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Fünfzehntes Kapitel. Hahnenschrei

Ein lauter Schritt weckt die Entrückte aus ihren Visionen. Der Mesner geht durch die Kirche und löscht die Opferkerzen aus, die indessen an dem entlegenen Marienbild qualmend in die Leuchter herabgebrannt sind.

»Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich störe,« sagt er, »ich wollte die Kirche schließen. Es hat aber noch Zeit! Darf ich Ihnen einen Wachsstock dalassen? Es wird sonst zu dunkel: die ewige Lampe allein gibt nicht hell genug!«

»Ich danke dir, Mesner!« sagt Freyer besonnener als die Gräfin, die sich nicht fassen kann und mit verhülltem Gesicht knieen bleibt.

»Ich schließe dann ab, wenn wir hinausgehen, und bringe dir die Schlüssel,« fährt Freyer fort, und der Mesner ist es zufrieden. Still und bescheiden zieht sich der furchtgebietende Hohepriester zurück, um das Gebet zu dem nicht zu stören, den er allwöchentlich mit solcher Wut zum Tode verurteilt.

Die beiden sind wieder allein. Aber die Tür blieb offen. Jetzt tönt vom nahen Pfarrhof herüber ein schriller Hahnenschrei durch die Stille. Die Gräfin durchzuckt es! Sie fährt auf. Schmerzlich blendend trifft sie nun der profane Strahl des Wachsstockes in dieser Nähe. Vor ihr liegt, das Gesicht mit glänzendem Firnis übertüncht, hart und kalt der hölzerne Christus in seiner geschnitzten Nacktheit und Steifheit. Die wasserblauen gemalten Augen starren in nüchterner Deutlichkeit mit dem traditionell gebrochenen Blicke zu Boden.

»Was erschreckte dich vorhin?« fragte Freyer.

»Ich weiß es nicht, war es ein Wunder, oder ein Schatten, was mir die Täuschung schuf, aber ich hätte geschworen, er bewege die Lider und blicke mich an!«

»Laß es sein, was es wolle, ein Wunder mag es doch sein,« sagt Freyer. »Kann Gottes Finger der gereizten Sehkraft aus der Blutwelle, die unser Herzschlag in Bewegung setzt, oder aus dem Schatten einer rußenden Opferkerze die Augen des Heilands malen – ist das weniger wunderbar, als wenn die toten Lider sich wirklich geöffnet hätten?«

Die Gräfin atmet tief auf: »Ja, du hast recht! Das ist die Kraft, von der du sagst, daß sie mehr kann, als eine Menschenbrust schwellen, die der sehnenden Seele auch im holzgeschnitzten Christus ein Herz schlagen läßt. – Und konnte das, was ich soeben erlebt, in der toten Materie geschehen – dann war auch die Gewalt, die uns zusammengeführt, göttlich, und – kein Lebender hätte ihr widerstanden! Lege getrost und ohne Reue deine Dornenkrone nieder, du hast deine Aufgabe vollbracht, du hast die Seele gerettet, für die Gott dich bestimmt, es war sein Wille und wer von uns könnte ihm widerstreben?«

Und Freyer bringt die Dornenkrone, die er noch in der Hand hält, an die Lippen, küßt sie und legt sie zu Füßen der Pieta nieder: »Herr, dein Wille geschehe, sofern es dein Wille ist! Und ist er es nicht, so vergib dem Irrtum!«

»Es ist kein Irrtum, ich verstehe Gottes Absicht besser. Darum hat er mir in dir das Abbild gesandt und es mir zu eigen gegeben in erreichbarer Menschlichkeit, damit ich an ihm üben lerne, was ich dem Urbild schuldig bin! Der schwachen Kraft der Anfängerin im Glauben gesellt er freundlich einen irdischen Führer! O, er ist barmherzig und gütig!«

Und sie erhebt Freyer von den Knieen: »Komm denn, du Gottgeschenkter, daß ich die süßeste Pflicht an dir erfülle, die je einem Sterblichen auferlegt ward: dich zu lieben und zu beglücken. Gott und sein heiliger Wille sei gelobt!«

»Und willst nun nicht mehr trauern um den verlorenen Christus?«

»Nein, denn du hattest recht, er ist überall!«

»In Gottes Namen denn, so komm und folge dem Drang deines Herzens, mag ich auch zu Grunde gehen!«

»Joseph, so sprichst du heute?«

»Gerade heute! Hättest du nicht vorhin auf die Täuschung geschworen, die dir ein Schatten vorgezaubert? Und warst du nicht enttäuscht, als das Licht kam und der Zauber zerrann? Es wird die Zeit kommen, wo du mich, wie jetzt diese Holzfigur, im Lichte der Alltäglichkeit sehen wirst, und dann ist der Nimbus dahin, und nichts bleibt zurück als die profane Schlacke, wie hier! Dann wird sich deine Seele enttäuscht von dieser abwenden und der entschwundene Gott zieht sie sich nach zu lichtern Höhen.«

»Oder stürzt sie hinab in die Tiefe!« murmelt die Gräfin.

»Das fürcht' ich nicht, denn dann wäre ja meine Mission vergeblich gewesen! Nein, mein Kind, wenn ich nicht glaubte, daß ich bestimmt bin, dich zu retten, dann hätte ich keine Entschuldigung vor mir selbst für das, was ich tue! Aber nun komm, es ist spät, wir müssen heim, wenn wir kein Aufsehen erregen wollen.«

*

Es ist halb zehn Uhr. Vor dem Großschen Hause geht ein älterer Herr von vornehmer, hochmütiger Haltung ungeduldig auf und nieder.

Die Schwestern stehen ratlos und tief bedrückt von der Wucht eines so hohen Gastes unter der Tür.

»Wenn sie doch nur kommen wollte!« klagt Sephy in größter Besorgnis, denn sie fürchtet den Vater für die Tochter. Es ist der alte Fürst von Prankenberg und seine Miene verrät nichts Gutes.

Es erscheint den loyalen Gemütern als eine demokratische Insolenz des Schicksals, daß ein solcher Herr warten muß, und gerade so betrachtet es der Fürst auch! Die guten Wesen hätten gern der Tochter, die von einem solchen Vater erwartet wird, Flügel geliehen! Aber was hilft es, daß der hohe Herr seinen Gang im Auf- und Abschreiten immer ungeduldiger beschleunigt, die Zeit und die ahnungslose Tochter tun nicht desgleichen. Schon heute mittag ist Fürst Prankenberg in Ammergau eingetroffen und harrt vergeblich der Gräfin. Er fand bei seiner Ankunft das ganze Dorf in Aufruhr wegen des Waldbrandes und man vermißte die Frau Gräfin und Herrn Freyer, die miteinander nach jener Richtung hin spazieren gegangen seien. Endlich hatte der Senn beim Brand berichtet, die Herrschaften seien oben bei ihm auf der Alm. Und Ludwig Groß, der kaum vom vergeblichen Rettungswerk zurückgekehrt, wo er die Löschmannschaft befehligte, machte sich auf, um der Gräfin die Ankunft des Vaters zu melden. Er muß sie nicht gefunden haben, denn er könnte schon längst wieder zurück sein. So stehen die treuen Hausgenossen seither auf Kohlen. Der alte Groß ist dienstbeflissen hinausgegangen vor das Dorf, um nach den Erwarteten auszuschauen, als ob das etwas hülfe! Josepha späht mit finster zusammengezogenen Brauen nach dem Fürsten, der sie verächtlich wie eine gemeine Magd angefahren hatte, als sie ihn in das Zimmer der Gräfin führen wollte, und gesagt: »In einer solchen Spelunke könne man nicht bleiben!« Mittlerweile ist es Nacht geworden.

Endlich, von einer ganz anderen Seite, als erwartet, taucht ein Paar auf, welches die Aufmerksamkeit des hohen Herrn erregt. Eine weibliche Gestalt mit aufgelösten Haaren, ohne Hut, zerstörtem ungeordnetem Anzug, scheinbar willenlos hingegeben am Arm eines großen bärtigen Mannes in einer Bauernjoppe. Sollte das – nein, das ist ja unmöglich, das kann nicht seine Tochter sein!

Das Paar kommt näher, arglos, nichts ahnend. Die Dame, sichtlich erschöpft, läßt sich mehr tragen, als führen, er kann es in der Dunkelheit nicht recht erkennen, aber es sieht aus, als habe sie ihr Haupt an die Brust ihres Führers gelehnt. Ein interessantes Liebespaar jedenfalls! Aber sie kommen näher, der Fürst traut seinen Augen nicht, es ist wirklich seine Tochter, am Arm eines Bauern! Ein unwillkürlicher Schreckensausruf von beiden Seiten. Die Gräfin Wildenau steht ihrem fürstlichen Vater gegenüber. Das Blut erstarrt ihr in den Adern, sie entfärbt sich so, daß ihre Wangen weiß durch die Dunkelheit schimmern. Aber die Gewohnheit anerzogener Formbeherrschung verläßt sie nicht: » Ah, quelle surprise! Bon soir, papa!«

Die Seele hat sich ins Innerste zurückgezogen und sie ist nur noch die Puppe ihrer selbst, die sich mechanisch bewegt und spricht.

Freyer nimmt den Hut ab, um sich zu verabschieden.

»Sie wollen gehen?« sagt sie mit leerem Blick. »Ich darf Sie wohl nicht einladen, noch ein wenig auszuruhen? Adieu, Herr Freyer, besten Dank!«

Wie seltsam, war es nicht soeben, als habe ein Hahn gekräht.

Freyer verneigt sich stumm und geht. »Adieu!« sagt der Fürst, ohne den Hut zu lüften. Einen Augenblick besinnt er sich, ob er einer Dame, die so aussieht, den Arm geben kann, endlich entschließt er sich dazu – sie ist doch immerhin seine Tochter, und was die Hauptsache, es ist gerade nicht der Moment, es mit ihr zu verderben. So, mit seinem Zorn und Widerwillen kämpfend, führt er sie, den Arm etwas weit von sich weg haltend, als ob sie schmutzig sei, durch das Haus in ihr Zimmer. Die armen Schwestern Groß bringen mit zitternden Händen Licht und verschwinden rasch. Die Gräfin steht mitten im Zimmer, wie eine automatische Figur, deren Uhrwerk abgelaufen. Der Fürst nimmt eine Kerze vom Tisch und leuchtet ihr damit ins Gesicht. »Pardon, ich muß mich überzeugen, ob diese Dame, die einem Zigeunerwagen entsprungen scheint, wirklich meine Tochter ist? Ja, in der Tat, sie ist es!« ruft er mit einem Ton, der humoristisch sein soll, aber nur brutal ist. »Also so finde ich die Gräfin Wildenau – zerlumpt, faniert, ohne Hut und Handschuhe, mit Bauern herumziehend! Es ist unglaublich!«

Die Gräfin schweigt und sinkt auf einen Stuhl. Des Fürsten große harte Züge sind gerötet von kaum unterdrücktem Unwillen.

»Bist du so aus der Mode gekommen, daß du deinen Umgang in Kreisen wie diese suchen mußt, ma fille? Hätte sich kein Ritter für die Gräfin Wildenau mehr gefunden, daß sie ein Verhältnis mit einem Komödianten des Passionstheaters anzufangen gezwungen ist?«

»Ein Verhältnis? Papa, das ist eine Beleidigung!« fährt die Gräfin auf, denn obgleich es wahr ist, fühlt sie es doch aus seinem Munde und in seinem Sinn als eine solche! – Schon wieder kräht ein Hahn zu dieser ungewohnten Stunde!

»Nun, ma chère, wenn man in einem halben Embrassement mit solch einem Menschen attrappiert wird, so muß man sich eine derartige Auffassung gefallen lassen.«

»Mein Gott, ich war müde zum Umsinken,« sagt die Gräfin leise, als könnten es die Hähne hören: »Wir waren in das Unwetter gekommen und der Mann mußte mich stützen! Ich hoffe doch, die Gräfin Wildenau dürfte für Verdächtigungen solcher Art zu hoch stehen!«

»Nun, nun – ich habe in München Dinge vernommen über dein langes Hiersein, die mir ganz gut zu der romantischen Persönlichkeit, die dich eben verließ, passen! Meine phantastische Frau Tochter hat immer seltsame Launen gehabt, und da du den Bauernduft zu vertragen scheinst, – ich bin darin etwas empfindlicher – –«

»Papa!« ruft die Gräfin, außer sich vor Schmach und Scham, »ich bitte dich, nicht in dieser Weise von Leuten zu reden, die ich hochachte!«

»Ah!« lacht der Fürst brüsk: »dein Zorn spricht deutlich genug. Ich werde von nun an diese delikaten Beziehungen nicht mehr berühren!«

Die Gräfin schweigt einen Augenblick, mit sich selbst kämpfend. Soll sie alles sagen, – soll sie es verraten, das Geheimnis von dem »Mensch gewordenen Gott«? Gerade diesem frivolen prosaischen Mann, vor dessen Spott sie von Kindheit auf jedes edlere Gefühl sorgsam verbarg, – ihm soll sie das Heiligste, das Wunder ihres Lebens preisgeben? Nein, es wäre Profanation!

»Ich habe keine delikaten Beziehungen! Ich kenne die Leute ja kaum, – dieser Freyer interessiert mich als Darsteller des Christus – weiter geht er mich nichts an!«

Der Hahn kräht zum drittenmal!

»Was war das? Ich höre heute abend immer Hähne krähen. Vernahmst du nichts?« fragt die Gräfin.

»Nicht das Geringste! Hast du Halluzinationen?« sagt der Fürst: »Um diese Zeit schlafen ja die Hühner!«

Die Gräfin weiß es wohl, – es war das Echo ihres eigenen Gewissens. Sie denkt an die Worte, die Freyer heute auf dem Berge sprach, und sein großes Auge blickt sie schmerzlich und doch verzeihend an. Jetzt weiß sie auch, warum Petrus verziehen ward! – Er wollte sich den Gott nicht profanieren lassen, dem er keinen Glauben erzwingen konnte, – deshalb verbarg er ihn in seinem Herzen. Er wußte, daß das, was ihn mit Christus verband und was er für ihn zu tun bestimmt, größer sei, als das wohlfeile Martyrium eines Bekenntnisses vor den tauben Ohren einer Handvoll Knechte und Mägde! Und es war keine Lüge, wenn er sagte: Ich kenne den Menschen nicht, – denn den Christus, welchen sie meinten, kannte er in der Tat nicht. Er verleugnete – nicht Christus, sondern den Verbrecher, für den ihn jene hielten! So geht es jetzt der Gräfin. – Sie schämt sich nicht des geliebten Mannes, nur dessen, für welchen ihr Vater ihn ansieht, und da sie dem Fürsten nicht erklären kann, was Joseph Freyer ihr ist, verleugnet sie ihn ganz. Aber wie Petrus auch den kurzen Augenblick, in dem er sich treulos von dem geliebten Meister trennte, als eine schwere Schuld bereute und bitterlich beweinte, so empfindet auch sie einen herben Schmerz. Es ist ihr, als ginge ein blutiger Riß durch ihr Herz und unaufhaltsam stürzen ihr die Tränen aus den Augen. –

»Du bist nervös, ma fille! – Cela ne vaut pas la peine! Tränen wegen dieser Herren Dorfbewohner?« sagt der Fürst mit einem verächtlichen Achselzucken. » Écoute ma chère, ich glaube, du tätest besser, dich zu vermählen!«

»Papa!« ruft die Gräfin empört.

Der Fürst lacht: »Nichts für ungut, wenn Frauen wie du anfangen sentimental zu werden – ist es Zeit, daß sie heiraten! Du bist zu jung Witwe geworden, – das war ein Unglück für dich!«

»Ein Unglück? Gott verzeih dir den Hohn und mir das Wort – es war ein Unglück, daß Wildenau so lange lebte, – noch mehr: daß ich je seine Frau geworden, und du, Papa, solltest mich nie daran erinnern!«

» Pourquoi pas?«

»Weil ich sonst vergessen könnte, daß du mein Vater bist, – wie du es vergaßest, als du mich diesem Greis verkuppeltest.«

»Verkuppeln? Welche Ausdrücke, chère enfant! Sind das die Errungenschaften deiner hiesigen Volksstudien? Dann gratuliere ich zur Bereicherung deines Sprachlexikons! Das ist der Dank einer Tochter, der man die glänzendste Partie aller erlauchten Häupter herausgesucht –«

»Und dafür ihre Seele verkauft hat!« fällt ihm die Gräfin ins Wort: »denn daß ich nicht moralisch untergegangen bin in dem ganzen Treiben, ist nicht dein Verdienst ...«

Der Fürst lächelt überlegen: » C'est excellent! Moralischer Untergang! Wenn man einem der ältesten Standesherren des deutschen Adels vermählt und zur Besitzerin einer halben Million jährlicher Revenüen gemacht wird! Das nennt sie moralischen Untergang und eine himmelschreiende Tat, an welche der unmenschliche Papa die Tochter nicht erinnern darf, ohne seines Vaterrechts verlustig zu gehen? Es ist wirklich scharmant!« Der Fürst zieht lachend seine Zigarrentasche heraus: »Du siehst, ma fille – ich verstehe Spaß! Nimmst du es mir übel, wenn ich in diesem ländlichen Schlafgemach eine Havanna rauche?«

»Ganz nach Belieben!« sagt die Gräfin, die jetzt ihre kalte Ruhe von ehedem wiedergefunden, und reicht ihm das Licht. Der Fürst mustert ihre Züge mit prüfendem Kennerblick, während sie so vor ihm steht, vom rötlichen Kerzenschimmer übergossen. »Du bist etwas defraichiert, mein Kind, aber immer noch schön – immer noch reizvoll. Ich gebe dir ja zu, daß Wildenau etwas zu alt war für ein so poetisch angehauchtes Gemüt wie das deine, – aber es ist ja noch Zeit, das gut zu machen! Wann bist du geboren? Ein Vater darf ja nach dem Alter der Tochter fragen – abgesehen davon, daß es der Gothaer Kalender doch ausplaudert, – du mußt jetzt sein – tiens! Du warst nicht ganz siebzehn Jahre, als du Wildenau heiratetest – neun Jahre warst du vermählt – zwei Jahre bist du Witwe – macht achtundzwanzig Jahre. Es ist noch Zeit – mais il n'y a pas beaucoup de temps à perdre! – C'est à la place d'une mère que je te dis cela, mon enfant –« sagt er mit einer widerlichen, geheuchelten Zärtlichkeit. Ueber die Lippen der Gräfin kommt kein Wort mehr.

»Es ist richtig, du verlierst deine Revenüen, wenn du den Namen Wildenau ablegst – respektive, wie es testamentarisch lautet, ›ihn mit einem anderen Namen vertauschest‹! – Deine Wahl ist dadurch etwas beschränkt, denn du kannst auf dies kolossale Wittum nur verzichten, wenn sich dir eine Partie bietet, die das Verlorene einigermaßen aufwiegt!«

Die Gräfin erbleicht auffallend: »Das ist der Fluch, den Wildenau noch über sein Grab hinaus auf mich gewälzt! Nicht genug, daß ich bei seinem Leben elend war, nein – ich soll auch nach seinem Tode nicht glücklich sein!«

»Aber ich bitte dich – wer sagt denn das? Du hast ja die Wahl unter lauter schönen und reichen Männern, die dir ein Aequivalent für alles bieten, was du aufgibst. Zum Beispiel Prinz Emil von Metten-Barnheim! – Er ist zwar ein Phantast –«

»Der nüchterne Prinz Emil ein Phantast!« lachte die Gräfin bitter.

»Nun, ich denke, ein Mensch, der sich so viel mit bürgerlichen Elementen, mit Gelehrten und Schriftstellern umgibt, wie der – könnte doch füglich ein Phantast genannt werden! Wenn sein Vater einmal stirbt, wird das arme Land von lauter Professoren regiert werden! – Qu'importe! Um so besser paßt er zu dir, da du selbst eine halbe Gelehrte bist. – Freilich könnte man sagen, daß die Familie der Barnheims der unsern nicht ebenbürtig ist, – die Prankenbergs sind älter und haben nicht eine einzige Mesalliance bis unter Karl den Großen zurückdatiert, – während im Stammbaum der Barnheims einige Lücken sind – was auch ihre liberalen Tendenzen erklärt! – So etwas verrät sich immer. – Dafür aber sind sie regierende Herzöge – und wir, ein aussterbendes Geschlecht – es gleicht sich also ziemlich aus! Du interessierst dich für ihn – so entschließe dich endlich – ihn zu heiraten, dann bist du eine glückliche Frau und der ganze Fluch des Testaments wird zunichte!«

»So?« bricht es in zitternder Erregung aus der Gräfin hervor. »Wenn ich nun aber einen andern liebe, einen Mann, der arm wäre, den ich nur heiraten könnte, wenn ich über ein eigenes, wenn auch noch so bescheidenes Vermögen zu verfügen hätte, und das Testament machte mich in dem Augenblick zur Bettlerin, wo ich ihm die Hand reichte – was dann? Hätte ich dann nicht ein Recht, dem eifersüchtigen Despoten zu grollen und dem, der mich seinen egoistischen Interessen geopfert hat – und wäre es mein eigener Vater?« Ein Blick des bittersten Vorwurfs trifft den Fürsten.

Er erschrickt über diesen Ausbruch jener Leidenschaftlichkeit, die ihm sonst an der apathischen Frau ganz fremd. Diese Stimmung kann er heute nicht brauchen. – Er hat ein Blatt von seiner Zigarre abgebissen und bläst es mit einer immer noch anmutigen Lippenbewegung in die Luft. – Es ist etwas mit der Gräfin vorgegangen, so viel ist sicher! Wenn sie am Ende gar – einen dummen Streich machte – eine Neigungspartie? Aber mit wem? – Wieder schwebt ihm das Bild von heute abend vor, das unglaubliche! Wie sie den Kopf an der Brust des gemeinen Menschen ruhen ließ – das ist ja doch nicht zu leugnen, das hat er gesehen mit seinen eigenen Augen! – Sollte wirklich eine solche Verirrung? – Eine Frau wie diese ist unberechenbar, – die wäre im stande, in einem Augenblick der Ekstase das ganze schöne Vermögen hinzuwerfen und der Welt ein Schauspiel zu geben ohnegleichen! Wer kann wissen, was so einer »Närrin« alles einfällt? Und doch, – wer kann ihr's wehren? Niemand hat Gewalt über sie, – am wenigsten er, – der ihr nicht einmal mehr mit Enterbung drohen könnte, da er längst nichts mehr sein eigen nennt. Er, der alte Spieler, der ewig mit Schulden kämpft – der heute – gerade heute kommt, um – er möchte es sich lieber selbst nicht gestehen! Und diese Tochter, die seine letzte Zuflucht, die ihn allein noch über Wasser hält, er hat sie diesen Abend schon mehr brüskiert, als gut und klug war, – noch weiter dürfte er nicht zu gehen wagen!

Er hat das unterdrückt Brutale aller gewalttätigen Naturen, die nicht können, wie sie wollen, die nicht Herr ihrer Leidenschaften und ihrer Verhältnisse sind und so fortwährend in die schiefe Lage kommen, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein!

Nachdem er sich lange genug mit seiner Zigarre beschäftigt, sagt er in besänftigendem und an einem so herrischen Mann widerlich unterwürfigem Ton: » Eh bien, ma fille, dafür gäbe es auch Mittel! Wenn du einen Mann liebtest, der zu arm wäre, um dir einen Hausstand zu gründen, – so könnte man ja das eine tun, das andere nicht lassen – das Testament spricht nur von einem Namenstausch: Man heiratet heimlich, – behält seinen Namen und mit diesem seine Revenüen!«

»Papa!« ruft die Gräfin und eine heiße Röte steigt in ihrem Gesicht auf, – aber ihre Augen sind mit gespannter Aufmerksamkeit auf den Sprecher gerichtet. – »Das könnte man doch einem Mann, den man achtet und liebt, nicht zumuten!«

» Pourquoi pas? Wenn er dir keine Existenz zu bieten vermöchte, könnte er auch nicht verlangen, daß du ihm die deine opferst! Es ist schon genug des Opfers, wenn du ihm deine Person hingibst!«

»Wenn er es unter solchen Umständen annimmt,« sagt die Gräfin nachdenklich.

»Aha – wir sind auf der rechten Fährte!« denkt der Fürst, sie scharf beobachtend: »Sobald er einsieht, daß es keine andere Möglichkeit gibt, dich zu besitzen, – gewiß! Eine Frau wie du kann einen Mann zu allem bringen! – Ich will nicht indiskret sein, aber, ma fille – ich fürchte, du hast eine Wahl getroffen, deren du dich schämen müßtest. Könntest du daran denken, eine solche Partie anders als im geheimen zu schließen? Wenn überhaupt geheiratet sein müßte? Was würde die Welt sagen, wenn es hieße: ›die Gräfin Wildenau ist so tief gesunken, daß sie –‹ ich wage nicht, das Wort auszusprechen, aus Furcht, dich zu beleidigen!«

Die Gräfin sitzt mit niedergeschlagenen Augen da.

»Die Welt –!« Jetzt auf einmal steht sie wieder vor ihr mit ihren hohnlachenden Gesichtern! Soll sie ihre große, heilige Liebe dem Gespött preisgeben? Soll sie den edeln, schlichten Mann, der das Heil ihrer Seele wurde, vor der Welt eine lächerliche Rolle als Gemahl der Gräfin Wildenau spielen lassen? Der Vater hat recht, – wenn auch aus ganz anderen Gründen. Dies Geheimnis, das zu schön und heilig ist, um es dem eigenen Vater einzugestehen, – könnte es die Berührung der Welt ertragen?

»Aber wie ließe sich denn eine solche heimliche Ehe schließen?« fragt sie mit geheuchelter Gleichgültigkeit.

Der Fürst erschrickt über den Ernst dieser Frage. Also so weit ist es schon! Hier muß vorsichtig gehandelt werden. Energischer Widerspruch würde nur das Gegenteil bewirken und vielleicht einen offenkundigen Skandal provozieren. Er überlegt einen Moment lang, während er sich müht, blaue Ringe in die Luft zu blasen, als gäbe es in diesem Augenblick keine wichtigere Ausgabe. Die Augen der Tochter sind mißtrauisch prüfend auf ihn geheftet. – Endlich scheint er mit sich im reinen zu sein.

»Eine heimliche Ehe? – Mein Gott, das ist ja für eine Frau mit deinem Reichtum und deiner unabhängigen Stellung ein Leichtes! Ist der Betreffende etwa katholisch?«

Die Gräfin nickt schweigend.

»Nun – dann ist die Sache ja ganz einfach: Mach's wie die promessi sposi von Manzoni, mit denen man ja beim Italienischlernen genug gequält wird. Lauf mit deinem Erwählten zum Pfarrer und erkläre vor diesem in Gegenwart zweier Zeugen, die sich ja leicht unter dem treuen Teil deiner Dienerschaft finden werden, daß ihr euch zur Ehe nehmt. – Nach dem Ritus der katholischen Kirche genügt es zur Abschließung einer gültigen Ehe, daß beide Teile auch ohne Trauungszeremoniell vor einem zuständigen Pfarrer diese Erklärung abgegeben haben, – dein zuständiger Pfarrer wäre in diesem Fall unser alter Börger auf Prankenberg. Dort führst du die Komödie am besten auf. So braucht ihr keine Papiere, keine Dimissorialien, die dich verraten könnten, und wenn du es klug machst, wird es dir auch gelingen, den altersschwachen Greis zu vermögen, die Sache nicht ins Kirchenbuch einzutragen. Dann soll einer kommen und dir nachsagen, daß du getraut bist! – Es existiert absolut kein Beweis, – und wenn der alte Pfarrer stirbt, – geht die Sache mit ihm ins Grab! Deine Zeugen wirst du schon so wählen, daß du ihrer sicher bist. – Quel risque alors?«

»Vater! Ist das aber dann eine Trauung?!« ruft die Gräfin entsetzt.

»Nach unsern Begriffen nicht,« sagt der Fürst lakonisch: »Aber es kommt ja doch wohl nur darauf an, daß er sich für getraut hält – und daß er gebunden ist – nicht du?!«

»Vater – eine solche Komödie spiele ich nicht!« Die Gräfin rückt voll Abscheu von ihm weg.

»Wenn du es ernst meinst – dann ist es ja keine Komödie, ma chère! Du hast es ja ganz in deiner Hand, ob du dich als vermählt betrachten willst oder nicht? Im ersteren Fall hast du das angenehme Bewußtsein einer moralischen Handlungsweise ohne ihre lästigen Konsequenzen, gehst nach der Pseudotrauung auf Reisen – treibst dich, solange dir's gefällt, mit einer zuverlässigen Kammerfrau in fremden Ländern herum, kommst dann, vielleicht mit einem oder zwei – ›angenommenen‹ – Kindern zurück, welche du als bekannte Philanthropin erziehen läßt, – dabei wird niemand etwas finden! Den anonymen Gemahl installiert die Gräfin Wildenau unter irgend welchem Subalternentitel auf einem ihrer abgelegenen Güter, und die Ehe ist so glücklich wie irgend eine bürgerlich geschlossene – bloß nicht so prosaisch! – Du aber ersparst dir eine unsterbliche Blamage vor der Welt – hast deinen Schäfertraum und bist und bleibst dabei die reiche und mächtige Gräfin Wildenau. – Ist das nicht vernünftiger, als in Gott weiß was für einem Paroxismus Ehre, Stellung, Reichtum und – seinen alten Vater opfern?«

»Meinen Vater?« fragt die Gräfin, die im Kampf mit den verschiedensten Empfindungen den Worten des Fürsten gefolgt war.

»Nun ja,« – er hat es wieder mit seiner Zigarre zu tun, die ihm jetzt ganz den Dienst versagt und mit einer andern vertauscht werden muß – »du weißt, chere enfant, unsere Standespflichten stellen Anforderungen an uns fürstliche Familien, denen meine Finanzen leider nicht mehr gewachsen sind. – Ich – hm, – ich sehe mich genötigt, so unangenehm mir dies ist, die Liebenswürdigkeit meiner Tochter in Anspruch zu nehmen, – darf ich eines dieser Seifenschälchen als Aschenbecher benutzen – es fällt sonst alles herunter! Also: Ich bin gekommen, dich zu fragen, ob du mir um unseres alten Namens willen – ich verlange durchaus keine kindliche Sentimentalität – mit circa fünfzigtausend Mark jährlichen Zuschusses und einer schnell zu beschaffenden Barsumme von neunzigtausend Mark aushelfen könntest, sonst bleibt mir nichts übrig – bitte etwas Feuer – merci, – als mir eine Kugel durch den Kopf zu schießen!« Er stockt, um die frische Zigarre anzurauchen. Die Gräfin schlägt entsetzt die Hände zusammen: »Großer Gott, Papa! Sind die Kapitalien, womit Wildenau dich rangiert hat, schon aufgebraucht?«

»Was willst du, – kann ein Fürst Prankenberg mit einer Revenüe von fünfzigtausend Mark auskommen? Hätte ich nicht so gespart und lebten wir nicht in den kleinen deutschen Verhältnissen, so hätte ich nicht einmal so lange mit der Bagatelle gereicht!«

»Eine Bagatelle! Also so wohlfeil wurde ich hingeopfert?« ruft die Gräfin mit wogender Brust: »Nicht einmal das Bewußtsein habe ich für das verlorene Leben, daß ich dadurch meinen Vater rettete? Freilich, freilich, wenn das so ist, – dann habe ich keine Wahl mehr! Dann bleibe ich die Sklavin des toten Gatten bis an mein Ende und muß mir das Glück, das ich mir noch ersehne, stehlen wie eine verbotene Frucht. O, du hast den Moment für diese Mitteilung gut gewählt – das muß wahr sein! Du hast die erste Blüte meines Lebens zerstört, und nun es noch einmal eine letzte Knospe treiben will, zerstörst du auch diese!«

Der Fürst steht auf: »Ich bedaure, wenn ich dir durch mein Anliegen Verlegenheiten bereite. Wie gesagt, du bist ja ganz Herrin deines Willens. Wenn ich mir nicht schon lange eine Kugel durch den Kopf jagte, so tat ich es lediglich aus Rücksicht für dich, damit es nicht heißt: ›Der Fürst von Prankenberg mußte sich wegen finanzieller Deroute erschießen, weil seine reiche Tochter nichts für den Vater tat!‹ Diesen Skandal wollte ich dir ersparen – deshalb ließ ich dir die Wahl, ob du nicht vorzögest, mit zu helfen?«

Die Gräfin schaudert: »Du weißt, daß es derartiger Drohungen bei mir nicht bedarf! Wenn ich weinte, so galt es wahrlich nicht dem elenden Mammon, sondern den ganzen unseligen Verhältnissen. Wie kann ich jemals, selbst in einer heimlichen Ehe, glücklich sein, wenn ich stets um meines Vaters willen vor der Entdeckung zittern muß? Und wenn es noch ein durch Unglück verarmter Vater wäre, – verflucht sollte die Träne sein, die ich irgend welchem Opfer an Lebensglück für ihn nachweinte, – aber, Papa, daß ich dem Spiel, dem Sport, den zweideutigen Frauen, die dein Vermögen verzehrten, das Heiligste opfern soll, das je ein Menschenherz erfüllt – das ist hart!«

» Ma fille, spare deine Worte, ich bin nicht willens, mir deine Hilfe um den Preis einer Strafpredigt zu erkaufen. Entweder du ziehst mich ohne Vorwürfe aus der Verlegenheit, oder du bist die Tochter eines Selbstmörders, – was nützt da alles Philosophieren, – ein großer, unbefleckter Name ist ein Artikel, der Geld kostet! Triff deine Entscheidung! Mir für meinen Teil liegt nichts mehr am Leben. Ich bin alt, – leide an der Gicht, bin zu steif zum Reiten und zu jedem Sport, – habe kein Glück bei den Frauen mehr – nichts als das Jeu! Müßte ich mir auch das noch versagen, – dann vogue la galère! In einem solchen Fall gibt es nur zwei Wege: corriger la fortune – oder sterben! Ein Prankenberg wird aber lieber sterben, als zu diesem Hilfsmittel greifen!«

»Vater! Was redest du da! Wehe dir, unglücklicher Vater, daß es so weit mit dir gekommen! Wehe einer Welt, die einen alten Mann so bankerott an jedem Lebensinhalt, an jeder Würde aus dem Getümmel ihrer Freuden entläßt, daß ihm nichts übrig bleibt, als die Alternative zwischen Selbstmord und falschem Spiel – sofern ihn nicht die Zufälligkeit des Besitzes einer reichen Tochter rettet!«

»Geliebtes Kind!« sagt der Fürst, der es jetzt angemessen findet, einen gerührten Ton anzuschlagen.

»Bitte, sprich nichts weiter, Vater: du hast dich nie um die Tochter bekümmert, bist mir nie Vater gewesen, – wärst du's gewesen, du stündest jetzt nicht so elend, so verarmt an innerem Glück vor mir! Das ist nicht mehr zu ändern. Weh mir, daß ich den Vater nicht lieben und achten kann, wie ich sollte, – daß ich das, was ich tue, nicht freudiger tun kann! Deshalb bin ich aber nicht minder Bereit, meine Pflichten gegen dich zu erfüllen. Ich werde dir, soweit es in meinen Kräften steht, die Möglichkeit geben, deine jammervolle Scheinexistenz weiterzuführen und stelle es nur deiner Diskretion anheim, inwieweit du über meine Kasse disponieren willst. – Ein Glück für dich, daß du noch zu rechter Zeit kamst – in einigen Tagen wäre es vielleicht zu spät gewesen! Jetzt aber sehe ich ein, daß ich nicht auf meine großen Einkünfte verzichten darf, solange mein Vater das Geld braucht. – So liegt denn alles in Trümmern, was ich geträumt von einem späten, aber reinen Glück! Daß man solch einen Schlag erst verwinden muß, wirst du begreifen und mir eine schmerzliche Erregung zu gute halten.«

Sie erhebt sich bleich und schwankend: »Morgen früh ist die Vollmacht zur Erhebung des Geldes in deinen Händen und du wirst diese peinliche Scene schneller vergessen haben als ich!«

»Du hast mir wenig Schmeichelhaftes gesagt, – aber ich rechne dir's nicht an, – du bist heute nervös, ma belle fille! Und wenn du es auch nicht in der liebenswürdigsten Form tatest, du halfst mir doch. Laß mich deine generöse Hand küssen! – Ah – es ist ganz die Hand deiner Mutter! – Und wenn ich denke, daß diese schlanken, zarten Finger sich in die plumpe Faust, Gott weiß, welches Proletariers gelegt hätten, so rechne ich es mir doch zum Verdienst an, dich –«

»Vollende nicht!« ruft die Gräfin gebieterisch. »Ich glaube, meine Schuldigkeit getan zu haben, Papa – jetzt aber ist das Maß voll und ich bitte dich inständig, mir für heute Ruhe zu gönnen!«

»Es ist das Los der Väter, daß sie sich von ihren Töchtern tyrannisieren lassen müssen,« scherzt der Fürst: »Nun, es ist noch besser, von einer Tochter, als von einer Geliebten schlecht behandelt zu werden! Du siehst, ich habe bereits moralische Anwandlungen, seit ich in deiner strengen Gesellschaft bin. Darf der so unnachsichtig Beurteilte Vater dir einen Kuß auf die Stirn drücken?«

Die Gräfin steht still und läßt es sich gefallen, – aber in dem Augenblick, wo es geschieht, überläuft sie ein Schauder, wie vor einer entweihten Berührung – sie fühlt's – es ist der Judaskuß der Welt, nicht die Liebkosung eines Vaters.

Der Fürst aber wischt sich mit heimlichem Degout den Mund: »Wer weiß, was für Lippen heute auf dieser Stirn geruht!« Er darf nicht daran denken, sonst wird ihm übel.

» Ma chère, wie sehr ich auch dein Schuldner bin, noch für zwei Minuten fordere ich mein Vaterrecht! Du hast mir so viel Bitteres gesagt, dessen Berechtigung ich nicht leugnen will, daß du auch mir ein wahres Wort gestatten wirst.« Er bohrt einen harten, kalten Blick in ihr Auge und wägt ihr mit leiser Stimme Wort für Wort zu: »Wir haben's weit gebracht – wir letzten Prankenbergs, du – und ich! Eine schöne Gesellschaft bei einander – der Vater am Bankerott und die Tochter – im Begriff, einen Bauern zu heiraten!«

Die Gräfin stützt sich bleich, mit fest zusammengepreßten Lippen auf ihre Stuhllehne.

Der Fürst legt ihr die Hand auf die Schulter: »Wir dürfen uns wohl beide sagen, daß wir heute eines das andere gerettet haben! Das ist meine réparation d'honneur für die demütigende Rolle, die mir das Schicksal dir gegenüber aufnötigte! Nicht wahr? Gute Nacht, Prinzessin Tochter – – und hoffentlich, sans rancune!«


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