Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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14

Nun war das Bild Klein-Ellens doch so weit, daß es Hilde in die Kunsthandlung tragen konnte. Sie hatte das kindliche Modell bereits entlassen, die Zeichnung sorgfältig in eine Mappe gelegt, das Arbeitskleid von sich gestreift und rüstete sich mit einer stillen, fast andächtigen Freude zum Gehen.

»Guten Abend, Dombaly«, rief sie ihrem Lehrer zu.

»Viel Glück, Rebstein«, lächelte er. »Nein, auf ein Wort noch! Mein gestriger Handel mit Mizzi hat Sie doch nicht tiefer berührt? – Eine verzwickte Angelegenheit. Von dem Bild bin ich enttäuscht, und nun liegt mir Mizzi mit klappernder Angst und allerlei Drohungen in den Ohren. Wenn der Akt je auf eine Ausstellung gelange, so nehme sie sich das Leben. Was sagen Sie dazu, Rebstein?«

»Ich verstehe die Qual des unvorsichtigen Mädchens!« kam es warm von Hildes Lippen.

»Wenn die Welt aus den Fugen geht, die Kunst muß das Nackte fordern«, ereiferte sich Dombaly. »Einen Herrn oder eine Dame aus Auftrag und gegen Bezahlung porträtieren, ist ja nur Kunsthandwerk. Die wahre Kunst beginnt doch erst da, wo der Künstler aus eigenem Trieb und eigener Freude einen Schönheitsgedanken gestaltet, und stets wird der Akt das innerste Bedürfnis des vollblütigen Künstlers bleiben. Das fühlen Sie mit mir!«

»Oh, gewiß ist der menschliche Körper das Schönste, was wir uns überhaupt vorstellen können«, erwiderte Hilde lebhaft, »gewiß lassen sich viele herrliche und starke Schönheitslinien künstlerisch nur wiedergeben, wenn wir die Gestalt ganz, in allen ihren Teilen darstellen. Leider aber sind unsere gesellschaftlichen Anschauungen über den Akt nicht mehr so frei wie zur Zeit Tizians, da die edelsten Venezianerinnen ihren Leib unbedenklich sich in den Werken des Künstlers spiegeln ließen. In unserer gegenwärtigen Gesellschaft – Ausnahmen zugegeben – liegt der unlösbare Widerspruch, daß sie im gleichen Augenblick, in dem sie die Darstellung eines schönen unbekleideten Weibes bewundert, nicht genug Verachtung für das Modell auftreiben kann. Und Mizzi Schäfer kommt aus einer bescheidenen bürgerlichen Umgebung, in der die künstlerische Preisgabe des Leibes als vollkommen ehrlos gilt!«

Dombaly fuhr sich mißvergnügt mit der Hand durch die wirren Locken. »Konnt' ich diesen Ausgang ahnen?« versetzte er. »Harmlos, reizend, übermütig und blind verliebt kam das Mädchen, das ich auf einer Redoute kennengelernt hatte, ins Atelier, ohne Widerstand oder Bedingung wurde sie mein Modell. Nachher erwies sich, daß in der blinden Liebe Mizzis, der das Lesen von Hintertreppengeschichten den Kopf verdreht hatte, doch eine romantische Berechnung steckte. Heiraten – ich das Modell, das keinen orthographisch oder stilistisch richtigen Brief schreiben kann, nach bekannten Beispielen heiraten? – Wer lacht da nicht? – Na, hart war ich gegen das Mädchen nicht. Ich zog die Liebschaft länger dahin, als ich gedacht, denn Mizzi ist ein gutmütiges und anhängliches Geschöpf. Die Automobilfahrt auf die Menterschwaige kam. Ich sah Sie – zeichnete Sie. Als ich Sie auch noch zur Heimfahrt mit uns einlud, entstand ein Zank zwischen Mizzi und mir – wir brachen –, und seither die Klagen und Drohungen wegen des Aktbildes. Und aus meiner früher so harmlosen Mizzi ist eine heillose Klette geworden.«

»Heillose Klette« – wie verächtlich das klang.

»Was machen denn auch Sie für ein unglückliches Gesicht, Rebstein?« grollte Dombaly.

»Es ist mir schrecklich, daß ich durch unsere Begegnung auf der Menterschwaige Miturheberin der Leiden Mizzi Schäfers sein soll«, stieß sie hervor.

»Nur der äußere Anlaß zu der Trennung, die auch ohne Sie gekommen wäre. Lassen Sie sich das nicht anfechten«, begütigte Dombaly.

»Nun Sie selber von Mizzi Schäfer zu sprechen begonnen haben, darf ich wohl fragen, was Sie zu tun gedenken?« fragte Hilde.

»Ich kann das Bild nicht preisgeben«, erwiderte Dombaly nervös. »Es steckt zu viel Geld und Arbeit darin, und den Atelierbesuchern und Händlern muß ich was zu zeigen haben. Ich habe aber Mizzi versprochen, das Gesicht so zu ändern, daß niemand darin mehr ihre Züge zu erkennen vermag. Das war ich ihr wohl schuldig. Um das Gesicht ist es auch nicht schade. Und so haben wir beide unseren Frieden – ich und Mizzi.«

Hilde atmete tief auf, wie wenn eine Last von ihr gewälzt wäre. »Darüber bin ich selber froh«, sagte sie schlicht, »aber auch neugierig, wie Sie das Antlitz der Mizzi Schäfer ersetzen.«

Dombaly zuckte die Schultern. »Das eben ist die große Frage«, erwiderte er verdrossen. Plötzlich lächelte er: »Ich hätte Sie mit Ihrem edeln, warmbeseelten Gesicht kennenlernen sollen, ehe ich die Mizzi malte – dann hätte ich im vornherein gewußt, daß es sich nicht lohnte, das hübsche Frätzchen Gegenstand eines so großen Bildes werden zu lassen.«

Er lief aufgeregt von ihr hinweg, kam aber rasch wieder, setzte sich Fuß über Fuß auf einen Schemel und begann in verändertem, leichtem Gesprächston: »Doktor Herdhüßer will ja für die neue Villa, die er sich am Oberrhein gebaut hat, sein Bild und das seiner Gattin malen lassen. Ich hoffe stark auf den Auftrag, es wäre mir eine sehr liebe Arbeit, denn der Mann versteht was von der Kunst und hat eine vornehme Gesinnung gegen die Künstler. Und seine Gattin! – Kühler Sommermorgen, wenn noch der Tau an den Gräsern blitzt. Wissen Sie vielleicht etwas Näheres, wie der Doktor wegen des Auftrages denkt?«

»Sprechen Sie doch selbst mit ihm«, stotterte Hilde erschreckt und in peinigender Verlegenheit.

»Darf ich nicht – es geht gegen meinen Stolz, Aufträge durch persönliche Rücksprache zu suchen. – Aber was soll Ihr Schweigen? – Sie wissen um die Sache! – Ist etwa Herdhüßer von mir abgesprungen? – Doch das ist ja nicht zu denken. – Sprechen Sie, Rebstein!«

Seine Augen quälten Hilde.

»Frau Doktor weigert sich, Ihnen zu sitzen«, flüsterte sie, »Ihre Blicke – nun davon wissen Sie wohl selbst!«

Dombaly sprang empor und schaute bitter betroffen. In seinem Ausdruck stand's deutlich – er fühlte sich schuldig. »Die Möglichkeit der Blicke will ich ja zugeben«, knirschte er. »Der Vorwurf ist nicht neu. Was kann ich aber dafür, wenn mir vor einem schönen Weib die Augen zu glänzen beginnen! Ich bin doch Künstler.« Er lief im Atelier hin und her und kam wieder zu Hilde. Seine Stimme verhärtete sich. »Das ist für mich nun freilich ein großer Schlag«, knirschte er. »Ich bin bei den Händlern schon außerordentlich hoch in der Kreide.«

Ja, das wußte Hilde. Sie schwieg verlegen.

»Sie schauen mich ja auch so verdächtig an, Rebstein, wie wenn Sie mir davonlaufen wollten. Was haben Sie eben gedacht?« grollte Dombaly.

»Daß Sie durch einen Besuch das Einvernehmen mit den Doktorsleuten wieder herstellen und sich damit den Auftrag retten sollten, wenn er noch nicht an Jakob Steiger vergeben ist. – Ich in meiner bescheidenen Stellung –«

Aber Dombaly unterbrach sie. »Entschuldigen? Nie. Ein Künstler wie ich entschuldigt sich nicht. Auch Sie dürfen nicht mein Anwalt sein! – Und Jakob Steiger! Unmöglich! Steiger mir vorziehen, Steiger, einen Künstler dritten Ranges!«

Dombaly atmete schwer, und ein großer, ehrlicher Schmerz ging über sein Gesicht. Da Hilde nicht antwortete, ließ er dem Gefühl der Kränkung freien Lauf: »Steiger wird ja den Doktor gestalten können, er wird ein in unendlichem Fleiß zusammengequältes, ordentliches Porträt von ihm schaffen. Aber die Frau! Steiger, der selber kaum ein Kulturmensch ist, kann doch nur Bauernweiber, aber kein Kulturweib, keine Dame, keine Frau Edith Herdhüßer malen. Seiner Palette fehlen ja die feinen und feinsten Farbenklänge vollständig. – Ich kenne den Doktor nicht mehr. – Sagen Sie, will man etwa auch Sie von mir abspenstig machen?«

»Nein – und das ließe ich mich erst, wenn Sie mich einmal mit den Blicken ansehen würden, mit denen Sie Frau Doktor Herdhüßer erschreckt haben.« Ein herzlicher Ton bebte durch die Worte Hildes.

»Sie wissen ja, daß Sie mir heilig sind!« lächelte ihr Dombaly aus seinen Schmerzen zu, und das Wohlgefallen an ihr stand in seinen Zügen. »Wenn Sie mich verließen, wäre es mir ein größerer Schlag als der Verlust des Herdhüßerschen Auftrages. Unter vier Augen, Rebstein, in diesem Atelier gehört nichts mehr mir, selbst nicht die mir von befreundeten Malern geschenkten Bilder, alles ist auf Vorschüsse hin den Manichäern verschrieben. Pfui Teufel, wenn ein Künstler rechnen soll, mit Geld rechnen, was doch das gemeinste ist auf der Welt! Ich kann es nicht. – Aber Sie haben wohl rechnen gelernt?«

»Gewiß. In meinem Elternhaus war schon eine heimliche Unruhe und Sorge, wenn man nur mal jemand hundert Franken schuldig war, die nicht gleich beglichen werden konnten.« Hilde ließ mit einem Seufzer die Augen durch das reiche Atelier und über seine Bilderschätze schweifen. »Wäre ich Sie, Dombaly, ich könnte keinen ruhigen Strich mehr führen. Ich fürchtete mich unter den Gemälden.«

»Oh – oh«, lachte er mit halb aufrichtiger, halb gezwungener Heiterkeit. »Mein Name hat denn doch einen zu guten Klang, als daß ich meine Schulden tragisch nehmen müßte. Auch können mich meine Händler nicht im Stiche lassen, denn dabei gingen ihnen selber zu große Summen verloren. Ein paar glückliche Bilder – ein halb Dutzend vielleicht – und ich bin herausgewickelt aus den gegenwärtigen Nöten. Für einen Dombaly keine zu schwere Aufgabe. Eben deswegen aber sollen Sie bei mir bleiben, Rebstein! Ihre Nähe ist mir eine künstlerische Beruhigung, ich arbeite besser, wenn ich auch Sie mit Ihrem glühenden Eifer an der Arbeit weiß.«

»Und ich bin unendlich glücklich, wenn ich Ihrer Kunst etwas sein kann – ich bin ja so sehr in Ihrer Schuld!«

Hildes Augen strahlten. Eine tiefverhaltene Unruhe über ihr künstlerisches Zusammenarbeiten mit ihm war hinweggescheucht, das gegenseitige Einverständnis zwischen Schülerin und Lehrer herzlicher als je zuvor.

»Kommen Sie heute abend wieder einmal in den ›Gläsernen Himmel‹«, bat er.

»Nein – ich möchte nicht Gefahr laufen, Kuno Glür wieder zu begegnen!« entschuldigte sie sich.

»Na, dann gehen Sie jetzt zum Kunsthändler«, lächelte er. »Viel Glück auf den Markt!« Unendlich gütig winkte Dombaly seiner Schülerin zu.


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