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Vierzehntes Kapitel. Pieta

Es dunkelt, als die beiden Wanderer zu Tale kommen.

Zunächst am Wege liegt wie ein ungeheurer Schatten das Passionstheater. Dorthin wenden die beiden ihre Schritte, wie aus einem Impuls.

Freyer zieht einen Schlüssel aus der Tasche, und öffnet den Eingang zur Bühne. »Wollen wir Abschied nehmen?« sagt er.

»Abschied!«

Die Gräfin schweigt, sie weiß wohl, daß der Rest der Vorstellungen auf seinen zwei Augen steht – und es fällt ihr wie ein schwerer Vorwurf auf die Seele. Aber sie sagt es ihm nicht, denn er muß ihr gehören – um jeden Preis.

Die entfesselte Leidenschaft stürmt mit ihrem Kreuzesraub dahin, wie der Wind mit dem vom Baum gerissenen Blatt.

Sie treten in die Requisitenkammer. Da steht die Martersäule und dort liegen die Geißeln, die den heiligen Leib zerfleischten. Da lehnt die Lanze in der Ecke, die ihm das Herz durchbohrt.

Mit banger Empfindung sieht es die Gräfin. Freyer hat ein Licht angezündet. Da glänzt es auf, dicht neben dem Licht, und funkelt durch den dunklen Raum: weithin Strahlen entsendend – der Kelch ist's, der Abendmahlskelch! Zitternd berührt Freyers Hand ihn: »Leb wohl! – dich reiche ich keinem mehr! Möge alles Heil dir entströmen! Wohl der Hand, die es ausgießt über die Welt und über mein Ammergau!«

Und er küßt den Rand des Bechers und eine Träne fällt hinein, der aber leuchtet fort in ungetrübtem Glanz. Und Freyer wendet sich ab, und der Blick schweift weiter unter den geliebten Trophäen.

Da liegt das Binsenscepter zerbrochen am Boden.

Es durchzuckt die Gräfin, als sie es gewahrt, eine seltsame Wehmut überkommt sie, und Tränen stehen ihr im Auge.

»Mein Binsenscepter – zerbrochen – im Staube!« sagt er, und es zittert etwas durch seine Stimme, das ein Echo in der Seele der Gräfin findet. Er hebt die Stücke auf und betrachtet sie lange, schmerzlich. »Ja – es spricht wahr – das traurige Zeichen, meine Kraft ist gebrochen – meine Hoheit dahin!«

Die Gräfin erfaßt es wie Todesbangen und sie umschlingt den geliebten Mann, wie wohl eine Fürstin den entthronten Gemahl ans Herz drückt, trauernd über den Trümmern seiner Macht: »Meinem Herzen bleibst du doch König!« tröstet sie ihn unter Tränen.

»Du, geliebtes Weib, du mußt mir jetzt alles sein. In dir ist mein Himmel, meine Rechtfertigung vor Gott! Halte mich treu, hatte mich fest, denn mit diesen deinen Armen sollst du mich einst aus der ewigen Pein emportragen durch die erlösende Kraft wahrer Liebe!« – Und er legt sein Haupt wie krank und müde auf das ihre und sie trägt gern die edle Last. Sie fühlt es in dem Augenblick, daß sie ihn aus der Hölle holen könnte, daß die Liebe in ihrem Herzen stark genug ist, ihm und sich den Himmel zu erwerben.

»Das ewig Weibliche zieht uns hinan!« Sie schmiegt sich an seine Brust, so hingegeben, so aufgelöst in süßer Trauer, daß es ihn durchschauert mit niegekannter Empfindung. Und keusch, als läge schon das Irdische vollendet hinter ihnen und die aussteigenden Seelen grüßten sich in einer reineren Sphäre, so suchen sich jetzt ihre Lippen.

»O, das war der Kuß eines Engels!« sagt er leise atmend und es rauscht und wallt wie Engelsfittiche um den Opferstock, und es klirrt in der Kette, die den Gegeißelten an die Säule gebunden, als lege eine unsichtbare Hand dem Paare das Ende davon um den fliehenden Fuß, auf daß es sie ewig zurückzöge, die Verbannten, zu der Stätte des Kreuzes.

»Komm – noch eins bleibt mir zu tun!« Er nimmt das Licht vom Tisch und geht in die Garderobe.

Da hängen sie, die Hüllen, in denen ein Gott sich dem sterblichen Auge gezeigt. – Geheimnisvoll regen sich die faltigen Gewänder im Luftzug der geöffneten Tür. Dort in der Ecke scheint eine weißschimmernde Gestalt aufzufliegen, es ist das Auferstehungskleid. Geisterhaft weht es empor, vom Zugwind geschwellt. Und der seiner Gottheit entkleidete Mann steht mit gefalteten Händen, gesenkten Hauptes – und nimmt Abschied.

Wenn ein Mensch die irdische Hülle abstreift, so weiß er, daß er sie vertauscht gegen ein lichteres Gewand! Hier streift ein Mensch das Lichtgewand ab und kehrt zurück in die drückende Form menschlicher Unvollkommenheit. Auch das ist ein Todeskampf!

Da schmiegt sich die Gräfin liebevoll an ihn: »Hast du mich vergessen?«

Er schlingt den Arm um sie: »Weshalb, süßes Weib?«

»Ich meine,« sagt sie mit kindlicher Anmut, »wenn du an mich dächtest,– könntest du nicht so traurig sein!«

»Mein Kind! Ich dich vergessen in dem Augenblick, wo ich den Himmel für dich hingebe? Das fragst du nicht im Ernst! Aber den Schmerz darum, den laß mir – denn wenn ich es leichten Herzens tun könnte – wäre es dann ein Opfer – deiner wert? An Der Größe des Schmerzes, den es mich kostet, sollst du die Größe meiner Liebe ermessen, wenn du es vermagst.«

»Ich vermag's, denn während ich an deinem Herzen ruhe, während meine Lippen in vollen Zügen deinen Atem trinken – verschmachte ich in Sehnsucht nach deiner abgestreiften Göttlichkeit!«

»Und liebst mich nicht mehr, wie du mich geliebt, da ich dir Christus war! Sag's nur ehrlich – so wird's kommen!« Er preßt die Hände auf die Brust und sein Auge hängt schmerzlich an dem Strahlenkleid, das ihm aus dem Dunkel zu winken scheint.

»O, was redest du! – Du opferst mir das Größte, was je ein Mensch für ein Weib hingegeben: die Illusion eines Gottes – und ich sollte dich für dein Opfer strafen, indem ich dich weniger liebte? Joseph – was du mir gibst, das kann kein König geben. – Kronen sind einem Weibe schon geopfert werben – goldene – aber keine wie diese!«

»Mein Weib!« sagt er süß und schmerzlich, und seine dunkeln Augen senken sich in die ihren, daß ihr die Seele vergeht an der Macht dieses Blickes.

Und sie faltet die Hände auf seiner Brust: »Willst du mir eine Bitte gewähren?«

»Wenn ich es kann?«

»O, dann erscheine mir noch einmal als Christus! Ich gehe hinaus auf die Bühne. Das heilige Gewand, wirf es über, – laß mich ihn noch einmal sehen und seine Kniee umfassen – Abschied, Abschied laß mich nehmen von dem Scheidenden auf ewig!«

»Mein Kind, das wäre Sünde! Vergissest du wieder, was du heute mit ahnungsvollem Weh selbst erkannt: daß ich ein Mensch bin? Darf ich auch außer dem Spiel die heilige Rolle weiterführen? Das hieße Mißbrauch treiben mit der Maske meines Heilands!«

»Nein, das ist kein Mißbrauch, wenn du die Sehnsucht nach seinem Antlitz stillst! Ach, nicht berühren will ich dich, nur noch einmal, zum letztenmal sollst du sie dem staunenden Auge zeigen, die erhabene Gestalt, und dann laß die Seele es ausströmen, das ganze zitternde Trennungsweh um den entschwindenden Gott!«

»Mein Weib, wo reißt der Irrtum dich hin! Entschwindet dir der Gott, den ich darstellte, deshalb, weil ich seine Maske abgestreift? Armes Weib, der Schmerz, der dich jetzt ergreift, er ist die Reue darüber, daß du dir in deiner süßen Weibesschwäche selbst den frommen Wahn zerstörst und nicht geruht hast, bis du den vermeinten Gott zum Menschen gemacht. O Magdalena, wie weit bist du noch von dem Ziele, das deine heilige Vorgängerin erreichte. Komm, ich will dein Sehnen stillen, ich führe dich dahin, wo du erkennen wirst, daß er überall ist, wenn man ihn sucht, daß die Form das Vergängliche ist, er aber der Unvergängliche!« Und er zieht sie sanft empor: »Komm!« wiederholt er liebevoll, »vertraue mir und folge mir willig.« Einen letzten schmerzlichen Blick wirft er um sich her, dann nimmt er die Dornenkrone vom Tisch, bläst das Licht aus und geleitet mit sicherem Arm die weinende Frau durch das Dunkel hinaus. Immer heller strahlen die Sterne am Himmel, der Weg ist deutlich sichtbar! Willenlos läßt sie sich führen, wohin er die Schritte lenkt. Dem Dorf zu geht er und rasch gleiten sie durch die stillen Straßen. Endlich taucht ernst und feierlich die Kirche vor ihnen auf. Dorthin führt er sie. Am Eingang steht ein Weihbrunnen, er macht Halt und besprengt sie mit dem Weihwasser. Dann treten sie ein. Die Kirche ist dunkel, kein Licht erhellt die Wölbung als der zitternde Schein der ewigen Lampe und zwei niedergebrannte Opferkerzen an einem entlegenen Marienbild. Sie müssen sich langsam vortasten in dem unsicheren Schattenweben. Links vom Eingang steht ein Vesper-Bild, eine sogenannte »Pieta«. Es ist eine fast lebensgroße Gruppe aus Holz geschnitzt. – Der Gekreuzigte auf dem Schoß der Madonna. Maria Magdalena stützt seine linke Hand, sie etwas emporhaltend, Johannes steht zu Füßen des Heilands. Das Ganze ist von Künstlerhand mit erschütterndem Realismus geschaffen. Der Schmerzensausdruck im Gesicht des Heilands ist ergreifend. Vor der Gruppe steht ein Betschemel und verdorrte Kränze liegen darauf.

Der Gräfin zieht sich das Herz zusammen, dorthin führt er sie! Das also soll der Ersatz sein für das lebendige Abbild? Totes Holz?! –

Freyer zieht sie sanft auf den Betschemel nieder: »Hier, mein Kind, hier lerne ihn suchen und du wirst ihn nicht mehr verlieren, wenn du ihn einmal gefunden. Lege deine Hände gläubig auf die scheinbar leblose Brust, und du wirst das Herz darin schlagen fühlen, wie in der meinen – versuch's nur!«

»O Gott, ich kann nicht, es ist eine Lüge, wenn ich's tue!«

»Wie, das soll eine Lüge sein, und ich – war ich Christus?«

»Da konnt' ich's denken!«

»Weil ich atmete? Wahrlich – Weib, der Atem der Gottheit kann mehr als eine Menschenbrust schwellen, lausche ihm, und du wirst ihn vernehmen! Sammle dich – und bete!«

Immer leiser wird sein Flüstern, immer feierlicher wird die Stille um sie her: »Ich kann nicht beten – ich habe es nie getan,« klagt sie, »und gar vor dem toten Holz!«

»Versuch's nur – mir zuliebe!« redet er ihr sanft zu, wie einem unruhigen Kinde, das einschlummern soll und nicht will.

»Ja – aber bleib bei mir!« bittet sie wie ein Kind, und hält ihn am Arm.

»Ich bleibe bei dir!« sagt er und kniet neben ihr nieder.

»Lehre mich beten, wie du betest!« fleht sie und hebt ihre zarten Hände zu ihm empor. Er faltet sie in den seinen und sie hat ein Gefühl, als könne ihr die Welt nun nichts mehr anhaben, als läge ihre Seele, ihr Leben in dieser festen Hand.

Und die Wärme, die von ihm ausströmt, wird andächtige Glut in ihr, und es ist, als setze der Pulsschlag frommer Inbrunst, der mächtig in seinen Fingerspitzen pocht, die Luft um sie her in wellenförmige Bewegung und als teilten sich ihre Schwingungen allem mit, was tot und starr war, und liehen ihm leise vibrierendes Leben!

Und es regt sich vor ihr, über ihr, es atmet und raunt. Es raschelt in den dürren Blättern der Kränze zu Füßen der Pieta, es geht auf unsichtbaren Sohlen durch die Kirche und steigt leise knisternd die Stufen des Hochaltars hinan; es rauscht hoch oben in der Kuppel und wallt nieder in den Falten der Totenfahne, die dort oben hängt, und setzt sich fort von Säule zu Säule, von Wölbung zu Wölbung in geisterhaften Echos, und das lauschende Ohr vernimmt sie mit geheimem Grauen, die Sprache des Schweigens! – Und das brennende Auge sieht die Bewegung des Unbeweglichen. Leise verändern sich die Konturen der Gestalten in dem unsicher flackernden Licht, die Schatten gleiten und schwanken an ihnen hin und wieder. – Die Lippen des Erlösers öffnen und schließen sich langsam, mit zitternder Hand berührt die Knieende den toten Körper und legt ihre fiebernden Fingerspitzen auf die wunde Brust. Die andere Hand ruht in der Freyers! Und eine Kette ist geschlossen unter den dreien, daß das Holz von dem zirkulierenden Strom des warmen Blutes mit ergriffen wird und erwärmt. Es ist kein fremder Gegenstand mehr – es ist das Herz, das arme, durchbohrte Herz des geliebten göttlichen Freundes – es schlägt – leidet und blutet. Deutlich, – immer deutlicher hebt und senkt sich die atmende Brust. Das ist der schaffende Hauch der Gottheit, der da wirkt im Bewußten und Unbewußten, selbst die seelenlose Materie belebend. Und der Arm des Gekreuzigten, den Maria Magdalena emporhält, schwankt hin und her und die Finger der Hand regen sich leise. Die arme durchbohrte Hand – es ist, als wolle sie sich nach der Gräfin ausstrecken, als flehe sie: »Kühle meine Schmerzen.«

Von einem unerklärlichen Impuls getrieben, zieht es die Gräfin empor und sie erwärmt die erstarrten schlanken Finger in den ihren. Sie meint zu fühlen, daß es ihm wohltut! Immer höher schwillt die Flut der Empfindung im Herzen der Gräfin und quillt über – da – sie weiß es nicht wie? – da ist sie aufgestanden und hat einen Kuß auf die Wundenmale der armen kleinen Hand gedrückt, einen Kuß süßesten, heiligsten Mitleids. Sie hat ein Gefühl, als stünde sie an einer geliebten Leiche, deren stumme Lippen wir ja auch noch suchen, wenn sie es selbst nicht mehr empfindet.

Sie kann nicht anders, sie muß, sie beugt sich nieder und jetzt ruht der blühende Mund des jugendfrischen Weibes auf den fahlen, halbgeöffneten Lippen der Statue. Aber die Lippen atmen, ein kühler, reiner Hauch geht von ihnen aus, und weicher schmiegt sich die starre Gestalt unter der schmerzlichen Liebkosung, als habe sie es gefühlt, das versöhnende Weh der reuigen Menschenseele, und ruhe nun sanfter. Aber das göttliche Feuer, das diese Seele läutern soll – es loht weit über seine Grenzen hinaus im ersten Aufflammen! Und eine wilde Inbrunst ergreift sie, auf die Kniee wirft sie sich nieder und beschwört den Gott, dessen Atem sie im Kusse getrunken! Vergessen ist der betende Freund neben ihr, vergessen und versunken die Welt und jedes Vernunftgesetz, vergessen alles Wissen – ausgewischt und getilgt jede mühselige Errungenschaft menschlicher Empirik. Mit rauschendem Flügelschlag kommt es aus der Höhe und aus der Tiefe und reißt die Seele mit fort auf der Sturmflut der sich ergießenden Gnadenströme: Das Wunder naht – in seiner niegeschauten Majestät.

Und die Jahrtausende versinken, die Ewigkeit bricht an in dem einen Augenblick. – Alles, was da war und was da ist, es ist nicht und war nicht. – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sie sind aufgelöst und verschmolzen in einem einzigen Atemzug, jenseits der Grenzen des natürlichen Seins!

»Wenn du bist, wenn du lebst, so sieh mich an!« hat sie in himmelstürmendem Verlangen gerufen, und siehe! – ist es Schatten oder Einbildung? – er schlägt die Augen auf, und zwei große dunkle Pupillen sind voll auf sie gerichtet, dann schließen sich die Lider für eine Sekunde, um sich aufs neue zu öffnen. – Die Gräfin schaut und schaut: es ist so und bleibt so – deutlich – unverkennbar! Kalter Schauer überrieselt sie, wie im Fieberfrost beben die Glieder. Sie will es versuchen den Blick auszuhalten – sie kann es nicht, wie sich auch jeder Nerv in ihr anstrengt, es ist zu übermächtig, es ist der Blick eines Gottes! – Grauen und Entzücken streiten in ihr um die Herrschaft. Sie sagt sich wohl: »Es ist nicht außer dir, es ist in dir!« Noch einmal wagt sie den Blick auf die rätselhafte Erscheinung, aber die Augen sind unverwandt auf sie gerichtet. Da überwältigt sie das Grauen, die Sehne des Möglichen reißt, sie stürzt halb bewußtlos auf die Stufen des Altars nieder, das Wunder schlägt seine goldenen Flügel über ihr zusammen! –


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