Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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34

Siegfrieds Schritte! Sie raffte sich empor. In trostloser Traurigkeit und weinend schlang sie die bebenden Arme um seinen Hals. »Dombaly hat mir seine Liebe gestanden, nun darf ich nicht mehr seine Schülerin sein«, stammelte und schluchzte sie. »Ich liebe ja nur dich, nur dich, nur dich!« –

Sein milder Zuspruch gab ihr wieder einen Funken Lebensmut zurück, und an seiner Brust wurde sie ruhig.

»Hilde, Liebling«, tröstete er sie, »laß es gut sein! Ich selber bin froh, daß es soweit ist. Ein Stein ist mir vom Herzen gewälzt. Ich wußte ja, daß der Ruf deines Lehrers nicht gut ist, daß er die künstlerische Freiheit ins Ungemessene übertreibt und an Frauen unedel handelt. Ich war in bitterster Sorge und Qual um dich und beriet mich mit Doktor Herdhüßer. Er scherzte meine Befürchtung hinweg, ›unsere hochgemute Hilde! Was willst du? Die findet den guten Weg in Mitternächten und ist sich auch gegen Dombaly Schutz genug. Darum ruhig, Jung'!‹ – Auf sein Wort hin sprach ich zu dir nie von meinen Sorgen, ich wollte dir deine reine Begeisterung für Dombaly nicht stören. Aber ruhig war ich nicht. Nun ist es besser so – besser, mein Liebling!« Er bedeckte ihr tränenfeuchtes Angesicht mit seinen Küssen.

Unter seinem liebkosenden Zuspruch faßte sich Hilde allmählich. »Du, du, mein starker Siegfried! Wenn du von München gehst, dann mag ich auch nicht mehr bleiben. Ich mag sie nicht mehr, die Kunst! Ich fürchte sie, ich sehne mich nur nach der schönen Zeit, da ich dein Weib sein darf und bei dir die Heimat haben werde!«

In schluchzender Liebe flutete sich das Weh Hildes aus. Wie nie zuvor hatte sie in dieser Stunde das Gefühl, was es unendlich Kostbares um eine treue Liebe ist, um das Glück, einem starken Manne anzugehören. In aufopfernder Hingabe ihm zu dienen, das ist erhaben über allen Ehrgeiz, über allen Erfolg der Kunst.

»Nein, ich mag die Kunst nicht mehr«, wiederholte sie in tiefer Traurigkeit.

»Aber du freust dich doch, Hermann und Gertrud zu malen?«

»Ja, ja! – Darauf freue ich mich!« erwiderte sie. Der Gedanke glitt wie ein Sonnenstrahl in ihr verdunkeltes Gemüt. »Gehen wir zu Herdhüßer«, sagte sie in raschem Entschluß. »Der Weg und die frische Luft werden mir Wohl tun – und die Aussprache mit dem Doktor.«

Herdhüßer nahm die Erzählung Hildes über ihren jähen Bruch mit Dombaly ziemlich kaltblütig auf. »Dieses oder ein ähnliches Ende hat man ja kommen sehen. Gut, daß es nicht in einem zerreibenden Zwist reif wurde, sondern so plötzlich, so völlig! Und nun, Hilde, sollen Sie sich über Dombaly den Kopf nicht zergrübeln! Überlassen Sie den Künstler, für den es wohl keine Rettung mehr gibt, ruhig der Indierin, Sie selber aber sollen in Ihrer Seele das Kapitel Dombaly bestimmt und fest abschließen – und vorwärts sehen.«

Er sprach der stumm und versunken Lauschenden mit dem vollen Nachdruck seines Wesens zu und schloß: »An die Arbeit, Hilde! Das ist das heilsamste Vergessen. Beginnen Sie morgen mit dem Porträt der Kinder! Ich werde nicht nach Ihrem Werk schauen, bis Sie sich darin zurechtgefunden haben. Aber fangen Sie an!« –

»Und wohnen von morgen an bei uns!« fügte Frau Herdhüßer mit überredender Liebenswürdigkeit hinzu. »Wir alle werden ruhiger um Sie sein.«

Der Vorschlag gefiel besonders auch Siegfried, und die hohe und vornehme Freundschaft, die ihr die Familie Herdhüßer erwies, legte sich wie Balsam auf die brennende Seelenwunde Hildes.

Ja, an die Arbeit! – Aber der Anfang ging schwer. Umsonst baten die Kinder: »Wenn Sie nur wieder einmal so fröhlich wären wie früher, Fräulein Hilde!« Wohl hatte der Doktor recht: sie mußte das Kapitel Dombaly bestimmt und fest schließen. Sie wurde aber eine innere Unruhe um Dombaly nicht los. Von Tag zu Tag wuchs in ihr das Verlangen, mit ihm in Frieden zu kommen, ehe sie sich völlig trennten. Es litt sie nicht mehr. In stiller Nacht erhob sie sich, setzte sich hin und schrieb ihm einen Brief, in dem sie sich im herzlichsten Ton mit ihm auseinandersetzte.

Nun sehnte sie sich nach Dombalys Antwort. Ihr war, es gebe kein volles Lebensglück für sie, wenn sie in Feindschaft mit ihm verharre, und mit geheimnisvoller Macht trieb es sie oft zu ihm hin, um seine Vergebung für ihre Flucht zu erstehen. Doch verwarf sie den Gedanken, so oft er kam. Sie fürchtete den Mann, der in einem unsäglich wehvollen Augenblick auch ihr gegenüber den seelischen Halt verloren hatte.

Malte er so eifrig an der Indierin? War er krank? Grollte er ihr so tief? – Er gab keine Antwort. Statt seines Briefes kam einer von Mizzi Schäfer. In überschwenglichen und schwülstigen Sätzen, die mehr für die große Gemütswärme des Mädchens als für ihre Bildung sprachen, dankte sie Hilde als ihrer Wohltäterin, die sie von der Angst vieler Monate erlöst und ihr die Liebe eines würdigen Mannes gerettet habe. Mizzi bat, sie noch einmal sehen und sprechen zu dürfen, aber Hilde antwortete, daß sie das nicht wünsche. Möge Mizzi, so dachte sie, in Ruhe und Frieden die Erfüllung ihrer Liebeshoffnung erleben! Aber nun auch jede Erinnerung an sie begraben, den Namen, so gut es ging, aus dem Gedächtnis tilgen, der ihr stets den tödlichen Schreck jenes Augenblickes zurückrief, da Dombaly mit spielender Hand ihr Haupt auf den Akt der Mizzi setzte.

Nein, das war ja nicht auszudenken, und erschauernd wies sie diese Erinnerung weit von sich, lind doch, ihr war, als verfolge Dombaly sie mit seiner zerfallenen Gestalt, mit dem geisterblassen Antlitz, den unfreiwillig zuckenden Gesichtsmuskeln – noch schlimmer, mit den in Wahnsinn rollenden Augen, mit dem Ausdruck jener tierischen Gier, mit dem er auf sie zugestürzt war. Nein, nein – die Furcht, die geheimnisvolle Furcht vor Dombaly durfte sie in ihrer Seele nicht überhandnehmen lassen, die düsteren Vorspiegelungen ihres eigenen schweren Blutes.

Sie kämpfte still und stumm.

Da empfing sie den Brief seiner Hand. – Wie krank die Schrift! Und die Antwort war nicht diejenige, die sie ersehnt hatte. Mit keinem Wort ging er auf ihre eigenen Seelenrechte ein, mit keinem sprach er von Frieden und Versöhnung. Der Brief war nur ein Liebesgestammel, ein leidenschaftliches Flehen und Fordern, daß sie zu ihm zurückkehre, wieder seine Schülerin – und sein Weib werde! –

Trostlos brütete Hilde über den wilden Zeilen. Kein Frieden mit Dombaly! Sie mußte ihn sich selber überlassen, ihren Weg ohne ein erlösendes Wort von ihm gehen. Das war die niederschmetternde Erkenntnis dieser Stunde. – Oh, daß schon der Frühling da wäre, die Zeit der Heimkehr nach St. Agathen!

Und von der Bauernkirchweih, dem großen Faschingsball der jungen Künstler Münchens, wegen dessen ihr die Malersleute Steiger in den Ohren lagen, wollte sie nichts wissen. – Arbeit! Arbeit! –


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