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Vierundzwanzigstes Kapitel. Rettungsversuche

Die Gräfin bleibt lange aus.

Der Herzog sitzt währenddessen am Fenster des Boudoirs und blickt hinaus in den frostigen Wintermorgen, aber er sieht nicht, was draußen vorgeht. Vor ihm liegt ein zertrümmertes Glück, ein zerstörtes Schicksal! Das erstere das seine, das letztere das ihre. »Es gibt doch nichts Schwächeres, als das Weib – auch das stärkste!« denkt er, schmerzlich das Haupt schüttelnd. »Sollte man den Herrgottsspieler, der sich seine Maske zu nutze machte, um in den Burgfrieden unserer Kreise einzubrechen und zu stehlen, was ihm nicht gehört, – sollte man ihn nicht unschädlich machen? – Pah, was kann schließlich der arme Teufel dafür, daß ein excentrisches Weib aus Langweile – ach, man darf nicht daran denken! – Aber – was nun? Soll ich einem insipiden Vorurteil dies herrliche Weib opfern, weil sie einem frommen Kinderwahn sich selbst und alles hingab? – Unbesonnenes, wahnsinniges und doch so großes, liebenswertes Geschöpf, sollst du den Fehler einer kurzen Täuschung mit einem zerstörten Leben büßen? Wo ist der, der rein genug wäre, dich verdammen zu dürfen, weil du, wenn du gibst – ganz – königlich gibst und in deinem stolzen Selbstvergessen das, was andere mit Fürstenkronen aufwiegen würden, dem Bettler in den Schoß wirfst, der dir dafür nichts bieten kann, nicht einmal das Verständnis deines Werts – denn dazu ist er zu ungebildet! Herr Gott, – ein solches Weib – an einen solchen Menschen weggeworfen! Und ich sollte sie nicht retten? Ich sollte sie engherzig verlassen – ich, der einzige, der ihr verzeihen kann, weil ich der einzige bin, der sie begreift –? Nein! Es wäre gegen alle Logik des Schicksals und der Vernunft, wenn eine solche Existenz an diesem religiösen Humbug zu Grunde gehen sollte. – Wofür wäre ich ein Mann, ein denkender Mensch, wenn ich derartige Ungereimtheiten geschehen ließe, nachdem es in meine Hand gegeben, sie zu inhibieren? Wozu hätte ich denn den kalten Kopf, wenn ich jetzt die Fassung verlöre? Allons donc! Dem Schicksal und jedem Vorurteil zum Trotz! Ich nehme sie in den Arm und die göttliche Farce soll zu Schanden werden!«

So philosophiert der Herzog. Aber seine bleichen Züge und sein freudloser Ausdruck verraten, was er sich selbst nicht gesteht: daß sein Glück zertrümmert ist. Er hebt die Trümmer auf und versucht sie zusammenzufügen, – aber mit jener geheimen Trauer, mit der wir ein geliebtes Wesen, das sich auf einem gefährlichen Pfade nicht aufhalten ließ und gestürzt ist, mit zerschmetterten Gliedern nach Hause tragen, wissend, wenn es auch zu heilen ist, – es wird doch nicht mehr, was es einst war! –

»So ernst, mein Herzog?« fragt eine Stimme, die ihm das Blut zum Herzen treibt. Die Gräfin ist auf dem weichen Teppich des Boudoirs unhörbar hereingekommen.

Er springt auf: »Madeleine, – meine arme Madeleine! Ich beschäftigte mich mit Ihnen und Ihrem Schicksal.«

»Ich habe eine Sünde an Ihrem Humor begangen!« sagt sie mit reuig gefalteten Händen.

»O nein!« er zieht die kleinen Hände zu sich herab und küßt sie mit trübem Lächeln.

»Mein Humor kann etwas aushalten, – aber der vorlaute Bursche muß mitunter auch schweigen können, wenn es sich um ernste Erwägungen handelt.«

»Sie sind zu edel, um mich fühlen zu lassen, daß Sie leiden. Und doch sehe ich es – Sie wären nicht der, welcher Sie sind, wenn Sie heute nicht litten.«

Der Herzog beißt sich auf die Lippen, es ist, als kämpfe er eine Träne hinunter: »Pah – werden wir nicht sentimental! Sie haben heute schon genug geweint. Die Welt darf keine Tränenfurchen in Ihrem Gesicht sehen. Gönnen Sie mir eine Tasse Kaffee – ich gehöre nicht zu den Auserwählten, die ein Gemütsaffekt über alle Bedürfnisse ihrer sterblichen Hülle hinaushebt.«

Die Gräfin klingelt um das Frühstück.

Der Kammerdiener bringt das Befohlene ins Boudoir, da der Speisesaal noch nicht geheizt ist. In der Kaminecke neben dem lustig prasselnden Feuer dampft in silberner Maschine über der Spiritusflamme der Kaffee und erfüllt das trauliche Gemach mit seinem Aroma und seinem leisen Summen.

»Sehen Sie, wie gemütlich!« sagt der Herzog und wirft sich neben der ernsten Hausfrau in den Fauteuil.

»Ich serviere selbst,« sagt sie dem Kammerdiener, der sich sogleich zurückzieht. Sie ist ganz einfach in Schwarz gekleidet, ohne jeden Schmuck. Das Haar schlicht im Nacken in einen Knoten gebunden.

»Welch ein Kontrast!« lächelt der Herzog – »nur Sie sind solcher Metamorphosen fähig. Noch vor einer halben Stunde in Hofschleppe, diamantenbesät, mit zerrissenem Herzen, – die beim Beten in der Kirche gerungenen Hände halb erstarrt, jetzt eine kleine bürgerliche Hausfrau, die an der brodelnden Kaffeemaschine im trauten Stäbchen friedlich ihres Amtes waltet, und mit gespannter Aufmerksamkeit des Momentes lauscht, wo das Wasser kocht, als gebe es auf Erden keine wichtigere Aufgabe als die, einen guten Kaffee zu brauen!«

Ein falber Schimmer von Heiterkeit gleitet über das Gesicht der Gräfin – sie hätte fast den wichtigen Zeitpunkt, von dem der Herzog spricht, verpaßt. Jetzt gießt sie den Kaffee auf, löscht die Spiritusflamme und reicht dem Herzog eine Tasse des dampfenden Getränks.

» Merci mille fois! – Ach – da muß ja auch ein toter Humor wieder lebendig werden. Welche Behaglichkeit! Nun denn, genießen wir eine Stunde harmlosen, echt bürgerlichen Glücks. Ach – wie haben es die Leute so gut, die täglich so leben. Ich wäre wirklich ganz der Mensch danach, ein solches Glück zu goutieren!« Sein Blick fliegt rasch über die leere Tasse der Gräfin hin: »Aha, das dachte ich mir! Ein großer Schmerz muß natürlich dadurch gefeiert werden, daß man sich auch körperlich kasteit, damit man ihm sicher erliegt! Voyons, da muß der Gast der Wirtin die Honneurs machen!« Er bemächtigt sich der Kaffeemaschine und bedient die Gräfin. »So, das wird ma chère Madeleine trinken und dies Biskuit wird hineingetaucht! Ja! – Das wird genossen! Das kann man leisten, auch wenn man keinen Appetit hat. – Wer wird denn sein Herz und seinen Magen so identifizieren. Allons donc!«

Und die Gräfin muß gehorchen, wie sie auch beteuert, – es ginge nicht, denn sie sieht, daß der Herzog nur nach Frühstück verlangte, um sie zum Essen zu zwingen.

»So! Nun geht es ja. Sehen Sie, man kann auch gefühlvoll essen! Ich genieße diesen Kaffee, den Ihre lieben Hände mir zubereitet, mit einer Art von Rührung. Wenn Sie es nun Ihrerseits mit der Portion, die Ihnen meine Sorge kredenzt, auch so machen wollten, was wäre das für ein gefühlvolles Frühstück!« Und wieder bricht ein Strahl des alten siegreichen Humors aus den Augen des Herzogs.

»O Gott, ich wußt' es ja, nur bei Ihnen ist Friede und Heiterkeit!« sagt die Gräfin allmählich auflebend.

» Tant mieux, wenn Sie das finden und den Epikuräer in Ihrer jetzigen Stimmung um sich dulden mögen.« Der Herzog zündet sich eine Zigarette an und lehnt sich gesättigt und behaglich in seinen Stuhl zurück.

Die Gräfin läßt abservieren, dann setzt sie sich ihm gegenüber auf einen Kaminschemel, die Hände im Schoß gefaltet, mit ihrer reizenden Büßermiene, die aber diesmal wirklich der Ausdruck der Unterordnung des hilflosen Wesens gegenüber dem überlegenen Freund und Beschützer ist.

»Die Hauptsache wird nun die sein, wenn ich mir erlauben darf, von solchen Dingen zu sprechen, ma chère Madeleine, Sie von dem Urheber allen Uebels – ich brauche ihn nicht zu nennen, – loszubekommen. Ich weiß natürlich nicht, wie leicht oder wie schwer das sein wird, weil ich nicht weiß, wie tief Sie in dies Verhältnis verstrickt sind, und leider fehlen mir die Christuslocken, um mit Erfolg den ›Guten Hirten‹ spielen zu können, der das verfangene Lamm aus dem Dorngestrüpp befreit!«

»Als ob es darauf ankäme!« wirft die Gräfin ein.

»Etwa nicht? O Frauen, Frauen! Was tun ein paar schwarze Locken nicht? Von solchen Kleinigkeiten hängen bei euch ganze Lebensschicksale ab. Denken Sie sich, bitte, einmal jenen Ammergauer Christus mit kurzgeschorenen Haaren und einem struppigen roten Bart! Würde Ihnen diese Maske zu der Illusion gepaßt haben, der Sie Ihr ganzes Selbst geopfert? Schwerlich!«

Die Gräfin schweigt, betroffen von der unbarmherzigen Wahrheit, aber endlich glaubt sie sich doch verteidigen zu müssen. »Und den religiösen Eindruck, die Erhebung, die Begeisterung – ja die Offenbarungen des Passionsspieles – schätzen Sie diese für nichts?«

»Gewiß nicht! Ich habe sie ja selbst empfunden, aber – glauben Sie mir, – Sie hätten sie nicht auf die Person übertragen, wenn der Darsteller des Christus eine Perücke getragen hätte und am anderen Tag mit einem Kopf voll kurzer, roter Borsten bei Ihnen erschienen wäre!«

Die Gräfin macht eine Bewegung des Abscheues.

»Ja nun, da haben Sie wieder den Realisten. Sie mögen sagen, was Sie wollen, ein paar Strähnen schwarzer Haare sind die Schlinge, in der sich die kluge, stolze Gräfin Wildenau gefangen hat!«

»Wohl, Sie haben recht, das größte Bild besteht aus Einzelheiten und kann durch eine Einzelheit verdorben werden. Ich will es Ihnen zugeben – ja! Die Uebereinstimmung der ganzen Person mit der Christustradition, bis auf das Geringfügigste, hat mich berückt, und hätten die Locken gefehlt, so wäre der Eindruck nicht vollständig gewesen. – Aber wie sehr ich mich auch in dem Bilde getäuscht habe, so tief kann ich mich und ihn nicht sinken lassen in Ihrer Meinung, daß es nichts als eine bestrickende Aeußerlichkeit gewesen wäre, die das Verhängnis herbeiführte! Hätte nicht auch sein inneres Sein die Christusillusion vervollständigt, – es wäre nie so weit gekommen!«

»Ja, ja – ich kann mir denken, wie es kam. Sie haben ihm die Rolle souffliert und er hatte Geschick genug, sie auf den Souffleur zu spielen, wie man es in der Bühnensprache nennt!«

»› Geschick‹ ist da nicht das rechte Wort, es ist eben über ihn gekommen wie über mich auch.«

»Hm! Er wäre wohl keinesfalls so töricht gewesen, eine solche Chance auszuschlagen. Eine so schöne, so reiche Frau – wie Sie. –«

»Nein, nein, sprechen Sie nicht so von ihm, das kann ich nicht auf ihm ruhen lassen. Gemein ist er nicht – das nicht! Er ist unbildsam, bäuerisch beschränkt, empfindlich und launisch, ein unglückseliges Temperament, mit dem nicht zu leben ist, – aber ich kenne keinen Menschen auf Erden, dem alles Gemeine so fern liegt als ihm.«

Der Prinz sieht sie bewundernd an. Die Tränen stehen ihr in den Augen: »Ich leugne es nicht, daß ich mich bitter getäuscht in ihm, – aber wenn ich ihn auch nicht mehr liebe, darf ich ihn doch nicht beschimpfen lassen. Er hat mich geliebt und sein armes Sein hingegeben für das meine, – daß der Einsatz den Preis nicht aufwog, dafür kann er nicht, und ich darf ihn dafür nicht verantwortlich machen!«

Der Herzog wird tief nachdenklich. Die Gräfin schweigt, sie hat die Hände über dem Knie verschlungen und blickt schmerzlich ergriffen vor sich hin.

»Sie sind ein großes Weib, Madeleine!« sagt der Herzog leise: »Ich stellte Sie stets hoch – aber nie höher, als in diesem Augenblick! –Ich werde Ihr Gefühl nie wieder verletzen. Aber wie achtungswert auch Freyer sein mag und wie tief ich den Unglücklichen auch beklage – Sie gehen mir doch vor – und Sie können und dürfen in diesem Mißverhältnis nicht fortleben! – In der ganzen Weltordnung muß die niedere Existenz der höheren weichen. Sie sind die höhere Existenz – darum muß Freyer geopfert werden! Sie sind ja Philosophin – ziehen Sie doch die Konsequenzen Ihrer Weltanschauung, seien Sie stark und entschließen Sie sich, das Unvermeidliche rasch zu tun. Sie sagen selbst, Sie lieben ihn nicht mehr, – ob Sie ihn überhaupt je geliebt haben, wage ich nicht zu entscheiden! Jedenfalls muß er, wenn er so ist, wie Sie ihn schildern, das empfinden, und – ich glaube, daß auch er nicht zu beneiden ist. Was ist das für eine Gnadenfrist, die Sie dem Unglücklichen unter dem Henkerschwert gönnen? Verzeihen Sie, aber ich möchte das Tierquälerei nennen! Sie heucheln ihm aus Mitleid Empfindungen, die Sie nicht mehr für ihn haben, und er fühlt die Lüge. Er wird also beständig zwischen den extremsten Stimmungen hin und her geschleudert, zwischen Furcht und Hoffnung – in den qualvollsten Zweifeln. So lassen Sie das Opfer leben, was Sie töten wollen, um es langsam zu würgen. Sie haben Mitleid mit ihm, – und sind aus Mitleid grausam!«

Die Gräfin sieht erschrocken zu ihm auf: »Sie sind fürchterlich wahr!«

»Ich muß sagen,« fährt der Herzog in seiner gewohnten Art fort, »mir tut auch der Mann leid! Ich finde, daß es Ihre Pflicht ist, ein Ende zu machen. – Wenn er ein tüchtiger, innerlich gesunder Charakter ist, wird er den Schlag verwinden und sich sein Leben neu aufbauen. Solch ein Zustand der Ungewißheit aber kann die stärkste Natur entnerven. Dieses Katz- und Mausspielen ist Ihrer unwürdig! – Sie haben es mit mir schon vor zehn Jahren in einer weniger empfindlichen Weise versucht, – ich war, als ein Kenner der Frauen, dem Spiele gewachsen, da schadete es nichts und ich konnte Ihnen den kleinen graziösen Sport wohl gönnen, anders ist es mit Freyer: Solch ein Naturmensch, der sein ganzes Leben an eine Empfindung setzt, nimmt die Sache tragischer und die Katastrophe ist unvermeidlich. Muß man aber die Romantik bis zur Tragödie treiben!? Sorgen Sie also beizeiten dafür, beste Freundin, daß diese Episode auch auf die Bedeutung einer solchen beschränkt bleibe. – Denn mehr ist sie nicht wert. Sie ist Ihnen ohnehin schon teuer genug zu stehen gekommen, – hat Ihnen unverlöschliche Spuren in die Seele geprägt, – eine Frucht getragen, die Sie mit Schmerzen gezeitigt und mit Schmerzen wieder begraben haben, weil das Schicksal selbst, wenn auch mit harter Hand, die Folgen Ihrer Verirrung tilgen wollte. Beachten Sie diesen Wink, um Ihret- und seinetwillen! Ich spreche auch für ihn. Es liegt mir nicht nur daran, Sie zu gewinnen, es liegt mir auch daran, daß ich die Frau, die ich gewann, ihrer selbst und der hohen Meinung, die ich von ihr hege, würdig sehe.«

Eine furchtbare Erregung malt sich in den Zügen der Gräfin. Was soll sie tun? Soll sie dem edlen Manne alles sagen – soll sie gestehen, daß sie verheiratet ist? In der Stunde, wo er das erfährt, wird er sie verlassen! Soll sie auch ihn, ihren letzten Halt und Trost, noch verscherzen? Nein, sie wagt es nicht. An ihn klammert sich die Versinkende – sie weiß nicht, was daraus werden soll, – sie weiß nur, daß sie ohne ihn verloren wäre, – und sie schweigt.

»Wo haben Sie ihn denn – auf dem alten Jagdschloß, von dem Ihr Vetter Wildenau sprach?« fragt der Herzog nach langer Pause.

»Ja!«

»Als was?«

»Als Verwalter!«

»Verwalter? Hm!«

Der Herzog schüttelt den Kopf. »Welch ein Verhältnis: Sie machten den Mann, den Sie liebten, zu Ihrem Diener und glaubten ihn dann noch lieben zu können? Wie wenig haben Sie sich selbst gekannt! Wenn Sie ihn da oben in den Bergen im Kampf mit Wind und Wetter als Holzer, als Hirt, aber frei gesehen hätten, alle die Jahre, Sie hätten ihn noch lieben können. Aber als ›Herr Verwalter‹, den die Bedienten mit einem Auge als ihresgleichen, mit dem andern als den Geliebten der Herrin anschielen – nie! – Sie brachten ihn in eine Situation, in der er sich selbst verachten muß, – wie konnten Sie ihn dann noch achten? Ein Weib wie Sie aber liebt nicht mehr, wo es nicht mehr achten kann!« Er schweigt einen Moment, dann fährt er mit plötzlichem Entschluß fort: »Wissen Sie, was ich jetzt sage? Nicht, befreien Sie sich von ihm, – sondern befreien Sie ihn von sich! Sie haben es ja gemacht wie das ›Riesenfräulein‹, das den Bauer mitsamt dem Pflug in der Schürze heimtrug! Verstehen Sie, welch tiefer Sinn in der drolligen Dichtung Chamissos liegt? Das Wort des alten Riesen, der sie ihre Beute wieder an Ort und Stelle bringen heißt, sagt alles: ›Der Bauer ist kein Spielzeug.‹ Da nur, wo der Mensch hingehört, in seinem natürlichen Element, hat er seinen Wert, dieser aber macht ihn zu gut für ein Spielzeug! Sie haben Freyer in eine Sphäre versetzt, in welcher er für Sie den Wert verlor, und lassen ihn jetzt darin eine Rolle spielen, die ich meinem Todfeind nicht zumuten möchte!«

»Ja, da haben Sie recht!«

»Schließlich sind wir es doch denen schuldig, die uns einst wert waren, daß wir sie nicht vor uns selbst lächerlich machen und düpieren! Oder glauben Sie, daß Freyer, wenn man ihm die Wahl ließe, nicht Stolz genug hätte, die grausamste Wahrheit einer mitleidigen Lüge vorzuziehen?«

»Gewiß!«

»Und noch mehr. Wir sind es dem Gesetz der Wahrheit schuldig, unter dem wir als sittliche Wesen stehen, einen vielleicht unbewußt begonnenen Betrug mit Bewußtsein fortzusetzen. Einmal die Achtung vor uns selbst verloren – ist alles verloren.«

Der Herzog steht auf: »Es ist Zeit, daß ich gehe. Ueberlegen Sie meinen Rat, ich kann Ihnen weiter nichts sagen, in Ihrem und seinem Interesse!«

»Was soll ich aber tun – wie eine milde Form finden – Gott – ich weiß mir nicht zu helfen!«

»Tun Sie vorläufig nichts, noch ist alles zu frisch, um einen operativen Eingriff wagen zu dürfen, – die Wunden würden bluten und was getrennt werden solle, nur um so fester wieder verwachsen. Gehen Sie auf einige Zeit fort von hier. Sie sind in Ungnade bei der Königin. Was ist natürlicher, als sich auf Reisen zu begeben und zu boudieren. – Auch dem sogenannten Verwalter gegenüber muß dies vorläufig der Vorwand sein, um tragische Trennungsscenen zu vermeiden.«

»Jetzt fort! Gerade jetzt, – von – Ihnen?« flüstert sie leise und errötet, als sie es gesagt.

»Madeleine,« spricht er sanft, ihre Hand an seine Brust ziehend. »Wie soll ich dies Erröten deuten? Ist es die Blutwelle einer süßeren Empfindung – oder die Verlegenheit, weil die Umstände Sie verleiteten, etwas zu sagen, was ich anders deuten könnte, als Sie es meinten?«

Sie senkt noch tiefer erglühend das Haupt.

»Sie wissen es vielleicht selbst nicht – ich will Sie nicht quälen mit Fragen, die Ihr wogendes Herz jetzt nicht beantworten kann! Wenn Sie aber wirklich irgend etwas an mich bindet, – Madeleine, dann möchte ich Ihnen vorschlagen, gehen Sie nach Cannes zu meinem Vater. Wenn auch nur das leiseste Gefühl für mich in Ihnen keimt, dann werden Sie verstehen, daß wir uns nie näher waren, als indem Sie lernen, meinem alten Vater Tochter zu sein! Wollen Sie?«

»Ja!« flüstert sie mit aufsteigenden Tränen, denn immer schöner, immer reiner steht ein Glück vor ihr, das sie verscherzt, dessen sie nicht mehr würdig wäre, könnte sie es auch ergreifen.

Der Herzog, der sonst so scharfsinnige Mann, kann den Grund dieser Tränen nicht erraten, zum erstenmal täuscht er sich und deutet eine Bewegung zu seinen Gunsten, die nur der verzweiflungsvollen Erkenntnis entspringt, daß alles vergebens.

Mit einem Strahl hoffnungsseliger Liebe aus den klaren blauen Augen blickt er auf sie nieder und drückt einen Kuß auf ihre gebeugte Stirn. Dann erhebt er die Hand und deutet empor: »Nur Mut und den Kopf hoch! Es wird alles gut werden. – Adieu!«

Er geht so stolz, so ruhig und sicher, als könne es nicht fehlen: er ahnt nicht, daß er eine Verlorene zurückläßt.


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