Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

29

Als Hilde von einem Abendbesuch bei den Malersleuten Steiger heimkehrte und in ihr Dachstübchen gestiegen war, meldete ihr die Hauswirtin: »Herr Kulbach war um acht hier. Er kommt um neun Uhr noch einmal, nach Ihnen zu sehen. Er hatte es sehr wichtig und feierlich.«

Was die Wirtin mit ihrer hohen Stimme alles daherschwätzte! Hilde begriff nicht ganz, warum Siegfried gerade heute aus der ernsten Zurückhaltung heraustreten sollte, mit der er bisher seine Liebe umgeben hatte. Daß er aber um neun noch einmal kommen wollte, das deutete doch auf eine besondere Bewandtnis. In wenigen Minuten war es ja neun! Sie zitterte vor Erwartung. –

Da kam er, elastischen Schrittes und in freudiger Aufwallung.

»Ich habe diesen Abend einen Brief von meiner Firma in Berlin erhalten«, erzählte er fast stammelnd, »und als meine liebe Freundin teilen Sie wohl meine Genugtuung darüber mit mir!« – Er bot ihr den Brief.

Errötend nahm ihn Hilde zur Hand. Die Elektrizitätsgesellschaft schrieb Siegfried, daß sie infolge der stets zunehmenden Arbeitsaufträge ihre Einrichtungen aufs neue wesentlich zu erweitern gedenke, darum müsse sie auf die Vermehrung der leitenden Kräfte bedacht sein. Sie rechne auf seinen Eintritt in die Leitung, sobald er in München seine Studien abgeschlossen habe, und unterbreite ihm einen Vertragsentwurf, auf dessen Grundlage er gebeten sei, die Stelle eines Abteilungsdirektors zu übernehmen.

»Und hier ist der Vertragsentwurf«, versetzte Siegfried leuchtendes Blickes.

Vor Überraschung trat Hilde einen Schritt zurück. »Sie werden ja durch Ihr Gehalt selbst in hochgespannten Berliner Verhältnissen bald ein reicher Mann«, sagte sie, und wieder einen Schritt näher tretend, halb verwirrt, doch lachenden Auges: »Ich kann Ihnen nur die Hand schütteln – aus der Wärme, mit der ich es tue, müssen Sie spüren, wie sehr ich mich mit Ihnen freue.«

Ihre Augen strahlten, ihre und Siegfrieds Hände zitterten ineinander – einen Herzschlag lang war Schweigen zwischen ihnen.

Da bebte seine Stimme: »Ein reicher Mann – nein, reich werde ich erst sein, wenn Sie sich entschließen können, mir als mein Weib in die Berliner Stellung zu folgen!«

Seine treuen, blauen Augen baten. – Sie sah es nicht – sie hatte die ihrigen zu Boden geschlagen. Das kam nun doch viel mächtiger über sie, als sie gedacht oder geträumt hatte – wie Gebet, wie heiliges Schicksalswehen, wie geheimnisvoller Geistergruß herüber vom Grab ihres Vaters! – Nur langsam hob sie den Blick zu dem erwartungsvoll lauschenden Manne empor. – »Siegfried, wenn du mich deiner würdig hältst!« flüsterte sie in bittendem Ernst.

In süßer Verwirrung ließ sie das Haupt an seine Brust gleiten: »Du weißt, ich kann dir nicht mehr geben als mich selbst!«

»Mehr will ich nicht! – Nichts als dich fürs ganze Leben – für Zeit und Ewigkeit!« stammelte er – und küßte – küßte sie – und wie betäubt in Wonne ließ Hilde die Küsse über sich ergehen, die Küsse auf Hand – Stirne und Mund. – Ja, auch in der Liebe war er ein starker Siegfried, stark wie im Leben! –

Schneller und früher, als sie geahnt hatten, war das volle Glück der Liebe über sie gekommen, durfte sie seinen kosenden Worten lauschen: »Süße Hilde! Dort am Siegestor, wie der Sturm so pfiff und Gustav Wieland sagte: ›Sie ist ein gediegener und feiner Kerl‹ – da habe ich mir zum erstenmal gedacht: Sie muß mein künftiges Weib werden! – Und nun bist du mein, süße Hilde! mein – mein! – Meiner Familie unsere Verlobung bekanntgeben darf ich freilich nicht vor nächster Weihnacht. Ich muß mir zuerst etwas Luft unter den Meinen schaffen, etwas Freiheit, indem ich von meinem Gehalt Geld in den Hof schieße. Wenn sie aber erst sehen, daß ich guten Willens bin, auch ihnen zu helfen, dann, Liebling – dann werden sie auch meine Verlobung mit dir anerkennen müssen, gern und ans dem Herzen anerkennen! Und bald nachher können wir unser Berliner Heim begründen. Ein Atelier für dich soll darin sein, und deiner Kunst magst du leben, wie es dir gefällt.« –

»Dir – dir vor allem will ich leben, du lieber Mann!« flüsterte Hilde und umschlang ihn mit beiden Armen.

»Sollte ich nicht gehen?« fragte er. »Die Uhr geht schon auf zehn.«

»Nein, bleibe, bleibe!« bat sie in strömendem Glück. »Ich bereite uns noch eine Tasse Tee, du sollst sehen, daß ich eine kleine tüchtige Hausfrau bin. Und du – du sollst mir erzählen, wie alles wird, wenn ich dein Weib sein werde; viel Süßes sollst du mir sagen!«

»Ja, eines«, flüsterte er. »Ehe ich meine Stellung in Berlin antrete, möchte ich mit dir in deine Heimat fahren, die Scholle schöner Schweiz sehen und kennenlernen, die dich mir geboren, dich mit so herrlichen Gaben ausgerüstet hat, ausgerüstet mit deinem Natursinn, mit deinem Schwung und Feuer, dem künstlerischen Talent und den warm genießenden Augen für alles Schöne in der Welt!«

»Ja – ja – ja – dich die Wege meiner Heimat führen«, rief Hilde glücklich, »diese wonnige Heimkehr!« Und plötzlich mit tiefem Ernst: »Dann treten wir zusammen an das Grab meines Vaters. Und ich sage ihm: Sieh, Vater, nun habe ich wieder eine Heimat an treuer Brust! – Oh, wie danke ich dir, Siegfried – wie danke ich dir!«

Er zog Hilde an sich, er flüsterte ihr ins Ohr: »Hilde – und die Trennung von der Heimat sollst du dir einmal nicht schwer werden lassen – hast du gesehen? In meinem Vertrag sind mir vier Wochen Ferien zugesichert. Wohin reisen wir dann?«

»In deine Heimat, nach der holsteinischen Schweiz«, lachte sie übermütig. »Ich hoffe, daß die Deinen mich allmählich auch ein wenig lieben lernen.«

»Und in die echte Schweiz reisen wir«, lachte er. »Und jedesmal sollst du einen tiefen Zug aus dem Wesen deiner Heimat schöpfen und stets bleiben, wie du bist – eine freimütige, kraftvolle Natur, das Kind einer starken Erde, wie ich es selber bin!«

Allmählich wurde die Liebe still, still wie die blühende Welt in der Maiennacht. Wang an Wange, Hand in Hand saßen Hilde und Siegfried und flüsterten sich nur noch die Worte zu, die der Traum der Stunde in ihre Seelen und auf ihre Lippen legte. –

Als Siegfried gegangen war, da versank Hilde in ein andächtiges Staunen – in ein Staunen darüber, daß in einem Menschenherzen Raum ist für so viel Glück, für so viel unerschöpfliche Liebe, daß ein gütiger Gott etwas so Wunderbares hat schaffen können wie das Ineinanderneigen einer Mannes- und einer Weibesseele in der hohen Stunde des Liebeseingestehens.


 << zurück weiter >>