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Einundzwanzigstes Kapitel. Unberechenbar

Eine Minute, und ein Lebensabschnitt!

Die Gräfin ist wieder »sie selbst«, wie sie's nennt.

»Gott sei Dank.«

Die Ammergauer Episode – mit all ihren tragischen Konsequenzen liegt hinter ihr. Sie war heute von den seelischen Eindrücken und den äußeren Umständen auf dem Unglücksschloß, wo alles sich gegen sie verschwor, so in die Enge getrieben, – sie hat dem Gedanken eines Bruchs mit ihren Traditionen und Lebensbedürfnissen, – dem Gedanken der Armut und Schande, so ernst ins Auge geblickt, daß diese Ernennung zur höchsten Hofstellung sie noch vom Abgrund errettete. Im letzten Augenblick zurückgehalten, taumelnd und schwindelnd sucht die Erschreckte wieder festen Fuß zu fassen. Ihr ist zu Mute wie einem Selbstmörder, dem es nicht recht ernst war und der froh ist, wenn jemand anderer sein Vorhaben verhindert.

Sie hält das Dokument in den Händen. Das ist Wahrheit, ist Wirklichkeit, die Notwendigkeit der Selbstvernichtung war Einbildung. Die Schande kann ihr nicht mehr nahen, deren Brandmal sie schon auf der Stirn fühlte!

Sie stellt den Fuß auf einen zottigen Löwenteppich – der Boden wankt noch nicht unter ihr. Sie lehnt die heiße Stirn an eine schlanke Marmorsäule – auch diese hält noch! Sie streicht mit den zarten Fingern über den Seidenplüsch des Diwans, auf dem sie ruht, und freut sich, daß er noch ihr gehört! Ihr Blick schweift schönheitstrunken über all die hunderterlei Kunstschätze, Bilder und Statuen aus aller Herren Länder, mit denen sie ihre Räume schmückte – es fehlt nichts davon. Auf seinem Sockel steht Apoll von Belvedere, dessen reiner Marmor in einem durch rote Gardinen fallenden Sonnenstrahl warm aufleuchtet, als schimmere Blut, lebendig zirkulierend, in der steinernen Hülle. In göttlicher Ruhe lächelt das wundervolle Antlitz auf das bunte Gemisch, was hier die Kunst und Industrie von Jahrhunderten aufgehäuft haben, herab. Er ist die monumentale Verkörperung des Friedens, den der kämpfende Genius für ewige Zeiten mit der Schönheit geschlossen. – In allem, was sie umgibt, fühlt sich die stolze Frau mit diesem Genius vereint in dem stillen Raum, sie fühlt sein geheimnisvolles Walten und die schweren Draperien ringsum scheinen sich zu bewegen vom Rauschen seines Flügelschlags.

Vergangenheit und Gegenwart schließen hier den bezaubernden Reigen. – Da steht eine Venus von Milo, der reizenden Besitzerin die Majestät der eigenen Schönheit zeigend. Dort, in einer Blumenecke, birgt sich scheu eine badende Nymphe von moderner Meisterhand. In einer gotischen Nische schließt ein sterbender Christus die Augen, vor all der Welt und Sinnenpracht, am Kreuz. Es ist ein Christus in der Manier von Gabriel Max, der die Augen auf- und zumacht. Unweit davon tritt das Porträt der Gräfin, mit Lenbachscher Genialität gemalt, aus dem dunkeln Rahmen – der Typus einer Blüte des Salons. In weichem, weißem Gewand von orientalischem Faltenwurf, mit Gold gestickt, schwer genug, um sich eng auszeichnend dem Körper anzuschmiegen, – leicht genug, um so weit aufzufliegen, als Mode und Sitte es noch gestatten, einen wundervollen Hals und Arm freizugeben. Und da Lenbach nicht nur das Aeußere, sondern auch das Innere des Menschen malt, so ruht über dem zarten Gesicht ein Duft von Melancholie, von Sehnsucht und Sinnigkeit, daß der Beschauer die körperliche Schönheit fast vergißt über der seelischen, wenn er in dies vergeistigte Auge sieht, das eine andere Heimat zu suchen scheint, als diese prosaische Erde. Und gerade in der Richtung, wo es hinblickt, neigt Hermes, der Todverkündende, sein ernstes Götterantlitz aus einem Gebüsch von Palmen und Makartgruppen hernieder. Es ist, als sähe sie das alles heute zum erstenmal, – als sei es ihr heute neugeschenkt, nachdem sie es schon verloren wähnte. Es nimmt ihr fast den Atem, wenn sie denkt, daß sie heute nahe daran war, es hinzugeben – und wofür? Alle diese Schätze unsterblicher Schönheit und Kunst, – für ein weinendes Kind und einen mürrischen Mann, der nur das brave Weib in ihr liebt, was jede Magd sein kann, das aber, was sie wirklich ist, was ihre Hoheit, ihren Reiz ausmacht, so wenig begreift, wie er das Bild Lenbachs verstehen würde, das ihr das eigene Sein verklärt, erhöht widerspiegelt. – Sie betrachtet sich mit stolzem Behagen. Ein solches Weib und sich einem Mann opfern, der kaum weiß, was schön ist! So zu Grunde gehen an einer Verirrung der Phantasie? Kann Gott, der Kultur und Kunst zum edelsten Vorrecht der Gebildeten machte, verlangen, daß eine solche Erscheinung ins Proletariat hinabsteigt? Sie klingelt – sie muß etwas befehlen, um es zu glauben, daß sie noch die Herrin des Hauses ist.

Der Kammerdiener tritt ein, mit derselben Amtsmiene wie immer: »Erlaucht Befehlen?«

Gott sei Dank, ihre Diener gehorchen ihr noch! –

»Schicken Sie hinüber ins Palais Barnheim. Ich lasse den Erbprinzen bitten, um sechs Uhr mit mir zu dinieren. Dann servieren Sie das Lunch.«

»Sehr wohl! Befehlen Erlaucht noch etwas?«

»Die Kammerjungfer!«

»Zu Befehl, Erlaucht.«

Der Diener verläßt das Zimmer mit dem lautlos gravitätischen Schritt eines wohlgeschulten fürstlichen Lakaien.

»Wie kann ein Mensch leben ohne Diener?« fragt sich die Gräfin ihm nachblickend. »Was hätte ich wohl angefangen, wenn ich meine Leute entlassen hätte?« Ihr schaudert! Jetzt, wo ihr Haus und ihr fürstlicher Luxus sie wieder umgibt, ist sie eine andere als heute morgen. Wohl fühlt sie noch, was sie heute gelitten, aber nicht anders, als wir beim Erwachen aus einer Fieberphantasie die erduldeten Qualen nachempfinden.

Es klopft, die Kammerjungfer tritt ein.

»Ich will vor dem Lunch ein Bad nehmen, ich fühle mich sehr unwohl. Gießen Sie eine Flasche vinaigre de Bouilli ins Wasser. Ich komme gleich.«

Die Kammerfrau verschwindet.

Es geht noch alles nach der Uhr. Nichts ist verändert – niemand merkt ihr's an, was sie heute – beinahe – getan hätte! Der Kampf ist ausgekämpft. Der königliche Befehl, dem zu widerstehen Wahnsinn wäre, hat ihn entschieden. –

Aber ihre Nerven zittern noch unter den Eindrücken der heutigen Erlebnisse.

Das Kind, wenn nur das Kind nicht wäre! Das ist das einzige, was sie nicht frei aufatmen läßt, – es ist doch ihr Fleisch und Blut! Da ist eine nie heilende Wunde in ihrem Herzen. Sie wird sich ewig nach dem Knaben sehnen – wie er sich nach ihr! Aber was hilft's, es ist nicht zu ändern, sie muß tun, was Vernunft und Notwendigkeit gebietet! Wenigstens für jetzt, und es ist auch etwas Schönes um ein vornehm getragenes Leid! An der Tiefe der Wunde ermessen wir zugleich mit Stolz die Tiefe des eigenen Herzens. Es ist ein schmerzlicher, aber doch ein Reiz, unter einer diamantenfunkelnden Hülle ein blutendes Herz zu haben und es so wohl zu verbergen, daß die Blutstropfen nicht auf die Außenseite durchdringen!

Sie gefällt sich darin, als Obersthofmeisterin Königen und Kaisern die Honneurs zu machen und dabei im Innersten sich nach einem armen, verwaisten Kind zu sehnen, das die stolze Gräfin Wildenau – einem Mann aus dem Volke gebar! – So tief hinunter und so hoch hinauf kann sich nur eine Natur von ihrer Elasticität schwingen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.

Es sind die Schaukelbewegungen, von denen einst Ludwig Groß sprach, die solchen Naturen notwendig sind, – und wenn sich auch ihre Radien durch die schwindelndsten Abgründe menschlichen Elends zu den entgegengesetzten Höhen hindurchziehen. Die Koketterie ist nicht nur grausam gegen andere, sie ist es auch gegen sich selbst, – sie ist es in den körperlichen Qualen, die sie sich um einer unbequemen Mode oder um eines Sports willen auferlegt, und in den seelischen, mit denen sie ihre Triumphe bezahlt.

So die Gräfin. Sie hat um eines engen Schuhs willen mit Lächeln Schmerzen ausgehalten, die andere niedergeworfen hätten, sie ist um irgend eines Festes willen fiebernd und krank aus dem Bett aufgestanden, und niemand hat ihr etwas angemerkt. – Sie hat während ihrer ersten unglücklichen Ehe gelernt, die verzweifeltsten Stimmungen zu unterdrücken und mit zuckendem Herzen »amüsant« zu sein. Was Wunder, daß sie es ganz selbstverständlich findet, um Ehre und Macht das nagende Weh ihres Mutterherzens zu unterdrücken. So kokettiert sie auch mit dem Schmerz und gefällt sich darin, ihn mit Grazie zu tragen. –

Sie setzt sich an den Schreibtisch, den Canovas Gruppe von Amor und Psyche krönt, und schreibt:

»Mein Lieber! In aller Eile nur die Nachricht, daß ich in der nächsten Zeit nicht hinauskommen kann, um Josephs Reise zu besprechen. Ich bin zur Obersthofmeisterin der Königin ernannt und muß selbstverständlich diesem Ruf Folge leisten. Josepha soll sich einstweilen zur Reise rüsten, ich schicke dieser Tage den Reiseplan und das Geld. Den Knaben grüßt und küßt von mir und vertröstet ihn, daß ich ihn an der Riviera besuche, wenn ich irgend kann. Unter den neuen Eindrücken der Reise wird er mich bald vergessen und sich das Hoffen und Harren abgewöhnen. Der Süden wird ihm gut tun und man hat nachher um so mehr Freude an ihm. Er muß wenigstens ein Jahr dort bleiben, damit er sich kräftigt.

»Ich schreibe nur flüchtig, denn eine Menge Geschäfte und Zeremonien müssen in den nächsten Tagen erledigt werden. – Es wird mir schwer, diese Stellung anzunehmen, welche mich mehr denn je in Fesseln bannt, die ich nahe daran war, abzustreifen! Aber mir auch noch König und Königin zu Feinden zu machen – im jetzigen Augenblick, wo ich dringender als je mächtiger Freunde bedarf, – das hieße das Schicksal geradezu herausfordern! Es wird sich kaum tun lassen, daß ich jetzt so oft herauskomme, wie ich Dir heute versprach. Aber Du kannst ja, wenn es Dir zu einsam wird, als mein »Verwalter« hin und wieder gegen Abend hereinkommen unter dem Vorwand, mir Rapport über besondere Vorkommnisse zu erstatten, – so sieht man sich doch, und ich werde Befehl geben, daß der Verwalter mir jederzeit gemeldet wird und im Palais ein ständiges Bureau und Absteigequartier bekommt, ›da ich jetzt nicht mehr so viel auf den Gütern selbst nachsehen könne‹. Das macht sich ganz gut. Kann ich Dich nicht gleich empfangen, so gehst Du so lange auf Dein Zimmer, bis Dein Weib, frei von des Tages Zwang und Pflichten, in Deine Arme fliegen kann!

»Ist das nicht schön ausgedacht – bist Du nun endlich zufrieden, Du unzufriedener Mann?

»Ich werde das Verwalterzimmer so legen, daß Du, wenn alles im Haus zur Ruhe, durch die Gänge zu mir schlüpfen kannst. Du siehst, ich tue für Dich, was nur möglich! Nur grolle mir nicht, daß ich auch nebenbei tue, was die Vernunft gebietet. Ich muß meinem Kinde die festen Grundlagen einer gesicherten und wohlgeordneten Existenz schaffen, da darf man nicht um einer Sentimentalität willen planlos und ziellos sein eigenes Schicksal zertrümmern. Was würde es jetzt dem kranken Kinde helfen, wenn ich mich selbst denunzierte und bis auf den letzten Rest meines Privateigentums den Verwandten ersetzen müßte, was ich seit meiner Wiedervermählung unrechtmäßig verbraucht? Ich könnte nicht einmal mehr etwas für die Gesundheit meines Sohnes tun und müßte ihn hinsiechen lassen in irgend einem rauhen Gebirgsnest, – vielleicht Ammergau selbst, wo ich, mit einem kleinen Hausstand und euch, wie eine Dörchersfamilie hinpilgerte. – Die Buben würden ihn dort mit Steinen werfen und ihn zum Hohn ›Grafenkind‹ nennen. Die Schneestürme würden ihn peitschen und die zarte Lunge vollends zerreißen!

»Nein, wenn ich nicht für mich die Armut scheute, für euch müßte ich es tun. Denn auch Du, – würdest Du es ertragen, wenn die Leute in Ammergau, – und wo anders solltest Du Verdienst finden? – mit Fingern auf Dich zeigten und sagten: ›Seht her, das ist Freyer, der mit einer Gräfin durchgegangen ist! Der hat's weit gebracht‹ – und dann Hohngelächter!

»Man muß nur das Landvolk kennen! Du gingst zu Grunde, – oder es gäbe ein Unglück. –

»Mein Joseph! Habe Du die Liebe für mich und laß mich die Vernunft für Dich haben, dann wird alles gut. In Liebe

Deine M.«

Sie ahnt es nicht, als sie sehr befriedigt von ihrer Dialektik den Brief beendet, daß Freyer ihn, wenn er ihn gelesen, zerrissen zu Boden werfen würde.

Dieser kalte, oberflächliche Brief, – dieser Rückschlag auf die gestrige Stimmung – diese Tat nach den gestrigen Versprechungen! Wieder ist er betrogen und getäuscht worden, wieder hat er geglaubt und vergebens gehofft. Alles, alles zerstört, worauf er gebaut, die sittliche Erhebung des geliebten Weibes, die Mann und Kind endlich in ihre heiligen Rechte einsetzen sollte, – eine Lüge, und statt dessen als Entschädigung das Anerbieten einer Buhlerei! –

In der Nacht soll er sein Weib aufsuchen, wie der Bub' zur Dirn' einsteigt, – der Gemahl, der Vater ihres Kindes! »Nein, Frau Gräfin, der Verwalter schleicht sich nicht in Ihr Schloß, um, wenn Sie alle Freuden des Tages genossen, auch noch mit seiner geringen Person für ein galantes Abenteuer der Nacht zu sorgen!

»Wenn mich auch der Hohn und die Schadenfreude meiner Landsleute schwer treffen würde, wie Sie glauben, – so will ich doch lieber bei jenen im Taglohn arbeiten, als vor Ihren Lakaien die Rolle spielen, die Sie mir anweisen!« schreibt er ihr als einzige Antwort.

Er weiß genau, daß dieselbe ihr nur ein Achselzucken und ein mitleidiges Lächeln entlocken wird, aber er kann nicht anders. –

Es ist Abend, als der Brief der Gräfin durch den Kurier bei ihm eintrifft. Und während er bei der dunkelverhängten Lampe neben dem Bette des fiebernden Kindes unter Todesweh diese schwerfällige und leider auch noch unorthographische Antwort aufsetzt, öffnet sich die Flügeltür des hellerleuchteten Speisesaals, wo der Prinz die Gräfin zu Tisch führen soll.

Sie ist wieder ganz frisch und erholt. Sie hat ein aromatisches Bad genommen, sich dann beim Lunch durch ein Glas gut frappierten Champagners »montiert«, das Königliche Handschreiben beantwortet, einige Entwürfe zu neuen Hoftoiletten gemacht und dieselben in Paris bestellt. –

Sie malt mit ungewöhnlichem Talent, und die Figurinen in Aquarell, die sie für ihre Modistinnen entwirft, sind kleine Kunstwerke, die sich weit über das Genre der Modejournale erheben. –

»Erlaucht könnte Ihr Brot damit verdienen,« – meinte heute schmeichelhaft die Garderobiere – und es durchzuckte die Gräfin seltsam bei diesem Wort. – Sie hat sich selbst ein Garderobenbuch angelegt, wo sie seit ihrem Eintritt in die Welt alle ihre Toiletten hineingemalt, und es macht ihr oft Vergnügen, darin zu blättern; was weckt doch der Anblick der alten Kleider für Erinnerungen! Von der silberdurchwirkten, drückend schweren Brokatschleppe der jungen Braut des alten Wildenau, bis zu dem luftigen Sommerkleidchen – wie sie es vor neun Jahren in Ammergau getragen. Von der streng stilisierten, imposanten Hofrobe, bis herab zu dem einfachen, wollenen Morgenkleid, in welchem sie heute die qualvollen Stunden, die Folgen jener Ammergauer »Verirrung« durchlebt. – Bei den Worten der Garderobiere aber schlug sie wie schaudernd das Buch zu und stand auf: »Diese Matinee, die ich heute anhatte, schenke ich Ihnen – jedoch mit der Bedingung, daß ich sie nie an Ihnen zu sehen bekomme.«

»Erlaucht sind zu gütig, ich danke untertänigst,« sagte die Frau entzückt und küßte der Gräfin den Aermel ihres Frisiermantels, – die Hand zu küssen, hätte sie sich nicht erlauben dürfen.

Dann war rasch die Toilette zum Diner beendet worden, und als sie sich im Spiegel betrachtete, fand die Gräfin, daß sie heute schöner denn je sei. Der melancholische Zug um die Augen und eine leise Spur von vergossenen Tränen gaben der bleichen Teerose einen Anflug von Farbe, der sie wunderbar kleidete.

So ist der Tag vorübergegangen, und als der Prinz um sechs Uhr zum Diner kommt, tritt sie ihm mit ihrer ganzen Liebenswürdigkeit entgegen.

»Mein Prinz – wem danke ich das?« fragt sie lächelnd, ihm das Kabinettsschreiben hinhaltend.

»Warum fragen Sie das mich?«

»Weil Sie allein es wissen können!«

»Ich?«

»Ja, Sie! Denn wer anders als Sie hat mich den Majestäten vorgeschlagen?! Machen Sie mir doch nichts weis mit Ihrer unschuldigen Miene, – ich glaube es Ihnen ja doch nicht! Sie und kein anderer taten mir diesen Freundschaftsdienst, denn – alles Gute kommt von Ihnen. Sie sind nicht nur ein großer, ein mächtiger, – Sie sind auch ein guter, ein edler Mensch – meine Stütze, meine Vorsehung! Ich danke Ihnen!«

Sie nimmt seine beiden Hände und neigt ihm die Stirn zum Kusse, mit einem Blick so aufrichtiger Bewunderung und Dankbarkeit, daß er fast in freudigem Schreck das erlaubte Ziel verfehlt und statt der Stirn die Lippen trifft. Aber zum Glück besinnt er sich noch und berührt fast schüchtern die flaumigen Löckchen, die ihm wie seine Blütenranken duftig entgegenzittern.

»Nun denn, diesem Dank kann ich nicht widerstehen! Ja, mon auguste cousine, die Königin hat die Gnade gehabt, meine Vorschläge als – ›ihr besonders sympathisch‹ zu berücksichtigen! Aber – meine liebe Gräfin, Sie müssen Entsetzliches durchgemacht haben, um für eine Kleinigkeit, wie diese Ernennung zur Obersthofmeisterin, für deren Annahme ja wir Ihnen dankbar zu sein haben, – dem unschuldigen Urheber so überschwenglich zu lohnen! Es ist fast etwas Eingeschüchtertes in Ihnen, meine arme Madeleine, als hätten Sie das Selbstgefühl verloren, das Ihrer Erscheinung trotz all Ihrer zarten Weiblichkeit eine so imponierende Sicherheit gab. Sie tun sich selbst unrecht. Sie müssen sich aus dieser Gedrücktheit herausreißen! Deshalb erlaubte ich mir den kleinen Ruck an den Zeigern Ihrer Lebensuhr und erwirkte Ihnen diese Stellung, die den Vorteil hat, Ihnen keine Zeit zu müßigen, selbstquälerischen Stimmungen zu lassen. Das ist es, was Sie vorderhand am nötigsten brauchen. – Ich kann Ihnen eine, vermutlich sich selbst aufgebürdete Last leider nicht von den schönen Schultern nehmen, – aber ich kann und will Sie dahin bringen, daß Sie diese nach und nach selbst abstreifen.

»Die Welt, in die Sie gestellt sind, braucht Sie, – Sie müssen ihr leben und dürfen ihr nicht Ihre Kräfte, Ihren Geist, Ihre Liebenswürdigkeit entziehen. Sie sind geschaffen für einen hohen Posten! Ich meine nicht die dienende Stellung – einer Obersthofmeisterin. – Diese ist nur ein Palliativ für den Moment – ich meine, die einer regierenden Fürstin, welche für das leibliche und geistige Wohl eines ganzen Volkes mit zu sorgen hat. – Und wenn Sie sich auf Ihrem jetzigen Posten wieder mit der Welt und ihren Bedingungen ausgesöhnt haben, dann wird vielleicht doch noch der Tag kommen, wo es mir erlaubt ist, Ihnen auch jenes höhere Amt zu bieten!«

Die Gräfin steht, mit der Hand auf den Tisch gestützt, und blickt zu Boden. Ihr Herz schlägt heftig – ihr Atem geht schnell und bang. – Nur ein Gedanke wirbelt ihr im Kopf: »Das alles hättest du haben können und hast es dir verscherzt für ewig!« Die Empfindung ihres verpfuschten Schicksals überkommt sie mit ihrer ganzen Macht. Welch ein Kontrast, zwischen dem Prinzen, – dem vollendeten Kulturmenschen, der allen Anforderungen ihres Standes und Wesens Rechnung trägt, und dem kleinlich beschränkten Naturmenschen, ihrem Gatten, der ihr aus allem einen Vorwurf macht, was der routinierte Weltmann selbstverständlich findet! Freyer quält sie und erniedrigt sie vor sich selbst, während der Prinz sie auf Händen trägt, – Freyer verlangt alles von ihr, was ihr zuwider, – wie die personifizierte christliche Askese, – während jener nichts will, als sie schön, glücklich und gefeiert sehen, und es ihr zur Pflicht macht, das Leben zu genießen, wie es ihrer Erziehung und Neigung entspricht! Aufjubelnd möchte sie sich dem Retter in die Arme werfen und sagen: »Nimm mich hin und trage mich wieder empor auf die Woge des Lebens, ehe ich jenem düsteren Gott verfallen muß, dessen Macht sich vom Blut der gemordeten Freuden seiner Bekenner nährt!«

Da ist es ihr, als ob jemand anderer im Zimmer sei und sie hartnäckig fixiere. Sie blickt auf, – der Christus am Kreuz in der gotischen Nische hat die Augen starr auf sie gerichtet. »Siehst du mich schon wieder an?« fragt es schaudernd in ihr. »Kannst du nie sterben?«

Und so ist es auch, er konnte nicht sterben am Kreuz, und er kann nicht sterben in ihrem Herzen. – Wenn es auch nur ein Moment war, seit er im Passionsspiel dem leiblichen Auge erschienen, – wer diesen Moment erlebt, – dem lebt er ewig! –

Und wie gelähmt läßt sie die schon erhobenen Arme sinken und stammelt in abgebrochenen Sätzen: »Kein solches Wort mehr, Prinz, – um Gottes Barmherzigkeit willen – führen Sie mich nicht in Versuchung. – Bannen Sie jeden Gedanken an mich, – Sie wissen nicht – o, ich war Ihrer nie würdig, habe nie Ihren vollen Wert erkannt, – und jetzt, wo ich es tue, – jetzt ist es zu spät!« – Sie kann nicht weiterreden, Tränen zittern an ihren Wimpern. Furchtsam blickt sie wieder nach dem gemalten Christus hin, – jetzt hat er die Augen geschlossen, sein Ausdruck ist ein friedlicher.

Der Prinz betrachtet sie ernst, aber ruhig: »Hm! Da ist irgend ein falscher Standpunkt, der beseitigt werden muß. Das wird etwas kosten, ich seh's schon! Beruhigen Sie sich, – Sie haben nichts mehr von mir zu fürchten – ich bin mit der Tür ins Haus gefallen, – es war der Moment noch nicht, das hätte ich denken können. Erinnern Sie sich noch an unser Gespräch vor neun Jahren, auf der Pilgerfahrt zum Passionsspiel? Damals war es ein Phantom, was zwischen uns stand. Es hat indessen greifbare Gestalt angenommen, – nicht wahr? Ich sah es kommen und vermochte es leider nicht abzuwenden. Aber bedenken Sie wohl – es ist und bleibt doch immer – – ein Phantom! Solcher Spuk kann nur excentrischen, phantasievollen Frauen, wie Sie, verhängnisvoll werden, die neben dem phantastischen auch noch einen stark idealistischen Zug in sich tragen, der allem, was sie fühlen, eine ethische Bedeutung aufbringt! Für eine Natur wie Sie nehmen Dinge, die an und für sich nichts sind als romantische Episoden, gleich den Charakter sittlicher Konflikte an, in denen Sie sich stets als die Schuldige empfinden, weil Sie jedenfalls die Ueberlegene waren und Beziehungen, die es nicht verdienten, zu ernst genommen haben.«

»Ja, ja! Das ist es! Prinz – Sie verstehen mich, wie kein Mensch!« ruft die Gräfin bewundernd aus.

»Ja! Und weil ich Sie verstehe wie kein anderer, liebe ich Sie wie kein anderer, – das ist die unvermeidliche Folge. Deshalb wäre es schade, wenn ich jenem Phantom doch noch weichen müßte, – denn nie waren zwei Menschen so für einander geartet, wie wir beide!« – Er schweigt, sie hat die letzten Worte nicht gehört. In ihrer wunderbar rasch wechselnden, auf jeden Eindruck reagierenden Stimmung ist durch das Wort »Phantom« und die Erinnerungen, die es wach rief, eine Aenderung eingetreten. – Auch der klügste Mann ist nicht im stande, eine Frau zu berechnen. – Das Phantom steht wieder zwischen ihnen – er selbst hat es heraufbeschworen.

Wie mit einem Zauberschlag taucht der Kofel mit seinem leuchtenden Kreuz vor ihr auf und gegenüber, ihr zur Rechten, schleichen sich zitternde Sonnenstrahlen die Felswand hinan, bis sie wie leuchtende Zeiger auf einem Gesicht stehen bleiben, wie sie noch keines sah, – die Augen tief dunkel und doch glanzvoll wie die Nacht, da der Stern die Könige zum Kind in der Krippe führte! Da steht er wieder, der lang Geahnte, lang Ersehnte – das Haupt umrankt vom blutigschimmernden Dorngezweig – majestätisch, ruhig, ins Tal hinabblickend. Und ihr entzückter Blick sagt ihm: »Auf der ganzen Welt hab' ich nur dich gesucht.« Und der feine antwortet: »Und ich nur dich!« – Und das soll Lüge sein – das soll vergehen? Es ist, als habe der Himmel seine Spalten aufgetan und sie hineinschauen lassen in seine Herrlichkeit, und das alles soll Täuschung sein? Weiter zieht das Wandelbild der Erinnerung, an ihr vorüber – und führt sie in Ammergau an den Wohnungen der Hohenpriester und Apostel vorbei bis zu der mondbeschienenen Gasse, wo das ehrfürchtig lauschende Ohr die Worte vernahm: »Hier geht's zum Christus!« Und sie stehen blieb mit stockendem Atem, zitternd vor Gotteserwartung! – – –

Und der folgende Tag – der große Tag, der des mächtigen Ahnens Erfüllung brachte, wo sie das Antlitz schaute, »aus dem der längst ersehnte Gott ihr Gewährung lächelte!« – Der Gott, den zu suchen, zu bekennen, sie gekommen war! – Wie? und diesen Gott, in dessen Wundenmale sie die Finger gelegt, – kann sie verleugnen – aufgeben?

Und wieder steht sie in scheuer Ehrfurcht, im Herzen lodernde Glut und vor ihr schwebt die blutende durchbohrte Hand, – Himmel und Erde dreht sich um die Frage, ob sie es wagen darf, ihre Lippen auf das Stigma zu drücken! – Und sie wagt es, fast ersterbend im Uebermaß der Gefühle, – und siehe, im Kuß spürt die zitternde Lippe den Pulsschlag des erwachenden, warmen Lebens in der Hand des strengen »Gottes«, und hochauf jubelt es in ihr: »Du gehörst mir! Ich stehle dich der ganzen Menschheit!«

Und nun, kaum neun Jahre – und der Jubel soll verklungen, der Gott verschwunden, – der Glaube tot sein? Welch ein elendes, wandelbares Wesen ist der Mensch! –

»Es ist serviert, und Baron St. Génois wünschen die Aufwartung zu machen, – soll ich noch ein Couvert auflegen?«

Die Gräfin fährt auf aus ihrem Brüten – hat sie stehend geschlafen? Wo war sie?

Der Kammerdiener muß die Meldung und die Frage wiederholen, damit sie ihr verständlich wird. Jetzt ein Besuch? Lieber sterben – und doch, Baron St. Génois ist Hausfreund, – er kann zu Tisch kommen, wann er will – er ist nicht abzuweisen. –

Sie nickt dem Diener bejahend zu. Zerstoben und verflogen sind die Gefühle, matt sinkt der gehobene Herzschlag zum gewohnten Gang herab, – bleiche Hoffnungslosigkeit flüstert der Gräfin zu: »Gib dich auf – du bist nicht mehr zu retten!« –

Wenige Minuten später feiert die kleine Gesellschaft im hellerleuchteten Speisesaal mit schäumendem Sekt » l'évènement du jour«, die Ernennung der neuen Obersthofmeisterin.


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