Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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31

Wenn nur der stets wilder aufrauschende Karneval vorüber wäre, der Fasching mit den gegensätzlichen Eindrucken der lauten Abendfreude und des fröstelnden Morgenjammers! Die bunten Farben beunruhigten die Nerven selbst der Unbeteiligten, und die Augen verlangten nach den stumpferen und ruhigeren Bildern des Alltags.

Sie wünschte es um Dombalys willen.

Und dennoch, unmöglich, sich den Eindrücken des Karnevals ganz zu entziehen.

Am Abend, wenn Hilde, von Siegfried geleitet, aus der Familie Herdhüßer heimwärts ging, drang aus allen Cafés und Bierhallen die Hackbrett- und Schrammelmusik, der Juchschrei und das Gestampfe der bäuerlichen Spielgesellschaften laut und aufdringlich in die Straßen, und man begegnete genug jener Gestalten, die aus Mantel und Tuch das Narrenkleid hervorblicken ließen. Bajazzi und Dominos, Bébés und Münchner Kindel, Gaukler und Gauklerinnen, Priester und Priesterinnen, Götter und Göttinnen fuhren, eines lustigen und übermütigen Abenteuers gewärtig, nach den Vergnügungssälen. Am Morgen dann, wenn Hilde aus ihrer Dachkammer herniederstieg und sich vor dem Eintritt in das Atelier auf einem Spaziergang von der herben Winterluft umwehen ließ, kamen ihr in Gruppen oder einzeln die Spätlinge der durchschwärmten Nacht entgegen. Diejenigen, die am Abend im Wagen gefahren waren, gingen jetzt zu Fuß. Die Männer starrten mit gläsernen Augen in die Morgendämmerung und in das Tagewerk der anderen Leute; die Mädchen schleppten sich müde und frierend, Haar und Röckchen zerzaust, einher und hatten manchmal kaum mehr Kleider genug, die Blöße des Leibes zu decken.

Gegenüber all dem Taumel empfand sie das Glück ihrer reinen großen Liebe erst recht tief und billigte im Grund ihres Herzens das strenge Urteil, mit dem Siegfried, der lebensernste Norddeutsche, die leidenschaftliche Ausgelassenheit der lang andauernden Münchner Karnevalswochen verurteilte.

»Das Ergebnis?« fragte er. »In soundso vielen Familien der Gerichtsvollzieher, eine Anzahl junger Leute der Versuchung erlegen und wegen Unterschlagung vor Gericht, soundso viele Mädchen verführt und im Unglück, Ehen zerrissen und die Scheidungsklage anhängig. Sogar von Faschingsselbstmorden liest man, hier aus Eifersucht, dort wegen einer verlorenen Stelle, und in der Gärtnervorstadt hat sich eine Sechzehnjährige aus Ärger darüber erhängt, daß der Vater das leichte Narrenröckchen im Ofen verbrannt hat. Wer spricht gegen eine maßvolle Freude? Zuviel aber ist zuviel!«

Nein, Siegfried, Hilde und auch Wieland ließen sich vom Fasching nicht anfechten. Wenn Sonntags die Bajazzi und Dominos, die morgenländischen Gaukler, Priester und Götter erst übernächtig von den samstäglichen Redouten kamen, dann war das Dreiblatt schon auf dem Weg zum Bahnhof, zu einer reinen Sonntagsfreude in den Bergen, im rauhreifschweren Wald und unter Gottes blauem Himmel. Die Erinnerung an den Sonntag überglänzte Hilde die Woche und erleichterte ihr die Sorge um Dombaly.

Er lag ganz im Bann der Indierin. – Wann stand sie ihm Modell? Sakuntala hatte schon ein paarmal ins Atelier geschaut, Hilde aber war bei den Besuchen des verhaßten fremden Weibes still geblieben und hatte eine Unterhaltung mit ihr vermieden. Dombaly äußerte sich unglücklich über seine neue Freundin. Sie besaß nicht einmal die Ausdauer, um die Stellung für eine Skizze zu bewahren. Sie klagte gleich über Nervosität und Kopfschmerz, wie sollte da ein Gemälde großen Stils werden?

»Merkst du nicht, daß sie ein unwürdiges Spiel mit dir treibt?« wandte sich Hilde wahrheitsmutig an ihren Lehrer; er aber wies die Bemerkung lächelnd ab, war verschossener in die Indierin als je und suchte sie seinen Plänen zu gewinnen, indem er mit ihr von Kostümball zu Kostümball fuhr.

Von diesem wilden Leben trug er die Spuren, und die Vorboten des Ruines kamen stets deutlicher an das reiche Atelier heran.

Aus dem pompejanisch stilisierten Vestibül waren die Erz- und Marmortorsen, die Bildfragmente und Urnen, die Friese und Kapitäle, die es geschmückt hatten, durch die Angestellten eines bekannten Antiquars abgeholt und in die Stadt geführt worden. Wie tief mußte Dombaly in der Not sein, daß er diesen wertvollen Lieblingsbesitz an den Händler dahingab, dahingab gewiß fast um einen Bettelpfennig. Und betrug der Erlös sogar einige tausend Mark, wie wenig war das in seinen Händen! Noch nie hatte das Atelier mehr Besuch gehabt als jetzt, aber auch nie so unliebenswürdigen. Es waren die Händler und Gläubiger des Künstlers, »die Manichäer«, wie er sie nannte. Prüfend standen sie vor den Bildern und Schätzen der schönen Räume, flüsterten sich ihre Bemerkungen zu, beargwöhnten sich aber auch gegenseitig, baten Dombaly nicht eben höflich um mancherlei Auskunft und notierten sich die Gemälde und Sammlungsgegenstände in ihre Taschenbücher oder auf besondere Bogen. Manchmal traten sie auf, als ob nicht mehr Dombaly, sondern sie im Atelier zu gebieten hätten. Dann kam es zwischen ihnen und dem ohnehin erregten Künstler zu heftigen Wortwechseln. Sie sagten ihm manches Bittere über seine Verschwendungssucht und seinen unsinnigen Verkehr mit der Indierin oder hielten ihm die Verluste vor, die sie durch seine tolle Lebensführung erleiden würden, die einen mit höflicher Kälte, die anderen in der groben Münze des volkstümlichen Alltags.

»Oh, die Gemeinheit«, schrie Dombaly auf, »die Herren vergessen, wie sie vor kurzer Zeit noch vor mir gekatzbuckelt haben – sie vergessen, daß sie stets unendlich mehr an meinen Werken verdient haben als ich selbst. Pfui Teufel! Woher sind denn ihre Hände und Bäuche so fett? – und ihre aufgedonnerten Weiber?«

Wütend lief er aus dem Atelier. Vielleicht jagte er nach Sakuntala – er hoffte von ihrem Bild stets noch die ökonomische Rettung –, vielleicht ging er auch sonst seinen nächtlichen Ausschweifungen und Taumeleien nach, der Unglückselige!

Hilde, die sich bei den häßlichen Vorgängen im Atelier möglichst im Verborgenen hielt, litt stumm. Wenn's doch nur zu Ende wäre! Aber lange konnten ja die Vorstudien des Untergangs nicht mehr dauern. Der Zerfall Dombalys ging erschreckend rasch. Er sah entsetzlich aus. Die Augen in dem geisterhaft blassen Gesicht lagen in dunkeln Ringen, flirrten unstet, manchmal fiel ihm das Lid über dem einen wie durch eine Lähmung zu, sein Haar ergraute und lichtete sich über den wunderbar schön und edel gebauten Schläfen so sehr, daß Hilde den Fortschritt der Verwüstung fast von Morgen zu Morgen erkannte.

In diesem schrecklichen Zerfall aber, der ihn vor Erschöpfung taumeln ließ, war doch der künstlerische Trieb in ihm fieberhaft lebendig. Mit perlenden Schweißtropfen auf der Stirn versuchte er zu malen und wachte auch mit einer rührenden Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit über eine gute Entwicklung des Bildes, an dem Hilde arbeitete.

»Aber, Rebstein«, zürnte er, »das Bildnis der jungen Mutter ist ja auf dem besten Weg, zu mißraten! Da sind plötzlich eine Menge Verzeichnungen und Schiefheiten drin und sogar das schlecht, was du vorher gut gemacht hast!« Enttäuscht und vorwurfsvoll blickte er ihr ins Gesicht.

Das Weh dieser Tage übernahm Hilde. Die Tränen traten ihr in die Augen. »Ich weiß es, Dombaly! Ich kann in dieser unheilschwangeren Luft nicht schaffen. Ich komme ja überhaupt nur noch ins Atelier, damit du mich für keine feige Ratte ansiehst.«

Sie erlebte schwere Tage.

Nun hatte sie wegen Dombaly sogar noch den unerwarteten und unwillkommenen Besuch seines früheren Modells, der Mizzi Schäfer! Gott, was suchte denn die Mizzi bei ihr?


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