Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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27

Die Tage vergingen Hilde in strenger Arbeit. Keine ihrer Befürchtungen, die sie an den tollen Abend bei Dombaly geknüpft hatte, erwies sich als gerechtfertigt. Das gegenseitige Du zwar bestand. Am Ton der Unterhaltung im Atelier aber änderte es nichts, Dombaly blieb der ihr hochschätzungsvoll begegnende Lehrer, setzte sich mit dem warmen Eifer seines Naturells für ihren künstlerischen Fortschritt ein und bezeugte ihr durch seine strengen Korrekturen oft mehr als durch sein karges Lob, daß er ihr eine große Begabung zumaß.

»Flüchtiges Zeug, was!« hatte er sogar einmal getadelt. »Und du, Rebstein, willst im Frühling ausstellen? Nein, da muß meine Schülerin anders heran!«

In einer Arbeitsüberreizung, wie sie sich gegen die Vollendung eines Werkes einstellt, hatte sie das eine Ohr Giovannis zu rasch fertigbringen wollen. Da hatte sie die Zurechtweisung weg. – Schamrot und stumm zeichnete sie das Ohr ein paarmal sorgfältig auf ein Blatt, malte es wieder, und nun mochte Dombaly kommen.

Er nickte. »Aber mein Porträt von dir, Hilde, wächst sich auch gut heraus!« Sein leuchtender Blick flog über die eigene Arbeit. »Sieh her, du sprichst doch aus dem Bild! In den Augen, im Gesicht ist Schwung und Feuer. Das ist nicht das Weib nach der Art Mizzi Schäfers, das hübsch und nichtssagend überall in den Straßen herumläuft, es ist doch die künstlerisch beseelte, in schaffenden Gedanken vibrierende Edelnatur! Sieh mal den leise geöffneten Mund, die Partie um die Augen! Auch der Tropfen schweren Blutes, der nun einmal in dir ist, strömt geheimnisvoll durch das Antlitz und gibt ihm eine geistige Bedeutung und Schönheit, die wirken müssen. Jeder, der vor dem Bild steht und weiß, daß du Malerin bist, wird einen künstlerischen Wurf von dir erwarten.«

»Ich freue mich selber an dem Bild«, erwiderte Hilde. »Wenn nur die Menschen nicht zuviel von mir erwarten!«

»Du stehst mir ein paarmal in dem weißen Kleid, das du am Altjahrabend bei mir getragen hast«, sagte er. »Selbstverständlich behandle ich es nur andeutungsweise, es wird aber mit seinen duftigen und natürlichen Falten um Schulter und Büste für das Brustbild ein schönes Ganzes geben. Edel und vornehm! Und noch ein Gedanke! Ich setze dir den grünen Kranz ins Haar – ein festliches Menschenbild, die junge Priesterin, die mit geweihter Seele der Kunst dient:

– – – – – – krönen
Mit Laubgewind
Die Stirnen, die noch dem Schönen
Ergeben sind!

Du weißt, das Motiv quält mich längst. – Ich hab's an Mizzi Schäfer versucht – es ist mißlungen!« –

Hilde war erblaßt. »Niemals, Dombaly!« widersprach sie mit angstvoller Heftigkeit. »Nie – nie!« –

Er begriff die Erregte nicht. »Oh, dafür will ich schon sorgen, daß meine Priesterin nicht mit einer Dienerin des Dionysos verwechselt werden kann! Das Bild muß natürlich von höchster Weihe getragen sein.« Er sann.

»Laß den Plan«, zitterte die Stimme Hildes.

Jetzt spürte er ihren Ernst. »Nein, kränken möchte ich dich nicht«, versetzte er begütigend. »Ich verzichte. Nur muß ich dann das Motiv überhaupt fahren lassen. Seit ich es mit deiner Stirne verbunden habe, geht es mir mit keiner anderen Gestalt mehr zusammen, sowenig mit der Indierin wie mit Mizzi Schäfer. Du allein hast die beredten Züge dazu. – Aber sei beruhigt, ich verzichte. Dein Bild wird ja auch ohne das Gewinde Aufsehen erregen.«

Ein glückliches Lächeln schwebte ihm um den Mund.

Hildes Augen dankten ihm. Aus tiefem Schrecken erlöst atmete sie auf. »Mir scheint, Dombaly, daß deine Phantasie oft viel zu üppig spielt«, sagte sie nachdrücklich, »ich bin sicher, daß das Bild ohne den Kranz viel besser wirken wird. – Beiläufig eine Frage. Du sprachst von Mizzi Schäfer. Hast du das Gesicht geändert?«

Die Züge Dombalys verdüsterten sich. »An das Bild mag ich gar nicht denken«, zürnte er. »Nur an das deine und das Sakuntalas! In acht Tagen muß ich die Indierin herankriegen. Ich hoffe, das wird ein Gemälde, wie man es seit Jahren auf einer deutschen Ausstellung nicht gesehen hat; ein Bild, vor dem die Menschen in Schönheitsandacht niederknien, vor dem sie aber zugleich entsetzt beten möchten: ›Erlöse uns von dem Bösen!‹ – und lernen, wie Entzücken und Grauen in einem Zug auf die Seele gehen!«

»Ich werde mehr das Grauen spüren«, erwiderte Hilde, »überhaupt über die Zeit, da du sie malst, will ich mich vom Atelier fernhalten. Unmöglich, daß ich in Gegenwart der Indierin arbeite! Sobald ich sie sehe, ist mir, es würde mir Gift angeworfen – warum, weiß ich nicht.« – Sie schüttelte sich unwillkürlich. –

Dombaly war von ihrem Bekenntnis keineswegs überrascht. »Nein, du und Sakuntala gehen nicht zusammen«, sagte er ruhig. »Du bist der lichte Tag, sie ist die dunkle Nacht, und sie ist eifersüchtig auf dich, wie es nur eine Orientalin sein kann. Aber aus dem Atelier laß ich dich doch nicht gern. Ich habe mich an deine Arbeitsnähe so gewöhnt, daß mir wäre, ein guter Geist sei ausgezogen – nein, das darfst du mir nicht antun, Rebstein –, ich werde für die Wochen, da ich Sakuntala male, einen besonderen Eingang für dich bauen lassen. – Überhaupt, wenn wir im Frühling zusammen ausstellen wollen, können wir uns doch jetzt nicht trennen!«

Hilde schwieg verlegen.

»Meinen Giovanni hältst du noch für unreif?« lenkte sie das Gespräch ab.

»Ja, wenigstens nach meinen Ansprüchen nicht für ausstellungsreif; doch verkenne ich deine großen Fortschritte nicht; das Handgelenk ist dir freier geworden, muß aber in ein paar Bildern noch freier werden. Dann – na, wo willst du denn hin mit dem Bild?«

»Herdhüßer hat mich aufgefordert, ihm alles, was ich schaffe, vorzuweisen«, erwiderte Hilde beklommen. Sie wußte, daß es für Dombaly jedesmal ein Schmerz war, wenn er den Namen des Kunstfreundes hörte, der seine Hoffnungen aus triftigem Grund enttäuscht hatte.

»Mein Glückwunsch zu dem guten Käufer!« lächelte er indessen sorglos. »Es gibt Leute, die glauben, Dombalys beste Zeit sei schon vorbei, und die mich schon zu den Toten schaufeln möchten. Dein Bild und das der Indierin aber, und man wird erst von Dombaly zu sprechen beginnen!«

Das gebe Gott, dachte Hilde. Alles Gute, alles Große wünschte sie Dombaly, die glänzendsten Erfolge. Sie wurde aber die Befürchtung nicht los, daß die Indierin, das längst ersehnte Modell, eine schwere Gefahr für ihn sei, und spürte es wohl: er war vollkommen im Bann des fremden Weibes, im Doppelbann der Sinnlichkeit und des künstlerischen Reizes.

Armer Dombaly! – Es war neben dem allen Wallungen des Blutes nachgebenden Leichtsinn so viel Edles und Tüchtiges an ihm. – Wenn sie ihn hätte retten können! – durch ihre eigene, aufopfernde Liebe! – Aber die gehörte Siegfried Kulbach.


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