Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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23

»Ja, Hilde, jetzt muß ich mit Ihnen doch ernsthaft über Siegfried, unseren verliebten Jungen, sprechen. Er war gestern bei uns, und sein drittes Wort war Fräulein Rebstein.«

Aus den klaren, blauen Augen der Frau Edith Herdhüßer lachte das feine Wohlgefallen und die stille Freude an Hilde.

Sie aber erglühte und erzitterte vor Erwartung, was ihr Frau Doktor wohl Ernstes von Siegfried mitzuteilen wüßte.

Die sonnblonde Frau, in deren Stimme Töne wie Vogelgezwitscher mitgingen, fuhr lächelnd fort: »Ich kenne Siegfried von Kindheit auf, wir sind vervettert und Nachbarn. Im Herbst wenigstens, wenn sich die hohen Hecken unserer holsteinischen Landschaft entlaubt haben, grüßen sich die Giebel unserer Herrenhäuser auf eine Stunde Entfernung über die Äcker und Koppeln dahin.– Wenn mir nun mein Vetter und Nachbar gestern auseinandergesetzt hatte, daß er sein Leben lang Hagestolz zu bleiben gedenke, hätte es mich, wie ich ihn kenne, kaum überrascht. Nach einem Vorspiel aber, das von den Wonnen des Ausfluges an den Walchensee handelte, sagte er plötzlich: »Edith, auch du bist doch Fräulein Rebstein herzlich zugetan? – Ich liebe sie – ich wünsche nichts inniger, als mit ihr einmal mein Heim zu begründen.««

Hilde war, ihr springe das Herz vor schämiger Freude.

»Sie spüren, daß ich nur Gutes von Ihnen gesagt habe, noch Besseres und Wärmeres mein Mann«, lächelte Frau Herdhüßer. »Er spricht von Ihnen ja überhaupt als »unserer Hilde«. Doch auch ich bin Ihnen gut. Und wie die Liebe kommt, Seele und Sinne in Flammen setzt, erfuhr ich ja selber droben an den Engadiner Seen. Ich kann also voll mit Ihnen fühlen, Hilde, nun Ihnen das höchste Wunder des Lebens beschieden ist. Dennoch, wenn ein anderer junger Mann in Siegfrieds Verhältnissen vom Begründen eines Heimes spräche, würde ich zur Vorsicht mahnen. Er muß noch wenigstens zwei Jahre warten, bis er im Ernst daran denken darf. Siegfried aber flirtet nicht. Wenn der mir seine Liebe zu Ihnen bekennt, dann muß sie sein Wesen durchwühlen wie der Sturm die See, und auch Sie sind eine Natur, die den gesamten Inhalt der Seele an ihre Liebe geben muß.«

In grenzenloser Verwirrung, die Augen zu Boden geschlagen, doch selig, lauschte Hilde.

»Der Fall Siegfrieds ist folgender«, erzählte Frau Herdhüßer. »Seitwärts von unseren Herrenhäusern liegt ein drittes Gut, Edenkogen. Da wuchs, zwei Jahre jünger als Siegfried, die Marthe Burmester empor, das einzige Töchterchen des sehr reichen Gutsherrn. Die Väter waren befreundet, Marthe zudem die Gespielin der Schwestern Siegfrieds. So entstand zwischen ihm und dem schön gewachsenen, sehr stolzen und ein wenig kapriziösen Fräulein eine Jugendliebe. Wer den jungen Herrn vom Holm mit dem Fräulein durch die Felder reiten sah, der glaubte, das sei ein von Gott füreinander bestimmtes Paar. Am liebsten glaubte man es auf dem Holm. Um die Zeit nun, da Siegfried sich als Einjähriger zu stellen hatte, nahmen die beiden an einer Schiffstaufe und dem nachfolgenden Marineball in Kiel teil. Dabei soll Siegfried seine Jugendfreundin in einem ungehörig vertraulichen Geplauder mit zwei Seeoffizieren betroffen haben. Na, wer die übermütige Liebenswürdigkeit unserer Offiziere zur See gegen junge Damen kennt, begreift, daß auch mal einem gescheiten Mädchen der Kopf verdreht werden kann. Zwischen ihr und Siegfried, der sich nur selten, aber dann über das Maß erregt, kam es zu bösen Worten und zum Bruch. Neben der Verstimmung über Marthe trug die Einsicht, daß auf dem Holm kein Gedeihen für vier Geschwister sei, die Schuld, daß sich Siegfried nach seinem Einjährig-Freiwilligen-Dienst in bitterem Widerstreit mit der landstolzen Mutter nach Berlin und in die Industrie wandte. Der Abfall von den alten Gutsüberlieferungen vertiefte den Riß, denn niemand spottete schärfer über diesen Entschluß Siegfrieds als Marthe.«

»Ein häßlicher Zug«, entfuhr es Hilde.

»Er liegt tief in den Lebensanschauungen unserer Gutsbesitzerfamilien begründet«, bemerkte Frau Herdhüßer ruhig. »Ich selber habe Marthe trotz ihrer Launenhaftigkeit stets leiden mögen. Sie ist in ihrer Art ein seelisch bedeutendes Geschöpf. Sie und Siegfried ließen einander gegenseitig sagen, daß das letzte Band alter Freundschaft gelöst sei. Bei Siegfried stimmt's. Diese Beruhigung kann ich Ihnen voll geben, Hilde. Marthe Burmester ist für ihn seit Jahren eine Tote und Begrabene. Ob auch Marthe damals die innerste Wahrheit gesagt hat? Niemand weiß es. Sieben Jahre sind darüber vergangen, und die stolze, reiche Erbin hat einer Reihe junger Gutsbesitzer und Kavaliere ihre Hand verweigert. Darauf baut man auf Holm hartnäckig die Hoffnung, Siegfried und Marthe würden sich doch noch finden. Die Mutter, die vornehme und strenge Patriarchin des Hauses – Sie können bei ihrem Bild an eine alttestamentliche Richterin denken –, hält zäh an diesem Glauben fest.«

»Nicht seufzen, liebe Hilde«, mahnte Frau Herdhüßer. »Ich wollte Sie nur darüber aufklaren, wie schwierig die Stellung Siegfrieds in Ihrer Liebesangelegenheit ist. An seiner Entscheidung hängt das Schicksal seiner beiden Schwestern. Wäre es zwischen ihm und Marthe zu einem Herzensbund gekommen oder käme es noch, flugs wären auch für die Schwestern Freier zur Hand. Ohne einen starken materiellen Zustrom in die Familie aber sind die beiden selbstbewußten und auch nicht mehr ganz jungen Damen wohl dem Ledigbleiben verfallen. Da schwärt die Wunde der Familie Kulbach! Siegfried stellt sich nun auf den einzig richtigen Standpunkt, daß er kein Ehrenmann wäre, wenn er Marthe Liebe heucheln und sie, nur um seinen Schwestern die Wege zu ebnen, zum Altar führen wollte. Der überstark entwickelte Familiensinn auf Holm aber mutet ihm dieses Opfer zu. Darum ist er über Weihnacht nicht in die Heimat gefahren. Ihm bangte vor den Bedrängungen der Seinen. Nun sehen Sie wohl ein, Hilde, daß Siegfried bei all seiner Liebe jetzt nicht an eine Verlobung mit Ihnen denken darf – in nächster Zeit nicht. Die Enttäuschung, der Haß auf die Fremde Braut würde in seiner Familie zu groß sein. Aber Geduld! Vielleicht erhört die Marthe doch einmal einen ihrer Freier. Dann hat Siegfried offenen Weg. Oder er rückt künftig in seiner Berliner Stellung so rasch vor, daß er aus Eigenem etwas für seine Schwestern tun kann. Dann verlieren die Forderungen der Familie von selbst ihre Schärfe.«

Frau Herdhüßer erhob sich. »Und ja kein schweres Herz, Hilde! Sind auch Siegfrieds äußere Lebensbedingungen nicht so einfach, wie man es für Sie, für ihn wünschen möchte, so darf es doch ein Mädchen als ein großes Geschenk des Schicksals preisen, wenn es seine Liebe gewinnt. Siegfried ist ein hervorragender Mensch. Dabei aus der Tiefe seines Gemütes wahr und treu. Und wir, mein Mann und ich, wir wären diejenigen, die sich am meisten freuten, wenn wir über Jahr und Tag zwischen Ihnen, der Schweizerin, und Siegfried, dem Holsteiner, das Gegenspiel unserer eigenen Liebe sehen dürften. Wohl sagt man stets, Süden und Norden vertragen sich nicht, mein Mann und ich aber sind Zeugen, daß die beiden sich sehr gut verstehen, wenn nur die füreinander geschaffenen Menschen zusammenkommen.«

Durch die Stimme der Frau Herdhüßer klang die Zärtlichkeit einer glücklichen Gattin.

Hilde gab ihr einen dankbaren und warmen Blick. Die Mitteilungen über die Familienverhältnisse Siegfrieds hatten sie doch erschüttert. Sie sehnte sich nach Einsamkeit, um ihren wogenden Gedanken nachhangen zu können.

Aber da wurde sie von Gertrud, dem Töchterchen, zu Doktor Herdhüßer gerufen. Was wußte er ihr?

Er überreichte ihr einen zwar sehr gezwungenen, aber doch deutlichen Entschuldigungsbrief der alten Frau Glür und las ihr einiges aus einem Schreiben Ulrich Glürs vor, der sich auf das schärfste über seinen Bruder Kuno äußerte. »Nach München kommt er bis auf weiteres nicht wieder. Da hilft ihm alle Fürsprache der Mutter nichts, ich nehme ihn jetzt als Kontorarbeiter in harte Zucht. Darf ich Sie bitten, die Bilder, die er von Fräulein Rebstein aus so bedenklichen Gründen gekauft hat, in seiner Münchner Wohnung abholen zu lassen und der jungen Künstlerin wieder zuzustellen. Das dafür empfangene Geld mag, wenn Sie der gleichen Ansicht sind, Fräulein Rebstein ruhig behalten. Ich hoffe übrigens in nicht zu ferner Zeit München auf einer meiner Geschäftsreisen zu berühren, dabei Sie, verehrter Herr Doktor, begrüßen und der jungen Künstlerin mündlich mein Bedauern aussprechen zu können, daß mein Bruder eines solchen Betragens gegen eine ehrbare Dame aus gemeinsamer Heimat fähig war.«

Nur nie wieder jemand von der Familie Glür sehen! war Hildes erster Gedanke.

»Jetzt haben Sie ja Ihre Genugtuung«, lächelte der Doktor mit überredend warmem Mienenspiel. »Allerdings konnte ich die Sache nicht genau nach dem Vorschlag des Briefes ordnen; ich habe die Bilder abholen lassen und mir gestattet, der Familie Glür den Betrag dafür zu ersetzen. Ich tat es mit dem Bemerken, daß ich die Bilder als Marksteine der Entwicklung einer mir lieben Künstlerin selber zu behalten gedenke. Sie sind doch einverstanden, Hilde?«

Sie konnte ihm nur ihren Dank stammeln.

Ja, Doktor Herdhüßer wußte, wie man den Stachel aus einer verletzten jungen Seele zieht. »Und vergessen Sie die üble Geschichte, Hilde! Ich habe den Eindruck, daß Sie gerade jetzt in einer vielversprechenden künstlerischen Entfaltung begriffen sind. Da bedürfen Sie vor allem einer guten Luft um sich her.« –

Gute Luft! Wie strömte sie ihr aus der Familie Herdhüßer entgegen! Mehr aber als an die Güte des Doktors und den nun ehrenvoll geschlichteten Handel mit der Familie Glür mußte Hilde an die Erzählung der Frau Herdhüßer über die Lebensumstände Siegfrieds denken. –

Siegfried? – Glühte in seinem Wesen nicht noch irgendwo ein Funke für jene Marthe vom Gut Edenkogen, die Herzensfreundin seiner Jugend? Wie sonderbar spielt die Liebe! Sie ist kaum erwacht, so sind auch ihre Kümmernisse da, und erst in seinem Bangen spürt das Herz, wie stark es liebt. Treu hoffen und harren!

Das war nun ihr Weg. –


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