Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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32

Schüchtern und verlegen kam die Mizzi. Sie sah sehr gut aus, hatte sich reizend angezogen und trat gewinnend auf. Das Gesicht mit der feinblühenden Hautfarbe, den warmen Augen und den anmutigen, wenn auch nicht bedeutenden Zügen, war etwas magerer, als es Hilde in der Erinnerung hatte, doch eher noch anziehender.

Zurückhaltend bot Hilde der Besucherin den Stuhl und fragte kühl: »Was verschafft mir die Ehre?«

»Ich habe mir gestattet, Ihre Wohnung zu erfragen – ich bin so furchtbar unruhig und unglücklich wegen des Bildes, das Dombaly von mir gemalt hat. Sie wissen, das nackte Bild! Keine Ruhe habe ich wegen des Gemäldes Tag und Nacht.« Ihre Rede kam in Fluß. Mit naiver Offenheit erzählte sie Hilde eine lange Geschichte, wie sie, die Tochter eines kleinen, kinderreichen Beamten, als Verkäuferin in einem eleganten Handschuhgeschäft sich erst durch Leihbibliothekromane, dann durch Dombaly den Kopf habe verdrehen lassen. – Dombaly, ja der wisse, wie man rechtschaffene Mädchen zum Narren halte, daß sie selbst das Tollste glauben und hoffen. Auf einem Balkon im Hoftheater, wo die feinen Leute sitzen, habe sie mit ihm mancher Vorstellung beiwohnen dürfen, oft mit ihm in den ersten Hotels zur Nacht gespeist, und wenn er es auch nie ausdrücklich gesagt habe, nichts anderes habe sie denken können, als er würde sie heiraten. Infolge der Liebschaft sei sie dann ihrer guten Stelle im Geschäft verlustig gegangen; das habe sie wohl der Mutter bekannt, aber nicht dem Vater, der auch jetzt noch nichts von Dombaly wisse. In blinder Liebe und voll Vertrauen auf seine Güte habe sie dann dem Künstler alles zugestanden, was er von ihr wünschte, selbst zu dem Aktbild sich bereitfinden lassen! Mizzi hatte eine lebendige Art zu erzählen, pathetisch, drollig und traurig. Nachdem aber Hilde eine Weile mit wachsender Teilnahme zugehört hatte, fragte sie doch: »Wozu soll ich um Ihre Geschichte wissen?«

Mizzi Schäfer stutzte ein wenig. »Ja, weil es Ihnen wohl gradso gegangen ist wie mir – weil er wohl Sie gradso ins Unglück gestürzt hat wie mich«, stotterte sie. »Geliebt – gemalt – von sich gestoßen! Wie er sich von mir zu Ihnen gewandt hat, so ist jetzt eine Indierin seine Geliebte, und um Sie und wie es Ihnen zumut ist, kümmert er sich wohl sowenig mehr wie um mich!«

Hilde sah Mizzi groß an. »Fräulein Schäfer«, versetzte sie kühl und stolz, »allerdings bin ich nach jener zufälligen Begegnung auf der Menterschwaige die Schülerin Dombalys geworden und besuche noch jetzt sein Atelier, aber unser Privatleben berührt sich nicht. Ich habe nie eine Liebschaft mit Dombaly gehabt, werde nie eine haben, und Sie müssen einsehen, daß Sie in einem Grundirrtum über meine Stellung zu Dombaly hierhergekommen sind.«

Die Würde und der Ernst Hildes machten auf Mizzi sichtlich Eindruck, sie schaute verwundert, im nächsten Augenblick aber ungläubig. »Ja, es will's halt keine am Wort haben«, stammelte sie beklommen.

»Ich muß schon bitten«, fuhr Hilde mit blitzenden Augen auf und erhob sich.

»Nein, beleidigen habe ich Sie nicht wollen«, bat Mizzi fast kläglich. »Ich glaub's ja; aber wenn es halt anders ist, als ich glaubte, da hilft mir auch mein Besuch bei Ihnen nichts! Und das Beten, Beichten und Büßen hilft nichts – und der Advokat hilft mir nichts –, und immer quält's mich. Und wenn mich dann mein Postsekretär so lieb ansieht, da quält's mich am meisten –« Mizzis Augen füllten sich mit Tränen.

Hilde ließ sich von dem Herzensjammer ergreifen, es war doch ein Rest von Echtem und Rechtschaffenem an dem Mädchen.

»Ich verstehe nicht ganz«, sagte sie. »Der Advokat? – der Postsekretär?«

»Ja, der Postsekretär«, erklärte Mizzi, »das ist mein jetziger Schatz, mein Bräutigam, den ich liebhabe und der es ernst meint und der mich zu Ostern heiraten will und den auch mein Vater so wohl mag. Kommt nun aber das Bild zur Ausstellung, auf dem ich so nackt daliege wie die Eva im Paradies, na, da kann ich was erleben! Dombaly hat mir zwar versprochen, er wollt' das Gesicht ändern, daß mich niemand mehr kenne, aber das hat er wohl nur gesagt, um mich loszuwerden. Geschehen ist's nicht, fürcht' ich. Und das Bild kommt mit meinem Gesicht auf die Ausstellung, ob in München oder Berlin – Dombaly sprach immer von Berlin –, das ist eins! Die Kunsthändler stellen die Photographien in die Schaufenster, und es werden Postkarten von dem Bild gemacht, viele, viele tausend, und jeder Laffe von München kauft sie und schickt sie mit einem schlechten Witz den anderen zu: ›Sieh doch mal die Mizzi Schäfer!‹ Ja, malen Sie sich das aus, Fräulein. Wo ich gehe und stehe, das Spießrutenlaufen, die Späße: ›Haben S' nicht gefroren bei Dombaly in dem leichten Gewand?‹ – Und was mein Postsekretär an Anzüglichkeiten bekommt, und seine Beamtenehre? Und die meines Vaters? – Der schlägt mich tot, wenn ich mich nicht vorher selber ertränk'. – Ein Elend ist's, ein Elend, Fräulein!«

Trostlos faltete Mizzi die Hände.

Ja, ein Elend war's für das junge Mädchen, eine schreckliche Strafe für die leichtsinnige Liebschaft. Das fühlte auch Hilde in wallendem Mitleid für Mizzi. Was nun ihr antworten? Ihr verraten, daß Dombaly sich nie wieder um den Akt gekümmert habe, das Bild unberührt und unverändert im Atelier stehe wie einst? –

Da hob aber Mizzi von selbst wieder die tränenerfüllten blauen Augen. »Und siedend, wie's mir im Kopf je länger desto mehr ist, hab' ich mich an einen Advokaten gewandt, nicht an einen berühmten, sondern an den sich nur die Mädels wenden, die mit einem Mann in der Klemme sind. Heimlich muß er's tun, weil mein Vater nichts davon wissen darf. Und schnell, weil Dombaly aus dem letzten Loch pfeift und nichts mehr zu machen ist, wenn die Händler einmal die Hände über das Bild geschlagen haben. In eine kleine Zeitung, die für derlei eingerichtet ist, will nun der Advokat eine Anspielung setzen, wie Dombaly seine Modelle durch falsche Vorspiegelungen einfängt – zuerst, daß nur Dombaly selber es merkt und versteht –, dann mit ihm sprechen, dann noch deutlicher werden, bis er lieber das Bild hinmacht, als daß sein Name ganz offen in den Blättern steht. Und wenn zwei wären, Sie und ich, ging's noch leichter, sagt der Advokat, und die Kosten würden sich teilen.«

Hilde drängte ihre Empörung zurück. Sie war während der unklaren Auseinandersetzung Mizzi Schäfers unruhig geworden, die Zeit rückte heran, um die Siegfried nach ihr zu sehen kam.

»Ich erwarte einen anderen Besuch«, wandte sie sich an Mizzi. »Sie entschuldigen, Fräulein Schäfer! Wenn Sie gestatten, spreche ich in Ihrer Angelegenheit und zu Ihren Gunsten einmal mit Dombaly. Ich halte es für selbstverständlich, daß er das Wort, das er Ihnen gegeben hat, einlöst. Eine Erinnerung daran – und als Mann von Ehre will er selber nicht anders. Aber lassen Sie den Winkelschreiber. Ich melde Ihnen in ein paar Tagen, wie es um das Bild steht.«

Mizzi, die ein unendliches Vertrauen zu Hilde gefaßt zu haben schien, dankte ihr mit einem hoffenden Glanz in den Augen, ja Hilde war es, als ob es für die Bedauernswerte schon eine Wohltat gewesen sei, daß sie dem Kummer ihres Herzens überhaupt hatte Luft machen können.

Mizzi war gegangen. Akt – Akt, dachte Hilde. Der höchste Ehrgeiz jedes Künstlers ist ein schönes Aktgemälde, die Darbietung der gesamten Schönheit des menschlichen Körpers. Und die schönheitssinnige Menschheit kennt nichts Herrlicheres in der Kunst als den durch seine eigene Weihe und die Seelenkraft des Künstlers über das Sinnliche erhabenen Akt. Das Weib aber, das wie Mizzi Schäfer, betört durch die Liebeskünste eines Malers und selbst von flammender Liebe beseelt, der Kunst das Schönheitsgeheimnis seines Leibes opfert – das wird verachtet wie eine Verbrecherin, gehaßt von ihren Geschlechtsgenossinnen, in den Kot gestoßen vom männlichen Witz – ist eine Aussätzige der Gesellschaft ihr Leben lang. – Ja, da hatte Mizzi Schäfer schon recht!– –

Neben dem weiblichen Schwesterngefühl, neben dem Mitleid des hochsinnigen liebenden Weibes erwachte aber in Hilde auch die Erkenntnis: Dombaly hat in seiner Mannesüberlegenheit doch unedel an Mizzi Schäfer gehandelt. Einem geschickten, dabei gewissenlosen Journalisten, wie dieser Winkeladvokat Mizzis zu sein schien, mußte es leicht fallen, den ehrgeizigen, auf seinen Namen eitlen Künstler durch die Geschichte der Mizzi Schäfer vor der Öffentlichkeit zu verkränken und zu verärgern. Vor diesem neuen drohenden Unheil sollten seine kranken Nerven verschont werden! Dombaly stand ja, wie vor seinem ökonomischen Zusammenbruch, so auch am Rand seiner geistigen Zerrüttung.

In dunkeln Ahnungen spürte es Hilde.


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