Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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Hilde durfte ihres Gastaufenthaltes in der Villa des Fabrikanten Glür froh werden. Jeden Vormittag malte sie ein, zwei Stunden an dem Bild des Nesthäkchens, eines hübschen kleinen Mädchens, das auf dem Schoß seiner Mutter ruhte, und verstand sich mit beiden, Mutter und Kind, sehr gut. Im übrigen verfügte sie völlig frei über ihre Zeit, über ihr Tun und Lassen. Jede häßliche Erinnerung an Kuno oder die Mutter Glür blieb ihr erspart, ja, der Fabrikherr wollte sie vor der Heimat mehr zur Geltung bringen, als ihr gesunder, bescheidener Sinn verantworten konnte.

»Aber heute fahren Sie doch mal mit unseren Apfelschimmeln aus?« – So oft Ulrich Glür die Einladung wiederholte, lehnte sie standhaft ab. Die Heimat sollte kein Recht haben, sie als ein hochmütiges Menschenkind anzusehen, dem das Glück in den Kopf gefahren ist.

Doch ging es ihr wirklich gut, und ein Telegramm von Jakob Steiger verkündete: »Porträt der Kinder Herdhüßer für Glaspalast angenommen. Vorteilhafte Wand dafür bewilligt.« In träumerischer Freude wandte sie den Schritt fast unbewußt hinauf zum Friedhof. »Vater!« – Dort auf der Bank unter Flieder und Holunder übersann sie friedereich noch einmal ihr heißes Werben um die Kunst, ihr Tasten und Suchen, ihr Zagen und Hoffen. Nun war sie doch nicht unter denjenigen, die, das heilige Feuer in der Brust, im Mißerfolg verbluten, nun gehörte sie zu denen, die Gott zu danken haben für einen endlichen Sieg, für einen Sieg in der Jugend!

Freilich wäre ihre Freude noch reiner gewesen, wenn –

Nein, nicht an Dombaly denken – nur daran, daß kein Frechling je an dieses blühende Grab treten und sprechen durfte: »Der Narr, der seine Tochter für eine Künstlerin hielt!« – Ein Bild in der Ausstellung! Das war, an den höchsten Forderungen der Kunst gemessen, wohl nicht viel; aber ein großer, einst für das Kind schier unermeßlicher Traum hatte sich ihr darin erfüllt – der lichte Traum des sterbenden Vaters.

Fromme Andacht überwallte sie. Nun aber hin zu Lehrer Hardmeyer und zu Adolf, die redlich ihre Sorge um die Kunst während der langen, bangen Münchner Zeit mit ihr geteilt hatten – und dann einen Brief an Siegfried und einen an Doktor Herdhüßer und ein innig dankendes Wort an Jakob Steiger.

Der alte Lehrer setzte die Hornbrille auf die schmale, knochige Nase, las die Depesche Steigers und legte die faltigen Hände ineinander. »Wir hatten viel Kummer zusammen«, sagte er, »du, ich und Adolf! Aber nun will ich Gott loben und preisen, daß er mich nicht hat sterben lassen, ehe ich dieses erlebt habe!« Er stand auf, tappte sich mit zitternden Füßen die Kellertreppe hinunter und brachte eine bestaubte Flasche auf den Tisch. »Ich habe nur noch ihrer vier«, erklärte er, »und die waren für einen fröhlichen Leichenschmaus bestimmt, wenn ich scheide, aber jetzt trinken wir eine und gedenken deines Vaters!« Er setzte sich ans Harmonium, spielte einen Choral, und als er Adolf zum Abendbrot ins Haus treten hörte, langte er die Gläser aus dem Schrank und füllte sie.

Der frische, hübsche Bursch mit dem sprossenden Schnurrbart lachte zu dem Telegramm: »Oho, das ist nun freilich ein anderer Bericht als damals, da der Lehrer und ich oft zusammen sagten: Wenn nur niemand nach Hilde fragt! Doch weißt, im Dorf hat sich das Blatt jetzt auch gewandt. Wenn du hörtest, wie die von St. Agathen über dich urteilen!« Seine Augen hingen leuchtend an Hilde.

»Zu mir sprechen sie vom Frühling«, scherzte sie, »oder von denen, die während meiner Abwesenheit Hochzeit gehalten haben oder gestorben sind, oder sie fragen, ob es mir wieder gefalle im Dorf – nur nicht nach meiner künstlerischen Tätigkeit.«

»Laß sie!« lächelte der Lehrer. »So ist unser Volk. Es trägt die Anerkennung nicht auf der Zunge.«

»Am besten gefällt ihnen, daß du dein Heimatdeutsch in München nicht verlernt hast«, erzählte Adolf.

»Sie sagen, du seiest noch das Dorfkind von ehemals, das man nur so lange für stolz halte, bis man mit dir ins Gespräch gelange. In dein Gesicht sei aber während der Münchner Jahre etwas Feines, Ernstes und Hohes gekommen, daß man sich doch nicht recht an dich herantraue.«

Ein Lächeln glitt über den Mund Hildes. Die stille, keusche Anerkennung der Heimat, daß sie seelisch gereift und künstlerisch geprägt aus München auf den Boden ihrer Jugend zurückgekehrt sei, breitete einen sonnigen Glanz über ihre Seele.

»Eine Freundin aber, die mir volles Vertrauen schenkt, habe ich mir in St. Agathen doch gewonnen«, wandte sie sich zu Adolf.

Er wurde rot und verlegen.

»Ja, die Hermine, deinen heimlichen Schatz! Ich habe sie schon als ganz junges Nachbarkind wohl mögen, aber nie geahnt, daß hinter den sonnigen, blauen Augen so viel Wärme des Gemütes, so viel ernstes Denken, ein so empfänglicher Sinn für alles Schöne im Leben liegt. Adolf! Deinetwegen kann ich Siegfried ruhig in die Ferne folgen.»

Sie streckte ihm die Hand hin, und die Augen der Geschwister glänzten voll innigen Einverständnisses ineinander.

Da erschien halb schüchtern, halb fröhlich der Kopf und die Gestalt eines blühenden Mädchens unter der Tür – Hermine! »Darf ich euch zu einem Spaziergang abholen?« fragte sie. »Die Berge leuchten in den Frühlingsabend. Kommt, kommt!«


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