Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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35

Die Porträts der Herdhüßerschen Kinder gestalteten sich. Nach einem schweren Anfang hatte sich Hilde mit ihrer künstlerischen Schwungkraft so stark in die schöne Aufgabe eingelebt, daß die Erinnerung an das böse Ende ihrer Schülerschaft bei Dombaly für Stunden und Tage wirklich in den Hintergrund trat und seine nagende Schärfe verlor. Ja, eine große Heilkraft lag in der gedeihlich vorschreitenden Arbeit, im Umgang mit der frischen, freudigen Jugend, in der gesunden Luft der Herdhüßerschen Familie, in Siegfrieds Liebe.

Die Augen des Doktors ruhten mit warmer Freude auf den entstehenden Bildnissen. »Dombaly war Ihnen doch ein vorzüglicher Lehrer«, versetzte er. »Ihre Fortschritte von dem Bild der rothaarigen Kleinen bis zu Giovanni, dem Italienerjungen, und von Giovanni zu den beiden Porträts sind außerordentlich. Sie vereinigen in Ihrer Kunst zwei Gegensätze: Anmut und Kraft, und haben Dombaly manches von seinen technischen Geheimnissen abgelauscht.«

Hilde wagte die Frage: »Wissen Sie, wie es ihm geht?«

»Ich weiß sehr wenig von ihm«, erwiderte Herdhüßer. »Nur, daß er und die Indierin wie aus München verschwunden sind und auf keinem Ball oder Fest mehr erscheinen. Die Händler glauben, er male nun eifrig an ihrem Bild, und hoffen, es werde ein Dombaly erster Güte werden und einen Erfolg davontragen, der seiner Kunst einen neuen Aufschwung gebe. In dieser Erwartung stunden sie ihm wieder, wenn auch unter heimlichen Schmerzen.«

Die Mitteilung beruhigte Hilde.

»Auf das Kostümfest der Kunststudierenden, die Bauernkirchweih, gehen Sie doch?« fragte Herdhüßer. »Die Steiger brennen ja, Sie bei dem prächtigen Anlaß in ihre Bekanntschaft einzuführen. Geben Sie ihnen die Ehre! – Ja?«

»Ich kann nicht«, stieß Hilde hervor.

»Was für ein Eigensinn, Kind!« versetzte der Doktor. »Über drei Jahre leben Sie nun in München der Kunst und haben nie einem der berühmten Künstlerfeste beigewohnt. Eine Unterlassungssünde. Wahrscheinlich ist es der letzte Winter, den Sie hier verbringen, im nächsten sind Sie vielleicht schon glückliche Frau Doktor Kulbach in Berlin. Dort wird die Gesellschaft, so oft sie auf Ihren Münchner Aufenthalt zu sprechen kommt, nach Ihrer Teilnahme an den berühmten Künstlerbällen fragen, und es wird Ihnen stets leid sein, wenn Sie aus eigener Anschauung nichts davon zu erzählen wissen. Um Ihrer selbst willen – geben Sie heute abend den Steiger eine zustimmende Antwort!«

Aber Hilde schüttelte den Kopf. »Siegfried mag die Bälle und Feste nicht. Und vielleicht Dombaly zu begegnen – das wäre für mich doch unendlich peinvoll!« Als aber am Abend die Steiger kamen, drang die Künstlerfrau mit einem Sturm liebenswürdiger Bitten in sie. »Nun haben wir mit aller Mühe noch glücklich eine Karte für Sie ergattert. Unter den schönen echten Frauentrachten, die ich für die Kirchweih eigens aus der Schweiz habe kommen lassen, liegen bei mir daheim die kostbarsten zur Wahl für Sie bereit. Als eine Erscheinung, die unsere Schweizer Trachtengruppe besonders herausheben wird, sind Sie von unseren Landsleuten mit Spannung erwartet. Sie brächten mich ernstlich in eine Klemme, Fräulein Rebstein, wenn Sie bei der Absage blieben; im Eifer habe ich unter unseren Bekannten etwas zuviel von Ihnen geplaudert!«

»Dombaly kommt nicht«, fügte Jakob Steiger hinzu. »Auf eine besondere Einladung des Vorstandes hat er mit einer kurzen Ablehnung geantwortet. Er war heute abend um sieben Uhr beim Schluß des Kartenverkaufes nicht unter den eingeschriebenen Teilnehmern. Das wird Ihnen genügen.«

Noch bewahrte Hilde ihre Zurückhaltung – vielleicht daß Siegfried ihr half, sich aus der Verlegenheit zu winden, in die sie durch Herdhüßer und Frau Steiger geraten war.

Da kam er, wurde von allen Seiten um sein entscheidendes Wort bestürmt und half den Werbenden: »Aber gewiß, Hilde, sollst du an dem schönen, echt künstlerischen Fest teilnehmen! Wohl hast du mich ja hie und da den Münchner Fasching verurteilen hören, aber nur sein Übermaß. Warum sollst du nicht wie andere einen fröhlichen Tag im Jahr haben? Und bei Herrn und Frau Steiger stehst du unter gutem Schutz.« »Überstimmt, überstimmt!« lachte die fröhliche Malersgattin aus voller Kehle. Ein aufmunternder Blick Herdhüßers – und bloß im Gefühl, daß ihr eine fernere Weigerung wie Starrköpfigkeit ausgelegt würde, sagte Hilde verwirrt: »Gut denn, ich komme!«

Es war nichts Helles oder Freudiges an ihrem Entschluß, aber die temperamentvolle Frau Steiger schloß sie aufjubelnd in ihre Arme, und über ihrer Zusage verbreitete sich die froheste Laune unter der Familie Herdhüßer und ihren Gästen. Als wollte er ihr auch seinerseits den Dank bezeigen, brachte Jakob Steiger das Gespräch auf die Porträts der Kinder Hermann und Gertrud und bereitete dem Talent Hildes ein so warmes Lob, daß seine Frau scherzend bemerkte: »Mein Jakob ist ja verliebt in Sie, Fräulein Rebstein. Spüren Sie es nicht auch?«

»Nein«, wehrte sich der Maler, »ich meine nur, daß die beiden Bilder, wenn sie so gut zu Ende geführt werden, wie sie begonnen sind, im Mai unbedingt in die Ausstellung der Künstlervereinigung gelangen sollten. Bilder wollen doch gesehen werden!«

»Selbstverständlich stehen auch von mir aus die Gemälde zur Verfügung«, sagte Doktor Herdhüßer. »Zu Ihrem künstlerischen Fortkommen, Hilde, wird ja die Ausstellung gewiß dienen.«

»Und eine Stimme in der diesjährigen Jury, die über Annahme und Ablehnung der Bilder entscheidet, haben Sie ja bereits«, versetzte Frau Steiger, »diejenige meines Mannes. Die anderen werden sich finden.«

Unwillkürlich glitt der fragende Blick Hildes zu Siegfried hinüber. »Auch ich würde mich freuen, wenn ich meine Verlobte den Meinen als eine junge Künstlerin vorstellen dürfte, die sich bereits die Anerkennung der Öffentlichkeit erworben hat«, erwiderte er. »Die Kunst besitzt ja eine Sprache, die überall zu Herzen dringt; ihre werbende Kraft ist in unseren stillen heimatlichen Landschaften noch größer als in den Städten, in denen die Menschen manchmal von Künstlernamen und Bildern übersättigt sind!«

Die warm vorgebrachten Worte überraschten und erfreuten Hilde. Siegfried besaß doch eine herzliche Sympathie für ihre künstlerische Tätigkeit. Und das tat ihr um so wohler, als sie seit der Unglücksstunde, die sie von Dombaly getrennt hatte, eine verborgen in ihr aufquellende Abneigung gegen die einst heißgeliebte Kunst nie ganz zu besiegen vermochte. Diesem Gefühl heimlichen Überdrusses durfte sie nicht nachgeben, sie mußte ihrem unter so viel Schmerzen erkämpften Beruf innig zugetan bleiben. Die Anregung Steigers, ihre Bilder auszustellen, weckte aber ihre großen Bedenken. Was würde Dombaly von ihr halten, wenn sie jetzt durch Steiger den Weg in die Ausstellung nähme? Nein, diese herzlose Kränkung durfte sie ihrem ehemaligen Lehrer nicht zufügen. Da hätte er ein Recht, sie treulos zu schelten.

Sie gab Steiger eine ausweichende Antwort. Gott, die Beteiligung an der Bauernkirchweih lag ihr schon so schwer. Übermorgen war ja der prächtige Ball – wenige Tage, und der toll aufschäumende Fasching Münchens war zu Ende – dem Himmel sei gedankt, endlich zu Ende! Der Alltag trat wieder in sein Recht – und der Lenz kam, der Lenz! – Manchmal, wenn sie sich mit Siegfried eine Abendstunde an den Borden der Isar erging, da strich es schon wie heimlicher Vorfrühling durch die Bäume, und die Weiden trieben schon ihre silbergrauen Kätzchen. Dann plauderte sie mit ihm selig von dem kommenden gemeinsamen Osterbesuch in St. Agathen, der Heimat! Für sie gab es keinen freudigeren Gedanken als diesen. Oft überwallte die Sehnsucht nach der Jugendscholle sie so mächtig, daß ihr war, sie könne Ostern nicht mehr erleben. –

Ostern in der Heimat! Oh, das galt ihr unendlich mehr als der festlichste Ball!


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