Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel. Zwischen Armut und Schande

Drei schwere Tage sind vorüber. Die Gräfin ist krank. Wenigstens gilt sie vor ihrer Dienerschaft als Patientin, die das Zimmer nicht verlassen kann. Deshalb darf auch niemand erfahren, daß sie zurückgekommen, und die Fenster des Palais Wildenau bleiben verhangen, wie wenn die Besitzerin noch verreist wäre. So, im halben Dunkelarrest zu gänzlicher Untätigkeit verurteilt, ist sie die wehrlose Beute ihrer nagenden Sorge. Der dritte Tag endlich bringt einen Hoffnungsschimmer, ein Telegramm vom Herzog. »Ich komme sechs Uhr abends!«

Die Gräfin erbleicht und zittert, als sie die wenigen Worte liest. Was soll nun werden? Sie weiß es nicht, sie fühlt nur, daß der Wendepunkt ihres Lebens da ist.

»Der Herzog von Metten-Barnheim wird heute abend kommen und ist vorzulassen, aber sonst niemand!« lautet die Ordre an den Kammerdiener. Dann – um die Zeit herumzubringen, macht sie etwas Toilette. Ist sie arm, elend, ist sie nichts mehr von allem, was sie früher war – so will sie wenigstens noch schön sein, schön wie die sinkende Sonne, die im Untergehen sich und alles um sie her mit rosigem Schimmer verklärt.

Und als echtes Weib, das mit dem Tod noch spielt und einen Trost darin findet, sich schön im Sarge zu denken, wählt sie zu der furchtbar ernsten Beratung eines der zauberhaftesten Negligés ihrer reichen Garderobe. Weite, weiche Falten in rosa Crêpe de chine drapieren sich phantastisch über einem Unterkleid von rosa Plüsch, der in tausend Lichtern spiegelt, vom tiefsten Rosa bis ins zarteste Fleischfarb. Und das alles lose gerafft mit einzelnen grauen Perlen. Wie lange wird sie wohl die noch haben? Sie trägt sie vielleicht heute zum letztenmal. Die Hand zittert und ist eiskalt, mit der sie eine einzige Rosabandschlinge durch die gelösten Locken windet und sie mit einer Perlenagraffe zusammensteckt.

So steht sie da wie Aphrodite, dem Schaum des Meeres entstiegen, und – sie lächelt bittet – sie soll sich nicht einmal aus dem Schlamm erheben können, in den ein Irrlicht sie gelockt? Dann überwältigt sie wieder ein so namenloses Gefühl ihres Elends, ihrer Schmach, daß ihr die ganze Pracht wie ein Hohn erscheint. Schon will sie die schimmernde Hülle wieder abstreifen, da wird der Herzog gemeldet, es ist zu spät, jetzt ist keine Zeit zum Umkleiden mehr!

Sie eilt ins Boudoir, dem Herzog entgegen. – Wie in einer Rosenwolke schwebt sie auf ihn zu.

»Wie schön,« ruft der Herzog bewundernd aus, »wie eine Braut! Es muß demnach ein freudiger Anlaß sein, der Sie mich rufen ließ und Sie so schnell hierher zurückführte?«

»Im Gegenteil – Herzog, eine Braut des Unglücks! Eine Büßende, die das Häßliche ihrer Schuld in den Augen des Freundes durch äußere Schönheit übertünchen möchte!«

»Hm! Das wäre jedenfalls ein unnötiges Beginnen, Madeleine, denn wie schön Sie auch sind, um Ihrer Schönheit willen lieb' ich Sie nicht. Auch nicht um Ihrer Tugenden willen – Sie haben nie ambitioniert, eine Heilige zu sein, außer einmal in Ammergau – und da ist es Ihnen am wenigsten gelungen! Was ich an Ihnen liebe, das ist das ganze große Weib, mit allen seinen Fehlern, das Ihnen selbst Unbewußte, was für mich geschaffen ist malgré tout, trotz der Hindernisse, die Temperament und Verhältnisse zwischen uns auftürmen. Letztere sind Zufälligkeiten, die es fügen können, daß wir im ganzen Leben nicht zusammenkommen, die Ihnen aber das nicht nehmen können, was mir in Ihnen gehört, was nur ich verstehe, und was ich noch lieben werde, wenn ich Sie mit weißen Haaren als lebensmüde Matrone vor mir sehe, – vielleicht dann erst recht!«

Die Gräfin kann nicht sprechen vor Bewegung, sie zieht ihn neben sich auf einen Stuhl und sinkt matt in die Kissen und Felle ihres Diwans nieder.

»Mein Gott, Sie haben ja ganz feuchtkalte Hände!« sagt der Herzog, ihr besorgt und liebevoll in die Augen sehend: »Sie erschrecken mich. Sie sind trotz Ihres rosigen Schimmers bleich wie Ihre Perlen. – Und nun gar Perlen in den Augen? Madeleine – meine arme, gequälte, was ist denn wieder geschehen?«

»O Herzog, – helfen, raten Sie – sonst ist alles verloren! Die Wildenaus haben mein Geheimnis ausgespürt – Josepha, die Ammergauerin, die halbverrückte hat mich verraten!«

»Das ist der Dank für ihr gerettetes Leben – so?« Der Herzog nickt keineswegs überrascht mit dem Kopf: »Das war bei dieser Art Menschen vorauszusehen. Warum retteten Sie die Närrin!«

»Ich konnte sie doch nicht ins Wasser springen lassen!«

»Das wäre vielleicht besser gewesen! Diese hinaufgeschraubten Komödienheiligen haben nicht einmal mehr so viel gesunde Natur in sich, um dankbar zu sein?«

»Ach, sie hatte auch Grund, mir zu grollen, sie liebte mein Kind über alles und machte mir den Vorwurf, ich hätte es vernachlässigt. Diese Leute können sich das Wesen der Liebe nur in der Erfüllung niederer Pflichten und leiblicher Pflege denken. Daß man für diese keinen Sinn oder keine Zeit haben und dennoch lieben kann, das ist ihnen unverständlich!«

»Ein hübsches Verhältnis, wo die Dienerin sich zur Sittenrichterin der Herrin aufwirft und diese sich es gefallen läßt – ja sogar darin ein berechtigtes Motiv zur Entschuldigung des schnödesten Verrats erblickt. Ein einfacher bürgerlicher Dienstbote, von seinen Eltern schlicht und recht erzogen, hätte seine Pflicht an der Herrschaft erfüllt, ohne zu philosophieren.«

Die Gräfin nickt zustimmend, sie denkt an den alten Martin.

»Aber,« fährt der Herzog fort, »für diese Ammergauer muß natürlich immer ein Extrabrot gebacken werden!«

»Lassen wir sie ruhen, sie ist tot! Wer weiß, wie es zuging und in welche Konflikte sie gebracht wurde.«

»Ist sie gestorben?«

»Ja, sie starb dem Kinde nach!«

»So! wirklich?« sagt der Herzog nachdenklich und in milderem Tone: »Nun, dann hat sie wenigstens gesühnt. Aber meine liebe Madeleine, das macht die Kalamität nicht ungeschehen. Die Wildenaus werden jedenfalls versuchen, aus der Mitwissenschaft Ihrer Geheimnisse Kapital gegen Sie zu schlagen. Und da die lieben Vettern beständig in Spiel- und anderen Schulden stecken, besonders Ihr roter Vetter Fritz, so werden sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, der verehrten Cousine ihre Diskretion zum Betrage ihrer sämtlichen Schuldscheine anzurechnen!«

»Ach, wenn es nur das wäre!«

»Nur das? Was sollt' es denn noch sein – ich gebe ja zu, daß es für Sie unsagbar peinlich ist, Ihre Ehre und Ihre zartesten Geheimnisse in solchen Händen zu wissen – aber wie lange wird es dauern, dann sind Sie ja doch, so Gott will, in einer Position, wo Sie dem allem entrückt sind und ich –!«

»Herzog – o Gott – es steht viel schlimmer,« ruft die Gräfin händeringend: »O, barmherziger Gott – endlich, endlich muß es an den Tag! Herzog, Sie wissen nicht alles, das Aergste, – ich hatte nie den Mut, es Ihnen zu sagen – – – kennen Sie das Testament meines verstorbenen Mannes?«

»Ja, gewiß – es lautet, daß Sie das Vermögen, zu dessen Universalerbin er Sie machte, an die Vettern zurückzahlen müssen, wenn Sie sich wieder verheiraten. Was liegt daran – glauben Sie vielleicht, ich hätte je an Ihre Millionen gedacht?« Er lacht hell auf: »Ich schmeichle mir, daß meine Finanzen Sie diesen Ausfall Ihrer bisherigen Revenuen als meine Gattin nicht empfinden lassen werden!«

»Allmächtiger Gott, – Sie verstehen mich nicht! Jetzt ist der Augenblick da, vor dem mir immer bangte – o, wär' ich wahr gewesen – Herzog, vergeben Sie mir, beklagen Sie mich, ich bin das elendeste Geschöpf unter der Sonne, nicht Ihre Gattin, eine Bettlerin werd' ich – denn ich bin verheiratet und die Wildenaus wissen es durch Josepha!«

Es gibt Momente, wo es ist, als verstumme die ganze Welt – als hielten die Gestirne in ihrem Kreislauf an, um zu lauschen, und nur das Sausen des eigenen Bluts in den Ohren sei noch hörbar. Nach einer Weile erst bemerkt man wieder andere Geräusche. – So ist es dem Herzog. – Lange kommt er sich vor wie taub und blind. Dann hört er auf einmal drei – vier Uhren, sogar ein paar im Nebenzimmer – das leise Sieden und Pfeifen der Gasflammen, dann schwere Atemzüge, und endlich fängt die Welt sich wieder an zu drehen und die Dinge nehmen ihren Verlauf.

Aber länger braucht auch der energische, aus seinen Bahnen gerückte Sinn des Herzogs nicht, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ein Blick auf das hoffnungslose, hingesunkene Weib belehrt ihn, daß es jetzt nicht Zeit sei, an sich zu denken – daß er nie ernstere Pflichten für sie hatte, als seit heute. Er bemerkt erst jetzt, daß er sich, ohne es zu wissen, um eine halbe Zimmerlänge von ihr entfernt. Als hätte ihn eine Erderschütterung weggeschleudert und betäubt, daß er sich erst besinnen müsse, wie er dahin kam?

Sie streckt flehend die Hand nach ihm aus, mit Gedankenschnelle ist er wieder neben ihr und hat die arme, kleine, bittende Hand in der seinen. Die Gräfin spricht matt: »Ich habe Sie hingehalten und betrogen um Ihre edle große Liebe – jahrelang – weil ich erkannte, daß Sie mir zum Leben so notwendig wie Vernunft und Wissenschaft und alle hohen Güter, die ich einst unterschätzt! – Ich wagte nicht, Ihnen das Geheimnis zu entdecken, aus Furcht, Sie zu verlieren. – Der Augenblick ist da – Sie werden mich verlassen, denn Sie müssen nun eine andere Wahl treffen – aber zürnen Sie mir nicht, gönnen Sie mir den einen Trost, daß Sie ohne Groll scheiden!«

»So weit sind wir noch nicht! Ich sagte Ihnen ja vor zehn Minuten, daß die Zufälligkeiten des Temperaments und der Verhältnisse uns wohl trennen können, aber Ihnen das nicht rauben, was für mich geschaffen war, damit bricht man nicht so schnell. – Sie haben mich nicht betrogen, denn Sie haben mir nie gesagt, daß Sie mich lieben oder mein Weib werden wollen, und Ihre Haltung war tadellos! – Ihr Mann konnte jeden Augenblick Zeuge unseres Verkehrs sein. Glauben Sie mir, die kleinste Lascivität, das kleinste Zugeständnis, durch das Sie mir gegenüber Ihrem Gatten etwas vergeben hätten – würde jetzt in mir selbst den strengsten Richter finden. Aber Sie waren, wenn auch jedenfalls eine unglückliche, aber doch eine pflichtgetreue Frau – das kann ich bezeugen. Und wenn ich mich Illusionen hingab, so ist es nicht Ihr Fehler – wer kann von einer so zartbesaiteten Natur wie Sie verlangen, daß sie den Scharfrichter am Herzen des besten Freundes mache? Das sind Gewaltmittel, die sich nicht mit der süßen Schwäche vereinbaren lassen, die Sie so schuldig und so entschuldbar macht!« –

Die Gräfin verbirgt das Gesicht wie vergehend vor Scham und Reue.

»Lassen Sie uns die Fassung bewahren und vertrauen Sie mir nach wie vor die Sorge für Ihr Wohl, denn Ihre Lage erfordert jetzt allerdings äußerste Vorsicht und Besonnenheit. Nun aber, Madeleine – haben Sie keinen Vorwand mehr, mir nicht die volle Wahrheit zu sagen! – Denn nun muß ich alles wissen, um handeln zu können. Wollen Sie mir meine Fragen beantworten?«

»Ja!«

»So sagen Sie mir – sind Sie wirklich mit Freyer getraut?«

»Ja!«

»Also soll die Farce doch noch tragisch enden!« murmelt der Herzog: »Ich kann und will's nicht glauben, – es ist zu widersinnig, daß eine Frau wie Sie an dem Ammergauer Mummenschanz zu Grunde gehen soll.«

»Daran nicht, aber an der Vermessenheit, mit der ich die Gottheit zu mir herabziehen wollte. Dafür werde ich gestraft. O, es ist eine harte Strafe! So inbrünstig habe ich Gott gesucht und statt seines Angesichts zeigte er mir eine Larve und läßt mich dann die Täuschung mit der Reue eines ganzen Lebens büßen!«

»Ach, ich bitte Sie, glauben Sie wirklich, daß die höchste Weisheit sich mit Ihnen einen so grausamen Maskenscherz gemacht hätte? Wofür sollten Sie denn so furchtbar gestraft werden? Daß das Stück Faust in Ihnen, was in jedem Menschen steckt, sei's Weib oder Mann, ihn ›mächtig angezogen, an seiner Sphäre lang gesogen‹, das soll durch einen höhnischen Betrug gerächt werden, an dem Sie sich verbluten? Nein, ma chère amie, Gott hat Sie weder täuschen noch strafen wollen. Er hat sich Ihrem Verlangen gezeigt, oder besser, Ihr Verlangen hat sich eingebildet, ihn zu sehen – und hätten Sie sich damit begnügt, Sie wären beglückt heimgezogen mit dem Antlitz Ihres Gottes im Herzen, wie die Tausende, die sich am Passionsspiel erbauten. Sie aber wollten mehr: Sie sind eine sinnlich-religiöse Natur, die das Wesen nicht von der Erscheinung zu trennen vermag, und nachdem Sie ihn gesehen – wollten Sie ihn auch besitzen, in eben der Gestalt, in der er Ihnen erschienen! Wenn es auf Sie angekommen wäre, Sie hätten der ganzen Welt ihren Gott gestohlen! Zum Glück für diese aber war es nur Herr Freyer, den Sie stahlen, – und nun Sie den Irrtum erkennen, machen Sie dem lieben Gott den Vorwurf, Sie angeführt zu haben. Sie reden immer von Ihrem Glauben an Gott und haben doch eine so miserable Meinung von ihm? – Was kann denn Gott dafür, wenn Sie sich einbilden, der arme Passionsspieler, der seine Maske trägt, müsse er selbst sein, und jenen daraufhin heiraten?«

Die Gräfin schweigt. – Das ist der Ton, den sie nie an ihm gewöhnen lernt. Er ist ihr alles – ihr einziger Vertrauter und Ratgeber, aber das, was im Passionsspiel mit ihr vorging, dafür fehlt ihm das Verständnis.

»Nicht wahr, ich kehre den trockenen Skeptiker wieder heraus, über den Sie sich so oft geärgert haben?« sagt der Freund, dessen scharfer Beobachtung nichts entgeht. »Aber ich schmeichle mir, daß Sie sich mit dem nüchternen Standpunkt jetzt eher aussöhnen werden, nachdem Sie sich überzeugt, wie bedenklich der Verkehr mit ›Phantomen‹ und Halbgöttern ist, die ihre Opfer auf Abwege locken, auf denen man sich moralisch den Hals bricht!«

Die Gräfin kann sich eines schmerzlichen Lächelns nicht erwehren. – »Sie sind unverbesserlich!«

»Nun ja, man muß nur die Dinge nehmen, wie sie sind. Weil Sie sich nicht eingestehen wollen, daß Sie – verzeihen Sie mir die Offenheit – eine Torheit begangen, und sich um einer phantastischen Laune willen Ihr Leben ruiniert haben, deshalb muß die Laune zu einer ›göttlichen Fügung‹ aufgebauscht werden und das untätige Ertragen ihrer Folgen zu einem verdienstlichen Martyrium. Ich aber glaube, daß der liebe Gott weder an Ihrer Verheiratung mit Herrn Freyer schuld ist, noch jetzt an Ihrem selbstbereiteten Martyrium, und deshalb sage ich auch, halte ich Ihre Ehe, vulgär gesprochen, für keine im Himmel geschlossene, – das heißt für keine solche, die unlöslich ist!«

Die Gräfin schrickt zusammen, als hätten plötzlich ihre eigenen verborgensten Gedanken verräterisch mit Fingern auf sie gezeigt. «Herzog, Sie nehmen das so leicht?«

»Daß ich es nicht leicht nehme, beweist der ungeheure Umschweif, den ich zur Beseitigung aller etwaigen moralischen und religiösen Skrupel machte. Die praktische Seite der Frage bedarf kaum einer Erörterung. Um aber vorerst bei der religiös-moralischen zu bleiben, bitte, sagen Sie mir, sind Sie kirchlich oder zivil getraut?«

»Kirchlich!«

»Wann und wo?«

»In Prankenberg, nach dem Passionsspiel. Im August werden es zehn Jahre.«

»Und wie geschah das alles?«

»Sehr einfach: Mein Vater, der mich plötzlich aufsuchte, wie immer, wenn er Schulden hatte, merkte, daß ich Freyer heiraten wollte, und, einen öffentlichen Skandal befürchtend, gab er mir den Rat, zur Rettung des Vermögens – das er fast notwendiger brauchte als ich – mich heimlich zu vermählen. An allen Orten, wo das Tridentinische Konzil verkündet, sei es zur Gültigkeit einer Ehe hinreichend, wenn zwei Brautleute vor dem zuständigen Pfarrer und zwei Zeugen erklären, daß sie sich zur Ehe nehmen wollen. Da mein Vater nie sehr zuverlässig war und jeden Tag seine Meinung ändern konnte, eilte ich, den Rat auszuführen, bevor es ihm einfiele, mir etwas in den Weg zu legen, der zuständige Pfarrer auf Prankenberg war ja ganz in seiner Hand. Und so reiste ich mit Freyer und Josepha noch in derselben Nacht ab. In Prankenberg war ein alter Kutscher, Martin, dessen Treue ich von Kindheit auf kannte. Ihn und Josepha nahm ich zu Zeugen und so überraschten wir den alten Pfarrer beim Kaffee.« –

Der Prinz macht eine Bewegung. – »Was, beim Kaffee?«

»Ja – ehe er die Tasse beiseite schieben konnte, hatten wir unsere Erklärung abgegeben – und es war geschehen!«

Der Prinz springt auf, seine Augen sprühen, sein ganzes Wesen ist in Aufruhr: »Und das nennen Sie getraut sein? Und machen sich und mir diese Angst?« Er atmet wie von einem Alp erlöst tief auf: »Madeleine, hätten Sie mir das doch gleich gesagt!«

»Aber warum denn? Ist denn die Sache deshalb anders?«

»Ich bitte Sie, Sie werden sich doch nicht selbst einreden, daß diese Komödie bei dem alten Pfarrer in Schlafrock und Pantoffeln, mit Morgenpfeifchen und Mokkaduft – eine Trauung war? Sie werden doch nicht verlangen, daß ich als Protestant oder irgend ein aufgeklärter Katholik sie dafür ansehen solle?«

»Aber was kommt denn auf die Form an? Gerade der Protestantismus gibt nichts auf die Form – da gilt ja nur der Sinn!«

»Aber der Sinn fehlte eben auch – wenigstens bei Ihnen – für Sie war es nur eine Form, nennen wir's eine Tugendform, die Sie der Heiligkeit der Christusmaske des Geliebten schuldig zu sein glaubten.« Er faßt ihre Hand so leidenschaftlich wie nie: »Madeleine, seien Sie einmal wahr gegen sich und mich – hab' ich nicht recht?«

»Ja!« haucht sie kaum hörbar.

»Nun also – wenn der Sinn fehlte und die gewählte Form eine ungültige ist – was bindet Sie denn dann?«

Madeleine verstummt. Diese Frage gehört zu dem, was ihr Geheimnis ist, was er nie verstehen würde. Er ist eine zu positive Natur, um mit etwas anderem als mit Tatsachen zu rechnen. Der Herzog fühlt ganz gut, daß sie ihm die Antwort schuldig bleibt, nicht weil sie keine hat, sondern weil sie ihm die richtige nicht geben will. – Aber er läßt sich nicht beirren: »Hat Ihnen denn der alte Pfarrer eine schriftliche Bestätigung dieser heiligen Handlung gegeben, nennen wir es mit dem stolzen Namen eines Trauscheins?«

»Ja!«

»Wer hat die Papiere?«

»Freyer!«

»Das ist unangenehm, denn es gibt ihm ein scheinbares Recht, sich als verheiratet zu betrachten und uns Schwierigkeiten zu machen, die den Fall nicht vereinfachen dürften. Aber mit Freyer werden wir fertig – den fürchte ich weniger. Bedrohlicher ist Ihre Lage durch dieses Märchen von einer heimlichen Ehe, das Josepha in gutem Glauben den Wildenaus zu Ohren gebracht hat. Dies ist eine Kalamität, die rasche Abhilfe braucht. Sonst ist eigentlich alles, wie es war, als Sie nach Cannes reisten. Für mich ändert diese Komplikation nichts. Ich halte mein Wort aufrecht. Wenn Sie ihn nicht mehr lieben, so brechen Sie mit Freyer, das Wie? ist hier Nebensache und ergibt sich bei solchen Gefühlsmenschen von selbst – das überlasse ich Ihnen! Aber brechen Sie mit ihm und reichen Sie mir die Hand – dann ist der ganze Spuk zerronnen. Wir erstatten den Wildenaus das Vermögen gutwillig zurück und diese haben kein Interesse mehr daran, die Sache weiter zu verfolgen.«

»Ist das wahr? Sie könnten im Ernst noch jetzt daran denken – und ich, mein Gott, soll ich denn zur doppelten Verbrecherin werden?«

»Aber, chère amie, sehen Sie doch nur die Dinge ein klein wenig sachlich an.«

»Und selbst, wenn ich sie sachlich betrachte, so verstehe ich nicht, wie ich mich wieder vermählen könnte, ohne geschieden zu sein, und jetzt eine Scheidung einleiten, hieße ja die Ehe erst recht an den Tag bringen.«

»Wer soll Sie denn scheiden, wenn niemand Sie getraut hat? Bürgerlich sind Sie noch ledig, da Sie nicht standesamtlich eingeschrieben, – kirchlich sind Sie nicht getraut, wenigstens nicht im Sinn der überwiegenden Mehrheit derjenigen christlichen Länder und Konfessionen, für welche das Tridentinische Konzil nicht maßgebend ist! Wollen Sie nun einer sentimentalen Skrupulosität zuliebe Ihre Ehre und Existenz opfern? Wollen Sie den Wildenaus zugestehen, daß Sie verheiratet sind? Dann müssen Sie nicht nur das Vermögen, sondern auch die seit neun Jahren widerrechtlich genossenen Zinsen ersetzen, was Ihr kleines Privateigentum noch dazu verschlingen und Sie der letzten Subsistenzmittel berauben wird! Und was dann? – Wollen Sie mit dem ›Herrn Verwalter‹ unter dem Hohngelächter der Gesellschaft vom Schauplatz abziehen, ihm daheim in Ammergau die Suppe kochen, sich von seiner Hände Arbeit ernähren und zu Weihnachten ein Kattunkleidchen von ihm schenken lassen?«

Die Gräfin schaudert wie von Fieberfrost geschüttelt.

»Oder wollen Sie mit Freyer so fortleben wie bisher und es darauf ankommen lassen, daß die Vettern eine Untersuchung gegen Sie einleiten und der Welt das Schauspiel geben, sich mit Ihnen um das Vermögen herumzuzanken? Dann müssen Sie erst recht den dogmatischen und staatsrechtlichen Beweis führen, daß Sie nicht getraut sind. Das dürfte Ihnen freilich nicht schwer fallen, – aber, hier bitte ich Sie, noch einige Eventualitäten ins Auge zu fassen: Wenn nämlich die Frage auch dahin entschieden wird, daß Ihre Ehe illegal war, dann wird die Frage auftauchen, als was Sie selbst Ihre Ehe angesehen haben? Und es dürfte den Wildenauschen Advokaten einfallen, daß Sie sich doch, gleichviel ob mit Recht oder mit Unrecht, als verheiratet betrachteten und das Vermögen mit Bewußtsein defraudiert haben!«

»Allmächtiger Gott!«

»Oder wollen Sie sich dann vor einem Strafverfahren dadurch retten, daß Sie behaupten, Ihr Verhältnis mit Freyer als – wilde Ehe aufgefaßt zu haben?«

»O« – der Gräfin schießt ein Blutstrom der Scham ins Gesicht.

»Da wäre natürlich die Rechtfertigung entehrender als die Anklage – Sie werden also darauf verzichten müssen! Sie sehen, Sie sind in einen circulus vitiosus geraten, aus dem Sie nicht mehr herauskommen. Wohin immer Sie sich wenden – Sie haben nur die Wahl zwischen der Zivilkammer oder dem Staatsanwalt, der Armut oder der Schande, wenn Sie sich nicht entschließen, Herzogin von Metten-Barnheim zu werden und sich so mit einem Sprung aus den schmutzigen Wogen, die Sie jetzt umdrohen, in die reine, unnahbare Sphäre der Macht und Hoheit zu versetzen, in die Sie gehören! Meine Arme sind immer aufgetan, Sie zu retten – mein Herz ist bereit, Sie zu lieben und zu schützen – können Sie noch zaudern?«

Da stürzt das gefolterte Weib vor ihm nieder: »Herzog – Emil – retten Sie mich – ich bin die Ihre


 << zurück weiter >>