Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

30

Aus ihrer Liebe quoll der mächtige innere Trieb zur Kunst hervor. Gewaltig drängte es Hilde zur Arbeit. Siegfrieds würdig werden! Wie wenig sie ihm einmal zuzubringen vermochte – ihr Ehrgeiz stand darauf, daß er von seiner Verlobten als einer jungen geachteten Künstlerin sprechen dürfe. Das wäre ihr Stolz! Und jetzt war ja jeder Tag für ihre Kunst bedeutungsvoll, ihr Talent erstarkte, sie wuchs – und junge Liebe und junge Kunst wurden ein Zusammenklang in ihrem Leben, über dem sich all die kleinen Sorgen des Tages vergessen ließen. –

Was ging sie der Fasching an, der schon eine Weile durch München tollte! Die Riesenmaueranschläge, die an allen Ecken und Enden bis hinaus in die letzten Straßen mit mehr denn kecken Bildern zu den Redouten und Festen riefen!

Nach dem Italienerjungen Giovanni hatte Dombaly ihr ein ganz junges Mütterchen als Modell gestellt, später sollte noch das Kind dazu kommen – das Gemälde eine Madonna aus dem Volksleben werden, realistisch aufgefaßt, aber mit lyrischem Anhauch, eine Verherrlichung der schmerzensreichen und doch unergründlich tiefen Mutterliebe eines Mädchens, dem der Verführer nichts zurückgelassen hat als das Kind, die Schande und die Not.– Die Aufgabe war so recht nach Hildes Herzen. dem drängenden Eifer der Künstlerin, die Tag um Tag ihre Kräfte wachsen fühlt, mit dem Schwung ihrer eigenen jungen Liebe, einer glückselig Verlobten arbeitete sie an dem Bild in wunderbar erhöhter Schaffensstimmung.

»Wie ein Roß, dem der Haber ins Blut gegangen ist!« scherzte Dombaly. Seine schwarzen Augen hingen bald an dem entstehenden Bild, bald an ihr, und für die Empfindung Hildes nur zu sehr an ihr. Aber wie zerfallen er aussah, fünf oder zehn Jahre gealtert! Der Fasching, die Sorge um die Indierin, die ihn ein heilloses Geld kostete und als Modell doch nie recht heran wollte.

Er genoß den Karneval mit den freudigen Augen des Künstlers und in vollen Zügen. Kein großes und vornehmes Kostümfest, er war dabei mit seiner aufschäumenden Lebenslust, mit seiner wilden Gier nach Schönheit und Liebe. Ob mit der Indierin? Das wußte Hilde nicht. Nur schien es ihr, daß zwischen ihm und dem fremden Weib nicht alles stimmte, als ob zwischen ihnen durch seine oder ihre Schuld Eifersucht und Zerwürfnis herrschte, ohne daß die beiden sich doch lassen konnten.

»Komm doch du mal mit, Hilde – komm morgen abend mit auf den Ball der Isis«, bat er eindringlich. »Fasching ist für uns Künstler ein hohes Fest, das heilige Fest des frühlinghaften Lebens, der sich offenbarenden Schönheit!«

Sie ließ sich nicht gewinnen.

»Bist du ein öder Kerl geworden, Kind; ich habe dir mehr Rasse zugetraut!« brauste er auf.

»Na, ich habe gemeint, der Haber sei mir ins Blut gegangen«, spottete sie.

»Ich sage nicht, daß du nicht in die Technik der Malerei eindringen wirst; aber den Altweiberglauben sollst du ablegen, daß zur Kunst ein bißchen Hand und ein bißchen Auge genüge. Das sind die seichten Ansichten eines Jakob Steiger und ähnlicher zu Künstlern verunglückten Spießer, dürfen aber nicht die einer Hilde Rebstein sein. Wer aus der Fülle des Herzens schaffen will, der darf das Künstlerische nicht bloß sehen, der muß es heiß und leidenschaftlich erleben, um sich, in sich erleben – der muß eintauchen in die goldenen Ströme des Lichtes, sich durchzittern und durchzucken lassen von den Wellen leuchtender Feste –, der muß die Schönheit wie ein sengendes Feuer ertragen, muß leiden können für die Kunst. Dadurch erst werden die feineren Fühlfäden der Seele frei, die Arbeit großzügig. Komm mit, Hilde!«

Auf ihren Lippen schwebten die Einwände. Gab es unter den unsterblichen Meistern des Mittelalters nicht eine Reihe von Künstlern, die schlicht wie Handwerker gelebt und doch Vollendetes für die Dauer der Zeiten geschaffen haben? Stand den Forderungen des Genialischen und Zigeunerhaften, mit denen ihr Dombaly kam, nicht das Zeugnis noch größerer Künstler gegenüber, daß neben der heiligen Flamme in der Brust die einfache, treue Hingabe an die Arbeit, der vielverspottete Fleiß die sicherste Werde- und Reifekraft für den Künstler und seine Werke sei? Sie sprach Dombaly nicht davon und verschwieg ihm auch, daß sie durch ihre Liebe ein reineres Feuer der Kunstbegeisterung in sich trage, als es ihr die leuchtendsten Bilder eines Faschingsballs zu geben vermochten. Wozu Dombaly ihr Glück gestehen? Sie kümmerte sich nicht um seine Liebschaften, er mochte sich also auch nicht um ihre Liebe kümmern!

Sie erwiderte ihm: »Ich habe keine Zeit, Dombaly. Jeder Tag ist mir kostbar. Ich vollende die junge Mutter mit dem Kind, und nachher widme ich mich einem Auftrag Herdhüßers. Ich soll seine Kinder malen. Dazu brauche ich sechs Wochen. Darüber kommt schon der Frühling – nachher noch einmal an die junge Mutter, von der ich hoffe, daß sie für die Ausstellung reif wird.«

Nun wußte Dombaly um den Herdhüßerschen Auftrag, von dem zu sprechen sich Hilde stets gescheut hatte. Wie ein verlegenes Kind stand sie vor ihm.

»Also auch du, Rebstein – von dir hätte ich es am wenigsten erwartet!« Er war aschfahl geworden. In seinen Worten zuckte ein wilder Schmerz, aus seinen Augen sprühte der Vorwurf.

»Ich verstehe dich nicht, Dombaly«, zitterte die Stimme Hildes.

»Um so besser verstehe ich!« versetzte er bitter. »Ihr alle seht in mir das sinkende Schiff. Ihr seid die Ratten, die feige davonfliehen. Was soll der Auftrag Herdhüßers heißen? Du gehst sechs Wochen von mir weg, um nicht Zeugin zu sein, wie dein Lehrer unter den Streichen der Manichäer zusammenbricht. Nachher, ja da kommst du wieder, und je nachdem du Dombaly findest, wirst du wieder seine Schülerin oder gehst!«

Hilde erschrak im Innersten. Dombaly gab also seinen nahen Ruin zu.

»Du tust mir grenzenlos weh und bitter unrecht«, schrie sie auf. »Ich habe den Herdhüßerschen Auftrag nicht gesucht, aber er ist mir willkommen, ich kann damit die Zeit ausfüllen, während der du die Indierin malst. Du weißt doch, daß ich und jenes Weib einander im Atelier nicht ertragen!«

»Und warum gehst du nie mit mir auf einen Ball – schämst du dich meiner?«

»Du siehst Gespenster, Dombaly! Ich schäme mich meines Lehrers nicht, aber ich fürchte die Bälle, sei nun meine lebhafte Phantasie oder mein schweres Blut daran schuld. Ich leide darunter. Also laß mich aus, ohne es mir übelzunehmen. Im übrigen solltest du auch mehr zu deiner Gesundheit sehen, mir scheint, du bist krank – du siehst zum Erbarmen aus!« –

Das Mitleid, das durch die Stimme Hildes bebte, traf Dombaly an einer weichen Stelle seines Gemütes.

»Ja, daß ich krank sei, habe ich selber schon gedacht«, erwiderte er mit einem traurigen und doch hinreißenden Lächeln. »Die Manichäer, Sakuntala, dieser Dämon – du hast recht, wenn du sie für das schlechteste Weib der Welt hältst! – Malen aber muß ich sie doch, den Satanszauber, muß das Bild schaffen, das die Welt erschüttert, auf die Knie zwingt und mich selber von diesem Weib erlöst. Sie künstlerisch gestalten, und wenn ich darüber mit Leib und Seele zugrunde ginge! Sie ist eben doch ein Geschöpf, wie es nur einem begnadeten Künstler in den Weg läuft – und diesem nur einmal im Leben. Wer sah jemals etwas Geheimnisvolleres an Liebreiz und Teufelsmacht?«

Da schwärmte er wieder in so hohen Worten für die Indierin, daß Hilde an seinem guten Verstand zweifelte.

»Nein, kein Gesicht machen, Kind!« bat er. »Ich habe ja nie ein Weib so rein und edel geliebt wie dich. Ich liebe dich fromm, wie ein sechzehnjähriger Junge liebt, wie eine Heilige liebe ich dich, und an dem Tage, da ich so leichtfertig zu dir rede wie zu anderen Weibern, wünsche ich selbst, daß mir die Zunge verdorre – aber bleibe bei mir, Hilde – bleibe bei mir! Ich kann nicht arbeiten ohne deine Nähe, nicht leben! Laß mich den Staub von deinen Füßen küssen, aber bleibe bei mir in den Tagen der Anfechtung, in denen die Manichäer über meine Kunst, über mein Herz herfallen, die Zahne darein schlagen und es zerreißen! Du bist treu, Rebstein – du bist treu, und an dich laß mich in den dunkeln Stunden glauben!«

Hilde erschrak bis in die innerste Seele. Was für ein merkwürdiger und unheimlicher Gefühlsausbruch Dombalys! Sie war in peinvoller Verlegenheit um eine Antwort. Unmöglich, den Herdhüßerschen Auftrag, über den sie sich so sehr freute, in den Wind zu schlagen; ebenso unmöglich aber, jetzt den Lehrer im Stich zu lassen, der sich ihrer in einer Zeit selbstlos angenommen hatte, da sie der künstlerischen Not fast erlag. Nein, als die feige Ratte wollte sie vor Dombaly wirklich nicht erscheinen – sie, die stolze Hilde Rebstein, sie, die beneidete Schülerin des Künstlers.

Am tiefsten sorgte sie sich, daß sie Siegfried nicht von den Kümmernissen sprechen durfte, die sie bewegten, von der seltsamen Liebe Dombalys zu ihr, von den Schwierigkeiten, die er dem Herdhüßerschen Bilderauftrag entgegenstellte. Ja, wenn seit ihrer unerwartet raschen Verlobung nun schon so viele Monate vorbeigegangen wären wie Tage, da hätte sie Siegfried frei und offen ihr Verhältnis zu Dombaly klargelegt; aber ihre gegenseitige Liebe war nun doch noch zu jung, als daß sie ihn rückhaltlos in den Kreis ihrer heimlichen Sorgen hätte ziehen können. Und er war so sorglos glücklich in seiner Liebe, wie es nur ein Mann sein kann, der sich nach Jahren ernster Arbeit daran erinnert, daß er noch Jugendrechte besitzt, ein Mann, der durch seine Liebe wieder ein glückseliger Junge wird!

Und nun selber den schwarzen Faden der Sorge in dieses lichte Glück weben? – Nein, sich rein, glücklich und tief wie Siegfried freuen!

Aus dem Atelier tretend, warf sie die schweren Bedenken, die sie aus den Redensarten Dombalys geschöpft hatte, so gut es ging, hinter sich. Er war ja ein Stimmungsmensch, zum Überschwang der Phantasie geneigt. Was ihm heute als eine hohe Wahrheit galt, das war ihm morgen ein Nichts, und wegen der Zeit für die Herdhüßerschen Bilder ließ er wohl noch mit sich sprechen! –

Wie jeden Abend erwartete sie ihren Verlobten, der sie, je nach Umständen, in ihrer Wohnung oder in der Herdhüßerschen Familie zu einer Stunde gemeinsamen Weges durch Nacht und Schnee abholen kam. Noch ungeduldiger als sonst harrte sie seiner.

»Siegfried – mein Siegfried!« jubelte sie ihm entgegen.

Oh, die wundervollen Abendgänge, die Häupter, die Seelen einander so nah! In seiner starken Männlichkeit legte er ihr sein Fühlen und Denken so klar, daß sie in sein Leben wie in eine reine Quelle blicken durfte, und auch in seine künftige Welt, die nun die ihre werden sollte. Hui, wie der Sturm durch die Gassen heranpfiff, wie es um die Ohren sauste! Aber um so enger nur durfte sie sich an Siegfried schließen, um so näher neigte sich ihr sein Mund, ihr Liebes zuzuflüstern.


 << zurück weiter >>