Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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3

Als Hilde in das Gasthaus trat, war der große Saal, der im Sommer den Gästen diente, ausgeräumt und nicht zur Rast zu benützen. Eine Magd mit aufgestecktem rotem Haar führte sie in ein hübsches Nebengemach.

Da saßen der Herr und die Dame aus dem Automobil, die prächtige Mäntel abgelegt hatten, und Hilde hatte das peinliche Gefühl, daß sie mit ihrem Eintritt und leichten Gruß eine zärtliche Liebesunterhaltung störe. Das Paar unterbrach einen Augenblick sein Geplauder und Gekose, und als sie in einer ziemlich entfernten Ecke Platz nahm, schaute es mit einer flüchtigen Neugier nach ihr. Doch im nächsten Augenblick gehörte es nur wieder sich selbst, trank sich über das üppige Abendbrot, das eben zu Ende war, lachend den Rotwein zu, wechselte ein Sprühfeuer von Blicken, von flüsternden Koselauten und küßte sich mit einem Freimut, der auch in der freien Gesellschaft Münchens vor anderen Gästen nichts Alltägliches ist.

Wohl Künstlersleute, die sich einen frohen Tag bereiteten!

Der Kaffee ließ auf sich warten. Das Gefühl Hildes sträubte sich gegen die unfreiwillige Zeugenschaft bei dem Getändel des verliebten Paares. Sie fühlte den Gegensatz zwischen dem leichtsinnigen Glück der beiden und ihrer eigenen ernsten Stimmung und sandte den Blick ins Freie. Die sinkende Sonne glühte über den Waldwipfeln, grellrote Buchengebüsche standen wie lohende Feuer. So reizvoll aber das Naturschauspiel war, sie mußte doch wie aus innerer Lockung von Zeit zu Zeit ein verstohlenes Auge nach den Liebesleuten wenden.

Ein schönes, anziehendes Menschenpaar! Der Mann besonders fesselte sie, eine hochgewachsene, etwa in der Mitte der dreißiger Jahre stehende Erscheinung mit einem kraftvollen Christushaupt ohne Süßlichkeit, im Gegenteil mit einer geheimnisvollen Wucht des Ausdruckes. Die Wucht lag vor allem in seinen zwingenden, tief dunkeln Augen und in der wunderbar edel gebauten Stirn. Der Stärke war aber die Milde zugesellt. Mit einer feinen Überlegenheit, einer jugendlich anmutenden Güte erwiderte er wie in lässigem Spiel die Liebkosungen des übermütig glücklichen schönen Mädchens, das der verliebtere Teil der beiden zu sein schien.

Hilde war von den Augen und dem Antlitz des Mannes heimlich gebannt. Ein freier, großzügiger Mensch, über den nie ein Zwang gegangen war, ein Künstler wohl, der sich von den Gaben der Erde nur die schönsten nimmt! Das war ihr überraschender Eindruck. Sie erinnerte sich, daß sie der stolzen Gestalt mit dem geistvollen Gesicht, dem genial wirren Lockenhaar und zwanglos wallenden Bart schon in Schwabing und an der Ludwigstraße begegnet war, daß sie den ihr Fremden schon damals nach seiner gesamten Erscheinung, auch nach seiner elegant nachlässigen, schmiegsamen Kleidung für einen Maler oder Bildhauer gehalten hatte. Bei aller Kraft seiner Züge schien er ihr eine verwöhnte, überfeinerte Künstlernatur, die von Glück und Glanz umgeben war. So heute wieder. Wer er wohl war?

Seine dunkeln Augen waren aufmerksamer auf Hilde geworden, und unvermutet kam die Bestätigung seines Künstlertums. Indem er das Liebesspiel seiner Begleiterin mit einer sanften Handbewegung beruhigte, zog er sachte Bleistift und Blatt aus der Tasche und begann Hilde in tiefer Heimlichkeit zu zeichnen.

Sie merkte es aber doch. Sollte sie sich darüber freuen oder ärgern? Keines von beiden, gleichgültig wollte sie erscheinen, doch konnte sie ein Erröten über seinen Einfall nicht unterdrücken. Es war nicht das erstemal, daß sie gezeichnet wurde. Sie hatte es in der Stadt, auf der Bank einer Promenade oder selbst im Konzert, schon manchmal erlebt, daß Künstler, namentlich junge Künstler, sie ohne Anfrage aus einem Halbversteck als Modell für eine Skizze genommen hatten, und hielt es seither für ein freies Recht der Kunst, abzubilden, was sich ihr eben aus der Wahl des Auges als Vorwurf bot. Sie entdeckte auch, wie vorteilhaft sie dem schon in seine Arbeit Vertieften als Halbprofil im Strom des Abendlichtes saß, das breit und golden in die Stube hereinflutete. Die überaus günstige Beleuchtung mochte ihn zu seinem Beginnen gereizt haben; jedenfalls wußte sie sich selber von jedem Dazutun frei.

Das rothaarige Wirtsmädchen brachte ihr endlich den Kaffee. Während sie das wohltuende Getränk schlürfte, was tun, als dem Zeichnenden stillehalten wie ein braves Kind und den scharf beobachtenden Strahl der magnetischen Augen über sich ergehen lassen? Lag eine kleine Unhöflichkeit in dem Einfall des Künstlers, dann war weniger sie die Betroffene als seine Begleiterin, von der er mit überraschender Plötzlichkeit die Teilnahme zu ihr hatte gleiten lassen.

Die junge Dame lehnte mit einem halb träumerischen, halb kindlich übermütigen Ausdruck wohlig neben dem Künstler, brannte sich eine Zigarette an und stieß mit den schwellend frischen Lippen den Rauch lässig von sich. Wenn sie einen stillen Unmut über das Beginnen ihres Begleiters empfand, so ließ sie das wenigstens nicht merken. Mit leichter Neugier betrachtete sie das entstehende Bildnis, und aus der Art ihres Sehens erriet Hilde, daß das anmutige Wesen keine Künstlerin war. Die jugendliche Gemahlin des Künstlers? – Nein! Junge Eheleute haben ja daheim die Gelegenheit, sich ihre Verliebtheit zu kunden. Sein Modell? Dafür sah das Mädchen in seinem geschmackvollen blautuchenen Rock zu gut aus, zeugte ihr Benehmen trotz ihres verliebten Sinnes und der leichtsinnigen Zigarette von zuviel Wohlanständigkeit und Selbstachtung.

Sie war wohl einfach die aus einem Münchner Bürgerhaus stammende, verliebte Freundin des Künstlers. Seine junge und schöne Freundin, sagte sich Hilde. Das Fräulein war nicht älter als sie. Zweiundzwanzig höchstens, von herrlichem Ebenmaß des Wuchses, jugendlich schwellenden Linien ohne Üppigkeit und einer reizend angenehmen Ausgeglichenheit der Bewegung. Auch ihr Antlitz mit den sonnig blauen Augen, dem feinen und offenen Schnitt und der samtenen Frische durfte für schön gelten, aber neben der seelisch belebten Gestalt ihres Begleiters fehlte ihrem Wesen trotz der Anmut und der Lieblichkeit irgend etwas, vielleicht das tiefere Feuer des Temperaments ober das Gepräge einer feineren Bildung. Unmöglich, die junge Dame, wie gut sie aussah, auf die gleiche seelische Höhe zu stellen wie den männlich reifen Künstler. Zwischen den beiden mußte irgendeine verborgene Unebenbürtigkeit sein. –

Ehe Hilde ihre Betrachtungen zu Ende geführt hatte, war die kleine Erfrischung verzehrt.

»Ich bitte Sie um Entschuldigung, daß ich aufbrechen muß«, wandte sie sich an den Zeichner. »Ich gehe zu Fuß nach der Stadt und darf es nicht zu spät werden lassen.«

Er lächelte verbindlich: »Und da bin ich auch beim letzten Strich. Ich danke Ihnen, Fräulein!«

Höflich kam er mit dem Blatt auf sie zu und wies ihr das vom Sonnenrot gestreifte Bild.

Hilde sprach kein Wort, ein aufleuchtender Blick der Überraschung streifte das Antlitz des ihr fremden Gastes. In den charakteristischen Linien der rasch und keck entstandenen Silberstiftzeichnung erkannte sie ihr wohlgetroffenes, durch einen seelischen Hauch belebtes Ebenbild. Sie glühte freudig auf, halb aus Stolz, daß sie es war, die dem Künstler den Anlaß zu dem reizvollen Werkchen gegeben hatte. Sie hätte ihn am liebsten gebeten, es ihr als Geschenk zu überlassen. Sie getraute sich aber nicht.

Mit einem zugleich entschuldigenden und wohlgefälligen Lächeln legte er das Blatt sorgfältig in sein Taschenbuch. Welche feingepflegten, aristokratischen Hände – fast Frauenhände!

Er wandte sich an seine Begleiterin: »Mizzi, laden wir die junge Dame ein, daß sie mit uns im Automobil zur Stadt fährt!« Nun flog doch ein Schatten der Enttäuschung über das Gesicht Mizzis, aber es erhellte sich gleich wieder. »Wie Platz schaffen?« versetzte sie mit stillem Siegesgefühl.

Jetzt war der Künstler seinerseits in Verlegenheit. Hilde wollte ihn nicht in der Klemme lassen und seiner Dame die Freude nicht verderben. Sie verabschiedete sich rasch, doch nicht ohne heimliches Bedauern. Aus den Initialen S. D., die er unter ihr kleines, feines Porträt gefügt hatte, war sie fast sicher, daß der Zeichner kein anderer als Stephan Dombaly sei, der durch seine schönen Ausstellungen rasch berühmt gewordene Maler, in dem viele den künftigen ersten Stern unter den führenden Künstlern Münchens erkennen wollten. Zu ihrer Annahme stimmte ja auch die fein durchgeformte Zeichnung. Es war wohl das einzig Richtige gewesen, daß sie gegangen war, aber schade, daß es nicht anders hatte sein können. Vielleicht hätte er ihr in ihren künstlerischen Wirrungen einen guten Rat geben können!

Ach nein! Was wissen diese Großen von der Not der Kleinen!


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