Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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36

Durch die weitläufigen Gesellschaftsräume der Brauerei in Schwabing wogte die Bauernkirchweih, der letzte unter den großen Künstlerbällen des Münchner Faschings.

Linden reckten ihre mächtigen Äste in die Säle, in den Hintergründen standen die Gebäude eines Dorfplatzes. Ein uraltes, schmuckes Kirchlein mit einem grobgearbeiteten Heiligen an der Tür und verwitterten Malereien an den Wänden, daneben das Gasthaus zum »Weißen Hirsch« mit weit vorspringendem, altertümlichem Schild, Gartenwirtschaft und Kegelbahn, und die mit bäuerlichem Kachelgeschirr wohlausgestattete Gemischtwarenhandlung von Xaver Knie. Vor der Schenke zum »Grünen Kranz« stand die hochragende grüne Tanne, an der in Miniaturnachbildungen die Werkzeuge der bäuerlichen Arbeit hingen und bunte Taschentücher als Wimpel der Freude flatterten. Wohl ein oberbayrisches Dorfmotiv, vielleicht aus der Gegend von Mittenwald, denn im Hintergrund ragten über den Giebeln der Dächer leicht erkennbar die Felsen und Zinnen des Karwendelgebirges in den blauen Himmel. –

Als überaus schmucke, stolze Appenzellerin trat Hilde mit den Malersleuten Steiger, die ein prächtig gediegenes Unterwaldnerpaar darstellten, in den Wirbel des anhebenden Festes.

»Sie sehen ja aus wie die Tochter des Landammannes«, lachte ihr Steiger herzlich zu.

Sie überhörte seine Rede – sie war mit all ihren Sinnen gefesselt von dem großen, reichen, in freudigen Farben leuchtenden Bild der wogenden Trachten – von der schwellenden, lockenden Musik, von den Scharen strahlender Jugend. Und in das junge Volk war bereits der Funke des festlichen Mutes und Übermutes wie ein Feuer gefahren, das sich blitzschnell durch dürres Gras verbreitet.

Hilde war von dem Anblick eine Weile überwältigt.

Nie hatte wohl ein Dorf zu seiner Kirchweih die Menge festlichen Volkes und herrlicher Trachten empfangen, wie sie bei dieser künstlerischen Veranstaltung durch viele große und kleine Räume vom Keller durch den Ballsaal des Erdgeschosses in die oberen Stockwerke flutete. Das gesamte trachtenreiche Oberbayern, seine Jäger und Kraxler, seine bäurischen Künstler, Dorfphilosophen, Wurzelgräber und andere Naturgenies gaben sich an der ländlichen Festlichkeit Stelldichein. Aus dem München der Biedermeierzeit hatte sich stattlicher Besuch eingefunden, die Frauen mit goldgestickten, seltsam gehörnten Hauben, dazu die Bauern und Bäuerinnen von Dachau – die Männer in kurzen Kitteln, an denen als Knöpfe die Silbertaler blinkten, die Weiber in weit ausgebauschten, wulstigen Röcken, und mit ihnen lustwandelte das Bauernvolk von der Donau und aus der fröhlichen Pfalz.

Die Kirchweih war ein wogendes Trachtenfest des Bayerlandes mit den Typen des Volkshumors, Hiesel und Kniesel, ländlichen Quacksalbern und fahrenden Spielleuten, Bauernadvokaten und volkstümlichen Gauklern. Doch damit war die bunte Schau nicht erschöpft, das Fest hatte den bayrischen Rahmen gesprengt. Da gingen ja die Schwarzwälderinnen und Elsässerinnen mit gewaltigen Maschen und prächtigen Zöpfen, buntes Volk aus dem Spreewald und von der Wasserkant, aus Tirol und Steiermark, ja selbst von jenseits der deutschen Sprachgrenzen, aus all den Gegenden, aus denen junge Künstler und Künstlerinnen stammten – Hunderte und aber Hunderte. Die Menge der Kostüme, der leuchtende Trubel der Farben führte die beredteste Sprache, wie gemischt aus Stämmen und Völkern die Jugend ist, die in München die Quellen und Offenbarungen des künstlerischen Schaffens sucht.

Es war kein kleines Verdienst der betriebsamen Frau Steiger, daß sie, von einigen Künstlern unterstützt, die Ausgestaltung der Schweizer Trachtengruppe übernommen und Wochen auf die Beschaffung der kostbaren Kostüme, des alten Gold- und Silberschmuckes, der Halsbänder, Brustketten, Gehänge und Gürtel, die zu den Trachten gehörten, verwendet hatte. Die Schweizer Sennerinnen, die kraftvollen Schwinger und Älplerinnen aus dem Berner Oberland, die Wildheuer und Heuerinnen aus Uri, die sonnigen Trachten aus dem Wallis und der Farbenlenz der tessinischen Täler waren denn auch eine wertvolle Bereicherung der großen und prächtigen Künstlerkirchweih.

Die Steiger selbst trugen die wunderschöne, mit seidenen Blumen bestickte Sonntagstracht eines Unterwaldner Bauernpaares, und urwüchsigere, bodenechtere Erscheinungen als die beiden ließen sich auch in der Wirklichkeit des Berglebens kaum denken.

Steiger war bei einigen Malern schwatzend stehengeblieben, seine lebenslustige Frau lustwandelte, den edelsteinbesetzten Unterwaldner Silberpfeil in den braunen Zöpfen, am Arm Hildes durch die bunten Völker und weitläufigen Räume des Festes. Sie sonnte sich mit innigem Stolz an der von ihr zusammengestellten heimatlichen Gruppe, die sich bald in das wogende Gemenge auflöste, bald an ein paar Tischen wieder sammelte. Von überall her erreichten freundliche Zurufe das schöne und stattliche Frauenpaar, nicht bloß von den Schweizern, sondern auch von den vielen anderen Gästen der Kirchweih.

Hilde besonders galten die Aufmerksamkeiten. In ihrer kleidsamen und vornehmen Tracht und mit ihrem hohen Wuchs war sie eine wahrhaft stolze Erscheinung. Auf den von einem silbernen Pfeil zusammengehaltenen Zöpfen wiegte sich die überaus duftige und zarte Appenzellerinnenhaube mit ihren durchbrochenen Flügeln wie ein Riesenschmetterling.

»Ah, die schöne Schweizerin!«

Unzählige Male drang der Ruf der Bewunderung an ihr Ohr und ließ sie erröten. Frau Steiger aber war begeistert von den Huldigungen, die ihrem Schützling dargebracht wurden.

»Nun sagen Sie, wäre es nicht ein blutiges Unrecht gegen Sie selbst gewesen, wenn Sie sich von dem Fest ferngehalten, oder wenn Sie statt der herrlichen Appenzellerinnentracht, die für Sie wie eigens geschaffen erscheint, das bescheidene Schachentaler Fähnchen getragen hätten, auf das Ihre Wahl fiel?«

»Ja, jetzt bin ich Ihnen sehr dankbar«, lächelte sie, und wonnig begegneten sich die Augen der beiden.

Nur mit der stärksten inneren Zögerung hatte sie sich für das Fest und die schöne Tracht gewinnen lassen. Jetzt aber trug sie ein stilles Glück im Herzen. Siegfried war vor ihrer Fahrt zum Ball auf einen Sprung in die Familie Herdhüßer gekommen. Er hatte sie in ihrer Tracht gesehen und mit goldig auflachendem Herzensjubel sich gefreut an ihrer festlichen Erscheinung, an den zierlichen Kopfflügeln, an dem zarten blühweißen Miederhemdchen, dem teerosengelben Einsatz und dem blaßblauseidenen Kleid. »Schau mit mir in den Spiegel, Hilde«, hatte er entzückt gerufen, »gelt, du bist ein feiner und gediegener Kerl! Nun würde ich dich am liebsten vom Ball zurückhalten, damit ich dich recht lange bewundern könnte, deinen stolzen Kopf, deinen königlichen Nacken! Doch ist es Zeit, Kind! Geh, Liebling, freue dich!« So recht wie ein verliebter Junge hatte er sich gebärdet und in dem Augenblick, da der Wagen abfahren wollte, sich zu ihr hineingeschwungen und sie noch bis zum Eingang der festlichen Räume begleitet. Und die Küsse, die sonst die Besucherinnen eines Künstlerfestes von ihren Tänzern zu erwarten haben, hatte er vorweg gegeben und genommen von ihren Lippen, und für die Kirchweih hatte sie keine mehr übrig, nur für ihn auf den morgigen Tag!

Dieses stille Glück begleitete sie durch das aufjauchzende Fest.

Sie hatte die Absicht, es nur als ruhig fröhliche Zuschauerin zu genießen; aber da kam Steiger und bat um den ersten Tanz, und die jungen Landsleute umringten sie mit ihren Bitten. Die Appenzeller, die lustigen Burschen in Lederkäppchen, roter Weste und mit einem Messinggurt, auf dem ein Viehzeug abgebildet war, jubelten: »Appenzellerkind, du gehörst zu uns! Dich lassen wir nicht mehr los!«

Die harmlosen jungen Leute, die am Werktag stille, fleißige Zöglinge der Kunstgewerbeschule sein mochten, waren ihr willkommene Gesellschaft. Von Herzen fröhlich, ja übermütig zogen sie sich doch die Grenzen des Wohlanstandes, und Hilde bereitete es um der dankbar aufblitzenden Augen willen ein warmes Vergnügen, sich von jedem der jungen Sennen zum Tanz führen zu lassen. Aus dem großen Saal, in dem eine Regimentsmusik spielte, zog sich der Reigen durch die fast unübersehbare Menge der tanzenden Paare zu der Bauern- und Zigeunermusik der Nebenräume und in den kühlen Keller, wo die Dudelsackpfeifer, mit untergeschlagenen Beinen auf einem Tisch hockend, die Tanzweisen bliesen.

Nur einmal wieder etwas Atem holen – nur ein paar Augenblicke allein sein!

Die Uhr ging schon auf Mitternacht. An einer Säule des großen Saales lehnend, stand Hilde. Sie schaute mit wogender Brust in den mehrtausendköpfigen Trachtenreigen, in die hoch anschwellende Kirchweihstimmung der künstlerischen Jugend, die sich in Lebenslust begeisterte und berauschte – ein blühender Frühling von blitzenden Augen, strahlenden Gesichtern, schimmernden Nacken und Schultern, bunten Gewändern und funkelndem Geschmeide. Das zuckte von Leben, das strahlte von Glut, das wogte in Schönheit und war ein Fest der Glücklichen, der Liebenden und Seligen! Herzhaft und herzlich umschlangen und küßten sich die anmutsvollen, jugendlichen Paare. Ineinander glühten Augen und Seelen, die Jugend, die Schönheit, der künstlerische Geist huldigte sich selbst in heiterer Sinnlichkeit und in der sorglosen und unverbindlichen Faschingsliebe, die sich und der Stunde selber genug ist. Freude, schöner Götterfunken!

Viele Bekannte, noch mehr Unbekannte versuchten Hilde wieder in den Wirbel zu ziehen. Die stolze Appenzellerin lehnte ab. Schauen, was die Augen fassen, träumend aus den Kelchen der Schönheit trinken! Oh, es war doch ein gütiges Schicksal, daß sie am Ende ihres mehr denn dreijährigen, oft herzzerreißenden Kampfes um die Kunst in diese lebendige Schönheitsoffenbarung blicken durfte. Da feierten mit der ringenden Jugend, die noch keinen Namen besaß, die reifen Männer, die zu den künstlerischen Leuchten Münchens gehörten, das herrliche Fest, und als hätten alle, die in seinen Bann geraten waren, Lethe und Vergessen von dem getrunken, was es im Leben Häßliches gibt – von Armut und Kummer, von Schuld und Reue – , schwebte die Harmonie des innigen Lebensgenusses über den vielen glücklichen Menschen.

Dombaly hatte schon recht! In diesen Lebenswogen kamen künstlerische Schwingungen über die Seele, die im Atelier und vor dem schönsten Modell nie zum Bewußtsein erwachten. Ein zitternder Schaffensdrang ging Hilde durch Seele und Glieder. Oh, die Bilder der Herdhüßerschen Kinder mußten schön werden! Mitten im aufjauchzenden Ballfest spürte es Hilde, wie sie doch mit jeder Faser ihres Herzens Künstlerin war. –

Da tauchte unmittelbar vor ihr ein bekanntes Gesicht auf: in der Verkleidung eines Zillertalerbauern Professor Waldhier, ihr ehemaliger Lehrer. Sie errötete, und auch er kämpfte mit einer kleinen Verlegenheit; aber rasch sammelte er sich, kam und begrüßte sie sehr artig, so, wie wenn ihm von ehemals doch noch eine stille Sympathie für sie geblieben wäre. Die kleinen, klugen Augen scharf auf sie gerichtet, fragte er sie nach ihrem Ergehen und ihrer Arbeit und erstaunte ein wenig, als sie von einem Privatauftrag sprach, mit dem sie beschäftigt sei.

»Da haben Sie den Krach bei Dombaly nicht mehr als Augenzeugin miterlebt. Nanu, ein Glück, wenn man dergleichen Dingen entgeht!«

»Den Krach!« – Jetzt war die Überraschung an Hilde. Sie wurde totenblaß.

»Die Siegel kamen heute morgen an sein Atelier. Ich hoffte eigentlich von Ihnen Näheres zu hören – besonders, ob es richtig ist, daß er sich von München nach Rom geflüchtet hat – auf der Spur der indischen Abenteuerin, von der man in München so viel sprach?«

Hilde konnte ihr Erschrecken über die Nachricht kaum verbergen. Sie war froh, als Waldhier das Gespräch abbrach und sich in die bunte Menge verlor. Willenlos folgte sie der Einladung ihrer Appenzeller Landsleute zu der riesenhaften Polonaise, die sich, von zahllosen Trachten gebildet, als eine blendend schöne Girlande freudiger Jugend aus dem großen Saal hinauf und hinunter durch die gesamten Festräume zog. Die rauschende Musik, das hell und grell aufjubelnde Leben schnitten ihr plötzlich schmerzhaft in die Seele. Welche Leichtfertigkeit, so fröhlich mit den Fröhlichen zu sein! Dombaly – Dombaly! tönte es ihr aus den aufregenden Tanzweisen seltsam ins Ohr – vor ihrem inneren Blick standen seine nachtdunklen Augen, sein in Schmerzen aufzuckendes Gesicht, seine taumelnde Gestalt. Das Bild eines mit Gott und der Welt zerfallenen Mannes! – Wie eine Erleichterung berührte sie der Gedanke, daß er nicht mehr in München weile. –

Nur die Steiger nichts von ihrer inneren Unruhe merken lassen! Dem Paar war ja die Künstlerkirchweih die einzige große Lustbarkeit des Münchner Winters. Die durfte ihnen durch keinen unfestlichen Ton verdorben weiden.

Mitternacht war schon vorüber. Des Tanzes hatte Hilde mehr als genug. Erhitzt und erschöpft ließ sie sich von einem jugendlichen Partner in den kühlen, großen Keller und in die lauschige Irische geleiten, in der sich die Schweizer Landsleute stets wieder fanden. Da war heimatliche Älpleikirchweih, ein schönes Sonderspiel im großen Fest. Ans einer Ecke des Kellers schwebten die seltsam getragenen Melodien des Alphorns. Ein Vierblatt ließ seine Jodler so herzerfrischend steigen, als wäre man auf grüner Alp am Säntisgebirge. Unter der Führung Steigers und seiner Frau, die sehr schöne Stimmen besaßen, erklang, von der ganzen Gesellschaft froh mitgesungen, ein mundartliches Heimatlied um das andere, und eine große Zuschauerschaft umringte ein Paar, das mit bewundernswerter Geschicklichkeit und Kunst den »Bödeler«, die Schweizer Abart des Schuhplattlers, tanzte.

Froh, zu der lebhaften Unterhaltung der Landsleute nicht selber beitragen zu müssen, blickte Hilde in das eigenartige Liebes- und Lebensspiel des Tanzes, der in fast unerschöpflichen Variationen eine volkstümlich mimische Schilderung des Sichsuchens und Sichfliehens, des Sichneckens und Sichvertragens eines verliebten Burschen und Mädchens gibt. Im ersten Kuß findet sich das Paar, zur Kirche ziehen die Hochzeitsleute, die Pflichten des Haushalts kommen, zu Feierabend schnitzt der Mann Löffel und Kellen, lullt die Frau den Säugling in Schlaf, in zärtliche Anwandlungen hinein fällt das eheliche Schmollen und Sichversöhnen, und das gemütliche Alter versucht sich, schon etwas steif geworden, noch einmal in den Tänzen der Jugend.

Lauter Beifall lohnte das Paar.

»Nun müssen doch bald die Mehlsuppen mit Kraut kommen«, lachte Steiger hellauf. »Da greifen Sie auch zu, Hilde!« In urwüchsigem Behagen, breit und derb, saß er unter den jungen Landsleuten am Tisch und hielt den Arm leicht um die Hüfte seiner Frau geschlungen, welche die Gesellschaft stets mit neuen Vorschlägen für Gesang und Spiel in Atem hielt.

Die jungen Appenzeller Sennen betrieben den Plan, sich mit Hilde in dem photographischen Atelier, das im Hintergrund des Kellers errichtet war, als Trachtengruppe aufnehmen zu lassen. Die Spielverderberin wollte sie nicht sein, und vielleicht freute sich Siegfried, der ihr Kostüm so sehr bewundert hatte, wenn er später das Bild als Andenken an seine Appenzellerin besaß! –

Nun war die Aufnahme vorbei. Doch was ging dort am Tisch der Landsleute vor, die eben noch so harmlos lustig beisammengesessen hatten? Die Leute knäuelten sich ja. Aus dem Knäuel tönte eine laute, ihr wohlbekannte Stimme.

Gott, Dombaly! – Sie war einer Ohnmacht nahe. Woher er nur kam, der Unglückselige? In dem abgerissenen und beschmutzten Gewand eines geringen Landstreichers war er zu so später Stunde in das Fest gedrungen, die Arme wild verwerfend, stand er am Tisch der Schweizer und beschimpfte Steiger: »Sie unter die Künstler verirrter Flachmaler, der den wirklichen Künstlern die Bilderaufträge abjagt!

– bei den Posaunenstößen,
Die eitel Wind,
Laßt uns lachen über Größen,
Die keine sind!«

Rauh und häßlich dröhnte seine Stimme durch den Keller dahin. In seinen Augen flackerte der Irrsinn.

Steiger saß in starrer Verwunderung neben seiner erschreckten Frau, erst allmählich kam Leben in seine kraftvolle Gestalt, er stülpte die Ärmel seines Sennengewandes über die eichenstarken Arme zurück, ruhig sagte er: »Büebli – mach, daß du fortkommst – oder –!«

Nur das Zittern seiner Stimme und das Aufblitzen seiner Augen verrieten die innere Wallung.

»Lump!« schrie Dombaly.

Steiger führte einen so gewaltigen Faustschlag auf den Tisch, daß die Gläser hüpften und klirrten. Zornrot erhob er sich – im nächsten Augenblick mußte er mit dem Störenfried handgemein sein! Dann wehe Dombaly!

Hilde wollte vor den Unglückseligen treten, Steiger zurufen: »Schonen Sie ihn, er ist ja ein todkranker Mann!«

Jede Faser an ihr zitterte.

Da hatten aber Gäste aus allen Ecken des Kellers, die zuerst gar nicht recht wußten, was eigentlich geschah, einen dichten Ring um Dombaly gebildet und drängten den heftig Schreienden von Steiger hinweg.

In diesem Augenblick wurde sie von Dombaly gesehen. »Hilde – meine Hilde Rebstein!« rief er, »siehst du, wie sie mich mißhandeln!« Er wollte sich mit einem unsäglich wehvollen Blick zu ihr flüchten, dann verschwand er ihren Augen unter den Männern, die den Tobenden und Weinenden mit sanfter Gewalt aus dem Kreis der Erschreckten führten.

Steiger hatte sich von dem jähen Überfall erholt, dafür saß Hilde bebend und wie gebrochen unter ihren Landsleuten.

Wie ein böser Traum war der häßliche Vorfall in wenigen Augenblicken vorbeigegangen, nur ein kleiner Teil der Festfeiernden hatte ihn überhaupt bemerkt, und jetzt setzte die Tanzmusik gewaltsam mit ihren heitersten, lebendigsten Weisen ein, erhoben sich an allen Ecken und Enden die fröhlichen Rufe: »Mehlsuppe, Wollwurst und Kraut!« Jedermann heuchelte in lauten, lustigen Gesprächen Vergessen des störenden Vorfalles, aber tief unter dem Lärm der sich erfrischenden, singenden und tanzenden Gesellschaft schlich der Name Dombaly, als wäre am Fest unheimlich die Flammenschrift erschienen, die einst Nebukadnezar zur Festtafel leuchtete: »Meneh, meneh tekel upharsin!« –

»Dombaly ist über seinem wilden Leben und seinem Zusammenbruch wahnsinnig geworden«, flüsterte es sich von Mund zu Mund. Mochte die Jugend noch wilder im Reigen jauchzen als zuvor, sich voll der bacchantischen Lust in stillen Winkeln umschlingen, küssen und kosen, in das heitere Fest hatte es doch wie eine Hand aus der Tiefe gegriffen, und durch die lichten Räume der Freude war eine dunkle Schwester der Kunst gegangen.

Am stärksten empfand es Hilde.

Den in ihrer herzlichen Kirchweihluft ungerecht und schwer gekränkten Malersleuten Steiger zulieb blieb sie bis zum allgemeinen Aufbruch beim Fest. Ein Münchner Künstlerball und keiner mehr. Zu Ostern aber mit Siegfried in die Heimat! –

In den Sturm ihrer Seele glänzte der Gedanke wie ein ruhiger, heller Stern.


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