ich Ihnen und mir hätte sparen können, wenn ich gewußt hätte, was ich jetzt weiß! – Ich beklage bitter, daß der Irrtum so lange dauerte, der Ihr Leben getrübt!«
»Ja,« sagt sie und es gleitet so fein und scharf von ihren Lippen, wie wenn Glas mit einem geschliffenen Diamanten zerschnitten wird: »Ja, er war's nicht wert!«
Da sieht Freyer sie an mit einem einzigen letzten Blick – sie fühlt es durch die gesenkten Lider hindurch. Sie ist aufs Sofa gesunken und ihr Auge haftet am Boden. Todeskälte durchrinnt ihre Glieder – wie gelähmt verharrt sie in ihrer Stellung, – einen Augenblick ist alles still, dann hört sie einen leisen Schritt über den weichen Teppich des Zimmers hingehen – und als sie aufblickt, hat sich die Tür hinter Joseph Freyer geschlossen.