Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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37

In die Straßen Münchens war die große dreitägige Volksfastnacht herabgestiegen. Was kümmerte es Hilde! In den Wäldern am Starnberger See hatte sie auf einem Ausflug mit Siegfried den Frieden des Gemütes nach dem aufregenden Erlebnis der Künstlerkirchweih gesucht. Und nun war ihr der stille Aschermittwoch lieb, die Fastenzeit, welche die Nerven von den bunten Bildern und wirren Eindrücken überwallender Lustbarkeit, aufgestachelten Sinnenreizes, dumpfer Abspannung und inneren Jammers erlöste.

Sie malte eifrig an den Bildnissen der Herdhüßerschen Kinder. In Mitleid und Teilnahme schweiften ihre Sinne manchmal zu Dombaly. Seit dem häßlichen Auftritt auf der Künstlerkirchweih hatte sie nicht wieder von ihm gehört. – Wie's ihm wohl ging, was er trieb?

Sie mußte doch sehr oft und sehr tief an den Ärmsten denken.

Die Antwort auf ihre stumme Frage kam unvermutet. Herdhüßer trat mit einem Zeitungsblatt zu ihr. »Dombalys künstlerisches Ende«, sagte er. »Lesen Sie, Hilde! Und nachher gestatten Sie mir als Ihrem Freund ein offenes Wort!«

Wie ernsthaft er sprach! Sie las und ließ das Blatt sinken. So weit war es also mit Dombaly! – In einem der ersten Hotels der Stadt hatte er unter der Vorgabe, daß er nach Italien verreise und seinen Freunden eine Abschiedsfeier veranstalten wolle, ein Bankett zu hundert Gedecken und mit sehr viel Blumen bestellt. Der Wirt, der Dombaly von manchem luxuriösen Anlaß her kannte, über seine jetzigen Verhältnisse aber doch wohl nicht genau unterrichtet war, ging auf die Bestellung ein. Wie groß war aber sein Erstaunen, als der Künstler zu dem auf abends sechs Uhr angesagten Fest mit einer Folge von Wagen erschien, die von geringen Leuten in Werktagkleidern besetzt waren, Eckenstehern, Schusterjungen, Zeitungsverkäufern, Marktweibern, Wäschermädchen, allerlei müßigem Volk, das er auf der Straße gesammelt hatte, wie einst König Bertarit die Bettler von Verona. Die Leute dachten wohl nicht, daß sie wirklich an eine Tafel zu sitzen kämen, aber aus Gefallen an der Wagenfahrt, aus Jux und Gaudium waren sie der Einladung des Künstlers gefolgt. »Das sind meine Freunde«, erklärte er dem Wirt, »»es sind lauter ehrliche Menschen, die man nicht verachten darf.« Der Wirt fürchtete aber doch für die Ehre seines Hauses, zwischen ihm und Dombaly kam es zu Auseinandersetzungen, die zur Verhaftung des Künstlers führten, doch wurde er, nachdem sich die Menge der Geladenen unter mancherlei Ulk verlaufen hatte, wieder auf freien Fuß gesetzt.

Infolge der Verhaftung, die der schon krankhaft aufgeregte Künstler als eine furchtbare Schmach empfand, brach der Irrsinn vollends aus. In der ersten Morgenfrühe taumelte an der Ludwigstraße ein armer, vom Fasching übriggebliebener Narr daher, der sich in den Purpurmantel eines antiken Königs geschlagen halte, einen grünen Kranz auf dem Haupt und einen Stecken in den Händen trug. »So ziehen Sie doch den Hut«, belästigte er die Vorübergehenden, »sehen Sie nicht, daß ich ein König und ein Künstler bin?« Die Schutzmannschaft schritt ein – und man wird nun bald von einer Versorgung des wahnsinnig gewordenen Künstlers in einer Irrenanstalt hören und denkt, daß entweder die ihm befreundeten Kunsthändler oder die ihm von seiner Mutter gebliebene Verwandtschaft für ein seines Namens würdiges Unterkommen in einem Sanatorium für Geisteskranke sorgen werden.

Das war das traurige Ende Dombalys!

Hilde stand mit verkrampften Händen, die Tränen in den Augen, und starrte stumm vor sich hin.

»Und nun ein ernstes Wort, Kind!« versetzte der Doktor in tiefer Bewegung. »Um Ihrer selbst willen reißen Sie die Seele mit aller Spannkraft Ihrer Jugend aus dem Gedanken- und Gefühlskreis des Dombalyschen Schicksals! Sie retten den unglücklichen Künstler ja doch nicht, aber Sie erweisen allen denen, die Ihnen lieb sind, eine Wohltat: Siegfried, mir und meiner Familie, und am meisten sich selbst!«

In den Augen des Doktors sprühte die überredende Herzensgüte.

»Ich weiß, daß es meine Pflicht ist«, erwiderte Hilde aus schwerem Sinnen, die Augen voll in die seinen gerichtet.

»Ihre Bilder unserer Kinder gehen nun der Vollendung entgegen«, fuhr Herdhüßer fort, »und wir alle sind froh erstaunt, welche Reife darin Ihre Kunst erlangt hat. Ich bin jetzt wirklich der Meinung, daß Sie die Bilder in die Ausstellung geben müssen. Wenn Siegfried Sie einmal in seine Verwandtschaft und in seine Gesellschaft einführen wird, erleichtern Sie ihm den Weg, wenn Sie Ihren jungen Künstlernamen in die Waagschale des ersten Urteils werfen können. Diese Erwägung spricht doch! Und gönnen Sie Steiger die Ehre, daß er für Sie die einleitenden Schritte tut.«

Hilde überlegte. »Gut denn«, versetzte sie langsam, »ich gebe die Bilder in die Ausstellung. Steiger ist mir lieb, und ich gebe ihm den Vertrauensbeweis sehr gern!«

Der Doktor lächelte ihr mit inniger Befriedigung zu.

Ja, wie schwer sie auch um das traurige Ende Dombalys litt, ihr Sinnen und Denken mußte der eigenen Zukunft gehören, der sonnigen, schönen Zukunft mit Siegfried, und wenn es ihr schon eine höhere Freude bereitet hätte, durch ihren Lehrer Dombaly in der Öffentlichkeit als Künstlerin eingeführt zu werden – Steiger war doch auch ein Weg. – Und sie schuldete Siegfried den Schritt in die Öffentlichkeit. – –


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